Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.603/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_603/2019

Urteil vom 22. November 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichterinnen Heine, Viscione,

Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Markus Zimmermann,

Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,

Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Invalidenversicherung

(Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau

vom 10. Juli 2019 (VBE.2018.815).

Sachverhalt:

A.

A.a. Mit Verfügung vom 4. September 2003 sprach die IV-Stelle des Kantons
Aargau dem 1972 geborenen A.________ ab 1. September 2001 eine ganze
Invalidenrente zu. Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom
1. Oktober 2013 hob die IV-Stelle die Invalidenrente auf Ende des der
Verfügungszustellung folgenden Monats revisionsweise auf.

A.b. Am 21. November 2016 meldete sich der Versicherte wiederum bei der
IV-Stelle zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 22. Mai 2017 trat diese auf
das Gesuch nicht ein, nachdem er es vorgängig zurückgezogen hatte.

A.c. Am 31. August 2017 machte der Versicherte bei der IV-Stelle eine
Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geltend. Diese holte
Stellungnahmen des Dr. med. B.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie
und Traumatologie FMH, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle, vom
16. September 2017 und 18. Juli 2018 ein. Mit Verfügung vom 17. September 2018
verneinte die IV-Stelle den Rentenanspruch des Versicherten.

B. 

Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 10. Juli 2019 ab.

C. 

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides seien ihm die gesetzlich
geschuldeten Leistungen, insbesondere eine ganze Invalidenrente, auszurichten.
Eventuell sei die Sache zur ordnungsgemässen Abklärung des Sachverhalts an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.

Erwägungen:

1. 

Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfrage ist, ob die rechtserheblichen Tatsachen
vollständig festgestellt und ob der Untersuchungsgrundsatz bzw. die
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden. Gleiches gilt
für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Berichten im Lichte der
rechtsprechungsgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (BGE 134 V 231 E. 5.1
S. 232). Bei den aufgrund der ärztlichen Unterlagen getroffenen Feststellungen
zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten
Beweiswürdigung geht es um Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE
141 V 585). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist hingegen, ob und in welchem
Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der Indikatoren nach BGE 141 V 281
auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen (BGE 141 V 281 E. 7 S. 308; Urteil
8C_206/2019 vom 31. Juli 2019 E. 1).

2. 

Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen über die bei der
Neuanmeldung analog anwendbaren Revisionsregeln (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V
131 E. 3 S. 132, 117 V 198 E. 3a) und den Beweiswert ärztlicher Berichte (vgl.
E. 1 hiervor; BGE 125 V 351 E. 3a und b S. 352) richtig dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

3. 

Streitig und zu prüfen ist, ob die von der IV-Stelle am 17. September 2018
verfügte und vom kantonalen Gericht bestätigte Verneinung eines Rentenanspruchs
des Beschwerdeführers vor Bundesrecht standhält.

Das kantonale Gericht erwog im Wesentlichen, es sei zu prüfen, ob an der
versicherungsinternen Stellungnahme des RAD-Arztes Dr. med. B.________ vom 18.
Juli 2018 geringe Zweifel bestünden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, sein
psychischer Gesundheitszustand habe sich seit der Rentenaufhebung vom 1.
Oktober 2013 verschlechtert, könne nicht gefolgt werden. Der behandelnde
Psychiater C.________, Facharzt FMH, habe im Bericht vom Juni 2017 zwar u.a.
wiederholte schwere depressive Episoden mit somatischen Symptomen
diagnostiziert. Allerdings habe er im Bericht vom 11. August 2017 festgehalten,
der Gesundheitszustand des Versicherten habe sich seit 2011 nicht
verschlechtert. Es seien aber neue, insbesondere somatische Symptome
hinzugekommen. Zur Beurteilung der somatischen Beschwerden sei der Psychiater
C.________ jedoch mangels Facharzttitels nicht befähigt. Folglich seien seine
diesbezüglichen Ausführungen irrelevant. Zudem habe gemäss seinem Bericht vom
9. April 2018 zunächst offenbar lediglich eine Gesprächstherapie in losen
Abständen stattgefunden, obgleich eine schwere depressive Episode
diagnostiziert worden sei. Ein stationärer Aufenthalt habe nie stattgefunden.
Aus dem Bericht des behandelnden Dr. med. D.________, Facharzt für Allgemeine
Innere Medizin, vom 28. Juni 2017 könne ebenfalls nicht auf eine
Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes geschlossen werden, da
ihm in dieser Hinsicht die Fachkompetenz fehle. Die Validität des somatischen
Teils der Stellungnahme des RAD-Arztes Dr. med. B.________ vom 18. Juli
2018werde nicht bestritten. Dieser sei ohne Weiteres beweiskräftig, da keine
Anhaltspunkte gegen dessen Zuverlässigkeit bestünden, zumal die bildgebenden
Verfahren bzw. die Testverfahren grösstenteils unauffällige Befunde aufwiesen.
Eine massgebende Veränderung des somatischen Gesundheitszustands liege demnach
auch nicht vor. Zusammenfassend habe die IV-Stelle eine wesentliche Veränderung
des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers seit der letzten rechtskräftigen
Verfügung vom 1. Oktober 2013 zu Recht verneint. Es sei weiterhin von einer
100%igen Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit auszugehen.

4. 

Der Beschwerdeführer wiederholt auf den Seiten 6 bis 13 Ziffern 16 bis 28 der
letztinstanzlichen Beschwerde praktisch wortwörtlich die in der kantonalen
Rechtsschrift auf den Seiten 5 bis 12 Ziffern 13 bis 26 vorgebrachten
Argumente. Auf diese blossen Wiederholungen ist von vornherein nicht weiter
einzugehen (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1 und E. 2.3 S. 245 ff.;
Urteil 8C_174/2019 vom 9. Juli 2019 E. 6.2.2).

5. 

Somatischerseits legt der Beschwerdeführer neu Berichte des Spitals E.________
vom 27. April 2018 sowie des Spitals F.________ vom 3. und 4. Juni 2019 auf. Da
diese Berichte vor dem angefochtenen Gerichtsentscheid vom 10. Juli 2019
datieren, handelt es sich um unechte Noven, deren Einreichung nur im Rahmen von
Art. 99 Abs. 1 BGG zulässig ist. Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein
bildet noch keinen hinreichenden Anlass für die Zulässigkeit von unechten
Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht
werden können (nicht publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in SVR 2012 FZ Nr.
3 S. 7, 8C_690/2011). Der Versicherte legt nicht dar, dass ihm die
vorinstanzliche Beibringung dieser Berichte trotz hinreichender Sorgfalt
prozessual unmöglich und objektiv unzumutbar war. Sie sind somit unbeachtlich
(Urteil 8C_206/2019 E. 4.1).

Weiter beruft sich der Beschwerdeführer auf den Austrittsbericht des Spitals
E.________ vom 18. August 2019 betreffend die dort durchgeführte Herzoperation
vom 12. August 2019 und auf den Bericht des Dr. med. D.________ vom 11.
September 2019. Hierbei handelt es sich, da erst nach dem angefochtenen
Gerichtsentscheid entstanden, um unzulässige echte Noven (Art. 99 Abs. 1 BGG;
BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123; Urteil 8C_206/2019 vom 31. Juli 2019 E. 4.2).
Die darauf basierenden Ausführungen des Beschwerdeführers sind somit ebenfalls
unbeachtlich.

6.

6.1. In psychischer Hinsicht wendet der Versicherte ein, vorinstanzlich habe er
geltend gemacht, es liege ein Revisionsgrund vor. Dies sei unbestritten, sei
doch die IV-Stelle auf den Fall materiell eingetreten. Somit sei der
rechtserhebliche Sachverhalt unter allen Aspekten neu zu prüfen. Die
Auswirkungen seiner psychischen Beschwerden seien ursprünglich nach den sog.
"Foerster-Kriterien" beurteilt worden. Neu hätte im strukturierten
Beweisverfahren geprüft werden müssen, ob sein (unveränderter) psychischer
Gesundheitszustand anhand der Indikatoren zu einer relevanten
Arbeitsunfähigkeit führe. Dies habe die Vorinstanz nicht getan und sich bloss
damit begnügt, eine Veränderung des medizinischen Sachverhalts zu verneinen.
Damit habe sie Bundesrecht verletzt.

6.2. Nicht substanziiert bestritten wird die vorinstanzliche Feststellung, dass
sich der psychische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seit 2011 bzw.
seit der Rentenaufhebungsverfügung vom 1. Oktober 2013 nicht wesentlich
verändert hat. Unter diesen Umständen bedurfte es praxisgemäss keiner
umfassenden Prüfung des Rentenanspruchs mehr. Somit ist es nicht zu
beanstanden, dass sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid zu den
entsprechenden Ausführungen des Versicherten nicht mehr äusserte bzw. keine
Indikatorenprüfung vornahm (vgl. Urteile 8C_379/2019 vom 21. August 2019 E. 8
und 8C_454/2018 vom 16. November 2018 E. 6.5 mit Hinweisen). Was er hiergegen
vorbringt, ist daher irrelevant.

7. 

Insgesamt zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und es ist auch nicht
ersichtlich, dass der angefochtene Entscheid in tatsächlicher Hinsicht
offensichtlich unrichtig oder anderweitig bundesrechtswidrig ist.

8. 

Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. November 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar