Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.28/2020
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_28/2020

Urteil vom 1. April 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Muschietti,

Bundesrichterin Koch,

Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Nichtanhandnahme; Rechtzeitigkeit der Beschwerde, Zustellfiktion,
unentgeltliche Rechtspflege, Kosten.

Beschwerde gegen die Verfügung und den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, vom 3. Dezember 2019 (UE190361-O/U/PFE).

Erwägungen:

1. 

Nach einer Strafanzeige wegen Sachbeschädigung und weiterer Delikte nahm die
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl eine Strafuntersuchung am 7. Oktober 2019 nicht
an die Hand. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde trat das Obergericht des
Kantons Zürich am 3. Dezember 2019 wegen verspäteter Beschwerdeeinreichung
nicht ein. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies es ab und auferlegte
dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten von Fr. 300.--.

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt der Beschwerdeführer sinngemäss die
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der angefochtenen Verfügung. Er
macht geltend, die Beschwerde rechtzeitig erhoben zu haben. Sodann beanstandet
er den Kostenentscheid. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege.

2. 

Mit der Beschwerde in Strafsachen kann auch die Verletzung von Verfassungsrecht
gerügt werden (Art. 95 BGG). Der zusätzlich erhobenen subsidiären
Verfassungsbeschwerde kommt keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. Art. 113
BGG).

3. 

In sachverhaltlicher Hinsicht steht fest, dass die staatsanwaltschaftliche
Nichtanhandnahmeverfügung am 11. Oktober 2019 eingeschrieben an die Parteien
versandt wurde. Dem Beschwerdeführer wurde das Einschreiben am 14. Oktober 2019
zur Abholung mit einer Abholungsfrist bis 21. Oktober 2019 gemeldet. Am 19.
Oktober 2019 erteilte der Beschwerdeführer der Post den Auftrag, die
Aufbewahrungsfrist bis 11. November 2019 zu verlängern. An letzterem Tag wurde
die Nichtanhandnahmeverfügung dem Beschwerdeführer am Schalter zugestellt.

Die Vorinstanz erwägt, dass die Zustellung der Nichtanhandnahmeverfügung
gesetzeskonform durch eingeschriebene Postsendung erfolgte. Da der
Beschwerdeführer mit einer Zustellung habe rechnen müssen, greife die
Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO. Ein Post-Rückbehaltungsauftrag
verlängere die siebentägige Abholfrist nicht. Die Nichtanhandnahmeverfügung
gelte daher als am 21. Oktober 2019 zugestellt. Diese Zustellung habe die
10-tägige Beschwerdefrist ausgelöst. Entsprechend hätte eine Beschwerde
spätestens am 31. Oktober 2019 bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren
Handen der Schweizerischen Post übergeben werden müssen. Die Eingabe des
Beschwerdeführers vom 15. November 2019 sei erst am 20. November 2019 beim
hiesigen Gericht abgegeben worden. Die Beschwerde sei folglich verspätet.

4. 

Die Vorinstanz hat die Grundsätze zur Zustellfiktion im angefochtenen Entscheid
zutreffend wiedergegeben. Der Beschwerdeführer reichte am 19. September 2019
bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige ein. Er hat damit aktiv ein
Prozessrechtsverhältnis initiiert. Folglich musste er mit einer Reaktion der
Staatsanwaltschaft rechnen und entsprechend davon ausgehen, dass ihm in
absehbarer Zeit Schreiben zugestellt werden könnten. Die mit Einschreiben
versandte Nichtanhandnahmeverfügung wurde dem Beschwerdeführer am 14. Oktober
2019 und damit rund einen Monat nach seiner Strafanzeige zur Abholung gemeldet.
Dieser Zeitablauf liegt deutlich im Rahmen des zu Erwartenden. Der Standpunkt
des Beschwerdeführers, er habe mit Zustellungen nicht rechnen müssen, weil die
Staatsanwaltschaft aufgrund des erstellten Anfangstatverdachts und der
gegebenen Beweise eine Strafuntersuchung hätte eröffnen müssen und keine
rechtsmissbräuchliche Nichtanhandnahmeverfügung hätte erlassen dürfen, geht an
der Sache vorbei.

Muss mit Zustellungen gerechnet werden, greift die Zustellfiktion nach Art. 85
Abs. 4 lit. a StPO. Dabei entspricht es konstanter bundesgerichtlicher Praxis,
dass die siebentägige Frist von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO unabhängig davon
gilt, wie lange eine Sendung gemäss den Abmachungen einer Partei mit der Post
abgeholt werden kann (vgl. BGE 141 II 429 E. 3.1; BGE 134 V 49 E. 4). Das
Wirksamwerden der Fiktion kann nicht durch eine Verlängerung der Abholfrist
bzw. einen Post-Rückbehaltungsauftrag verhindert werden (BGE 134 V 49 E. 5;
siehe auch BGE 123 III 492). Vorbehalten bleiben besondere
Vertrauensschutzsituationen (BGE 127 I 31 E. 3b/bb), die hier nicht vorliegen.
Soweit der Beschwerdeführer einwendet, aus der Verlängerung der Abholfrist
dürfe ihm als Laien kein Nachteil erwachsen und er sich unter Hinweis auf den
Grundsatz von Treu und Glauben auf einen Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, vom 17. Juni 2019 beruft, verkennt er, dass er die
Abholfrist nicht einfach hätte verlängern dürfen, ohne sich vorher nach dem
Absender des avisierten eingeschriebenen Briefs zu erkundigen. Dass die
Staatsanwaltschaft auf seine Strafanzeige hin mit Zustellungen an ihn reagieren
könnte, liegt in der Natur der Sache. Ausgehend davon hat die Vorinstanz zu
Recht angenommen, dass die staatsanwaltschaftliche Nichtanhandnahmeverfügung am
21. Oktober 2019 als zugestellt zu gelten hat, die zehntägige Beschwerdefrist
am 31. Oktober 2019 endete und die Beschwerde im kantonalen Verfahren verspätet
eingereicht wurde.

5. 

Die Vorinstanz hat das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen und dem Beschwerdeführer Verfahrenskosten
von Fr. 300.-- auferlegt. Was daran gegen das Recht im Sinne von Art. 95 BGG
verstossen könnte, ergibt sich aus der Beschwerde nicht. Die Hinweise auf seine
persönlichen Verhältnisse ("arbeitsloser mittelloser Sozialhilfeempfänger") und
die wortreichen Ausführungen zum Armenrechtsanspruch, zur kantonalen
Gebührenverordnung und zu "sozialverträglichen" Gebühren genügen nicht, um
Willkür oder eine fehlerhafte Ermessensausübung und Rechtsanwendung durch die
Vorinstanz im Kostenpunkt darzulegen. Dass und inwiefern eine am unteren
Gebührenrahmen angesetzte Gerichtsgebühr von Fr. 300.-- spezifischer Begründung
bedurft hätte, ist gestützt auf die Vorbringen in der Beschwerde ebenfalls
nicht ersichtlich.

6. 

Mit der materiellen Seite der Angelegenheit hat sich die Vorinstanz nicht
befasst. Folglich kann dies auch das Bundesgericht nicht tun (vgl. Art. 80 Abs.
1 BGG). Der Beschwerdeführer ist mit seinen diesbezüglichen Ausführungen nicht
zu hören.

7. 

Die Beschwerde ist damit im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, weil die Rechtsbegehren
aussichtslos erschienen (vgl. Art. 64 BGG). Der finanziellen Lage des
Beschwerdeführers ist durch eine herabgesetzte Gerichtsgebühr Rechnung zu
tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. April 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill