Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.540/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_540/2019

Urteil vom 12. November 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichterinnen Heine, Viscione,

Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte

A.A.________,

vertreten durch Herrn B.A.________,

Beschwerdeführerin,

gegen

SVA Aargau, Prämienverbilligungen, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Kantonale Sozialversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
11. Juni 2019 (VBE.2019.353).

Sachverhalt:

A. 

Mit Einspracheentscheid vom 3. April 2019 setzte die Sozialversicherungsanstalt
Aargau die Prämienverbilligungen für die 1934 geborene A.A.________ für die
Zeit von Oktober 2018 bis Dezember 2019 betragsmässig fest.

B. 

Gegen diesen Einspracheentscheid erhob B.A.________, als Sohn der Adressatin
des Entscheides, mit Eingabe vom 20. Mai 2019 (Postaufgabe) eine formell
ungenügende Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau. Die
Instruktionsrichterin setzte ihm daraufhin eine Frist von zehn Tagen an, um die
Beschwerde zu verbessern und eine schriftliche Vollmacht einzureichen. In der
Folge reichte B.A.________ am 31. Mai 2019 eine verbesserte Beschwerdeschrift
ein, vermerkte indessen, es sei ihm aufgrund der Krankheit der Mutter noch
nicht möglich gewesen, eine schriftliche Vollmacht beizubringen. Daraufhin trat
das angerufene Gericht mit Entscheid vom 11. Juni 2019 auf das Rechtsmittel
nicht ein, da innert der angesetzten Frist keine Vollmacht eingereicht worden
sei.

C. 

Mit Beschwerde beantragt A.A.________, vertreten durch ihren Sohn B.A.________,
sinngemäss, es sei die Sache unter Aufhebung des kantonalen Entscheides an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese ihre Beschwerde materiell behandle,
zudem sei diese anzuweisen, dem Vertreter der Beschwerdeführerin adäquate
Informationen betreffend einem möglichen Beizug eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes zukommen zu lassen. Gleichzeitig beantragt A.A.________ für
das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne einer
Befreiung von den Gerichtskosten.

Die Sozialversicherungsanstalt Aargau beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1. 

1.1. Gemäss Art. 40 Abs. 2 BGG haben sich Parteivertreterinnnen und
Parteivertreter im bundesgerichtlichen Verfahren durch eine Vollmacht
auszuweisen. Die vom Vertreter der Beschwerdeführerin eingereichte Vollmacht
erfüllt die Erfordernisse an eine rechtsgenügliche Vollmacht, so dass die
Beschwerdeführerin rechtsgültig durch ihren Sohn vertreten ist.

1.2. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten sind grundsätzlich gegeben (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario
, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1
BGG). 

1.3. Das Bundesgericht prüft das Bundesrecht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1
BGG; BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 23 f.) und mit uneingeschränkter (voller) Kognition
(Art. 95 lit. a BGG; BGE 141 V 234 E. 2 S. 236). Es ist folglich weder an die
in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem
angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation
der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung
der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.4. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2. 

Mit dem angefochtenen Entscheid vom 11. Juni 2019 ist das kantonale Gericht auf
eine Beschwerde des Sohnes der Beschwerdeführerin gegen einen
Einspracheentscheid aus dem Bereich der Prämienverbilligung nicht eingetreten,
da dieser innert der angesetzten Frist keine rechtsgenügliche Vollmacht
eingereicht hat. Streitig und zu prüfen ist daher einzig die Frage, ob die
Vorinstanz mit diesem Nichteintretensentscheid Bundesrecht verletzt hat. Nicht
zum Streitgegenstand gehört demgegenüber die Frage, ob das kantonale Gericht
genügend über das Recht auf unentgeltliche Rechtspflege informiert hat;
insofern ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

3. 

Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss geltend, das vorinstanzliche
Nichteintreten auf die von ihrem Sohn eingereichte Beschwerde sei als
überspitzt formalistisch zu werten.

3.1. Art. 29 Abs. 1 BV verbietet überspitzten Formalismus als besondere Form
der Rechtsverweigerung. Eine solche liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose
Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich
gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener
Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und
den Rechtsuchenden den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt. Wohl sind im
Rechtsgang prozessuale Formen unerlässlich, um die ordnungsgemässe und
rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen
Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge steht demnach mit
Art. 29 Abs. 1 BV in Widerspruch. Überspitzter Formalismus ist nur gegeben,
wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen
Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die
Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder
verhindert (BGE 142 V 152 E. 4.2 S. 158 mit Hinweisen).

3.2. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Sohn der Beschwerdeführerin
im Verfahren vor Vorinstanz innerhalb der ihm angesetzten Frist keine
rechtsgültige Vollmacht eingereicht hat. Allerdings kann dem Sohn nicht zum
Vorwurf gemacht werden, er habe die Frist ohne Reaktion verstreichen lassen.
Vielmehr hat er gegenüber dem kantonalen Gericht begründet, weshalb es ihm
aufgrund der Kürze der Frist, des Gesundheitszustandes seiner Mutter und der
Abwesenheit ihres Hausarztes nicht möglich gewesen ist, eine Vollmacht zu
beschaffen. Damit hat er sinngemäss um Ansetzung einer Fristverlängerung
ersucht. Vor diesem Hintergrund erscheint es als überspitzt formalistisch, wenn
das kantonale Gericht direkt und ohne Weiterungen auf Nichteintreten auf die
Beschwerde mangels rechtsgültiger Vollmacht erkannte. Ein schutzwürdiges
Interesse der Verfahrensparteien oder des Gerichts an einer solchen Formstrenge
ist nicht ersichtlich. Die Beschwerde ist demgemäss gutzuheissen, der kantonale
Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit
diese dem Sohn eine angemessene Nachfrist zur Einreichung einer genügenden
Vollmacht einräume und anschliessend über die Beschwerde neu entscheide. Bei
diesem Verfahrensausgang braucht nicht näher geprüft zu werden, ob es statthaft
war, dass das kantonale Gericht das Nichteintreten lediglich gegenüber dem
Sohn, nicht aber auch gegenüber der Mutter androhte (vgl. dazu immerhin: MERZ,
in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018 N 42 zu Art. 40
BGG; KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015; N 21 zu Art. 37 ATSG und MARANTELLI
/HUBER, Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, N 26 zu Art. 11 VwVG).

4. 

Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch der
Beschwerdeführerin um Befreiung von den Gerichtskosten gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 11. Juni 2019 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. November 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Nabold