Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.164/2020
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

1B_164/2020

Urteil vom 29. April 2020

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Chaix, Präsident,

Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag,

Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Mirco Marsella,

gegen

Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich,

Abt Kompetenzzentrum Cybercrime.

Gegenstand

Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts

des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 11. März 2020

(UB200031-O/U/BUT).

Sachverhalt:

A.

Die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen
A.________ wegen des Verdachts der qualifizierten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz. Sie wirft ihm vor, er habe seit ca. September 2016
zusammen mit weiteren Personen über Verkaufsplattformen im "Darknet" (dem
verschlüsselten Internet-Netzwerk "Tor") grosse Mengen Drogen verkauft.

B.

Am 2. August 2018 nahm die Polizei A.________ fest. Am Tag darauf versetzte ihn
das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich in Untersuchungshaft. Diese
verlängerte es in der Folge mehrfach, letztmals am 17. Februar 2020 bis zum 6.
Mai 2020.

Die von A.________ gegen die letzte Haftverlängerung erhobene Beschwerde wies
das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) am 11. März 2020 ab. Es
bejahte den dringenden Tatverdacht und Kollusionsgefahr. Die Dauer der Haft
beurteilte es als verhältnismässig.

C.

A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Beschluss des
Obergerichts aufzuheben und ihn aus der Haft zu entlassen.

D.

Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat
sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen. A.________ hat
dazu Stellung genommen.

Erwägungen:

1.

Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung.
Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist
gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Der
angefochtene Entscheid stellt einen Zwischenentscheid dar, der dem
Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art.
93 Abs. 1 lit. a BGG verursachen kann. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen
sind grundsätzlich ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.

2.1. Gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO ist Untersuchungshaft zulässig, wenn
die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig
ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie Personen beeinflusst oder auf
Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen
(Kollusionsgefahr).

Der Beschwerdeführer stellt den dringenden Tatverdacht nicht in Abrede. Er
macht geltend, es fehle an der Kollusionsgefahr.

2.2. Nach der Rechtsprechung genügt die theoretische Möglichkeit, dass der
Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der
Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien
für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Das Vorliegen des Haftgrundes
ist nach Massgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen. Konkrete
Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich namentlich ergeben aus dem
bisherigen Verhalten des Beschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen
Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des
untersuchten Sachverhaltes sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm
und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine
massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist
auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw.
Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des
Verfahrens Rechnung zu tragen. Je weiter das Strafverfahren fortgeschritten ist
und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden konnte, desto höhere
Anforderungen sind an den Nachweis von Verdunkelungsgefahr zu stellen (BGE 137
IV 122 E. 4.2 S. 127 f.; 132 I 21 E. 3.2 S. 23 f. mit Hinweisen).

2.3. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschwerdeführer vor, über einen Zeitraum
von knapp zwei Jahren mit mindestens ca. 6 kg Kokain mit hohem Reinheitsgrad
gehandelt zu haben; ausserdem mit grossen Mengen "Partydrogen", namentlich MDMA
("Ecstasy"). Dabei habe er insbesondere mit B.________ zusammengewirkt. Der
Beschwerdeführer habe die Drogen portioniert, abgepackt und versandt. Zu Beginn
der Strafuntersuchung verweigerte der Beschwerdeführer die Aussage. Bei seiner
Einvernahme vom 13. Dezember 2018 gab er an, reinen Tisch machen zu wollen. Er
gab dann jedoch nur zu, was - wie er annehmen musste - der Staatsanwaltschaft
bereits bekannt war. Der Umfang seiner Beteiligung am Drogenhandel, der
Verdienst, den er damit erzielte, das genaue Zusammenwirken insbesondere mit
B.________ und seine Stellung innerhalb der Handelsorganisation sind über weite
Strecken nach wie vor unklar. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte bei
B.________ umfangreiche Daten. Auf dessen Antrag hin wurden diese versiegelt.
Am 7. September 2018 stellte die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht
das Gesuch um Entsiegelung. Dem entsprach dieses am 18. März 2019 teilweise.
Auf die von B.________ dagegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit
Urteil vom 26. November 2019 nicht ein (1B_185/2019). Dieses ging bei der
Staatsanwaltschaft am 9. Dezember 2019 ein. Am Tag darauf beauftragte diese die
Kantonspolizei mit der Auswertung der entsiegelten Daten. Daraus sind
wesentliche Erkenntnisse über die Hintergründe des von B.________ und vom
Beschwerdeführer betriebenen Drogenhandels zu erwarten, insbesondere
Aufschlüsse über Lieferanten und Abnehmer sowie das Ausmass der Geschäfte.
Diese neuen Erkenntnisse werden dem Beschwerdeführer vorzuhalten sein. Bei
seiner Freilassung bestünde die Gefahr, dass er sich mit Lieferanten und
Abnehmern in Verbindung setzen würde, um sich mit ihnen abzusprechen und sie zu
für ihn möglichst günstigen Aussagen zu veranlassen. Dies ist umso mehr zu
befürchten, als derartige Beeinflussungsversuche nach der Rechtsprechung bei
dringendem Verdacht auf umfangreichen Drogenhandel wie hier gerichtsnotorisch
häufig sind (Urteil 1B_362/2010 vom 19. November 2010 E. 3.4 mit Hinweis). Die
Staatsanwaltschaft legt dem Beschwerdeführer einen mengenmässig qualifizierten
Fall sowie Banden- und Gewerbsmässigkeit zur Last (Art. 19 Abs. 2 lit. a-c
BetmG). Dem Beschwerdeführer droht damit eine empfindliche Freiheitsstrafe.
Angesichts dessen besteht für ihn ein erheblicher Anreiz für
Kollusionshandlungen.

Würdigt man dies gesamthaft, besteht nicht nur die theoretische Möglichkeit,
dass der Beschwerdeführer bei einer Freilassung kolludieren könnte. Vielmehr
sind dafür konkrete Anhaltspunkte gegeben. Wenn die Vorinstanz Kollusionsgefahr
bejaht hat, hält das deshalb vor Bundesrecht stand.

2.4. Der vorliegende Fall liegt entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
nicht gleich wie jener, über den das Bundesgericht im Urteil 1B_560/2019 vom 5.
Dezember 2019 zu befinden hatte. Dort ging es im Wesentlichen um Betrug und
Urkundenfälschung, nicht um Drogenhandel in grossem Ausmass. Die Möglichkeit
der Beeinflussung bisher unbekannter Beteiligter war im angefochtenen Entscheid
zudem lediglich allgemein formuliert und blieb theoretisch und sehr vage (E.
3.2). So verhält es sich hier nicht. Da der dringende Verdacht des
Drogenhandels in grossem Ausmass gegeben ist, besteht überdies ein erhöhtes
öffentliches Interesse an der kollusionsfreien Ermittlung des Sachverhalts.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Beschleunigungsprinzips
(Art. 5 StPO).

3.2. Nach der Rechtsprechung ist die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit
der gebotenen Beschleunigung geführt, im Haftprüfungsverfahren nur soweit zu
beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der
Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen.
Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die
Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für
die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht
gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für
Haftfälle gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen
(BGE 140 IV 74 E. 3.2; 137 IV 92 E. 3.1 S. 96; 128 I 149 E. 2.2.1 f., S. 151
f.; je mit Hinweisen).

3.3. Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurde der Beschwerdeführer am 21.
Januar 2019 mit B.________ konfrontiert. In der Folge fanden bis zum Auftrag
der Staatsanwaltschaft vom 10. Dezember 2019 auf Auswertung der entsiegelten
Daten gegen den Beschwerdeführer keine Untersuchungshandlungen mehr statt. Dies
ist ein langer Zeitraum. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die
Staatsanwaltschaft die Entsiegelung der bei B.________ sichergestellten Daten
abwarten musste, um gestützt auf deren Auswertung weitere Einvernahmen
durchzuführen. Dass B.________ gegen den Entsiegelungsentscheid des
Zwangsmassnahmengerichts beim Bundesgericht Beschwerde erhob, hat die
Staatsanwaltschaft nicht zu vertreten. Angesichts dessen dürfte jedenfalls eine
besonders schwer wiegende Verletzung des Beschleunigungsgebots zu verneinen
sein. Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben. Denn es ist nicht
ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht gewillt oder in der Lage wäre,
die Strafuntersuchung mit der bei Haftfällen notwendigen Beschleunigung zum
Abschluss zu bringen. Die entsiegelten Daten sind ausserordentlich umfangreich.
Dass deren Auswertung Zeit in Anspruch nimmt, ist daher nachvollziehbar. In
Anbetracht der bereits längeren Untersuchungshaft wird die Staatsanwaltschaft
allerdings auf eine speditive Auswertung der entsiegelten Daten hinzuwirken und
den Beschwerdeführer mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen möglichst zeitnah
zu konfrontieren haben. Lässt sie sich dabei keine ungebührliche Verzögerung zu
Schulden kommen, besteht für eine Haftentlassung insoweit kein Grund.

3.4. Wie die Staatsanwaltschaft in der Vernehmlassung (S. 4) darlegt, geht sie
davon aus, dass "nach Durchführung einer weiteren Konfrontationseinvernahme mit
Vorhalt der Auswertungsergebnisse" (gemeint offenbar: einer weiteren
Konfrontationseinvernahme mit B.________) die Kollusionsgefahr entfällt. Wie es
sich damit verhält, ist hier nicht zu prüfen. In Anbetracht des dann
fortgeschrittenen Verfahrensstands bedürfte die weitere Annahme von
Kollusionsgefahr jedenfalls besonderer Begründung.

4.

Der Beschwerdeführer bringt vor, die Aufrechterhaltung der Haft sei wegen der
Corona-Krise unverhältnismässig. Er leide an Bluthochdruck und Schlafapnoe. Im
Untersuchungsgefängnis könnten die Hygiene- und Abstandsvorschriften des Bundes
nicht eingehalten werden. Für ihn bestehe daher ein untragbares Risiko.

Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Vorinstanz stellt die
vom Beschwerdeführer vorgebrachten gesundheitlichen Probleme nicht fest. Auch
wenn von diesen auszugehen wäre, würde ihm das nicht helfen. Denn es ist nicht
einzusehen, weshalb die Hygiene- und Abstandsvorschriften im
Untersuchungsgefängnis nicht eingehalten werden können sollten. Dies gilt
insbesondere bei Einzelhaft. Gemäss § 128 Abs. 1 i.V.m. § 108 Abs. 1 der
Justizvollzugsverordnung vom 6. Dezember 2006 des Kantons Zürich (LS 331.1)
sorgt die Vollzugseinrichtung für die körperliche und geistige Gesundheit der
Untersuchungsgefangenen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Vollzugseinrichtung dem im vorliegenden Fall nicht nachkommt.

5.

Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Die Voraussetzungen nach Art. 64 BGG sind erfüllt, weshalb die unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung bewilligt wird. Dem Beschwerdeführer werden
keine Kosten auferlegt und seinem Anwalt wird eine Entschädigung ausgerichtet.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

3. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 

Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Mirco Marsella, wird aus der
Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

5.

Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft II und dem
Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. April 2020

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Chaix

Der Gerichtsschreiber: Härri