Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.121/2020
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

1B_121/2020

Urteil vom 24. März 2020

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Chaix, Präsident,

Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag,

Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Baeriswyl,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern,

handelnd durch die Kantonale Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Vollzugsrechtliche Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts

des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 19. Februar 2020 (BK 20
45).

Sachverhalt:

A. 

Am 22. Mai 2008 verurteilte das Kreisgericht V Burgdorf-Fraubrunnen A.________
wegen mehrfacher versuchter und vollendeter sexueller Handlungen mit Kindern
und Pornografie unter Widerruf des bedingten Vollzugs für eine einschlägige
Vorstrafe zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren. Es ordnete eine stationäre
therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB an und schob zu deren Gunsten den
Vollzug der Freiheitsstrafe auf. Das Kreisgericht erkannte A.________ schuldig,
mit zahlreichen sich im Schutzalter befindlichen Mädchen sexuelle Handlungen
vorgenommen und teilweise den Geschlechtsverkehr vollzogen zu haben.

A.________ hatte die stationäre therapeutische Massnahme am 28. August 2007
vorzeitig angetreten. Am 17. Oktober 2008 ergriff er in einem begleiteten
Urlaub die Flucht. Am 28. Januar 2010 wurde er in Spanien verhaftet und am 16.
September 2010 an die Schweiz ausgeliefert, wo die stationäre Massnahme am 2.
November 2010 fortgesetzt wurde.

Am 23. Juli 2015 verlängerte das Obergericht des Kantons Bern die stationäre
Massnahme um drei Jahre und sechs Monate, beginnend ab dem 13. September 2014.
Die Höchstdauer der Massnahme fiel damit auf den 12. März 2018.

Am 8. März 2018 hob das Amt für Justizvollzug des Kantons Bern, Bewährungs- und
Vollzugsdienste (im Folgenden: Amt), die stationäre Massnahme wegen
Aussichtslosigkeit per 12. März 2018 auf. Diese Verfügung bestätigte die
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern am 19. Juni 2018. Auf Beschwerde
von A.________ hin hob das Obergericht des Kantons Bern am 5. Oktober 2018 den
Entscheid der Polizei- und Militärdirektion auf und wies die Sache an diese
zurück mit der Anweisung, entweder das Gutachten zur Therapierbarkeit ergänzen
zu lassen oder ein neues Gutachten einzuholen. Danach sei über die Aufhebung
der Massnahme neu zu entscheiden. Am 28. Februar 2019 hob die Polizei- und
Militärdirektion ihrerseits die Verfügung des Amtes vom 8. März 2018 auf und
wies die Sache zum neuen Entscheid an dieses zurück. Nach Eingang des
Ergänzungsgutachtens sowie der Stellungnahme der Konkordatlichen Fachkommission
zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern beantragte das Amt am
24. Dezember 2019 dem Regionalgericht Emmental-Oberaargau die Verlängerung der
stationären Massnahme um fünf Jahre.

B. 

Am 9. März 2018, also einen Tag nach der Aufhebung der stationären Massnahme am
8. März 2018, nahm das Amt A.________ vorsorglich in vollzugsrechtliche
Sicherheitshaft und beantragte dem Kantonalen Zwangsmassnahmengericht deren
Aufrechterhaltung.

Am 15. März 2018 hielt das Zwangsmassnahmengericht die Sicherheitshaft aufrecht
und befristete sie bis zum 11. April 2018. Die von A.________ dagegen erhobene
Beschwerde wies das Obergericht am 5. April 2018 ab. Hiergegen führte
A.________ Beschwerde beim Bundesgericht. Am 15. Mai 2018 wies dieses die
Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 1B_201/2018).

Am 18. April 2018 und 18. Juli 2018 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die
Sicherheitshaft um 3 bzw. 6 Monate. Von A.________ dagegen erhobene Beschwerden
wies das Obergericht ab; ebenso das Bundesgericht (Urteile 1B_287/2018 vom 5.
Juli 2018 und 1B_433/2018 vom 4. Oktober 2018).

Am 18. Januar 2019 und 23. Juli 2019 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht
die Sicherheitshaft um jeweils sechs Monate. Diese Entscheide erwuchsen
unangefochten in Rechtskraft.

C. 

Am 24. Dezember 2019 - also am gleichen Tag, an dem das Amt dem Regionalgericht
Antrag auf Verlängerung der stationären Massnahme stellte - beantragte das Amt
dem Zwangsmassnahmengericht die Verlängerung der Sicherheitshaft um weitere
sechs Monate.

Am 14. Januar 2020 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Sicherheitshaft
bis zum Entscheid des Regionalgerichts in der Hauptsache, längstens aber bis
zum 11. Juli 2020.

Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht
(Beschwerdekammer in Strafsachen) am 19. Februar 2020 ab.

D. 

A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Beschluss des
Obergerichts vom 19. Februar 2020 aufzuheben, und weiteren Anträgen.

E. 

Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft des
Kantons Bern hat Gegenbemerkungen eingereicht. Sie beantragt die Abweisung der
Beschwerde.

A.________ hat eine Replik eingereicht. Er hält an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1. 

Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Beschwerde in gedrängter
Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Der
Beschwerdeführer muss sich wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen
Entscheids auseinandersetzen. Zwar wendet das Bundesgericht das Recht
grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Das setzt aber voraus,
dass auf die Beschwerde überhaupt eingetreten werden kann, diese also
wenigstens die Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG erfüllt.
Strengere Anforderungen gelten, wenn die Verletzung von Grundrechten
(einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht und Willkür
bei der Sachverhaltsfeststellung) geltend gemacht wird. Dies prüft das
Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur insoweit, als eine solche Rüge
in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
Dabei prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und, soweit
möglich, belegte Rügen (BGE 143 II 283 E. 1.2.2 S. 286; 138 I 171 E. 1.4 S.
176; je mit Hinweisen).

2. 

Die Begründung der Beschwerde an das Bundesgericht muss in dieser selber
enthalten sein (BGE 143 II 283 E. 1.2.3 S. 286). Soweit der Beschwerdeführer
auf seine Beschwerde an die Vorinstanz und seine Stellungnahme im Verfahren vor
dem Zwangsmassnahmengericht verweist, kann deshalb darauf nicht eingetreten
werden.

3. 

Der Beschwerdeführer rügt eine offensichtlich unrichtige Feststellung des
Sachverhalts. Dabei beschränkt er sich auf appellatorische Kritik. Die
Beschwerde genügt insoweit den qualifizierten Begründungsanforderungen von Art.
106 Abs. 2 BGG nicht (dazu BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53 mit Hinweisen). Auf die
Beschwerde kann daher in diesem Punkt nicht eingetreten werden.

4. 

Der Beschwerdeführer bringt vor, das Zwangsmassnahmengericht hätte auf den
Antrag des Amtes vom 24. Dezember 2019 um Verlängerung der Sicherheitshaft
nicht eintreten dürfen, da die Hauptsache inzwischen beim Regionalgericht
anhängig gemacht worden sei, womit die Befugnisse im Verfahren auf dieses
übergegangen seien. Indem das Zwangsmassnahmengericht auf den Antrag des Amtes
eingetreten sei, habe es verschiedene Bestimmungen der Strafprozessordnung
verletzt.

Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid, wie bereits das Zwangsmassnahmengericht,
sowohl in verfahrensrechtlicher Hinsicht als auch in der Sache auf Art. 28 des
Gesetzes vom 23. Januar 2018 des Kantons Bern über den Justizvollzug (JVG; BSG
341.1). Danach setzt die Vollzugsbehörde eine Person vor oder mit der
Einleitung eines Verfahrens auf Erlass eines selbstständigen nachträglichen
richterlichen Entscheids nach der StPO in vollzugsrechtliche Sicherheitshaft,
wenn der Schutz der Öffentlichkeit nicht anders gewährleistet werden kann (Abs.
1). Sie beantragt dem Zwangsmassnahmengericht spätestens innert 48 Stunden seit
der Anordnung die Aufrechterhaltung der vollzugsrechtlichen Sicherheitshaft
(Abs. 2). Für das Verfahren sind die Bestimmungen der StPO sinngemäss anwendbar
(Abs. 3).

Von der Anwendbarkeit von Art. 28 JVG geht auch der Beschwerdeführer aus. Er
macht geltend, wie sich aus dessen Absatz 3 ergebe, gehe das Bundesrecht
(gemeint: die StPO) dem kantonalen Recht vor (Beschwerde S. 5).

Dem kann nicht gefolgt werden. Indem Art. 28 Abs. 3 JVG für das Verfahren die
Bestimmungen der StPO sinngemäss anwendbar erklärt, werden diese zu kantonalem
Recht. Dieses kann das Bundesgericht hier lediglich unter dem Gesichtswinkel
der Willkür prüfen (BGE 140 II 298 E. 2 S. 300; Urteile 5A_210/2018 vom 14.
Dezember 2018 E. 1.2; 1C_350/2016 vom 2. Februar 2017 E. 1.2; je mit
Hinweisen). Eine willkürliche Anwendung von Bestimmungen der StPO rügt der
Beschwerdeführer nicht. Auf die Beschwerde kann daher auch im vorliegenden
Punkt nicht eingetreten werden.

5. 

Dass ein auf einer gesetzlichen Grundlage (Art. 28 JVG) beruhender Hafttitel
vorliegt, falls der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 14. Januar 2020
Bestand hat, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede (Beschwerde S. 7 Ziff.
2, Replik S. 4). Wie das Bundesgericht im Urteil 1B_201/2018 vom 15. Mai 2018
(E. 3.3) dargelegt hat, stellt Art. 38a des früheren Gesetzes vom 25. Juni 2003
des Kantons Bern über den Straf- und Massnahmenvollzug, mit dem der am 1.
Dezember 2018 in Kraft getretene Art. 28 JVG in der Sache übereinstimmt, eine
hinreichende gesetzliche Grundlage für die Sicherheitshaft dar.

6. 

Soweit der Beschwerdeführer Anträge zur Kostenregelung im kantonalen Verfahren
stellt, kann darauf nicht eingetreten werden, weil er nicht darlegt, weshalb
sie bundesrechtswidrig sein soll.

7. 

Auf die Beschwerde kann demnach nicht eingetreten werden.

Da sie aussichtslos war, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung nicht bewilligt werden. Unter den gegebenen Umständen - dem
Beschwerdeführer ist seit Langem die Freiheit entzogen - rechtfertigt es sich
jedoch, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz
2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. März 2020

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Chaix

Der Gerichtsschreiber: Härri