Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.200/2020
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_200/2020

Urteil vom 25. März 2020

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd,

Bundesrichter Beusch,

Gerichtsschreiber Businger.

Verfahrensbeteiligte

1. A.________,

2. B.________,

Beschwerdeführerinnen,

Nr. 2 handelnd durch Nr. 1,

beide vertreten durch C.________,

gegen

Migrationsamt des Kantons St. Gallen,

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen,

Gegenstand

Eingrenzung (Art. 74 Abs. 1 AIG),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen,
Abteilung II, vom 27. Januar 2020 (B 2019/282).

Erwägungen:

1.

1.1. A.________ (geb. 1987) und ihre Tochter B.________ (geb. 2009) sind
eritreische Staatsangehörige. Sie reisten am 14. September 2017 illegal in die
Schweiz ein und ersuchten um Asyl. Das Staatssekretariat für Migration (SEM)
wies die Asylgesuche am 2. November 2017 ab und verfügte die Wegweisung aus der
Schweiz. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht am
3. Juli 2019 ab. Die daraufhin bis 6. August 2019 angesetzte Ausreisefrist
verstrich ungenutzt. Am 9. Oktober 2019 trat das SEM auf ein
Wiedererwägungsgesuch nicht ein; diesen Entscheid bestätigte das
Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 4. Dezember 2019.

1.2. Am 6. August 2019 erliess das Migrationsamt des Kantons St. Gallen eine
bis 5. August 2021 befristete Eingrenzung auf das Kantonsgebiet gegenüber
A.________. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen am 13. Dezember 2019
insoweit gut, als dass sie eine Gehörsverletzung feststellte. Im Übrigen wies
sie die Beschwerde ab. Diesen Entscheid bestätigte das Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen mit Urteil vom 27. Januar 2020.

1.3. Mit Beschwerde vom 27. Februar 2020 beantragen A.________ und B.________
dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, eventualiter sie die
Sache zum Neuentscheid zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersuchen sie um
Gewährung der aufschiebenden Wirkung und um unentgeltliche Rechtspflege. Das
Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten beigezogen. Mit dem vorliegenden
Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

2. 

Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen
Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83 e
contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 und Art. 90 BGG).

3. 

Die Eingrenzung wurde gegenüber der Beschwerdeführerin 1 angeordnet. Wie die
Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, ist nicht ersichtlich, inwieweit die
Beschwerdeführerin 2 durch die Massnahme formell beschwert ist (vgl. E. 1.3 des
angefochtenen Entscheids). Dass sie als minderjährige Tochter der
Beschwerdeführerin 1 allenfalls mittelbar von der Eingrenzung betroffen ist,
genügt nicht, damit sie am Verfahren hätte beteiligt werden müssen bzw. die
Kinderrechtskonvention auf den vorliegenden Fall anwendbar wäre. Soweit sich
die Beschwerde gegen die fehlende Parteistellung der Tochter richtet, erweist
sie sich als offensichtlich unbegründet. Von vornherein nicht Streitgegenstand
ist die Frage, ob die asylrechtliche Wegweisung der Tochter rechtmässig ist;
auf die Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten.

4. 

In formeller Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin 1, die
Verwaltungsrekurskommission hätte die Gehörsverletzung des Migrationsamts nicht
heilen dürfen.

4.1. Die Verwaltungsrekurskommission hat im Entscheid vom 13. Dezember 2019
erwogen, dass das Migrationsamt die Beschwerdeführerin 1 vor Erlass der
Eingrenzungsverfügung nicht angehört und dadurch eine Gehörsverletzung begangen
habe. Diese könne im Beschwerdeverfahren indessen geheilt werden, weil die
Beschwerdeführerin 1 die Möglichkeit gehabt habe, Akteneinsicht zu nehmen und
eine Stellungnahme einzureichen, und die Verwaltungsrekurskommission über
dieselbe (volle) Kognition wie das Migrationsamt verfüge.

4.2. Mit diesen Ausführungen hat sich die Beschwerdeführerin 1 weder im
vorinstanzlichen Verfahren substanziiert auseinandergesetzt (vgl. S. 4 der
Beschwerde an das Verwaltungsgericht vom 28. Dezember 2019) noch findet eine
Auseinandersetzung in der Beschwerde an das Bundesgericht statt. Die pauschale
Rüge, die Verwaltungsrekurskommission sei mangels sachspezifischer Kenntnisse
nicht in der Lage gewesen, die Gehörsverletzung zu heilen (vgl. S. 6 oben der
Beschwerde), ist unbegründet. Nachdem die Verwaltungsrekurskommission als
Beschwerdeinstanz über die Rechtmässigkeit der Eingrenzung zu befinden hatte,
verfügte sie offensichtlich über die Sachkompetenz, um auch eine von der
Vorinstanz begangene Gehörsverletzung zu heilen.

5.

5.1. Die zuständige kantonale Behörde kann einer Person die Auflage machen, ein
ihr zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu
betreten, wenn ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt und
konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass die betroffene Person nicht
innerhalb der Ausreisefrist ausreisen wird, oder sie die ihr angesetzte
Ausreisefrist nicht eingehalten hat (Art. 74 Abs. 1 lit. b AIG [SR 142.20]).
Die Ein- oder Ausgrenzung ist in dieser Hinsicht eine Zwangsmassnahme zur
Sicherstellung und Durchsetzung von Entfernungsmassnahmen; sie ist eine mildere
Massnahme zum ausländerrechtlichen Freiheitsentzug (Art. 75 ff. AIG), darf aber
wie dieser eine gewisse Druckwirkung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht
entfalten; die Massnahme erlaubt, die weitere Anwesenheit des Ausländers im
Land zu kontrollieren und ihm gleichzeitig bewusst zu machen, dass er sich hier
illegal aufhält und nicht vorbehaltslos von den mit einem Anwesenheitsrecht
verbundenen Freiheiten profitieren kann (BGE 144 II 16 E. 2.1 S. 18 f.).

5.2. Die Beschwerdeführerin 1 wurde im Asylverfahren rechtskräftig aus der
Schweiz weggewiesen und hat das Land innert der ihr angesetzte Ausreisefrist
bis 6. August 2019 nicht verlassen. Die Voraussetzungen von Art. 74 Abs. 1 lit.
b AIG sind erfüllt. Nicht zu hören ist der Einwand, der Wegweisungsentscheid
sei widerrechtlich. Das Bundesverwaltungsgericht als oberste Instanz im
Asylrecht (Art. 83 lit. d Ziff. 1 und Art. 113 BGG) hat sowohl die Wegweisung
im ordentlichen Asylverfahren bestätigt (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
D-6858/ 2017 vom 3. Juli 2019) als auch das Nichteintreten des SEM auf das
Wiedererwägungsgesuch (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-5400/2019 vom 4.
Dezember 2019). Diese Entscheide können im Verfahren betreffend Eingrenzung
grundsätzlich nicht mehr infrage gestellt werden. Dass der Wegweisungsentscheid
geradezu nichtig wäre, ist nicht einmal im Ansatz ersichtlich.

5.3. Die Beschwerdeführerin 1 bestreitet, dass ihr die Ausreise aus der Schweiz
möglich sei.

5.3.1. Wie erwähnt bezweckt die Ein- oder Ausgrenzung nach Art. 74 Abs. 1 lit.
b AIG, eine Druckwirkung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht zu entfalten
(vgl. vorne E. 5.1). Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Ausreise
tatsächlich möglich ist. Andernfalls ist die Massnahme nicht verhältnismässig
und damit unzulässig (BGE 144 II 16 E. 2.3 S. 19). Unbeachtlich ist, ob der
zwangsweise Vollzug möglich ist; es genügt, wenn der Betroffene freiwillig in
den Herkunftsstaat zurückkehren kann (BGE 144 II 16 E. 4 S. 21 ff.).

5.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Asylverfahren erwogen, dass der
zwangsweise Wegweisungsvollzug nach Eritrea nicht möglich sei, die freiwillige
Rückkehr indessen schon, wobei es Sache der Beschwerdeführerinnen sei, sich die
notwendigen Reisepapiere zu beschaffen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
D-6858/2017 vom 3. Juli 2019 E. 12). Dasselbe hat auch die Vorinstanz
festgestellt (vgl. E. 4.2 des angefochtenen Entscheids). Die Beschwerdeführerin
1 bestreitet diese Ausführungen. Sie bringt vor, das Konsulat von Eritrea in
Genf verlange für die Ausstellung von Reisepapieren eine Steuer von 2 % auf die
(Sozialhilfe-) Einkünfte. Dies sei rechtswidrig und die Ausreise deshalb nicht
möglich. Weil dieser Umstand den Behörden bekannt sei, sei ihr "wegen
Aussichtslosigkeit und zwecks Vermeidung sinnloser Ausgaben" zu Recht nie die
Pflicht auferlegt worden, "sich auf die eritreische Mission in Genf zwecks
Beschaffung von Reisepapieren zu begeben" (vgl. S. 3 f. der Beschwerde). Damit
räumt die Beschwerdeführerin 1 selber ein, dass sie keinen Versuch unternommen
hat, sich Reisepapiere für die freiwillige Ausreise zu beschaffen. Entgegen
ihrer Auffassung ist sie hierzu von Gesetzes wegen verpflichtet (Art. 8 Abs. 4
des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]), weshalb es keiner
behördlichen Aufforderung bedarf. Solange sich die Beschwerdeführerin 1 nicht
nachweislich vergeblich um Reisepapiere bemüht hat, kann nicht davon
ausgegangen werden, die freiwillige Ausreise sei nicht möglich.

5.4. Die Beschwerdeführerin 1 bringt zudem vor, die Eingrenzung sei "auch sonst
unverhältnismässig".

5.4.1. Das Verwaltungsgericht hat erwogen, dass die Eingrenzung in räumlicher
Hinsicht nicht zu beanstanden sei. Der Kanton weise eine Fläche von knapp 2'000
km2 auf, habe über eine halbe Million Einwohner und verfüge über die für die
Befriedigung des Grundbedarfs notwendigen Einkaufsgeschäfte sowie weitere
Infrastruktureinrichtungen. Sodann bestehe für zwingende Reisen ausserhalb des
Rayons die Möglichkeit einer Ausnahmebewilligung (vgl. E. 4.3 des angefochtenen
Entscheids). Auch die Dauer der Massnahme von zwei Jahren sei nicht
unverhältnismässig. Die Beschwerdeführerin 1 lebe seit Ablauf der Ausreisefrist
mit ihrer Tochter illegal in der Schweiz, ohne sich um die Papierbeschaffung
bzw. Rückkehr zu kümmern. Das Ziel der Massnahme, die Beschwerdeführerin 1 zur
Ausreise zu bewegen, sei offensichtlich noch nicht erreicht. Da ihr Aufenthalt
in der Schweiz rechtswidrig sei, verbiete ihr die Eingrenzung nichts, was ihr
nicht ohnehin verboten sei (vgl. E. 4.4 des angefochtenen Entscheids).

5.4.2. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Die
Rüge, die Vorinstanzen hätten nicht dargelegt, dass die Eingrenzung "für eine
alleinerziehende Mutter, die eine aufwändige gesamtgesellschaftliche Aufgabe
erfüllt, verhältnismässig sei" bzw. sie hätten die gegen die Eingrenzung
sprechenden Fakten nicht "ergebnisoffen ermittelt, festgestellt und dann
gegeneinander abgewogen" (vgl. S. 7 Ziff. 6 der Beschwerde), ist offensichtlich
unbegründet. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, ist der räumliche
Ausdehnungsbereich der Eingrenzung als eher grosszügig einzustufen. Es ist
weder ersichtlich noch wird dargelegt, inwieweit die Beschwerdeführerin 1
darauf angewiesen ist, das Kantonsgebiet ohne vorgängige Einholung einer
Ausnahmebewilligung verlassen zu können.

5.5. Zusammenfassend vermag die Beschwerdeführerin 1 die Rechtmässigkeit der
Eingrenzung nicht infrage zu stellen. Die Beschwerde erweist sich als
offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden kann (Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG).

6. 

Es rechtfertigt sich, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art.
66 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen, Abteilung II, und dem Staatssekretariat für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. März 2020

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Businger