Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.95/2020
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

5A_95/2020

Urteil vom 19. Februar 2020

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Herrmann, Präsident,

Bundesrichter Marazzi, Schöbi,

Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Christian Bignasca,

Beschwerdeführer,

gegen

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Luzern-Land.

Gegenstand

Fürsorgerische Unterbringung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 28.
November 2019 (3H 19 77 / 3U 19 86).

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ (geb. 1953; Beschwerdeführer) wurde am 3. Dezember 2018 von Dr.
med. B.________ mittels vorsorglicher fürsorgerischer Unterbringung in die
psychiatrische Klinik C.________ eingewiesen, dies mit der Begründung einer
Selbstgefährdung und Verwahrlosung bei hochgradigem Verdacht auf Vorliegen
einer paranoiden Schizophrenie.

A.b. Am 11. Januar 2019 ordnete die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
Luzern-Land (KESB) auf Gesuch der Klinik hin die Weiterführung der
fürsorgerischen Unterbringung an. Ein Gesuch um Entlassung des
Beschwerdeführers wiesen die KESB und das Kantonsgericht Luzern mit Entscheiden
vom 8. resp. 27. Februar 2019 ab. Die Unterbringung wurde von der KESB im
Rahmen der periodischen Überprüfung am 31. Mai 2019 bestätigt.

A.c. Am 12. Oktober 2019 beantragte der Beschwerdeführer erneut seine
Entlassung. Die KESB Luzern-Land wies das Entlassungsgesuch am 23. Oktober 2019
ab.

B.

B.a. Gegen das Urteil vom 23. Oktober 2019 gelangte der Beschwerdeführer an das
Kantonsgericht Luzern.

B.b. Das Kantonsgericht erteilte Dr. med. D.________ einen Gutachterauftrag.
Mit Schreiben vom 19. November 2019 beantragte der Beschwerdeführer, es sei von
dieser Person abzusehen und für die Begutachtung eine andere sachverständige
Person einzusetzen. Am 20. November 2019 beaufragte das Kantonsgericht Dr. med.
E.________ mit der Begutachtung.

B.c. Am 28. November 2019 führte das Kantonsgericht eine Verhandlung durch. Der
Beschwerdeführer wurde in Anwesenheit der Gutachterin persönlich angehört.

B.d. Mit Urteil vom 28. November 2019 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab
und hielt fest, die nächste periodische Überprüfung habe per 31. März 2020 zu
erfolgen. Das Kantonsgericht gewährte dem Beschwerdeführer unentgeltliche
Rechtspflege inkl. Verbeiständung und setzte die Gutachterkosten fest.

C.

C.a. Mit Beschwerde vom 3. Februar 2020 gelangt der Beschwerdeführer an das
Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Sache
sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er
aus der Klinik zu entlassen. Sodann ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege
inkl. Verbeiständung; die Kosten und Entschädigungen seien der Vorinstanz resp.
dem Staat aufzuerlegen.

C.b. Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten, aber keine
Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1. 

Die Beschwerde richtet sich gegen den Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten
kantonalen Instanz, die als oberes Gericht über ein Rechtsmittel entschieden
hat (Art. 75 BGG). Der angefochtene Entscheid bestätigt die fürsorgerische
Unterbringung des Beschwerdeführers. Das ist ein öffentlich-rechtlicher
Entscheid in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zivilrecht (Art. 72 Abs. 2 Bst.
b Ziff. 6 BGG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde berechtigt (Art. 76
Abs. 1 BGG) und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 i.V.m.
Art. 46 Abs. 1 lit. c BGG). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

2.

2.1. Mit der Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen gemäss Art. 95
f. BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes
wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und prüft mit freier Kognition, ob der
angefochtene Entscheid Recht verletzt. Es befasst sich aber nur mit formell
ausreichend begründeten Einwänden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 86 E.
2, 115 E. 2). Ausserhalb der Teilbereiche von Art. 95 Bst. c-e BGG kann mit
Bezug auf kantonales Recht nur geltend gemacht werden, dessen Anwendung
verletze Bundesrecht; im Vordergrund steht dabei die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte, namentlich des Willkürverbots (Art. 9 BV; BGE 142
II 369 E. 2.1; 138 I 143 E. 2). Ebenfalls nur auf die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte hin überprüft das Bundesgericht die Anwendung der
ZPO, soweit diese in einem Erwachsenenschutzverfahren als subsidiäres
kantonales Recht zur Anwendung gelangt (vgl. Art. 450f ZGB; BGE 140 III 385 E.
2.3; Urteil 5A_724/2015 vom 2. Juni 2016 E. 2.2, nicht publiziert in: BGE 142 I
188). Dabei gilt das Rügeprinzip nach Art. 106 Abs. 2 BGG (Urteil 5A_724/2015
vom 2. Juni 2016 E. 2.2, nicht publiziert in: BGE 142 I 188).

2.2. Was den Sachverhalt angeht, legt das Bundesgericht seinem Urteil die
vorinstanzlichen Feststellungen zugrunde (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG).
Diesbezüglich kann die rechtsuchende Partei nur vorbringen, die
vorinstanzlichen Feststellungen seien offensichtlich unrichtig, das heisst
willkürlich, oder würden auf einer anderen Bundesrechtsverletzung im Sinn von
Art. 95 BGG (z.B. Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV oder Art. 8 ZGB) beruhen. In
der Beschwerde ist überdies darzutun, inwiefern die Behebung der gerügten
Mängel für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (vgl. Art. 97 Abs.
1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Auch in diesem Zusammenhang gilt das Rügeprinzip
nach Art. 106 Abs. 2 BGG (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Das Bundesgericht prüft nur
klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen, während es
auf ungenügend substanziierte Rügen und rein appellatorische Kritik am
Sachverhalt nicht eintritt (BGE 141 IV 317 E. 5.4; 140 III 264 E. 2.3 S. 266).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt vorab eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs
im Zusammenhang mit der Beauftragung der Gutachterin Dr. med. E.________. Er
habe die Gutachterin ablehnen wollen, weil diese nicht unabhängig gewesen sei,
was er anlässlich der Verhandlung vom 28. November 2019 vorgetragen habe. Die
Vorinstanz habe (zu Unrecht) angenommen, er habe dies verspätet vorgebracht.
Das Urteil sei aufzuheben und eine neue Begutachtung durchzuführen.

3.2. Dem angefochtenen Urteil lässt sich in der Tat entnehmen, dass der
Beschwerdeführer anlässlich der Verhandlung vor dem Kantonsgericht die
Unabhängigkeit der Gutachterin in Frage stellte, weil diese den
Beschwerdeführer früher schon einmal gutachterlich abgeklärt habe. Der
Beschwerdeführer habe aufgrund des geltend gemachten Grundes eine neue,
unabhängige Begutachtung verlangt. Die Vorinstanz erwog aber, ein allfälliger
Ablehnungsgrund hätte sofort, d.h. unverzüglich nach Kenntnisnahme der
vorgesehenen Gutachterin geltend gemacht werden müssen. Da dies nicht geschehen
sei, sei der Anspruch auf Anrufung des vorgebrachten Ablehnungsgrundes
verwirkt.

3.3. Wie aus dem Sachverhalt hervor geht, hat das Kantonsgericht die
Gutachterin mit Schreiben vom 20. November 2019 beauftragt (vgl. Sachverhalt
lit. B.b). Aus den Akten ist ersichtlich, dass das Schreiben der Gutachterin
vorab per E-Mail zugestellt wurde. Der postalische Versand, inkl. Kopie an den
Anwalt des Beschwerdeführers, geschah gemäss Vermerk auf besagtem Schreiben am
21. November 2019, was der Anwalt des Beschwerdeführers in der Beschwerde vom
3. Februar 2020 bestätigt. Der Anwalt bestätigt weiter, "am folgenden Tag
Kenntnis (...) von der neu beauftragten Begutachterin" genommen zu haben, er
kannte demnach am 22. November 2019 den Namen der Gutachterin. Zur Begründung,
weshalb die Gutachterin nicht sofort abgelehnt worden sei, führt der Anwalt
aus, das letzte Gespräch mit dem Klienten habe am 21. November 2019
stattgefunden, als die Gutachterin noch nicht habe Thema sein können. Erst beim
Durchlesen des Gutachtens am Vorabend der Verhandlung, d.h. am 27. November
2019, seien ihm Zweifel gekommen, ob die Gutachterin den Beschwerdeführer schon
einmal begutachtet habe. Er habe dies erst anlässlich der Verhandlung vom 28.
November 2019 überprüfen können.

Den Ausführungen in der Beschwerde kann nicht gefolgt werden. Wenn der Anwalt
am 22. November 2019 vom Namen der Gutachterin Kenntnis hatte und die
Verhandlung erst am 28. November 2019 stattfand, hätte ausreichend Zeit
bestanden, noch einmal mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufzunehmen, um
abzuklären, ob allfällige Ablehnungsgründe bestehen, und in den Akten zu
überprüfen, ob die vom Kantonsgericht beauftragte Person schon einmal in ein
Gutachten involviert gewesen ist. Vor diesem Hintergrund ist keine
Bundesrechtsverletzung ersichtlich, wenn die Vorinstanz befand, der Einwand
gegen die Gutachterin sei verspätet erfolgt.

4.

4.1. In der Sache bestreitet der Beschwerdeführer, dass die Voraussetzungen für
eine fürsorgerische Unterbringung gegeben seien.

Eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung
leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung
untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders
erfolgen kann (Art. 426 Abs. 1 ZGB). Die betroffene Person wird entlassen,
sobald die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht mehr erfüllt sind (Art.
426 Abs. 3 ZGB).

4.2. Die Vorinstanz hielt fest, der Beschwerdeführer leide an einer
paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie (ICD-10 F20.0). Die gegebene
Symptomatik mit massiven Störungen der Affektkontrolle, schwerster Impulsivität
und deutlichen Störungen des Denkens beeinträchtige ihn in allen Bereichen der
Lebensführung und setze ihn ausserstande, die aktuelle Situation adäquat
einzuschätzen oder die Tragweite seines Verhaltens zu erkennen. Er bedürfe
einer medikamentösen Behandlung, verfüge aber nach Einschätzung aller
involvierter Fachpersonen über keinerlei Krankheits- und Behandlungseinsicht.
Die Absetzung der Medikamente würde zu einer erneuten schweren psychischen
Dekompensation führen. Die Klinik C.________ sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt
geeignet, um die notwendige Betreuung und Behandlung zu gewährleisten. Die
Vorinstanz erwähnte, dass eine Umstellung auf eine (Zwangs-) Depotmedikation
erfolgt sei. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer zukünftig bereit wäre,
sich die notwendige neuroleptische Depotmedikation freiwillig verabreichen zu
lassen, stellte die Vorinstanz in Aussicht, dass die Aufrechterhaltung der
Massnahme - mit Absicherung durch flankierende Massnahmen - längerfristig nicht
mehr zwingend erforderliche wäre.

Die Vorinstanz erwog weiter, dass vor einer Entlassung ein Arzt gefunden werden
müsse, dem der Beschwerdeführer zur Verabreichung der Medikamente vertraue.
Sodann müsse eine adäquate Anschlusslösung in Bezug auf die Wohnsituation
organisiert werden. Eine Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt würde einer
Entlassung des Beschwerdeführers in die Obdachlosigkeit gleichkommen, was
insbesondere in dieser Jahreszeit nicht angehe. Da die für eine Entlassung
notwendigen Rahmenbedingungen nicht gegeben seien, bestätigte die Vorinstanz
die fürsorgerische Unterbringung. Sie wies die KESB gleichzeitig an, auf eine
Entlassung des Beschwerdeführers binnen weniger Wochen bis Monate hinzuarbeiten
und eine Anschlusslösung zu suchen, namentlich eine angemessene Wohnform sowie
einen Arzt, dem der Beschwerdeführer für die weitere Behandlung vertraue.

4.3. Der Beschwerdeführer bestreitet die gestellte Diagnose nicht, ebensowenig
einen Behandlungsbedarf noch die grundsätzliche Geeignetheit der Klinik für die
Erbringung einer derartigen Behandlung und Betreuung. Er bestreitet aber, dass
die notwendige Behandlung oder Betreuung nur in der Klinik erbracht werden
könne. Er bedürfe zwar einer Medikation. Aufgrund der Umstellung auf die
Depotmedikation, die er akzeptiere, könne dies ausserhalb der Klinik
gewährleistet werden. Er verweist auf Aussagen der ärztlichen Leitung der
Klinik, Dr. med. F.________, wonach er bei dauerhafter Fortsetzung der
angefangenen Depotmedikation und einer gut vorbereiteten und im Voraus
organisierten Versorgung (z.B. in einem Alters- und Pflegeheim oder einer daran
angeschlossenen Alterswohnung) in der Lage sein werde, ausserhalb der Klinik zu
leben. Er zeigt dann aber nicht auf, dass eine Wohnmöglichkeit organisiert
wäre. Ebensowenig nennt er einen Arzt, bei dem er die Medikation fortführen
würde. Schliesslich bestreitet der Beschwerdeführer auch die Feststellung der
Vorinstanz nicht, dass seine Krankheit ihn in allen Bereichen der Lebensführung
beeinträchtige und ihn ausserstande setze, die aktuelle Situation adäquat
einzuschätzen oder die Tragweite seines Verhaltens zu erkennen (vgl.
vorstehende E. 4.2). Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, wenn
die Vorinstanz zum gegebenen Zeitpunkt den Bedarf der Fortführung der
Behandlung und Betreuung in der Klinik bejahte und die fürsorgerische
Unterbringung bestätigte.

5. 

Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang
des Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Den besonderen Umständen des Falls wegen wird darauf verzichtet,
solche Kosten zu erheben. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen; die
vorausgegangenen Erwägungen zeigen, dass der Beschwerde an das Bundesgericht
zum vornherein kein Erfolg beschieden sein konnte (Art. 64 BGG). Dem Kanton
Luzern ist keine Entschädigung geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
wird abgewiesen.

3. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 

Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde KESB Luzern-Land und dem Kantonsgericht Luzern, 2.
Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Februar 2020

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Herrmann

Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann