Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.356/2019
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019


TypeError: undefined is not a function (evaluating '_paq.toString().includes
("trackSiteSearch")') https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/
index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://29-08-2019-8C_356-2019&lang=de&zoom
=&type=show_document:1846 in global code 
 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_356/2019

Urteil vom 29. August 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Abrecht,

Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,

Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse
11, 8500 Frauenfeld,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Invalidenversicherung (Rente; Untersuchungsgrundsatz),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
3. April 2019 (VV.2018.248/E).

Sachverhalt:

A. 

Der 1970 geborene A.________ war seit 1990 als Hilfsarbeiter in einer
Textilfabrik angestellt, als er sich am 11. August 2016 - erneut - wegen
Schwerhörigkeit und einem Tinnitus bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug anmeldete. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau traf erwerbliche
und medizinische Abklärungen. Insbesondere liess sie den Versicherten durch das
Swiss Medical Assessment- und Business-Center (SMAB) psychiatrisch und
otorhinolaryngologisch untersuchen. Gemäss Gutachten vom 14. Dezember 2017
leidet A.________ an einer hochgradigen sensorineuralen Schwerhörigkeit
beidseits (mit Hörgeräten versorgt), gemischt hereditär beziehungsweise
berufsbedingt, und einem chronischen dekompensierten Tinnitus aurium beidseits.
Dadurch sei seine Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit zu 40%
eingeschränkt. In einer adaptierten Stelle in ruhiger Umgebung, ohne
Schichtwechsel, mit regelmässigen Pausen bestehe eine 80%ige Arbeitsfähigkeit.
Mit Verfügung vom 24. August 2018 verneinte die IV-Stelle deshalb den Anspruch
auf eine Invalidenrente.

B. 

Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 3. April 2019 ab.

C. 

A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei an
die IV-Stelle zurückzuweisen, damit diese nach weiteren medizinischen und
erwerblichen Abklärungen über seinen Anspruch neu verfüge.

Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Es wird kein
Schriftenwechsel durchgeführt.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig,
wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig
unzutreffend ist. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur
weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die
plausiblere erschiene. Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete
Beweiswürdigung; in diese greift das Bundesgericht auf Beschwerde hin nur bei
Willkür ein, insbesondere wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare
Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche grundlos ausser Acht
lässt (BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53 mit Hinweisen).

1.3. Als Rechtsfrage gilt, ob der in rechtlicher Hinsicht (oder zur Beurteilung
der strittigen Ansprüche) massgebliche Sachverhalt vollständig festgestellt
wurde. Rechtsfrage ist sodann die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw.
der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an
den Beweiswert von Arztberichten (vgl. BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Bei den
aufgrund dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und
zur Arbeitsfähigkeit sowie bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um
Sachverhaltsfragen (Urteil 8C_590/2015 vom 24. November 2015 E. 1, nicht publ.
in BGE 141 V 585; BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397).

2. 

Aufgrund der Anträge (und deren Begründung) in der Beschwerde ist streitig, ob
das kantonale Gericht seinen Entscheid zu Recht auf das bidisziplinäre
Gutachten des SMAB vom 14. Dezember 2017 sowie dessen ergänzende Stellungnahme
vom 20. Juni 2018 abgestellt hat und einen weiteren Abklärungsbedarf verneinte.
Bestritten ist dabei das psychiatrische Teilgutachten, während in somatischer
Hinsicht keine Einwände geltend gemacht werden.

2.1. Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), die Invaliditätsbemessung nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (vgl. Art. 16 ATSG) und den
Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 2 IVG) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich
des massgebenden Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V
218 E. 6 S. 221) und des Beweiswerts von Arztberichten (BGE 125 V 351 E. 3a S.
352). Darauf wird verwiesen.

2.2. Zu betonen ist, dass dem kantonalen Versicherungsgericht als Sachgericht
im Bereich der Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht (vgl.
BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur
ein, wenn das Sachgericht diesen missbraucht, insbesondere offensichtlich
unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich
ausser Acht lässt (BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211; zum Begriff der Willkür BGE
137 I 1 E. 2.4 S. 5 mit Hinweisen). Inwiefern das kantonale Gericht sein
Ermessen missbraucht haben soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert
aufzuzeigen (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261). Auf ungenügend begründete Rügen oder
bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid
tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit Hinweis;
Urteil 8C_196/2018 vom 23. August 2018 E. 2.2 mit Hinweis).

3. 

Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, dem SMAB-Gutachten vom 14. Dezember 2017
und der ergänzenden Stellungnahme der Gutachterinnen vom 20. Juni 2018, auf
welche sich die angefochtene Verfügung stütze, komme voller Beweiswert zu.
Entgegen den Vorbringen des Versicherten sei das psychiatrische Teilgutachten
nicht widersprüchlich. Es sei nicht zu beanstanden, dass der diagnostizierten
remittierten depressiven Störung kein Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit
zugemessen worden sei. Im weiteren sei nicht nachzuvollziehen, dass der
Versicherte dem Gutachten den Beweiswert absprechen wolle, weil die ihn
behandelnden Ärzte der psychiatrischen Klinik B.________ im Austrittsbericht
vom 24. Oktober 2018 eine schwere depressive Episode diagnostiziert hätten.
Dieser Bericht beziehe sich auf einen Zeitraum nach der angefochtenen Verfügung
vom 24. August 2018 und enthalte keinerlei Anzeichen dafür, dass sich der
Gesundheitszustand des Beschwerdeführers noch vor deren Erlass verschlechtert
habe. Der genannte Bericht sei deshalb im aktuellen Beschwerdeverfahren
unbeachtlich. Seit Mai 2016 sei der Versicherte in seiner angestammten
Tätigkeit zu 40 % und in einer adaptierten Tätigkeit zu 20 % arbeitsunfähig.
Der von der IV-Stelle ermittelte Invaliditätsgrad von 28 % sei nicht zu
beanstanden.

4. 

4.1. Der Beschwerdeführer bringt nichts Stichhaltiges vor, was die
Feststellungen der Vorinstanz zur Arbeitsfähigkeit als willkürlich erscheinen
liesse. Insbesondere mit dem Einwand der fehlenden Beweistauglichkeit des
SMAB-Gutachtens vom 14. Dezember 2017 und dessen Ergänzung vom 20. Juni 2018
sowie mit demjenigen der Verletzung der Untersuchungsmaxime durch das kantonale
Gericht vermag er nicht durchzudringen. Er zeigt nicht auf, inwiefern
diesbezüglich rechtliche Grundsätze verletzt sein sollten.

4.1.1. Der Versicherte rügt insbesondere, die Vorinstanz hätte nicht auf die
SMAB-Expertise abstellen dürfen, weil die Gutachterin keine psychiatrische
Diagnose gestellt habe, obschon mit Austrittsbericht der Klinik B.________ vom
24. Oktober 2018 nachgewiesen sei, dass er unter einer schweren Depression
leide. Der angefochtene Entscheid stütze sich auf einen falschen Sachverhalt.

4.1.2. Der Austrittsbericht der Klinik B.________ vom 24. Oktober 2018 datiert
- wie das kantonale Gericht zu Recht erwog - nach dem Verfügungserlass vom 24.
August 2018 und ist somit grundsätzlich nicht in die Beurteilung
miteinzubeziehen (vgl. BGE 131 V 242 E. 2.1 S. 243 mit Hinweis; 130 V 445 E.
1.2 S. 446). Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass der
Zeitpunkt des betreffenden Berichts näher am Verfügungszeitpunkt liegt als
jener der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. med. C.________, Fachärztin
für Psychiatrie und Psychotherapie beim SMAB. Insbesondere steht es dem
Versicherten frei, sich bei einer dauerhaften Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes bei der Invalidenversicherung erneut anzumelden (Art. 87
Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV sowie Art. 17 Abs. 1 ATSG).

4.1.3. Selbst wenn der Bericht vom 24. Oktober 2018, wie in der Beschwerde
behauptet, Rückschlüsse auf die im Verfügungszeitpunkt bestandene Situation
erlaubte und somit beachtet werden könnte (vgl. BGE 121 V 362 E. 1b in fine S.
366), änderte dies am Ergebnis nichts. Dort wird initial zwar die Diagnose
einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome gestellt, am Ende
des Berichts aber auch ausgeführt, dass bei Austritt psychopathologisch noch
eine Symptomatik mit niedergedrückter Stimmung, Schlafproblemen, Tagesmüdigkeit
und Ängsten bezüglich der Zukunft bestanden habe. Eine Arbeitsunfähigkeit wird
nach der vom 25. September 2018 bis 11. Oktober 2018 dauernden Hospitalisation
nur für den Zeitraum vom 25. September 2018 bis 25. Oktober 2018 attestiert.
Damit finden sich in besagtem Bericht keine Ausführungen zur retrospektiven,
bis und mit Verfügungserlass bestehenden Arbeitsunfähigkeit.

4.1.4. Schliesslich vermag auch der ambulante Bericht der Klinik für Ohren-,
Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie des Spitals D.________ vom 16. Februar 2018
keine Verschlechterung der psychischen Gesundheit im Zeitraum zwischen der
gutachterlichen Untersuchung beim SMAB im September 2017 und dem
Verfügungserlass vom 24. August 2018 zu belegen. Zwar wird dort unter den
Diagnosen eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion angeführt. Dabei
handelt es sich jedoch nicht um eine eigene, sondern um eine fachfremde
Feststellung des ORL-Arztes. Weder in den erhobenen Befunden, noch in der
ärztlichen Beurteilung finden sich Ausführungen zum psychischen
Gesundheitszustand. Nicht relevant ist, dass der Arzt sich dahingehend
äusserte, der Patient qualifiziere sich für eine Invalidenrente.

4.1.5. Von einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes oder einer den
Beweiswert tangierenden Widersprüchlichkeit der Expertise des SMAB kann somit
keine Rede sein. Zusammenfassend hat die Vorinstanz weder den Sachverhalt
offensichtlich unrichtig festgestellt noch hat sie in anderer Hinsicht
Bundesrecht verletzt als sie dem Gutachten des SMAB vollen Beweiswert
zuerkannte und gestützt darauf auf eine Arbeitsfähigkeit von 80 % in einer
angepassten Tätigkeit erkannte. Das gilt auch für den Verzicht auf weitere
Beweismassnahmen, da diese keinen entscheidrelevanten neuen Aufschluss erwarten
lassen (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 141 I 60 E. 3.3 S. 64 mit Hinweis).

4.2. Da der Beschwerdeführer im Übrigen keine Einwände gegen die
vorinstanzliche Invaliditätsbemessung vorbringt, hat es bei der Verneinung
eines Rentenanspruchs sein Bewenden.

5. 

Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. August 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer