Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.352/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_352/2019

Urteil vom 28. August 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichter Wirthlin, Abrecht,

Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Massimo Aliotta,

Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Unfallversicherung

(Invalidenrente; Integritätsentschädigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 22. März 2019 (UV.2018.00081).

Sachverhalt:

A. 

A.________, geboren 1977, war als Fugenmonteur mit eigenem Betrieb (B.________
GmbH) bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) für die Folgen
von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Am 1.
Oktober 2015 zog er sich bei der Arbeit eine Schnittverletzung an der rechten
Hand zu, als die Klinge seines Messers abbrach (Unfallmeldung vom 6. Oktober
2015). Nach einer Erstversorgung im Spital C.________ am gleichen Tag musste am
18. November 2015 eine durchtrennte Sehne rekonstruiert werden (Bericht des Dr.
med. D.________, Chirurgie sowie plastische Rekonstruktion und ästhetische
Chirurgie FMH). In der Folge verblieben eine deutliche Funktionseinschränkung
der rechten Hand bei Beugekontrakturen des Zeigefingermittelgelenks und
belastungsabhängige Schmerzen (Bericht des Suva-Kreisarztes Dr. med.
E.________, Orthopädische Chirurgie und Traumatologie FMH, vom 26. Oktober
2016). Die Ärzte der Klinik F.________, wo eine Zweitmeinung eingeholt wurde,
rieten jedoch von einer weiteren Operation ab (Bericht vom 7. Juni 2016).
Gemäss kreisärztlicher Einschätzung war die angestammte Tätigkeit noch zu 50 %,
eine leidensangepasste Tätigkeit im Vollzeitpensum zumutbar. Mit Verfügung vom
14. August 2017 und Einspracheentscheid vom 27. Februar 2018 sprach die Suva
A.________ eine Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 11 % sowie eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 5 % zu.

B. 

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 22. März 2019 ab.

C. 

A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 31 % sowie eine höhere
Integritätsentschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache an die
Vorinstanz oder an die Suva zurückzuweisen zur Einholung eines Gutachtens. Des
Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Bundesgericht verzichtet auf die Durchführung eines Schriftenwechsels.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 

Streitig ist, ob die vorinstanzliche Bestätigung der Zusprechung einer
Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 11 % sowie einer
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 5 % durch die Suva
vor Bundesrecht standhält. Zur Frage steht dabei, ob zur Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit sowie der
Integritätseinbusse auf den versicherungsinternen Bericht abgestellt werden
durfte. Umstritten sind des Weiteren die erwerblichen Auswirkungen der
Gesundheitsschädigung.

3. 

Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Ansprüche
auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG) und auf eine
Integritätsentschädigung (Art. 24 f. UVG) zutreffend dargelegt. Richtig
wiedergegeben sind auch die bei der Beurteilung des Beweiswerts eines
ärztlichen Berichts oder Gutachtens zu beachtenden Regeln (BGE 134 V 231 E. 5.1
S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352), namentlich bei versicherungsinternen
Stellungnahmen (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f.; 125 V
351 E. 3b/ee S. 353 f.; 122 V 157 E. 1d S. 162). Es wird darauf verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass für die Festsetzung des Invalideneinkommens primär von
der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen ist, in welcher die versicherte
Person konkret steht. Fehlt es an einem tatsächlich erzielten Erwerbseinkommen,
namentlich weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens
keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit
aufgenommen hat, so können nach der Rechtsprechung entweder Tabellenlöhne
gemäss den vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen
Lohnstrukturerhebungen (LSE) oder die DAP-Zahlen (Arbeitsplatz-Dokumentation
der Suva) herangezogen werden (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475 mit Hinweisen).

4. 

Die Vorinstanz erachtete die Einschätzung des Suva-Kreisarztes vom 20. Oktober
2016 als voll beweiskräftig. Gestützt darauf ging sie davon aus, dass der
Beschwerdeführer mit der rechten Hand keine Lasten über 10 kg tragen und
repetitive Tätigkeiten, Stoss- und Vibrationsbelastungen sowie feinmotorische
Bewegungen, die eine Zugbewegung oder einen Pinzettengriff des rechten
Zeigefingers erforderten, weitestgehend vermeiden sollte. Wegen des limitierten
Faustschlusses seien Tätigkeiten, die einen festen Griff erforderten,
beispielsweise Hämmern oder das Bedienen von Maschinen, ausgeschlossen. Mit
Rücksicht auf diese Einschränkungen sei der Beschwerdeführer voll arbeitsfähig.

Die Ausübung einer Tätigkeit gemäss den von der Suva zur Ermittlung des
Invalideneinkommens herangezogenen DAP-Blättern sei dem Beschwerdeführer
zuzumuten. Das kantonale Gericht bestätigte den Einkommensvergleich der Suva,
der - bei einem Valideneinkommen von 72'450 Franken (Durchschnittseinkommen der
Jahre 2013 bis 2015 gemäss IK-Auszug) und einem Invalideneinkommen von 64'381
Franken - einen Invaliditätsgrad von 11 % ergeben hatte.

Schliesslich konnte gemäss Vorinstanz auch hinsichtlich der Integritätseinbusse
auf die Einschätzung des Suva-Kreisarztes abgestellt werden.

5. 

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass der medizinische Sachverhalt nicht
hinreichend abgeklärt und auf den versicherungsinternen Bericht - als einzige
Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit -
nicht abzustellen sei. Des Weiteren rügt er die Ermittlung des
Invalideneinkommens anhand der DAP-Löhne. Schliesslich seien die
Funktionseinschränkungen in der versicherungsinternen Stellungnahme auch
hinsichtlich der Integritätseinbusse nur unzureichend berücksichtigt worden.

6. 

Inwiefern die vorinstanzlichen Feststellungen zur Gesundheitsschädigung
unrichtig oder bundesrechtswidrig wären, ist nicht erkennbar. Das kantonale
Gericht berücksichtigte insbesondere, dass die beim Beschwerdeführer
vorliegenden Beeinträchtigungen in der kreisärztlichen Einschätzung sorgfältig
dargelegt worden seien und die daraus gezogenen Schlüsse in Bezug auf das
Zumutbarkeitsprofil schlüssig und nachvollziehbar seien. Es liegen keine
Arztberichte vor, die der Bescheinigung einer vollen Arbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten Tätigkeit widersprechen würden. Insbesondere hat sich der
behandelnde Arzt Dr. med. D.________ (auch im vorinstanzlich eingereichten
Bericht vom 4. September 2018) nicht zur Arbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten Tätigkeit geäussert. Dass er am 10. April 2017, wohl in
Unkenntnis der kreisärztlichen Untersuchung im Oktober 2016, eine
diesbezügliche Begutachtung empfahl, ändert daran nichts. Der Beschwerdeführer
vermag daher keine auch nur geringen Zweifel an der versicherungsinternen
Stellungnahme darzutun. Gleiches gilt insoweit, als vorgebracht wird, die
Vorinstanz hätte sich nach der im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren
durchgeführten Verhandlung ein eigenes Bild von den dort präsentierten
Einschränkungen machen und die geltend gemachte Unzuverlässigkeit der
versicherungsinternen Einschätzung erkennen müssen. Es besteht deshalb kein
Anspruch auf eine versicherungsexterne Begutachtung.

7.

7.1. Die DAP weist - im Gegensatz zu der vom Bundesamt für Statistik
herausgegebenen Lohnstrukturerhebung - tatsächlich vorhandene, konkrete
Arbeitsplätze und Einkommen aus (vgl. BGE 129 V 472      E. 4.2.1 S. 475 ff.;
139 V 592 E. 7.3 S. 597). Wenn ein DAP-Profil mit einem Lohnband versehen ist,
wird praxisgemäss der Durchschnittswert beigezogen (Urteil 8C_161/2009 vom 6.
Oktober 2009 E. 3.2; 8C_72/2008 vom 26. Juni 2008 E. 5.2 mit Hinweisen).

7.2. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die von der Suva ausgewählten (fünf)
DAP-Tätigkeiten dem zumutbaren Belastungsprofil entsprächen. Inwiefern er nicht
in der Lage wäre, die entsprechenden Arbeiten - Herstellen von
Leichtbau-Kleinteilen, Bedienen einer Schaumstoffmatten-Presse,
Zwischenkontrolle von Blechteilen, Sortieren und Aufschichten von Leergebinden,
maschinelles Zuschneiden von Metallrohren und Profilen - auszuführen, wird
indessen im Einzelnen nicht dargetan und ist nicht erkennbar. Er macht des
Weiteren geltend, dass ohne Begründung auf den jeweiligen Durchschnittslohn
abgestellt worden sei. Von den erwähnten fünf DAP-Profilen ist jedoch nur eines
mit einem Lohnband versehen (mit einem Minimum von 64'974 Franken und einem
Maximum von 65'104 Franken; der Durchschnitt beträgt 65'039 Franken). Dass in
diesem Fall auf den Durchschnittswert abgestellt wurde, ist praxisgemäss nicht
zu beanstanden. Im Ergebnis änderte sich aber auch bei Heranziehung des
erwähnten Minimal- statt des Durchschnittseinkommens für die betreffende
DAP-Tätigkeit nichts.

7.3. Der Beschwerdeführer beruft sich schliesslich darauf, dass die Vorinstanz
im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren einen Invaliditätsgrad von 31 %
ermittelt habe. Die Invaliditätsschätzung der Invalidenversicherung entfaltet
gegenüber dem Unfallversicherer jedoch keine Bindungswirkung (BGE 131 V 362).
Die IV-Stellen und die Unfallversicherer haben die Invaliditätsbemessung in
jedem einzelnen Fall selbstständig vorzunehmen. Sie dürfen sich ohne weitere
eigene Prüfung nicht mit der blossen Übernahme des Invaliditätsgrades des
Unfallversicherers oder der IV-Stelle begnügen (BGE 133 V 549 E. 6.1 S. 553).
Weshalb hier von diesen Grundsätzen abzuweichen wäre, ist nicht erkennbar.
Insbesondere konnte die Vorinstanz in ihrem Entscheid im
invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren auf eine präzise Festsetzung der
Vergleichseinkommen verzichten, da auch unter Gewährung des nicht näher
geprüften maximalen leidensbedingten Abzuges von 25 % von dem gestützt auf
statistische Werte ermittelten Invalideneinkommen der erwähnte Invaliditätsgrad
von 31 % resultierte, der keinen Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung begründet.

8. 

Das kantonale Gericht schützte den Einspracheentscheid der Suva hinsichtlich
der Höhe der Integritätsentschädigung unter Verweis auf die nachvollziehbare
Begründung von deren Einschätzung durch den Kreisarzt. Der Beschwerdeführer
macht geltend, dass die massiven, von seinem behandelnden Arzt bestätigten
Funktionseinschränkungen die Einholung eines Gutachtens erforderten. Inwiefern
die gesetzlichen Vorgaben über die Höhe der Integritätsentschädigung (Art. 24
und Art. 25 UVG, Art. 36 Abs. 2 UVV sowie Anhang 3 zur UVV) oder die
Bemessungsgrundsätze gemäss der von der Suva in Weiterentwicklung der
bundesrätlichen Skala erarbeiteten Bemessungstabelle 1 verletzt worden wären,
wird beschwerdeweise nicht dargetan und ist nicht erkennbar. Unterschieden
werden dort bei Beeinträchtigungen der Hand Arthrodesen einerseits und
Versteifungen anderseits. Bei letzteren ist eine Entschädigung von 25 (Pro- und
Supination) bis 30 % (Beugung oder Streckung) vorgesehen. Der Kreisarzt bemass
die Höhe der Integritätsentschädigung anhand des letzteren Wertes und setzte
sie - bei entsprechender Einschränkung des Zeigefingermittelgelenks - auf 5 %
fest. Es lässt sich nicht ersehen, inwiefern diesbezüglich auch nur geringe
Zweifel an der versicherungsinternen Stellungnahme bestünden und weitere
medizinische Abklärungen erforderlich gewesen wären.

9. 

Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 64
Abs. 1 BGG wird einer Partei die unentgeltliche Rechtspflege nur gewährt, wenn
sie bedürftig ist und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (zum
Erfordernis der Nichtaussichtslosigkeit auch bei der unentgeltlichen
Verbeiständung: Urteil 8C_258/2009 vom 24. August 2009 E. 7 mit Hinweisen). Dem
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann zufolge Aussichtslosigkeit der
Beschwerde (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.) nicht entsprochen werden.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. August 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo