Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.335/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_335/2019

Urteil vom 30. Juli 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,

Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Michael Weissberg,

Beschwerdeführer,

gegen

AXA Versicherungen AG, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 11. April 2019 (VSBES.2018.61).

Sachverhalt:

A. 

Der 1958 geborene A.________ war als Consultant bei der B.________ SA tätig
gewesen, als er am 29. Februar 2016 die Treppe hoch auf beide Hände fiel.
Gegenüber seinem erstmals am 4. März 2016 konsultierten Hausarzt Dr. med.
C.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, klagte er über Kribbeln in den
Händen und Schmerzen im Nackenbereich (Unfallmeldung vom 8. März 2016; Bericht
des Dr. med. C.________ vom 9. April 2016). Eine bildgebende Untersuchung
mittels MRI am 11. März 2016 ergab eine signifikante spinale Enge auf Höhe der
Halswirbelkörper (HWK) 4/5 und 5/6 (neurologischer Konsiliarbericht der
Medizinischen Klinik am Kantonsspital D.________ vom 21. März 2016). Die AXA
Versicherungen AG verneinte als zuständiger Unfallversicherer einen
Leistungsanspruch, da zwischen dem gemeldeten Ereignis und den vorhandenen
Beschwerden kein natürlicher Kausalzusammenhang bestehe (Verfügung vom 3.
August 2017 und Einspracheentscheid vom 23. Januar 2018).

B. 

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 11. April 2019 ab.

C. 

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und des
Einspracheentscheids sei die AXA Versicherungen AG zu verpflichten, die
gesetzlichen Leistungen für das Ereignis vom 29. Februar 2016 zu erbringen.
Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ein
Gutachten zur Frage der natürlichen Kausalität zwischen Unfall und nachfolgend
manifest gewordener Myelopathie einhole.

Ein Schriftenwechsel wird nicht durchgeführt.

Erwägungen:

1. 

Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art.
97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.

2.1. Strittig ist, ob die Vorinstanz zu Recht den Einspracheentscheid vom 23.
Januar 2018 geschützt und eine Leistungspflicht des Unfallversicherers verneint
hat.

2.2. Das kantonale Gericht hat die Grundlagen zur Leistungspflicht des
obligatorischen Unfallversicherers bei Unfällen (Art. 4 ATSG, Art. 6 Abs. 1
UVG; BGE 134 V 72) sowie zu dem für die Leistungspflicht vorausgesetzten
natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Unfall und
Gesundheitsschaden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.) und zu dem im
Sozialversicherungsrecht bei der Beantwortung von Tatfragen üblichen Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die vorinstanzlichen
Ausführungen zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und
Gutachten (BGE 135 V 465 E. 4.3 S. 468 ff.; 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351
E. 3 S. 352 ff.) sowie zum Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61
lit. c ATSG; SVR 2010 AlV Nr. 2 S. 3, 8C_269/2009 E. 2.2 mit Hinweisen). Darauf
wird verwiesen.

3.

3.1. Die Vorinstanz erachtete die Beurteilung der die Beschwerdegegnerin
beratenden Dres. med. E.________, Facharzt FMH Innere Medizin, Physikalische
Medizin und Rehabilitation, und F.________, Facharzt Neurologie FMH, für
beweiskräftig. Danach bestehe zwischen dem Sturz vom 29. Februar 2016 und der
aufgetretenen Gesundheitsschädigung kein Kausalzusammenhang. Die
Halswirbelsäule (HWS) weise keine traumatischen strukturellen Läsionen auf,
vielmehr sei ihre Schädigung krankheitsbedingt. Der Umstand, dass vor dem 29.
Februar 2016 keine Symptome wie Schmerzen an der HWS, Kribbelparästhesien oder
eine Gangunsicherheit dokumentiert seien, genüge nicht, um eine
Unfallkausalität zu beweisen. Der am 4. März 2016 konsultierte Hausarzt habe
weitgehend unauffällige Befunde erhoben. Das eine Woche später durchgeführte
MRI habe keine Hinweise auf eine traumatische Läsion im Bereich der HWS
geliefert, sondern einen engen Spinalkanal und degenerative Veränderungen
aufgezeigt. Symptome einer inkompletten Tetraplegie, aber auch Knieschmerzen
seien erstmals am 21. März 2016 ärztlich dokumentiert worden. Weder die
Stellungnahme des Hausarztes noch jene des Dr. med. G.________, Facharzt für
Allgemeine Innere Medizin FMH, die dem kantonalen Gericht nur auszugsweise
vorgelegt worden sei, weshalb der Beweiswert derselben nicht abschliessend
beurteilt werden könne, weckten Zweifel an den Darlegungen der Dres. med.
E.________ und F.________. Diese gelangten, so das kantonale Gericht weiter,
zum überzeugenden Schluss, dass die sturzbedingte Hyperextension der HWS zu
keiner relevanten Verletzung des Rückenmarks geführt habe, da sonst früher und
in erheblicherem Ausmass neurologische Symptome aufgetreten wären, als dies in
den ersten Tagen nach dem Sturz tatsächlich der Fall gewesen sei. Darauf gehe
Dr. med. G.________ nicht ein.

3.2.

3.2.1. Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, verfängt nicht. Indem die
Vorinstanz auf die Darlegungen der beratenden Ärzte der Beschwerdegegnerin
abstellte, würdigte sie die Beweise nicht willkürlich oder in Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes. Mit dem kantonalen Gericht begründeten die Dres. med.
E.________ und F.________ schlüssig und nachvollziehbar, weshalb die
somatischen Beschwerden nicht als natürlich kausale Folgen des Unfalls erstellt
sind. Soweit der Beschwerdeführer die kurz nach dem Sturz geklagten
Kribbelparästhesien als Folge von Verletzungen des Rückenmarks ansieht, hielt
das kantonale Gericht zutreffend fest, dass Dr. med. F.________ hierzu
eingehend Stellung bezog und überzeugend ausführte, dass zwar auch eine leichte
Hyperextension der HWS bei einem engen Spinalkanal genügen könne, um
Beschwerden auszulösen. Eine sturzbedingte Verletzung des Rückenmarks hätte
jedoch - gemäss Dr. med. F.________ - früher und in erheblicherem Ausmass zu
neurologischen Symptomen führen müssen, als sie hier dokumentiert seien. Zudem
wies er darauf hin, dass bei der hauptsächlich einseitig erfolgten Kompression
des zervikalen Myelon keine an den oberen Extremitäten beidseits gleich
ausgeprägte Symptomatik zu erwarten gewesen wäre; sie hätte dann einseitig
betont und auch am Fuss auftreten müssen (Beurteilung vom 1. September 2018).

3.2.2. Somit durfte die Vorinstanz ohne Bundesrecht zu verletzen bei ihrer
Beweiswürdigung auch berücksichtigen, dass der Versicherte erst vier Tage nach
dem Sturz den Hausarzt konsultierte und dabei einzig Nackenbeschwerden und ein
Kribbeln in den Händen vorbrachte bei weitestgehend unauffälligen
neurologischen Befunden. Das MRI der HWS vom 11. März 2016 lieferte überdies
keine Hinweise auf traumatische Läsionen. Vielmehr ergab dieses
osteodegenerative Prozesse vor allem der mittleren und distalen HWS sowie eine
zervikale Diskopathie. Daraus resultieren eine als symptomatisch einzustufende,
beginnende signifikante spinale Enge auf Höhe der Diskusfächer HWK 4/5 und 5/6
sowie foraminale Kompressionen der Wurzeln bei einem Status nach
Diskushernienoperation C 6/7 im Jahr 2007 (Bericht der Instituts für
medizinische Radiologie IMR des Kantonsspitals D.________ vom 11. März 2016;
Austrittsbericht des Dr. med. H.________, Orthopädische Klinik am Kantonsspital
D.________ vom 11. April 2016). Mit der Aktenlage vereinbar ist sodann die
Feststellung der Vorinstanz, dass spezifische Symptome der später
diagnostizierten inkompletten Tetraplegie erstmals am 21. März 2016 ärztlich
dokumentiert seien, indem der Versicherte an diesem Tag seinen Hausarzt Dr.
med. C.________ aufgesucht und dieser ihn wegen neu aufgetretener
Gangunsicherheit umgehend ins Kantonsspital D.________ überwiesen und die dort
behandelnde Ärztin von einer sich in den letzten zwei Wochen verschlechterten
Gehfähigkeit berichtet habe (Ärztliches Zeugnis des Dr. med. C.________ vom 11.
Juli 2018). Das am 21. März 2016 angefertigte MRI beschreibe gemäss Dr. med.
F.________ schwere ossäre Veränderungen, die einseitig betont vor allem auf der
Höhe C 4/5 dokumentiert worden seien und Monate zu ihrer Ausbildung benötigten,
weshalb sie grösstenteils bereits vor dem Unfall bestanden hätten.

3.2.3. Entgegen den Darlegungen des Beschwerdeführers befasste sich das
kantonale Gericht auch mit der beeinträchtigten Gehfähigkeit, die jedoch, wie
soeben dargelegt, ausweislich der Akten erstmals am 21. März 2016
ärztlicherseits erwähnt wurde. Dass bereits anlässlich der Erstkonsultation
beim Hausarzt oder drei Tage danach - mithin am 7. März 2016, wie geltend
gemacht wird - eine entsprechende Symptomatik bestand, ergibt sich aus den
unfallnahen medizinischen Akten nicht. Ergänzend kann festgehalten werden, dass
der Hausarzt dementsprechend am 9. März 2016 bei der Anmeldung für die
bildgebende Untersuchung am Institut für Medizinische Radiologie unter
"Klinische Angaben/Fragestellung/gewünschte Untersuchungen" anmerkte: "MRI HWS
nach Sturz vor 2 Wochen und unklaren Beschwerden der Arme. St. n. DH-Operation
C6/7 2007, Frage nach DH Frakturen oder andere Pathologien." Mit Blick auf den
zeitlichen Verlauf und die Frage, ob die zervikale Myelopathie durch den Sturz
eine vorübergehende oder richtungsgebende Verschlimmerung erfahren habe, hätte,
gemäss Dr. med. F.________, bedingt durch eine Schwellung/ Ödembildung im
Rückenmark und den angrenzenden Strukturen, spätestens innert drei Tagen eine
Verschlechterung auftreten müssen, welche er hier nicht erkenne. Ebenso führte
Dr. med. E.________ in seiner Stellungnahme vom 29. Mai 2017 abschliessend aus,
überwiegend wahrscheinlich handle es sich um einen Spontanverlauf einer
progredienten zervikalen Myelopathie bei degenerativen HWS-Veränderungen, die
zuvor langsam schleichend verlaufen sei. Der Beschwerdeführer vermag nichts
vorzubringen, was diese Einschätzung der Dres. med. E.________ und F.________
in Zweifel zu ziehen vermöchte, weshalb sich die Vorinstanz darauf stützen
durfte. Daran ändert schliesslich die bloss auszugsweise in der
vorinstanzlichen Replik des Beschwerdeführers wiedergegebene Ansicht des Dr.
med. G.________ nichts. Dr. med. F.________ legte, wie ausgeführt, überzeugend
dar, dass gestützt auf die initialen Akten, entgegen der Auffassung des Dr.
med. G.________, keine unmittelbar nach dem Sturz aufgetretenen neurologischen
Ausfälle dokumentiert sind, die mit dem notwendigen Beweismass auf eine
Rückenmarksverletzung schliessen liessen. Die Vorinstanz verletzte daher weder
die Beweiswürdigungsregeln noch sonstwie Bundesrecht, wenn sie im Rahmen ihrer
freien, pflichtgemässen Beweiswürdigung nicht darauf abstellte und den Auszug
aus der Beurteilung des Dr. med. G.________ als ungeeignet ansah, die
Stellungnahmen der Dres. med. E.________ und F.________ in Zweifel zu ziehen.
Bei gegebener Aktenlage durfte die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung
auf weitere Sachverhaltsabklärungen verzichten. Eine Bundesrechtswidrigkeit,
namentlich eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, ist darin ebenso wenig
zu sehen wie eine in medizinischer Hinsicht unrichtige oder gar willkürliche
Sachverhaltsfeststellung. Damit besteht kein Anlass zur eventualiter
beantragten Rückweisung zwecks Einholung eines Gerichtsgutachtens. Es bleibt
bei der vorinstanzlichen Verneinung eines natürlichen Kausalzusammenhangs
zwischen dem Stolpersturz vom 29. Februar 2016 und der in der Folge
aufgetretenen Gesundheitsschädigung. Die Beschwerde ist unbegründet.

4. 

Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Juli 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla