Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.128/2020
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_128/2020

Urteil vom 20. April 2020

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichterin Hänni,

Bundesrichter Beusch,

Gerichtsschreiber König.

Verfahrensbeteiligte

A.________, Beschwerdeführer,

vertreten durch Advokat Daniel Ordás,

gegen

Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau, Rechtsdienst,

Gegenstand

Widerruf der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des

Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau,

2. Kammer, vom 19. Dezember 2019

(WBE.2019.88 / sw / we).

Erwägungen:

1.

1.1. A.________ (geboren 1987) ist tunesischer Staatsangehöriger. Er heiratete
am 13. Mai 2016 eine Schweizerin und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung zum
Verbleib bei seiner Ehefrau. Per 10. Mai 2018 zog er aus der ehelichen Wohnung
aus. Wegen der Trennung widerrief das Amt für Migration und Integration Kanton
Aargau (MIKA) am 8. Oktober 2018 die Aufenthaltsbewilligung von A.________ und
wies ihn aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel
blieben ohne Erfolg (Einspracheentscheid des MIKA vom 29. Januar 2019, Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 19. Dezember 2019).

1.2. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 3. Februar
2020 beantragt A.________ dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil sei
aufzuheben und das MIKA sei anzuweisen, ihm erneut eine Aufenthaltsbewilligung
zu erteilen. Das MIKA und das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau beantragen,
die Beschwerde sei abzuweisen. Das Staatssekretariat für Migration verzichtete
auf Vernehmlassung.

2. 

2.1. Gegen das angefochtene Urteil einer letzten kantonalen Gerichtsinstanz ist
die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (Art. 82 lit.
a, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 und Art. 90 BGG), soweit der Beschwerdeführer
in vertretbarer Weise einen Anspruch auf Verlängerung seiner inzwischen
abgelaufenen Aufenthaltsbewilligung geltend macht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e
contrario).

2.1.1. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt hinsichtlich der sinngemäss
erhobenen Rüge, die Vorinstanz habe dem Beschwerdeführer zu Unrecht keine
Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes
vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; in der bis
zum 31. Dezember 2018 gültig gewesenen Fassung; zum Intertemporalrecht vgl.
Art. 126 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die
Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration [AIG; SR 142.20]) erteilt
(vgl. S. 6 der Beschwerde). Diesbezüglich und hinsichtlich der mitangefochtenen
Wegweisung (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG; siehe dazu S. 8 der Beschwerde)
steht nur die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nach Art. 113 ff. BGG wegen
Verletzung verfassungsmässiger Rechte zur Verfügung (Art. 116 BGG), wobei eine
qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es ist
nicht ersichtlich, welches verfassungsmässige Recht in diesem Kontext
hinreichend als verletzt gerügt wird. In diesem Punkt ist somit nicht auf die
Beschwerde einzutreten.

2.1.2. Der Beschwerdeführer beruft sich auf eine neue Beziehung zu einer
Landsfrau, die in der Schweiz über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt und von
ihm ein Kind erwarten soll. Unabhängig davon, dass es sich dabei um ein nach
Art. 99 Abs. 1 BGG unzulässiges Novum handelt, ist insoweit nicht auf die
Beschwerde einzutreten:

Ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gestützt auf diese
Beziehung liesse sich allenfalls aus Art. 8 EMRK ableiten, wobei hierfür
insbesondere Voraussetzung wäre, dass die Aufenthaltsbewilligung der neuen
Partnerin auf einem festen Rechtsanspruch beruht, die Partnerin mithin über ein
gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügt (vgl. BGE 144 I 266 E. 2.5 S. 270; 135 I
143 E. 1.3.1 S. 145 f.). Dass und weshalb der neuen Partnerin, welche über eine
Aufenthaltsbewilligung verfügt, ein derartiges gefestigtes Anwesenheitsrecht
zustehen sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar. In diesem Punkt ist der
Beschwerdeführer folglich der (namentlich) hinsichtlich nicht evidenter
Eintretensvoraussetzungen geltenden Begründungspflicht (siehe anstelle vieler
BGE 133 II 249 E. 1.1 S. 251, 353 E. 1 S. 356, 400 E. 2 S. 404; 134 II 45 E.
2.2.3 S. 48) nicht nachgekommen. Er macht nicht in einer für das Eintreten
genügenden, vertretbaren Weise einen Aufenthaltsanspruch geltend.

2.1.3. Soweit der Beschwerdeführer einen Aufenthaltsanspruch aus Art. 50 Abs. 1
lit. b AuG geltend macht, ist die Beschwerde zwar zulässig. Inhaltlich erweist
sie sich aber als offensichtlich unbegründet, weshalb sie nach Art. 109 Abs. 2
lit. a und Abs. 3 BGG unter Verweisung auf den angefochtenen Entscheid
abzuweisen ist.

2.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
namentlich die Verletzung von Schweizer Recht gerügt werden (Art. 95 BGG). Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde
(Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder
beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2
bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Die dem Bundesgericht durch Art. 105 Abs. 2 BGG
eingeräumte Befugnis, die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz zu
berichtigen oder zu ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung von Art. 95 BGG beruht, entbindet den Beschwerdeführer
nicht von seiner Rüge- und Substanziierungspflicht (BGE 133 IV 286 E. 6.2 S.
288). Die betroffene Person muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der
festgestellte Sachverhalt in diesem Sinne mangelhaft erscheint und die Behebung
des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (vgl. Art. 97
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 II 404
E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen).

3. 

3.1. Die eheliche Gemeinschaft des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau besteht
offenkundig nicht mehr, weshalb sich der Beschwerdeführer nicht auf Art. 42
Abs. 1 AuG berufen kann. Gemäss Art. 50 Abs. 1 AuG besteht der Anspruch des
Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach
Auflösung der Ehe oder der Familiengemeinschaft weiter, wenn die
Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre gedauert hat und eine erfolgreiche
Integration besteht (lit. a) oder wichtige persönliche Gründe einen weiteren
Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (lit. b). Nachdem die eheliche
Gemeinschaft nur rund zwei Jahre gedauert hat, ist zu prüfen, ob wichtige
persönliche Gründe i.S.v. Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG vorliegen. Der
Beschwerdeführer bringt in dieser Hinsicht vor, er sei Opfer ehelicher Gewalt
geworden.

3.2. Wichtige persönliche Gründe nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG können
namentlich vorliegen, wenn die Ehegattin oder der Ehegatte Opfer ehelicher
Gewalt wurde (Art. 50 Abs. 2 AuG). Was hierbei im Allgemeinen unter ehelicher
Gewalt zu verstehen ist, wurde im angefochtenen Entscheid zutreffend
festgehalten. Es ist auf die entsprechenden Ausführungen der Vorinstanz zu
verweisen (vgl. E. 3.2 des angefochtenen Urteils; siehe auch BGE 138 II 229 E.
3.2.1 f. S. 232 ff. mit zahlreichen Hinweisen; Urteil 2C_922/2019 vom 26.
Februar 2020 E. 3.1).

3.3. Die ausländische Person trifft bei den Feststellungen des entsprechenden
Sachverhalts eine weitreichende Mitwirkungspflicht (Art. 90 AuG). Sie muss die
eheliche Gewalt in geeigneter Weise glaubhaft machen (Arztberichte oder
psychiatrische Gutachten, Polizeirapporte, Berichte/Einschätzungen von
Fachstellen [Frauenhäuser, Opferhilfe usw.], glaubwürdige Zeugenaussagen von
weiteren Angehörigen oder Nachbarn etc.). Allgemein gehaltene Behauptungen oder
Hinweise auf punktuelle Spannungen genügen nicht; wird häusliche Gewalt in Form
psychischer Oppression behauptet, müssen die Systematik der Misshandlung bzw.
deren zeitliches Andauern und die daraus entstehende subjektive Belastung
objektiv nachvollziehbar konkretisiert und beweismässig unterlegt werden (vgl.
BGE 138 II 229 E. 3.2.3 S. 235; Urteil 2C_922/2019 vom 26. Februar 2020 E.
3.1).

3.4.

3.4.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe während der gesamten Dauer
der Ehe von seiner Ehefrau begangene Tätlichkeiten erleiden müssen.

Die Vorinstanz hat in für das Bundesgericht grundsätzlich bindender Weise (vgl.
Art. 105 Abs. 1 BGG; E. 2.2 hiervor) festgestellt, dass der Beschwerdeführer
gegenüber der Polizei selber erklärt hat, er sei von seiner Ehefrau nicht
geschlagen worden. Ein aktenkundiger Polizeibericht vom 30. April 2018
betreffend einen Vorfall vom 29. April 2018 zeige zwar, dass zwischen den
Eheleuten eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Tätlichkeiten
stattgefunden habe, doch habe sich dieser Vorfall nach der Trennung der
Ehegatten ereignet. Weitere physische Übergriffe seien nicht geltend gemacht.

Die vorinstanzlichen Feststellungen, wonach keine relevanten physischen
Übergriffe seitens der Ehefrau gegeben waren, werden vom Beschwerdeführer nicht
in einer der Rüge- und Substanziierungspflicht (vgl. E. 2.2 hiervor) genügenden
Weise als offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich gerügt.

3.4.2. Nach den für das Bundesgericht ebenfalls grundsätzlich bindenden
Feststellungen der Vorinstanz (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG; E. 2.2 hiervor) hat
der Beschwerdeführer auch nicht belegt, dass er Opfer psychischer Oppression
seitens seiner Ehefrau geworden ist. Selbst wenn ihn die Ehefrau regelmässig
angeschrien habe, könne keine massgebliche Ausübung psychischen Drucks bejaht
werden, zumal der Umgang unter den Ehegatten offensichtlich nicht von
gegenseitiger Achtung und Wertschätzung geprägt gewesen sei.

Der Beschwerdeführer wendet in diesem Punkt ein, die Vorinstanz habe aus
vorhandenen (schriftlichen) Bestätigungen von Zeugen offensichtlich unhaltbare
Schlüsse gezogen, indem sie zwar die entsprechenden Erklärungen der Zeugen für
glaubhaft befunden, aber gleichzeitig das Vorliegen einer hinreichenden
Intensität der Zwangsausübung verneint habe. Dieses Vorbringen überzeugt nicht.
Zum einen hat die Vorinstanz in bindender Weise festgehalten, dass der
Beschwerdeführer mit den Bestätigungen der Zeugen (bzw. einer nur beim MIKA
beantragten Befragung dieser Zeugen) einzig die Behauptung zu untermauern
suchte, dass Nachbarn des Ehepaares infolge der Gewaltausübung der Ehefrau
wiederholt gezwungen gewesen seien, einzugreifen und ihn zu schützen. Zum
anderen hat die Vorinstanz diese Behauptung in bundesrechtskonformer Weise als
zu allgemein gehalten qualifiziert, um damit häusliche Gewalt in Form
psychischer Oppression hinreichend glaubhaft zu machen (vgl. zu den
Anforderungen an die Glaubhaftmachung E. 3.3 hiervor). Es kann hinsichtlich der
Zeugen ergänzend auf die zutreffenden weiteren Ausführungen im angefochtenen
Urteil verwiesen werden (E. 3.4 des angefochtenen Urteils).

3.5. Nach dem Gesagten verletzt es kein Bundesrecht, dass die Vorinstanz
vorliegend zum Schluss gelangt ist, dass keine eheliche Gewalt im Sinne vom
Art. 50 Abs. 2 AuG gegeben war.

Auf die weiteren Ausführungen des Beschwerdeführers zur ehelichen Gewalt ist
nicht einzugehen, da sie auf der nach dem Gesagten nicht vertretbaren Annahme
gründen, er sei über Jahre Schlägen und Erniedrigungen seitens der Ehefrau
ausgesetzt gewesen.

3.6. Der Beschwerdeführer stellt sich zwar auf den Standpunkt, seine
(angeblich) bevorstehende Vaterschaft als Vater des Kindes der neuen Partnerin
sei ein wichtiger Grund für einen Aufenthaltsanspruch nach Art. 50 Abs. 1 lit.
b AuG. Selbst wenn diese Vaterschaft vorliegend trotz des Novenverbotes von
Art. 99 Abs. 1 BGG grundsätzlich berücksichtigt werden könnte, liesse sich
daraus schon deshalb nichts zugunsten des Beschwerdeführers ableiten, weil
nicht substanziiert ist, dass das Kind hier gefestigt anwesenheitsberechtigt
sein wird (vgl. - freilich zum Andauerneiner elterlichen Beziehung zum hier
gefestigt anwesenheitsberechtigten Kind als wichtigen Grund zum Verbleib im
Land - BGE 143 I 21 E. 4.1 S. 24 f.; Urteil 2C_221/2019 vom 25. Juli 2019 E.
3.1).

4.

Zusammenfassend besitzt der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf eine
Aufenthaltsbewilligung. Für weitergehende Überlegungen zur
Verhältnismässigkeit, wie sie der Beschwerdeführer anstellt, besteht im
vorliegenden Verfahren kein Raum.

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

5.

Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet
(Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 20. April 2020

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: König