Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.793/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_793/2019

Urteil vom 10. März 2020

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Heine, präsidierendes Mitglied,

Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,

Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Advokatin Nadine Grieder,

Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt,

Lange Gasse 7, 4052 Basel,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Invalidenversicherung (Arbeitsfähigkeit; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 25. September 2019 (IV.2019.68).

Sachverhalt:

A. 

Der 1959 geborene A.________ meldete sich am 31. Dezember 2014 wegen
verschiedener Krankheiten (Diabetes mellitus Typ 2, Osteoporose, chronisches
Schmerzsyndrom bei Polyarthrose und anderen degenerativen Veränderungen,
Verdacht auf Schlafapnoesyndrom) zum Leistungsbezug bei der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Basel-Stadt zog medizinische sowie
andere Unterlagen bei. Zudem holte sie das auf rheumatologischen und
endokrinologischen Untersuchungen beruhende Gutachten der asim,
Universitätsspital vom 18. April 2017 ein. Auf Empfehlung des Regionalen
Ärztlichen Dienstes (RAD) hin liess sie den Versicherten auch psychiatrisch
explorieren (Expertise der asim vom 6. Juli 2018). Im Vorbescheidverfahren
brachte der Rechtsvertreter des Versicherten den Bericht der behandelnden Dr.
med. B.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 12.
November 2018 ins Verfahren ein, wozu sich der psychiatrische Sachverständige
der asim am 5. Februar 2019 äusserte. Mit Verfügung vom 18. Februar 2019
verneinte die IV-Stelle einen Anspruch auf eine Invalidenrente. Zur Begründung
führte sie aus, gemäss den spezialärztlichen Auskünften sei der Versicherte
seit Jahren zu 80 % in der angestammten Beschäftigung als Nachtportier
arbeitsfähig gewesen, in einer den Leiden besser angepassten Tätigkeit
(körperlich leicht belastende, in Wechselhaltung und ohne Sturzgefahr ausübbare
Arbeiten, ohne Hantieren mit Lasten über 5 kg) sei eine ganztägige
Arbeitsfähigkeit ausgewiesen. Daher sei die Wartezeit von einem Jahr
durchgehender Arbeitsunfähigkeit von mindestens 40 % nicht erfüllt.

B. 

Die gegen die Verfügung vom 18. Februar 2019 eingereichte Beschwerde, mit der
A.________ den Bericht der Dr. med. B.________ vom 5. Juni 2019 auflegen liess,
wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom
25. September 2019 ab.

C. 

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle
zu verpflichten, ihm ab 1. Juni 2015 mindestens eine halbe Invalidenrente
auszurichten; eventualiter sei die Sache an das kantonale Gericht oder an die
IV-Stelle zurückzuweisen zur Abklärung des gesamtmedizinischen Zustands. Ferner
wird um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche
Verfahren ersucht.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 

Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2. 

Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht in Bestätigung
der Verfügung der IV-Stelle vom 18. Februar 2019 erkannt hat, der
Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf eine Invalidenrente, weil er nicht
während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens
zu 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sei (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b
IVG).

3.

3.1.

3.1.1. Die Vorinstanz hat erwogen, die sich zu den somatischen
Beeinträchtigungen äussernden medizinischen Sachverständigen der asim
(Gutachten vom 18. April 2017) diagnostizierten mit Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit undulierende Schulterschmerzen rechts bei klinisch geringer,
leicht schmerzhafter Bewegungseinschränkung, beginnende Kniegelenksarthrosen
beidseits bei klinisch freien Beweglichkeiten sowie ein chronisches
lumbovertebrales Schmerzsyndrom mit intermittierend nicht-radikulärer
belastungsabhängiger Schmerzausstrahlung bei klinisch freier und indolenter
Beweglichkeit der LWS (Lendenwirbelsäule). Der Versicherte vermöge mit Lasten
von mehr als 3 bis 5 kg nicht zu hantieren, er sei für über Kopf oder in
kauernder, gebückter sowie in kniender Haltung zu verrichtende Arbeiten nicht
einsatzfähig. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass der Versicherte für
Tätigkeiten, die das Besteigen von Treppen, Stufen, Leitern und Gerüsten sowie
das Gehen auf unebenem Gelände oder auf Böden mit Ausrutschgefahr erforderten
(Osteoporose im Frakturstadium; diabetische Polyneuropathie), nicht geeignet
sei. Dieses Tätigkeitsprofil entspreche gemäss den Einschätzungen der Gutachter
der asim weitgehend der ausgeübten Erwerbstätigkeit als Nachtportier, wobei
dabei einzig die Notwendigkeit, dass der Versicherte häufig über Treppen
steigen müsse, sich im Umfang von 20 % einschränkend auf die Arbeitsfähigkeit
auswirke. An den beweistauglichen Auskünften der Sachverständigen somatischer
Fachrichtung im bidisziplinären Gutachten vom 18. April 2017 seien auch
angesichts der Vorbringen des Versicherten keine Zweifel angebracht.

3.1.2. Das kantonale Gericht hat weiter festgestellt, gemäss dem
psychiatrischen Gutachten der asim vom 6. Juli 2018 leide der Versicherte an
einer leichten depressiven Episode (ICD-10 F32.0) sowie an einer chronischen
Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41), die
jedoch keinen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit hätten. Der Sachverständige
halte zur Konsistenz und Plausibilität fest, es bestehe insgesamt eine
deutliche Diskrepanz zwischen dem, was zu beobachten sei und dem geschilderten
Funktionsniveau, den wenigen Schmerzäusserungen sowie dem subjektiv starken
Leidensdruck. Der Versicherte fühle sich kränker als er sei. Dies sei bedingt
durch seinen biografischen Knick in Form der Trennung von Ehefrau und Kindern
sowie dem beruflichen Niedergang mit einer darauffolgenden Verbitterung. Die
vagen Angaben des Versicherten, die wenigen Details, das pauschale Antworten
und der Umstand, dass der Versicherte sich bis September 2017 nicht in
psychotherapeutische Behandlung begeben habe, spreche eher dafür, dass er sich
aufgegeben habe und dass ihm alles mühsam sei, als dass man von einer echten
Aggravation oder Simulation sprechen könne. Es entstünden dadurch aber, wie
gesagt, Diskrepanzen zwischen dem, was zu beobachten sei und dem Leid, das der
Versicherte angebe. Weiter hat die Vorinstanz festgestellt, der psychiatrische
Experte halte fest, der Versicherte verfüge über hervorragende intellektuelle,
aber auch über soziale und religiöse Ressourcen, das Funktionsniveau sei kaum
eingeschränkt. Psychosoziale Belastungsfaktoren gebe es gegenwärtig nicht. Die
psychische Erkrankung werde erst seit kurzem behandelt, die Prognose sei
günstig.

3.1.3. Sodann hat das kantonale Gericht erkannt, der psychiatrische
Sachverständige habe in seiner Stellungnahme vom 5. Februar 2019 zum Bericht
der Dr. med. B.________ vom 12. November 2018, wie schon zu ihrem Bericht vom
24. Oktober 2017 in seinem Gutachten vom 6. Juli 2018, nochmals nachvollziehbar
hervorgehoben, dass die Behandlung depressiver Symptome erst seit kurzer Zeit
gedauert habe und daher von einer Chronizität nicht gesprochen werden könne.
Entgegen der Auffassung der Psychotherapeutin bestünden aufgrund des Verhaltens
des Versicherten anlässlich der Untersuchungssituation sowie aufgrund der
Anamnese keine Anzeichen dafür, dass der Versicherte an einer
Persönlichkeitsstörung leide. Der psychiatrische Experte der asim stelle auch
klar dar, weshalb es bei der medizinischen Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bei
den Schlussfolgerungen des endokrinologischen/rheumatologischen Gutachtens der
asim vom 18. April 2017 bleibe, womit entgegen der Auffassung des Versicherten
die Zusammenhänge zwischen somatischen und psychischen Beschwerden geklärt
worden seien. Dem vom Versicherten im kantonalen Gerichtsverfahren
eingereichten Bericht der Dr. med. B.________ vom 5. Juni 2019 sei zwar eine ab
April 2019 eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustands zu entnehmen,
diese Entwicklung sei jedoch offenbar erst nach Erlass der in zeitlicher
Hinsicht zu prüfenden Verfügung vom 18. Februar 2019 eingetreten, weshalb sich
daraus keine neuen Erkenntnisse gewinnen liessen.

3.1.4. Zusammengefasst ist das kantonale Gericht zum Schluss gelangt, würde der
Einschätzung der Arbeitsfähigkeit nicht diejenige der zuletzt ausgeübten
Tätigkeit eines Nachtportiers, sondern diejenige des früher ausgeübten Berufs
als IT-Mitarbeiter zugrunde gelegt, wäre nicht einzusehen, weshalb eine solche
intellektuelle Beschäftigung aus somatischer Sicht höhere Einschränkungen mit
sich bringen sollte. Der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass
der Versicherte gemäss Abklärungsbericht Haushalt vom 1. März 2016 bei der
Ausführung der damit verbundenen Verrichtungen nicht eingeschränkt gewesen sei.

3.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, das kantonale Gericht setze sich nicht
differenziert und teilweise gar nicht mit den von ihm erhobenen Rügen
auseinander. So habe er im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, dass der
psychiatrische Sachverständige der asim in seiner Stellungnahme vom 5. Februar
2019 ausdrücklich festgehalten habe, er könne sich zur gesundheitlichen
Beurteilung der Dr. med. B.________ vom 12. November 2018, wonach eine
depressive Symptomatik mittelschwerer Ausprägung vorliege, ohne
Nachbegutachtung nicht äussern. Diesen Umstand übersehe die Vorinstanz
komplett, weshalb sie den Anspruch auf das rechtliche Gehör und die ihr
obliegende Untersuchungsmaxime verletzt habe. Sie habe die konkret und
differenziert vorgetragenen Einwände der behandelnden Ärzte, die geeignet
seien, zumindest geringe Zweifel an der Schlüssigkeit der beiden Gutachten der
asim zu wecken, nicht gewürdigt, sondern einzig die Schlussfolgerungen der
medizinischen Experten zitiert. Bei dieser Ausgangslage hätte sie ein
umfassendes und alle Umstände berücksichtigendes medizinisches Gutachten
einholen müssen. Schliesslich habe das kantonale Gericht auch den Einwand nicht
genügend gewürdigt, aus den beiden Expertisen der asim sei nicht ersichtlich,
inwieweit die somatischen und psychischen Einschränkungen zusammenwirkten.
Aktenkundig sei, dass die Gelenksschmerzen neben den multiplen degenerativen
Veränderungen auch Ausdruck einer schweren Erschöpfung bei chronischer
Überforderung infolge des schlecht eingestellten Diabetes seien. Die Depression
mittelschwerer Ausprägung sowie die psychiatrische Problematik hätten wiederum
Auswirkungen auf den Diabetes.

3.3. Der Beschwerdeführer übersieht zunächst, dass der RAD gerade mit Hinweis
auf die Auskünfte der von ihm in der Beschwerde erwähnten Ärzte der IV-Stelle
am 12. März 2018 empfohlen hat, den Versicherten zusätzlich psychiatrisch
untersuchen zu lassen. Der psychiatrische Sachverständige der asim hat sich in
seinem Gutachten vom 6. Juli 2018 einlässlich dazu geäussert. Dem kantonalen
Gericht haben dazu keine medizinischen Unterlagen vorgelegen, die auf ein
psychisches Leiden mit allfälliger Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit vor
September 2017 (Beginn der psychotherapeutischen Behandlung bei Dr. med.
B.________) hindeuteten und mit welchen es sich hätte auseinandersetzen können.
Es hat sich daher allein mit den vorhandenen Auskünften der seither
behandelnden Psychotherapeutin und denjenigen des psychiatrischen
Sachverständigen der asim befassen können. Zweifel an dessen Beurteilung des
Gesundheitszustands, soweit die depressive Symptomatik betreffend, sind nicht
ersichtlich, wie sich ohne Weiteres aus den hievor zitierten Erwägungen des
kantonalen Gerichts ergibt. Eine allfällige Verschlimmerung des psychischen
Gesundheitszustands ergibt sich erstmals aus dem Bericht der Dr. med.
B.________ vom 5. Juni 2019, wonach, entgegen ihrem Bericht vom 24. September
2017, erstmals Symptome vorlägen, die für eine Persönlichkeitsstörung sprächen.
Dies ist indessen wenig nachvollziehbar, wie das kantonale Gericht im Ergebnis
zutreffend erkannt hat. Und was schliesslich das Zusammenwirken von somatischen
und psychischen Faktoren anbelangt, hat gerade deswegen der RAD zusätzlich ein
psychiatrisches Gutachten der asim veranlasst, das dazu verlässliche Angaben
vermittelt. Insgesamt ist nicht einzusehen, inwiefern das kantonale Gericht
Bundesrecht verletzt haben soll. Die Beschwerde ist in allen Teilen abzuweisen.

4. 

Die Gerichtskosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinem Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist stattzugeben, da die
Bedürftigkeit aktenkundig, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen
und die Verbeiständung durch eine Anwältin geboten war (Art. 64 Abs. 1-3 BGG).
Er wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen; danach hat er der
Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er später dazu in der Lage ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt und
Advokatin Nadine Grieder wird als unentgeltliche Anwältin des Beschwerdeführers
bestellt.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 

Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. März 2020

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Heine

Der Gerichtsschreiber: Grunder