Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.54/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_54/2019

Urteil vom 1. April 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichterinnen Heine, Viscione,

Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte

IV-Stelle Solothurn,

Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,

Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,

vertreten durch Rechtsanwältin Irja Zuber,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 6. Dezember 2018 (VSBES.2017.274).

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1964 geborene A.________ meldete sich am 30. März 1998 zum Bezug von
Leistungen bei der Invalidenversicherung an. Mit Mitteilung vom 6. September
2000 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Solothurn rückwirkend ab 1. März 1998
eine halbe Rente, basierend auf einem 50%igen Invaliditätsgrad, zu. Im Rahmen
einer am 18. September 2012 eingeleiteten eingliederungsorientierten
Rentenrevision veranlasste die IV-Stelle ein Gutachten der Ärztlichen
Begutachtungsinstitut GmbH, Basel (nachfolgend: ABI), vom 29. Mai 2013.
Gestützt darauf hob sie die Rente mit Verfügung vom 11. Juni 2014 unter Hinweis
auf einen Invaliditätsgrad von 17 % auf. Dieser Verwaltungsakt erwuchs
unangefochten in Rechtskraft.

A.b. Am 5. Januar 2016 meldete sich A.________ erneut zum Leistungsbezug bei
der Invalidenversicherung an. Nach Einholung eines Gutachtens bei der MEDAS
Zentralschweiz vom 18. Januar 2017 verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch
(Verfügung vom 25. September 2017).

B. 

In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn die Verfügung vom 25. September 2017 auf und sprach
A.________ ab 1. Dezember 2015 eine Dreiviertelsrente zu (Entscheid vom 6.
Dezember 2018).

C. 

Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Antrag, in Aufhebung des kantonalgerichtlichen Entscheids vom 6. Dezember
2018 sei A.________ frühestens ab 1. Juli 2016 eine Dreiviertelsrente
zuzusprechen.

Das kantonale Gericht schliesst unter Verweis auf die Ausführungen der
IV-Stelle auf Gutheissung der Beschwerde. A.________ lässt auf eine
Vernehmlassung verzichten mit der Feststellung, dass sie (erst) sechs Monate ab
Neuanmeldung Anspruch auf eine Dreiviertelsrente habe; zudem ersucht sie um
Verzicht auf die Erhebung von Gerichtskosten. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet ebenfalls auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1. 

Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2
BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden (BGE
133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2. 

Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt, indem sie
den Rentenbeginn - ohne weitere Begründung, einzig unter Verweis auf Art. 88a
Abs. 1 IVV - auf den 1. Dezember 2015 legt. Der Anspruch auf eine
Dreiviertelsrente wird hingegen von der IV-Stelle nicht in Frage gestellt.

3.

3.1.

3.1.1. Gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG haben Versicherte Anspruch auf eine
Rente, die unter anderem während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch
durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sind.
Wurde die Rente nach Verminderung des Invaliditätsgrades aufgehoben, erreicht
dieser jedoch in den folgenden drei Jahren wegen einer auf dasselbe Leiden
zurückzuführenden Arbeitsunfähigkeit erneut ein rentenbegründendes Ausmass, so
werden bei der Berechnung der Wartezeit nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG früher
zurückgelegte Zeiten angerechnet (Art. 29bis IVV).

3.1.2. Art. 29 Abs. 1 IVG sieht vor, dass der Rentenanspruch frühestens nach
Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Art.
29 Abs. 1 ATSG, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18.
Altersjahres folgt, entsteht.

3.1.3. Die Wartezeiten von Art. 28 Abs. 1 lit. b und Art. 29 Abs. 1 IVG haben
völlig unterschiedliche Funktionen - als materielle Anspruchsvoraussetzung (ein
Jahr dauernde Arbeitsunfähigkeit) und als formelle Karenzfrist, die mit Blick
auf den frühest möglichen Rentenbeginn einzuhalten ist. Es besteht daher kein
Grund, Art. 29bis IVV, der das Wiederaufleben der Invalidität nach Aufhebung
einer Rente zufolge Verminderung des Invaliditätsgrades regelt und laut welchem
bei der Berechnung der Wartezeit nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG früher
zurückgelegte Zeiten angerechnet werden, auch auf die Festlegung der in der
Bestimmung nicht erwähnten sechsmonatigen Karenzzeit nach Art. 29 Abs. 1 IVG
anzuwenden (BGE 142 V 547 E. 3.2 S. 550 f.).

3.2. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die aktuell rentenbegründende
Invalidität auf dasselbe Leiden zurückzuführen ist, welches zur ursprünglichen
Rentenzusprache geführt hatte. Deshalb wird im Rahmen der innert dreier Jahre
nach Einstellung der Invalidenrente erfolgten Neuanmeldung zum Leistungsbezug
die früher zurückgelegte Wartezeit gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG im Sinne
von Art. 29bis IVV angerechnet und ist nicht neu zu bestehen. Davon geht
implizit auch das kantonale Gericht aus.

Wie die Beschwerdeführerin zutreffend darlegt, ändert dies aber nichts daran,
dass die Rente erst nach Ablauf der formellen sechsmonatigen Karenzfrist gemäss
Art. 29 Abs. 1 ATSG beginnen kann. Die Verschlechterung des
Gesundheitszustandes ist zwar - einhellig - bereits im September 2015
eingetreten. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist jedoch vorliegend
ausschlaggebend, dass die Neuanmeldung erst am 5. Januar 2016 erfolgt ist,
weshalb der Rentenbeginn - gemäss den letztinstanzlich übereinstimmenden
Anträgen von IV-Stelle, kantonalem Gericht und versicherter Person - auf den 1.
Juli 2016 festzusetzen ist.

4. 

Die Beschwerde ist offensichtlich begründet, weshalb sie im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. b BGG erledigt wird.

5. 

Aufgrund der konkreten Umstände wird ausnahmsweise auf die Erhebung von
Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

Von einer Rückweisung an das kantonale Gericht zur Neuverlegung der Kosten im
vorangegangenen Verfahren kann abgesehen werden, da es für die versicherte
Person in Bezug auf den vorinstanzlichen Prozess - auch nach Korrektur des
Rentenbeginns durch das Bundesgericht - bei einem Obsiegen bleibt (Zusprache
einer unbefristeten Dreiviertelsrente).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Solothurn vom 6. Dezember 2018 wird insoweit abgeändert, als die
IV-Stelle des Kantons Solothurn der Versicherten mit Wirkung ab 1. Juli 2016
eine Dreiviertelsrente auszurichten hat.

2. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. April 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz