Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.370/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_370/2019

Urteil vom 22. Oktober 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichter Wirthlin, Abrecht,

Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte

SOLIDA Versicherungen AG,

Saumackerstrasse 35, 8048 Zürich,

vertreten durch Rechtsanwalt Martin Bürkle, Klausstrasse 33, 8024 Zürich,

Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,

vertreten durch Advokat Sebastian Laubscher,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Unfallversicherung (Invalidenrente, Arbeitsunfähigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 24. September 2018 (UV.2018.7).

Sachverhalt:

A. 

A.________, geboren 1960, war seit dem 1. Juni 2006 mit einem 80 %-Pensum als
Fachperson Pflege bei der Spitex B.________ beschäftigt und dadurch bei der
CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG (nachfolgend:
Concordia) für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie
Berufskrankheiten versichert. Am Abend des 12. März 2015 stürzte sie mit dem
Velo auf dem Weg zu einem Kunden. Sie wurde mit dem Rettungsdienst ins Spital
C.________ gebracht. Nach dessen Bericht vom 19. März 2015 erlitt sie ein
Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Verletzung an der linken Schulter. Nach ihrer
Hospitalisation bis zum 20. März 2015 befand sie sich zunächst in
tagesklinischer Behandlung der Rehabilitationsklinik D.________ und wurde
danach neuropsychologisch durch lic. phil. E.________, Fachpsychologe für
Neuropsychologie sowie für Psychotherapie FSP, betreut. Die bei den
elektroenzephalographischen Untersuchungen erhobenen Befunde indizierten eine
antiepileptische Medikation. Am 14. September 2015 begann A.________ mit einem
therapeutischen Arbeitsversuch (drei mal drei Stunden pro Woche) an ihrem
angestammten Arbeitsplatz. Im Februar 2016, also rund ein Jahr nach dem Unfall,
erreichte sie eine Arbeitszeit von knapp dreieinhalb Stunden pro Tag und Ende
2016 eine Präsenzzeit von 21 bis 24 Stunden pro Woche. Dabei absolvierte sie
jeweils drei Mal eine grössere Tour und zwei Mal eine kleinere Tour, übernahm
jedoch weiterhin keine Abend- und Wochenenddienste. Die Concordia holte ein
Gutachten der F.________ vom 28. April 2017 ein. Am 13. Juni 2017 schloss sie
den Fall ab und stellte ihre Taggeldleistungen per 30. Juni 2017 ein. Sie kam
jedoch auch über diesen Zeitpunkt hinaus noch für die Heilbehandlung auf
(neurologische Kontrolluntersuchungen, insbesondere auch Elektroenzephalogramme
[EEG], neuropsychologische Therapie sowie antikonvulsive medikamentöse
Behandlung). Ihre Partnerversicherung SOLIDA Versicherungen AG (nachfolgend:
Solida) sprach A.________ mit Verfügung vom 28. Juni 2017 und
Einspracheentscheid vom 22. Februar 2018 eine Invalidenrente bei einem
Invaliditätsgrad von 30 % sowie eine Integritätsentschädigung bei einer
Integritätseinbusse von 10 % zu.

B. 

A.________ liess dagegen Beschwerde erheben und die Zusprechung einer
Invalidenrente bei einem Invalditätsgrad von 50 % beantragen. Das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt führte eine mündliche
Verhandlung durch und befragte die Versicherte sowie ihre Vorgesetzte
G.________, Teamleiterin bei der Spitex B.________, als Zeugin. Mit Entscheid
vom 24. September 2018 verpflichtete es die Solida zur Ausrichtung einer
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 50 %.

C. 

Die Solida lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der angefochtene Entscheid aufzuheben und der
Einspracheentscheid vom 22. Februar 2018 zu bestätigen. Eventualiter sei die
Sache zu weiteren Abklärungen an sie zurückzuweisen.

A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, wozu sich die Solida
mit einer weiteren Eingabe äussert. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf
eine Vernehmlassung.

D. 

Mit Verfügung vom 11. September 2019 hat der Instruktionsrichter dem Gesuch der
Solida um aufschiebende Wirkung der Beschwerde stattgegeben.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 

Streitig ist die vorinstanzlichen Feststellung des Umfangs der
Arbeitsfähigkeit, die der Invaliditätsbemessung zugrunde liegt. Unbestritten
ist dabei, dass die Solida für organisch objektiv ausgewiesene, natürlich- und
adäquat-kausale Unfallfolgen haftet.

3. 

Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf
eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG) zutreffend dargelegt. Richtig
wiedergegeben sind auch die bei der Beurteilung des Beweiswerts eines
ärztlichen Berichts oder Gutachtens zu beachtenden allgemeinen Regeln (BGE 134
V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352). Zutreffend dargestellt wird im
angefochtenen Entscheid auch die Rechtsprechung zur Aufgabenteilung von
rechtsanwendender Stelle und begutachtender Arztperson bei der Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit, die der Invaliditätsbemessung zugrunde zu legen ist (BGE 140
V 193). Zu ergänzen ist, dass dabei geprüft werden soll, welche Tätigkeiten und
Arbeitsleistungen der versicherten Person nach Massgabe der objektiv
feststellbaren Gesundheitsschädigung noch zuzumuten sind. Diese Frage ist
rechtsprechungsgemäss in erster Linie durch die Ärzte zu beantworten und nicht
durch die Eingliederungsfachleute auf der Grundlage der von ihnen erhobenen
subjektiven Arbeitsleistung (Urteile 8C_801/2018 vom 13. Februar 2019 E. 4.3;
8C_334/2018 vom 8. Januar 2019 E. 4.2.1). Anzufügen ist des Weiteren, dass
praxisgemäss die Berichte der behandelnden Ärzte oder anderer medizinischer
Fachpersonen wegen ihrer auftragsrechtlichen Stellung und ihres
Behandlungsauftrags kaum je eine abschliessende objektive Beurteilung des
Gesundheitszustandes erlauben (BGE 135 V 465 E. 4.5 S. 470 f.; Urteil 8C_260/
2012 vom 27. Juni 2012 E. 3.3.2).

4. 

Die Vorinstanz stellte fest, dass die Gutachter unvollständig, das heisst nicht
im vollen Umfang des ihr selber vorliegenden Aktendossiers dokumentiert waren.
Insbesondere bezweifelte sie, dass ihnen die Angaben des behandelnden
Neuropsychologen lic. phil. E.________ (Bericht vom 29. März 2017) sowie
sämtliche Protokolle über die Eingliederungsbemühungen des Case Managements der
Concordia zur Verfügung gestanden hätten. Jedenfalls seien diese Akten im
Gutachten weder aufgelistet noch hätten sich die Experten damit
auseinandergesetzt. Das Gutachten sei aus diesem Grund unvollständig und
vermöge den allgemeinen rechtsprechungsgemässen Anforderungen nicht zu genügen.

Das kantonale Gericht schritt zu einer eigenständigen Prüfung der
Arbeitsfähigkeit. Es würdigte die genannten Protokolle, die Angaben der
Versicherten und der zur mündlichen Verhandlung aufgebotenen Zeugin sowie die
Berichte des lic. phil. E.________ vom 29. März 2017, vom 21. Juli 2017 und vom
10. April 2018 und der Rehabilitationsklinik D.________ vom 26. September 2017.
Gestützt darauf gelangte es zum Schluss, dass auch nach über anderthalbjährigen
Eingliederungsbemühungen beziehungsweise mehr als zwei Jahre nach dem Unfall
lediglich ein 50 %-Pensum statt der von den Gutachtern attestierten zumutbaren
70%igen Arbeitsfähigkeit erreicht worden sei. Die Versicherte schöpfe damit
ihre Leistungsfähigkeit auch bei objektivierter Betrachtungsweise voll aus.
Insbesondere vermöge sie aufgrund der Erfahrungen an der bisherigen
Arbeitsstelle keine Abend- beziehungsweise Nacht- und auch keine
Wochenendeinsätze mehr zu leisten. Gleiches gelte für die dort üblichen "ganzen
Touren" à je fünfeinhalb Stunden. Sie sei damit - auch über eine rein zeitlich
eingeschränkte Belastbarkeit hinaus - nicht im gleichen Umfang wie vor dem
Unfall einsetzbar. Nach der Vorinstanz war deshalb bezüglich der noch
zumutbaren Leistungsfähigkeit nicht auf das Gutachten, sondern auf die
Ergebnisse der Wiedereingliederungsbemühungen und die damit übereinstimmende
Einschätzung der behandelnden Ärzte abzustellen. Dabei berücksichtigte sie auch
deren Einschätzung, dass die Versicherte am angestammten Arbeitsplatz dank des
Entgegenkommens ihrer Arbeitgeberin optimal eingegliedert sei.

5. 

Die Solida macht im Wesentlichen geltend, dass weder die
Eingliederungsprotokolle noch die Berichte der behandelnden Ärzte ein Abweichen
vom versicherungsexternen Gutachten gerechtfertigt hätten. Im Übrigen wäre der
Versicherten bei Ausübung einer intellektuell weniger anspruchsvollen Tätigkeit
ein noch höheres Pensum (80 %) als das für den angestammten Beruf attestierte
(70 %) zuzumuten. Dies sei bei der Prüfung, ob sie ihre Leistungsfähigkeit voll
ausschöpfe, unberücksichtigt geblieben.

6.

6.1. Inwiefern die vorinstanzlichen Feststellungen hinsichtlich der fehlenden
Beweistauglichkeit des von der Concordia eingeholten versicherungsexternen
Gutachtens unrichtig wären, ist nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere
insoweit, als das kantonale Gericht davon ausging, dass die Experten über den
Verlauf der Eingliederungsbemühungen nicht dokumentiert gewesen seien. Diese
erstreckten sich über den Zeitraum vom 25. August 2015 bis zum 24. April 2017.
Daran ändert nichts, dass ihnen das Protokoll über das erste
Rehabilitations-Koordinationsgespräch vom 25. August 2015 vorgelegen haben mag.
Es befand sich in den medizinischen Akten. An dieser ersten Besprechung
beteiligten sich, neben dem Case Manager der Concordia und zwei Vorgesetzten
der Versicherten, mehrere Fachpersonen der Rehabilitationsklinik D.________.
Anlässlich der nachfolgenden Gespräche waren jedoch auch die zuständige
Beraterin der IV-Stelle sowie der Neuropsychologe lic. phil. E.________
zugegen. Der letztgenannte behandelte die Versicherte seit Spätsommer 2015 nach
Überweisung durch die Rehabilitationsklinik D.________, die danach nur noch
EEG-Verlaufskontrollen durchführte. Dass das kantonale Gericht das Gutachten
wegen Unvollständigkeit als nicht hinreichend beweiskräftig erachtet hat, ist
nicht zu beanstanden.

6.2.

6.2.1. Da es dem vorliegenden Gutachten mit der vorinstanzlich festgestellten
Unvollständigkeit bereits an einer allgemeinen Voraussetzung für dessen
Beweistauglichkeit fehlt, rechtfertigt sich eine eigenständige Prüfung der
Arbeitsfähigkeit durch den Rechtsanwender nicht. Ohnehin erachtet die
bundesgerichtliche Rechtsprechung eine solche Vorgehensweise (unter weiteren
Voraussetzungen) vorab bei der Beurteilung psychischer Beschwerdebilder nach
den normativen Vorgaben beziehungsweise Indikatoren gemäss BGE 141 V 281 als
zulässig (BGE 144 V 50 E. 4.3 S. 53 f.; Urteile 8C_177/2018 vom 3. August 2018
E. 4.3; 9C_106/2015 vom 1. April 2015 E. 6.3). Das mündet in aller Regel
entweder in eine Bestätigung der gutachterlichen Einschätzung oder in die
Erkenntnis aus, dass Bedarf an weiteren Abklärungen besteht. Eine solche
Konstellation liegt hier nicht vor (oben E. 2 sowie sogleich E. 6.2.2).

6.2.2. Gemäss Gutachten waren Unfallfolgen weiterhin morphologisch ausgewiesen
(Subarachnoidalblutung und kontusionsbedingte Scherblutungen). Die Experten
diagnostizierten insbesondere ein organisches Psychosyndrom nach
Schädel-Hirn-Trauma und gingen des Weiteren davon aus, dass aufgrund der im EEG
gezeigten Auffälligkeiten eine posttraumatische Epilepsie mit Anfällen oder
(bei Dauermedikation) ohne Anfälle je nach Verlauf innerhalb eines Zeitraums
von fünf bis sechs Jahren nicht auszuschliessen sei. Ihrer Auffassung nach
führen solche Befunde zu höchstens leichten neuropsychologischen Defiziten in
Form einer reduzierten Belastbarkeit, die sie in zeitlicher Hinsicht auf eine
Einschränkung von 30 % schätzten.

Demgegenüber beruhten die Einschätzungen der Vorgesetzten, der zuständigen
IV-Beraterin sowie der behandelnden Fachpersonen, die an den
Eingliederungsbesprechungen teilnahmen, weitgehend auf den subjektiven Angaben
der Versicherten über ihre Leistungsfähigkeit. Massgeblich ist bei der
Beurteilung der Arbeitsfähigkeit jedoch allein die objektivierbare
Gesundheitsschädigung. Aber auch eine direkte Leistungszusprache gestützt auf
den nach der Begutachtung erstatteten Arztbericht der Rehabilitationsklinik
D.________ vom 26. September 2017 rechtfertigte sich nicht (vgl. oben E. 3).
Die Einschätzungen des behandelnden Neuropsychologen vermochten diesbezüglich
ebenfalls nicht zu genügen.

6.3. Zusammengefasst fehlte es an Beweisgrundlagen, die einen abschliessenden
Entscheid über die objektiv begründete Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung
allfälliger Versicherungsansprüche erlaubt hätten. Die Vorinstanz hätte daher
eine ergänzende Stellungnahme der Gutachter der F.________ oder ein
Gerichtsgutachten einholen müssen. Die Sache ist zu diesem Zweck an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

7. 

Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 24. September 2018
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Oktober 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo