Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.127/2020
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_127/2020

Urteil vom 13. Februar 2020

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd,

Bundesrichter Donzallaz,

Gerichtsschreiber Businger.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführerin,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn, Migrationsamt.

Gegenstand

Widerruf der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung aus der Schweiz,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom
28. November 2019 (VWBES.2019.333).

Erwägungen:

1.

1.1. A.________ (geb. 1975) ist serbische Staatsangehörige. Sie heiratete am
25. September 2017 einen in der Schweiz aufenthaltsberechtigten deutschen
Staatsangehörigen (geb. 1960) und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA
zum Verbleib bei ihrem Ehemann. Nachdem das Migrationsamt des Kantons Solothurn
im Jahr 2018 Abklärungen im Hinblick auf eine allfällige Scheinehe vorgenommen
hatte, widerrief es namens des Departements des Innern am 29. August 2019 die
Aufenthaltsbewilligung von A.________ und wies sie aus der Schweiz weg. Die
dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn
am 28. November 2019 ab.

1.2. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer
Verfassungsbeschwerde vom 3. Februar 2020 beantragt A.________ dem
Bundesgericht, das Migrationsamt sei anzuweisen, ihre Aufenthaltsbewilligung zu
verlängern. Zudem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und
ihr die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen. Das Bundesgericht hat
keine Instruktionsmassnahmen verfügt. Mit dem vorliegenden Entscheid in der
Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

2.

Die Beschwerdeführerin leitet in vertretbarer Weise einen Aufenthaltsanspruch
aus dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und
der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die
Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (FZA; SR 0.142.112.681) ab. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83
lit. c Ziff. 2, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 und Art. 90 BGG). Für die
subsidiäre Verfassungsbeschwerde bleibt daneben kein Raum; darauf ist nicht
einzutreten (Art. 113 BGG e contrario).

3.

Die Beschwerdeführerin kann sich als Ehegattin eines deutschen, in der Schweiz
aufenthaltsberechtigten Staatsangehörigen grundsätzlich auf die Bestimmungen
des FZA berufen. Der Aufenthaltsanspruch steht allerdings unter dem Vorbehalt
des Rechtsmissbrauchs und fällt dahin, wenn der Wille zur Ehegemeinschaft
fehlt. Die vom originär anwesenheitsberechtigten EU-Bürger abgeleitete
Bewilligung des Drittstaatsangehörigen kann in diesem Fall mangels Fortdauerns
der Bewilligungsvoraussetzungen gestützt auf Art. 23 Abs. 1 der Verordnung vom
22. Mai 2002 über die Einführung des freien Personenverkehrs (VEP; SR 142.203)
i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. d AIG (SR 142.20) widerrufen oder nicht (mehr)
verlängert werden (BGE 139 II 393 E. 2.1 S. 395).

4.

Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann tatsächlich
beabsichtigen, eine eheliche Gemeinschaft zu führen. Die Beschwerdeführerin
macht eine Gehörsverletzung geltend, weil ihr Ehemann nicht persönlich angehört
worden sei.

4.1. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) lässt sich nicht
eine allgemeine Pflicht der Behörde zur Abnahme aller angebotenen Beweise
entnehmen. Die Abweisung eines Beweisantrags erweist sich als zulässig, wenn
die Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde sich ihre Meinung aufgrund zuvor
erhobener Beweise bereits bilden konnte und sie ohne Willkür in
vorweggenommener, antizipierter Beweiswürdigung annehmen darf, die gewonnene
Überzeugung werde durch weitere Beweiserhebungen nicht erschüttert (BGE 136 I
229 E. 5.3 S. 236).

4.2. Die Vorinstanz hat sich eingehend mit den polizeilichen Wohnungskontrollen
vom Februar und November 2018 auseinandergesetzt (vgl. E. 4 des angefochtenen
Urteils). Sie hat erwogen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann an
beiden Wohnorten keine tatsächliche Wohngemeinschaft geführt hätten. Auch wenn
die Abwesenheit der Beschwerdeführerin bei der ersten Kontrolle berufsbedingt
erklärt werden könne, sei nicht erklärbar, weshalb keine Effekten von ihr in
der Wohnung gewesen seien. Es sei unglaubwürdig, dass sie ihre gesamten
Utensilien in eine fremde Wohnung mitnehme, in der sie sich angeblich nur
während ihres Arbeitseinsatzes aufhalte. Was die weiteren Wohnungskontrollen
betreffe, so könne die monatelange Landesabwesenheit des Ehemannes nicht mit
dem Tod seiner Mutter und Schwester sowie seines Gesundheitszustands erklärt
werden. Namentlich hätte die Beschwerdeführerin mittels Attesten nachweisen
können, weshalb ihr Ehemann nicht auch in der Schweiz behandelt werden könne.
Zusammen mit den übrigen Indizien - keine Aufenthaltsbewilligung ohne Heirat;
sehr kurze Dauer der Bekanntschaft (Kennenlernen am 19. September 2016;
Reisepass zum Zwecke der Eheschliessung am 21. September 2016; angeblicher
Zusammenzug am 26. Oktober 2016; Gesuch zur Vorbereitung der Heirat am 27.
Oktober 2016); Altersunterschied - erscheine eine Ausländerrechtsehe als
nachgewiesen (vgl. E. 5.1 des angefochtenen Urteils). Bei dieser klaren
Sachlage sei es nicht zu beanstanden, wenn die Migrationsbehörde in
antizipierter Beweiswürdigung den Antrag auf Anhörung des Ehemannes abgewiesen
habe (vgl. E. 5.2 des angefochtenen Urteils).

4.3. Was die Beschwerdeführerin gegen diese Erwägungen vorbringt, überzeugt
nicht.

4.3.1. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit eine Befragung des Ehemannes
Aufschluss darüber geben könnte, weshalb er sich seit rund eineinhalb Jahren
zur medizinischen Behandlung in Deutschland aufhält. Dabei wird nicht
bestritten, dass der Ehemann gesundheitliche Probleme hat und medizinisch
behandelt werden muss. Fraglich ist, weshalb er sich nicht in der Schweiz in
der Nähe der Beschwerdeführerin behandeln lässt. Die angebliche
Transportunfähigkeit des Ehemannes weist die Beschwerdeführerin nicht mit
ärztlichen Attesten nach. Ihre Ausführungen, wonach das Einholen dieser Atteste
in Deutschland "ungleich schwieriger als in der Schweiz" sei, ist als
Schutzbehauptung zu werten. Selbst wenn der Ehemann seine eigene
Transportunfähigkeit bestätigen würde, käme dieser Aussage kein relevanter
Beweiswert zu.

4.3.2. Auch unabhängig von den Umständen seiner Landesabwesenheit sind von
einer Befragung des Ehemannes keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Selbst wenn
der Ehemann bestätigen würde, dass die Ehe trotz seines Auslandaufenthaltes
gelebt werde und er in die Schweiz zur Beschwerdeführerin zurückkehren wolle,
würde dies die zahlreichen übrigen Indizien, die die Vorinstanz zum Nachweis
einer Ausländerrechtsehe angeführt hat, nicht ernsthaft infrage stellen. Die
Beschwerdeführerin setzt sich mit diesen Indizien nicht auseinander. Sie
erklärt namentlich weder, weshalb bereits zwei Tage nach dem Kennenlernen
Vorbereitungen für die Heirat eingeleitet worden sind, noch weshalb bei der
ersten Wohnungskontrolle keine Effekte von ihr in der angeblichen ehelichen
Wohnung vorgefunden worden sind. Vor diesem Hintergrund spielt es keine Rolle,
dass sich der Ehemann in der Schweiz nicht abgemeldet hat und hier offenbar
noch krankenversichert ist bzw. Steuern bezahlt, weil alleine daraus nicht auf
eine eheliche Gemeinschaft geschlossen werden kann.

4.4. Zusammenfassend durften die Vorinstanzen angesichts der zahlreichen
Indizien, die auf eine Ausländerrechtsehe hindeuten, ohne Gehörsverletzung von
einer Befragung des Ehemannes absehen.

4.5. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erweist sich als
offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen (Art.
109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG).

5.

Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG). Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit
abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.

2.

Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3.

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

4.

Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

5.

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 13. Februar 2020

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Businger