Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 98/2020
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2020
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2020


TypeError: undefined is not a function (evaluating '_paq.toString().includes
("trackSiteSearch")') https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/
index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://08-04-2020-9C_98-2020&lang=de&zoom=
&type=show_document:1846 in global code 
 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

9C_98/2020

Urteil vom 8. April 2020

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Parrino, Präsident,

Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,

Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwältin Stefanie Maag,

Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 16. Dezember 2019 (IV.2018.01045).

Sachverhalt:

A. 

Die 1970 geborene A.________ meldete sich im September 2008 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 12. April 2012
verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Rentenanspruch. Auf Beschwerde
der Versicherten hin hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die
Verfügung vom 12. April 2012 auf; es wies die Sache zur weiteren Abklärung und
erneuten Verfügung an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 25. März 2013).

Im Februar 2014 ersuchte A.________ um Hilflosenentschädigung. Nach Abklärungen
und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle mit
Verfügung vom 1. November 2018 eine anspruchsbegründende Hilflosigkeit. Mit
Vorbescheid vom 5. November 2018 stellte sie der Versicherten eine ganze
Invalidenrente ab 1. September 2007 in Aussicht.

B. 

Die Beschwerde gegen die Verfügung vom 1. November 2018 wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 16. Dezember
2019 ab.

C. 

A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 16. Dezember 2019 sei ihr eine
Hilflosenentschädigung ab dem 1. Februar 2013 zuzusprechen; eventualiter sei
die Sache zu ergänzenden Abklärungen und neuem Entscheid an das kantonale
Gericht zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und
Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist. Eine offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf. Es liegt
noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung
ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint.
Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das
kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich
falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang
des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den
abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat. Solche Mängel sind in
der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG)
klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53 mit Hinweisen;
Urteil 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2).

2.

2.1. Als hilflos gilt eine Person, die wegen der Beeinträchtigung der
Gesundheit für alltägliche Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder
der persönlichen Überwachung bedarf (Art. 9 ATSG). Versicherte mit Wohnsitz und
gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die hilflos sind, haben - unter
Vorbehalt des hier nicht einschlägigen Art. 42bis IVG - Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung (Art. 42 Abs. 1 IVG).

2.2. Hilflosigkeit ist insbesondere gegeben, wenn eine Person zu Hause lebt und
wegen einer Gesundheitsbeeinträchtigung dauernd auf lebenspraktische Begleitung
angewiesen ist, das heisst ohne die Begleitung durch eine Drittperson nicht
selbstständig wohnen kann, für Verrichtungen und Kontakte ausserhalb der
Wohnung auf die Begleitung durch eine Drittperson angewiesen oder ernsthaft
gefährdet ist, sich dauernd von der Aussenwelt zu isolieren (Art. 38 Abs. 1 IVV
[SR 831.201]). Zu berücksichtigen ist nur die lebenspraktische Begleitung, die
regelmässig und im Zusammenhang mit einer der soeben genannten Situationen
erforderlich ist (Art. 38 Abs. 3 IVV). Sie gilt als regelmässig, wenn sie über
eine Periode von drei Monaten gerechnet im Durchschnitt mindestens 2 Stunden
pro Woche benötigt wird (BGE 133 V 450 E. 6.2 S. 461 f.).

Der Bedarf nach lebenspraktischer Begleitung allein gilt als leichte
Hilflosigkeit (Art. 42 Abs. 3 IVG, Art. 37 Abs. 3 lit. e IVV). Ist eine Person
auf lebenspraktische Begleitung angewiesen und damit nach dem Gesagten leicht
hilflos, erhöht sich der Grad der Hilflosigkeit nur dann, wenn sie darüber
hinaus in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen hilflos ist (Art. 37
Abs. 2 lit. c IVV). Zu den für die Bemessung der Hilflosigkeit massgebenden
sechs alltäglichen Lebensverrichtungen gehören praxisgemäss Ankleiden/
Auskleiden, Aufstehen/Absitzen/Abliegen, Essen, Körperpflege, Verrichtung der
Notdurft, Fortbewegung (im oder ausser Haus) und Kontaktaufnahme (BGE 133 V 450
E. 7.2 S. 462 f. mit Hinweisen).

Hilfestellungen Dritter, derer die versicherte Person bei mehreren
Lebensverrichtungen bedarf, können grundsätzlich nur einmal berücksichtigt
werden. Dies gilt auch bei Überschneidungen im Bedarf an lebenspraktischer
Begleitung einerseits und der Hilfsbedürftigkeit in den alltäglichen
Lebensverrichtungen andererseits. So dürfen Einschränkungen bei der
Kontaktpflege, welche den Anspruch auf lebenspraktische Begleitung gerade
(auch) auslösen, bei der Beurteilung der Hilflosigkeit in den alltäglichen
Lebensverrichtungen nicht nochmals ins Gewicht fallen. Bei der Zuordnung einer
Hilfeleistung zu einer bestimmten Lebensverrichtung hat also eine funktional
gesamtheitliche Betrachtungsweise Platz zu greifen (Urteil 8C_184/2019 vom 22.
Juli 2019 E. 5.1 mit Hinweisen).

2.3. Ein Abklärungsbericht unter dem Aspekt der Hilflosigkeit (vgl. Art. 69
Abs. 2 IVV) hat folgenden Anforderungen zu genügen: Als Berichterstatterin
wirkt eine qualifizierte Person, welche Kenntnis der örtlichen und räumlichen
Verhältnisse sowie der aus den seitens der Mediziner gestellten Diagnosen sich
ergebenden Beeinträchtigungen und Hilfsbedürftigkeiten hat. Bei Unklarheiten
über physische oder psychische Störungen und/oder deren Auswirkungen auf
alltägliche Lebensverrichtungen sind Rückfragen an die medizinischen
Fachpersonen nicht nur zulässig, sondern notwendig. Weiter sind die Angaben der
Hilfe leistenden Personen zu berücksichtigen, wobei divergierende Meinungen der
Beteiligten im Bericht aufzuzeigen sind. Der Berichtstext schliesslich muss
plausibel, begründet und detailliert bezüglich der einzelnen alltäglichen
Lebensverrichtungen sowie der weiteren tatbestandsmässigen Erfordernisse (Art.
37 IVV) und der lebenspraktischen Begleitung (Art. 38 IVV) sein. Schliesslich
hat er in Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen Angaben zu
stehen. Das Gericht greift, sofern der Bericht eine zuverlässige
Entscheidungsgrundlage im eben umschriebenen Sinne darstellt, in das Ermessen
der die Abklärung tätigenden Person nur ein, wenn klar feststellbare
Fehleinschätzungen vorliegen. Das gebietet insbesondere der Umstand, dass die
fachlich kompetente Abklärungsperson näher am konkreten Sachverhalt ist als das
im Beschwerdefall zuständige Gericht (BGE 140 V 543 E. 3.2.1 S. 546 f. mit
Hinweisen).

3.

3.1. Das kantonale Gericht hat dem Abklärungsbericht für Hilflosenentschädigung
für Erwachsene vom 23. August 2018 Beweiskraft beigemessen. Gestützt darauf hat
es erwogen, der umstrittene Anspruch falle lediglich mit Blick auf Art. 37 Abs.
3 lit. a und e IVV in Betracht. Indessen bestehe in fünf (von sechs)
alltäglichen Lebensverrichtungen kein Hilfebedarf; die Versicherte sei einzig
im Bereich "Fortbewegung/ Pflege gesellschaftlicher Kontakte" eingeschränkt.
Mit Blick auf die lebenspraktische Begleitung hat es einen zeitlichen
Hilfebedarf für den Haushalt von wöchentlich 30 Minuten für Hausarbeiten und 20
Minuten für Kleiderpflege anerkannt. Für ausserhäusliche Verrichtungen resp.
die Pflege von Kontakten könne kein Aufwand von mindestens 70 Minuten
angerechnet werden. Somit sei die Notwendigkeit lebenspraktischer Begleitung im
Sinn von Art. 38 IVV (mindestens zwei Stunden pro Woche) nicht ausgewiesen.
Folglich hat es den Anspruch auf Hilflosenentschädigung verneint.

3.2. Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, ihr tatsächlicher
Hilfebedarf im Haushalt sowie für ausserhäusliche Verrichtungen und die
Kontaktpflege sei viel höher als je zwei Stunden pro Woche. Das ergebe sich
insbesondere aus der Art ihres Leidens (hemiplegische Migräne und
Clusterkopfschmerzen). Diesbezüglich sei der Abklärungsbericht fehlerhaft und
die vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürlich. Das kantonale Gericht habe
sich mit den Sachumständen und den Angaben der Mutter ungenügend
auseinandergesetzt, wodurch ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei.
Ohne die notwendige Unterstützung würde sie total isoliert leben und drohe ihr
eine Heimeinweisung.

3.3. Von einer ungenügenden Begründung des angefochtenen Entscheids kann nicht
gesprochen werden, da eine sachgerechte Anfechtung möglich war (vgl. BGE 142
III 433 E. 4.3.2 S. 436 mit Hinweisen). Zudem berücksichtigte die Vorinstanz -
entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin - die Einschränkungen in der
Fortbewegung nicht nur unter dem Titel der allgemeinen Lebensverrichtungen,
sondern auch unter jenem der lebenspraktischen Begleitung (vgl. E. 3.1).

Die Vorinstanz hat festgestellt, der Versicherten sei es mehrheitlich (bis auf
zirka acht Mal im Jahr mit dem Auto oder Roller) nicht mehr möglich, sich ohne
Hilfe von Drittpersonen fortzubewegen, wenn die Umgebung nicht rollstuhlgängig
sei. Sie komme bei der Tagesstrukturierung und der Bewältigung von
Alltagssituationen selbstständig zurecht; sie sei in der Lage, sich um ihre
Vermögensverwaltung zu kümmern und für sich und ihre Mutter Termine zu
organisieren. Sie sitze durchschnittlich eine Stunde pro Tag am Computer und
stehe mit Freunden aus Kanada oder den USA im Kontakt. Auch wenn sie die
Aufgaben im Haushalt nur langsam, mit Schwierigkeiten, nur in gewissen Momenten
und manche Arbeiten gar nicht erledigen könne, drohe keine Verwahrlosung. Den
Standschwierigkeiten beim Kochen könne mit dem Hinzuholen eines sicheren Stuhls
begegnet werden; es könnten weitere Hilfsmittel benutzt und zerkleinerte
Lebensmittel gekauft werden. Die Versicherte habe angegeben, dass sie Termine
kurzfristig vereinbare, damit sie diese selbstständig wahrnehmen könne. Diese
Feststellungen sind nicht offensichtlich unrichtig (vgl. E. 1.2). Sodann
berücksichtigte die Abklärungsperson insbesondere die Angaben der Versicherten,
deren (bei der Abklärung an Ort und Stelle anwesenden) Mutter und des
behandelnden Arztes (vgl. dessen Bericht vom 28. Juni 2018). Weiter nahm auch
Dr. med. B.________, Facharzt für Neurologie sowie für Psychiatrie und
Psychotherapie beim Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD), an der Abklärung vor
Ort teil und äusserte sich am 30. Oktober 2018 dazu. Damit bleibt auch die mit
Blick auf die Beweiskraft des Abklärungsberichts für Hilflosenentschädigung
(vgl. E. 2.3) getroffene vorinstanzliche Feststellung, es bestünden keine
Hinweise für klare Fehleinschätzungen der Abklärungsperson, für das
Bundesgericht verbindlich (E. 1.1). Ohnehin beschränkt sich die
Beschwerdeführerin auf weiten Strecken darauf, in appellatorischer Weise die
vorinstanzliche Beweiswürdigung zu kritisieren resp. dem von der
Abklärungsperson ermessensweise zugestandenen Hilfebedarf ihre eigene
Auffassung entgegenzustellen, was nicht genügt (Urteile 9C_494/2016 vom 19.
Dezember 2016 E. 3.5; 9C_794/2012 vom 4. März 2013 E. 4.1; 9C_65/2012 vom 28.
Februar 2012 E. 4.3 mit Hinweisen).

Schliesslich stellt auch der Umstand, dass die Vorinstanz sich nicht explizit
mit dem Schreiben der Mutter der Versicherten vom 28. November 2018 und der
Stellungnahme des behandelnden Arztes vom 30. November 2018 befasste, keine
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die Beschwerdeführerin
macht nicht geltend, dass diese Unterlagen Aspekte enthalten sollen, die bei
der Abklärung an Ort und Stelle nicht bekannt waren, und solches ist auch nicht
ersichtlich. Das kantonale Gericht ist - implizit und nach dem Gesagten zu
Recht - davon ausgegangen, dass die Beweiskraft des Abklärungsberichts dadurch
nicht erschüttert wird. Die Beschwerde ist unbegründet.

4. 

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. April 2020

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Parrino

Die Gerichtsschreiberin: Dormann