Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.279/2019
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019


 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_279/2019

Urteil vom 3. Juli 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Heine, präsidierendes Mitglied,

Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,

Gerichtsschreiber Wüest.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsdienst Inclusion Handicap,

Beschwerdeführerin,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Speichergasse 12, 3011 Bern,

Beschwerdegegner und Vorinstanz.

Gegenstand

Invalidenversicherung (kantonales Verfahren; Ausstand),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12.
März 2019 (200 19 141 IV).

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1976 geborene A.________, zuletzt als Juristin/Projektleiterin bei der
Stiftung B.________ im 70 %-Pensum tätig, meldete sich im Dezember 2014 unter
Hinweis auf eine Depression und chronische Rückenschmerzen bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 8. Dezember 2017
wies die IV-Stelle des Kantons Bern das Leistungsbegehren bei einem
Invaliditätsgrad von 32 % ab, was das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit
Entscheid vom 9. Mai 2018 schützte (IV/2018/72). Das Bundesgericht hiess die
hiergegen erhobene Beschwerde mit Urteil 8C_450/2018 vom 16. Oktober 2018
teilweise gut und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

A.b. In der Folge nahm Verwaltungsrichter C.________ als zuständiger
Instruktionsrichter das Verfahren wieder auf (IV/2018/785). Er hielt unter
anderem fest, dass zur Klärung der vom Bundesgericht für ungeklärt befundenen
Fragen eine Neubegutachtung (psychiatrisch, allenfalls auch neuropsychologisch)
in Auftrag zu geben sein werde (prozessleitende Verfügung vom 14. November
2018). Hierzu würden bei den behandelnden Ärzten und Psychologen sowie bei
diversen früheren Arbeitgebern der Versicherten weitere echtzeitliche
Unterlagen ediert. Mit prozessleitender Verfügung vom 21. Januar 2019 stellte
Verwaltungsrichter C.________ unter anderem Aktenstücke resp. Auszüge daraus
zusammen und legte unter Würdigung dieser Unterlagen das geplante weitere
Instruktionsverfahren dar. Insbesondere gab er den Parteien die beabsichtigte
Auftragserteilung zur Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens bei Dr. med.
D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bekannt und
unterbreitete ihnen den vorgesehenen Fragenkatalog zur Stellungnahme.

A.c. Mit Eingabe vom 15. Februar 2019 liess A.________ unter anderem ein
Ausstandsbegehren gegen Verwaltungsrichter C.________ stellen (Verfahren IV/
2019/141). Mit Verfügung vom 19. Februar 2019 sistierte der Präsident der
Sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Verwaltungsgerichtes des Kantons
Bern das IV-Verfahren (IV/2018/785). Er hielt zudem fest, dass über die
Gutachtensvergabe erst nach Abschluss des Verfahrens betreffend Ablehnung des
Instruktionsrichters entschieden werde.

B. 

Mit Entscheid vom 12. März 2019 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung (in Dreierbesetzung ohne den
Betroffenen), das Ausstandsgesuch ab.

C. 

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei Verwaltungsrichter
C.________ anzuweisen, für das Verfahren IV/2018/785 in den Ausstand zu treten.
Zudem solle der Auftrag für das neue Gutachten nicht mehr Dr. med. D.________
erteilt werden können. Schliesslich ersucht sie um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Es wird kein
Schriftenwechsel durchgeführt.

Erwägungen:

1. 

Bei der angefochtenen Verfügung handelt es sich um einen selbständig eröffneten
Zwischenentscheid einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG über ein Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG) im Rahmen einer
Streitigkeit (Rente der Invalidenversicherung), die der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (Art. 82 lit. a BGG und Art.
62 Abs. 1 ATSG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt
und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig, und es ist darauf
einzutreten (BGE 133 III 645 E. 2.2 S. 647 f.).

2. 

Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich
die Verletzung von Bundesrecht mit Einschluss der Bundesverfassung gerügt
werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen
an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es unter Berücksichtigung der allgemeinen
Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Soweit die
Vorinstanz kantonales Recht anzuwenden hatte, kann, abgesehen von den hier
nicht massgebenden Art. 95 lit. c-e BGG, nur geltend gemacht werden, der
angefochtene Entscheid verstosse gegen Normen des Bundesrechts oder des
Völkerrechts (Art. 95 lit. a und b BGG). Im Übrigen kann die Auslegung und
Anwendung des kantonalen Rechts lediglich im Lichte der verfassungsmässigen
Rechte und Grundsätze, namentlich des Willkürverbots (Art. 9 BV), geprüft
werden (BGE 137 V 143 E. 1.2 S. 145; 134 I 153 E. 4.2.2 S. 158; 134 II 349 E. 3
S. 351). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten wie auch von
kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der
Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist; es gilt eine
qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 281;
137 II 305 E. 3.3 S. 310 f.).

3.

3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem
sie das Ausstandsbegehren gegen Verwaltungsrichter C.________ abwies. Soweit
die Beschwerdeführerin im Weiteren geltend macht, die vorgesehene Begutachtung
dürfe nicht durch Dr. med. D.________ erfolgen, ist darauf nicht einzutreten.
Denn mit Verfügung vom 19. Februar 2019 wurde das IV-Beschwerdeverfahren
sistiert und in Aussicht gestellt, dass über die Gutachtensvergabe nach
Abschluss des Verfahrens betreffend Ausstand von Verwaltungsrichter C.________
entschieden werde.

3.2. Im angefochtenen Entscheid wurden die einschlägigen Rechtsgrundlagen nach
Gesetz und Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

4. 

Die Vorinstanz verneinte einen Ausstandsgrund. Sie erwog, es lägen keine
Umstände vor, welche objektiv den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der
Voreingenommenheit erwecken könnten. Es sei zu beachten, dass das
Instruktionsverfahren IV/2018/785 noch lange nicht abgeschlossen sei und
namentlich noch das vorgesehene Gutachten erstellt werden müsse. Dass sich der
betreffende Instruktionsrichter in dieser Phase des Beweisverfahrens bereits
eine abschliessende Meinung gebildet hätte, gehe weder aus seinen bisherigen
Schreiben resp. Verfügungen hervor noch enthielten diese eine vorläufige
Prognose über den Ausgang des Verfahrens. Auch seien keine Anhaltspunkte für
unzutreffende oder aktenwidrige Feststellungen in den Verfügungen, insbesondere
in derjenigen vom 21. Januar 2019, ersichtlich. Hinsichtlich der Rügen
betreffend den vorgesehenen Experten und die Formulierung des Fragenkatalogs
werde sodann im Rahmen der weiteren Instruktion des Hauptverfahrens zu
entscheiden sein, wobei der Gesuchstellerin der Rechtsweg offen stehen werde.
Weiter begründe auch die Tatsache, dass dem vorgesehenen Gutachter der
provisorische Fragenkatalog bereits zugestellt worden sei, keinen Anschein der
Befangenheit. Im Übrigen hätten die medizinischen Sachverständigen unter
eigenhändiger Prüfung aller ihnen vorliegenden Unterlagen und eigenen
Erhebungen nach den Qualitätsleitlinien ihres Fachgebiets allein der
medizinischen Lehre folgend in vollständiger Unabhängigkeit (insbesondere auch
von Gerichtsmitgliedern) ihre abschliessende Expertise abzugeben. Es bestünden
keine Anzeichen, dass der betreffende Instruktionsrichter diese Grundsätze
nicht anerkennen würde oder gar unzulässigerweise auf den Gutachter hätte
einwirken wollen. Soweit die Gesuchstellerin des Weiteren die Aussagekraft
bestimmter Aktenstücke thematisiere, handle es sich dabei um eine Frage der
Beweiswürdigung, welche Gegenstand des Verfahrens in der Hauptsache bilde und
in diesem Rahmen beanstandet werde könne. Ferner sei zu berücksichtigen, dass
die Rückweisung durch das Bundesgericht zu weiteren Abklärungen und neuer
Entscheidung an das Verwaltungsgericht ohne die explizite Vorgabe erfolgt sei,
dass die zusätzlichen Abklärungen beim gleichen Gutachter stattfinden müssten.
Schliesslich seien auch keine besonders krassen und wiederholten Irrtümer in
der Verfahrensführung ersichtlich, welche einer schweren Amtspflichtverletzung
gleichkämen und sich somit einseitig zu Lasten der Gesuchstellerin auswirken
würden.

5. 

Die Beschwerdeführerin vermag diese Auffassung nicht als bundesrechtswidrig
auszuweisen.

5.1. Aus dem Umstand, dass Verwaltungsrichter C.________ nunmehr die Einholung
eines Gerichtsgutachtens für angezeigt hält, wohingegen das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern im Entscheid vom 9. Mai 2018 (Verfahren IV/2018/72) die von
der IV-Stelle veranlassten Gutachten vom 9. Juni und 20. Juli 2017 noch als
beweiskräftige Entscheidgrundlage beurteilte, kann nicht abgeleitet werden, der
Ausgang des Verfahrens IV/2018/785 sei nicht mehr offen. So gelangte der
Verwaltungsrichter erst aufgrund seiner Abklärungen im Nachgang zum Urteil des
Bundesgerichts 8C_450/2018 vom 16. Oktober 2018 zur Erkenntnis, ein neues
Gutachten sei angezeigt.

5.2. Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, die von Verwaltungsrichter
C.________ vorgenommene Aktenergänzung und die Konkretisierung der
Gutachterfragen würden unzählige Anmerkungen beinhalten, welche berechtigte
Zweifel an der Offenheit des Prozesses aufkommen liessen. Dies betreffe etwa
die aus dem Kontext gerissenen Passagen und Aussagen der Versicherten aus
Bewerbungsschreiben und Arbeitszeugnissen. Hierzu ist festzuhalten, dass der
Beschwerdeführerin im (sistierten) Verfahren IV/2018/785 bereits Gelegenheit
gegeben wurde, sich zu den Gutachterfragen zu äussern. Ihre Einwände wird sie
dort vorbringen können. Im Übrigen vermag die Beschwerdeführerin nicht
darzutun, inwiefern die Anmerkungen des betreffenden Instruktionsrichters in
der verfahrensleitenden Verfügung vom 21. Januar 2019 auf eine Einflussnahme
auf das Beweisergebnis schliessen lassen sollen.

5.3. Schliesslich vermag auch die Tatsache, dass Verwaltungsrichter C.________
dem vorgesehenen Gutachter den provisorischen Fragenkatalog bereits zugestellt
hat, bevor die Anhörung der Parteien abgeschlossen war, nicht den objektiven
Anschein der Voreingenommenheit zu begründen. Soweit die Beschwerdeführerin
befürchtet, der designierte Gutachter könne seine Beurteilung nicht mehr
unvoreingenommen vornehmen, ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens (vgl. E. 3.1 hiervor).

5.4. Nach dem Gesagten verletzt die Abweisung des Ausstandsbegehrens gegen den
Instruktionsrichter des Verfahrens IV/2018/785 durch die Vorinstanz
(Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Entscheids) kein Bundesrecht.

6. 

Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Durchführung eines
Schriftenwechsels, mit summarischer Begründung und unter Hinweis auf den
kantonalen Gerichtsentscheid (Art. 109 Abs. 3 BGG) erledigt wird.

7. 

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege wird infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde
abgewiesen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Juli 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Heine

Der Gerichtsschreiber: Wüest