Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.268/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_268/2019

Urteil vom 2. Juli 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Heine, präsidierendes Mitglied,

Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,

Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte

A.A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Gehring,

Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Unfallversicherung (Unfallbegriff),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich

vom 11. März 2019 (UV.2017.00245).

Sachverhalt:

A. 

B.A.________, geboren 1965, war seit 1996 bei der Firma C._______ als
Vermessungsingenieur beschäftigt und bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva) für die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Im September 2016 begab
er sich auf eine mehrtägige Wandertour in Island im Gebiet des Vulkans
X.________. Am 13. September 2016 wurde er auf einem durch Lavaterrain
führenden Wanderweg tot aufgefunden. Nach gerichtsmedizinischer Untersuchung
durch Prof. Dr. med. D.________ war er an Unterkühlung verstorben. Die Suva
lehnte den Anspruch seiner Ehefrau A.A.________ auf Versicherungsleistungen mit
Verfügung vom 21. November 2016 und Einspracheentscheid vom 28. September 2017
ab mit der Begründung, dass der Tod nicht durch einen Unfall verursacht worden
sei.

B. 

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 11. März 2019 ab. Dabei berücksichtigte es auch das im
vorinstanzlichen Verfahren von der beschwerdeführenden Ehefrau eingereichte
Gutachten des Prof. em. Dr. med. E.________, Facharzt für Rechtsmedizin, vom
30. Mai 2018.

C. 

A.A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides seien ihr die
gesetzlichen Leistungen, insbesondere Hinterlassenenleistungen, zuzusprechen.

Die Suva und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 

Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Leistungsablehnung durch die
Suva vor Bundesrecht standhält. Zur Frage steht dabei, ob ein Kälteeinbruch als
ungewöhnlicher äusserer Faktor und der dadurch verursachte Tod des Versicherten
als Unfall zu qualifizieren ist.

3. 

Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen der Anwendbarkeit der bis
zum 31. Dezember 2016 geltenden Bestimmungen des UVG (BGE 143 V 285 E. 2.1 S.
287) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich des Unfallbegriffs (Art.
4 ATSG; BGE 142 V 219 E. 4.3.1 S. 221; 134 V 72 E. 2.2 S. 74). Richtig
wiedergegeben wird auch die Rechtsprechung, wonach der Versicherte die
einzelnen Umstände des Unfallgeschehens glaubhaft zu machen hat (BGE 116 V 136
E. 4b S. 140 f.; 114 V 298 E. 5b S. 305 f.), sowie zu den Folgen der
Beweislosigkeit für die versicherte Person, welche aus dem unbewiesen
gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 117 V 261 E. 3b S. 264;
Urteile 8C_549/2018 vom 22. Januar 2019 E. 3; 8C_358/2016 vom 28. September
2016 E. 3.4). Es wird darauf verwiesen.

Hervorzuheben ist, dass das Tatbestandsmerkmal der Ungewöhnlichkeit dann
erfüllt ist, wenn der äussere Faktor nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für
den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist (BGE 134 V 72 E. 4.1 S.
76). Es bezieht sich nach der Definition des Unfalls nicht auf die Wirkung des
äusseren Faktors, sondern nur auf diesen selber. Ohne Belang für die Prüfung
der Ungewöhnlichkeit ist somit, dass der äussere Faktor allenfalls
schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog (BGE 134 V 72 E. 4.3.1 S. 79
f.). Bei Schädigungen, die sich auf das Körperinnere beschränken, unterliegt
der Nachweis eines Unfalls insofern strengen Anforderungen, als die
unmittelbare Ursache der Schädigung unter besonders sinnfälligen Umständen
gesetzt werden muss, denn ein Unfallereignis manifestiert sich in der Regel in
einer äusserlich wahrnehmbaren Schädigung, während bei deren Fehlen eine
erhöhte Wahrscheinlichkeit rein krankheitsbedingter Ursachen besteht (BGE 99 V
136 E. 1 S. 138). Der äussere Faktor ist zentrales Element eines jeden
Unfallereignisses; er ist Gegenstück zur - den Krankheitsbegriff
konstituierenden - inneren Ursache (BGE 134 V 72 E. 4.1 S. 76 f., E. 4.3.2.1 S.
80 f.; 118 V 283 E. 2a).

Was insbesondere das Wetter und dessen Einwirkungen betrifft, erfüllen diese
den Unfallbegriff nach konstanter Rechtsprechung in der Regel nicht, wenn sie
zu Sonnenstich, Sonnenbrand und Hitzschlag oder zu Erfrierungen führen (BGE 98
V 165 S. 166; RKUV 1987 Nr. U 25 S. 373).

4. 

Das kantonale Gericht stellte fest, dass der Tod des Versicherten gemäss den
polizeilichen und gerichtsmedizinischen Abklärungen durch Unterkühlung zufolge
eines Wetterwechsels am 8. September 2016 mit starkem Regen, Wind, Nebel und
Temperaturen um den Gefrierpunkt verursacht worden sei. Äussere
Verletzungszeichen seien nicht gefunden worden. Das Wetter sei am Morgen gemäss
den Fotoaufnahmen des Versicherten (um 7.22 Uhr auf dem Berg X.________ neben
der Berghütte sowie nach seinem Aufstieg auf den Wanderweg um 9.47 Uhr)
zunächst noch gut gewesen, auch wenn über Nacht bereits eine dünne
Schneeschicht gefallen sei. Danach sei es, nach den Angaben des Parkwächters,
zu einem raschen Wetterwechsel gekommen. Nach der Vorinstanz war weder das
schlechte Wetter im fraglichen Gebiet als äussere Einwirkung noch die
Unterkühlung als dessen Auswirkung ungewöhnlich. Auch sonst habe sich nichts
Sinnfälliges zugetragen. Dies galt nach Ansicht des kantonalen Gerichts
insbesondere auch bezüglich des letzten Teilstücks der Wanderung auf dem
Lavaterrain. Auch wenn sich der Versicherte dort wegen der schlechten Sicht
kaum mehr habe orientieren können, sei er von diesem unwegsamen Gelände nicht
überrascht worden, sondern er habe sich auf seiner planmässigen Route befunden.

5. 

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass das Erfordernis des ungewöhnlichen
äusseren Faktors im Sinne einer Gesamtbetrachtung der hier gegebenen
programmwidrigen Umstände erfüllt sei. Neben dem gemäss Bericht des
Parkwächters ausserordentlich schlechten Wetter, dem unwegsamen Gelände und der
dadurch bedingten fehlenden Orientierungs- und Schutzmöglichkeit hätte
insbesondere auch seine Konstitution - keinerlei Fettansammlung im Körper - in
die Gesamtwürdigung miteinbezogen werden müssen. Auch die Voraussetzung der
Plötzlichkeit sei erfüllt. Dies gelte sowohl hinsichtlich des Wetterumschwungs
als auch des Todeseintritts. Diesbezüglich hätte namentlich berücksichtigt
werden müssen, dass der Versicherte entgegen aller Erwartung, aber für die
Unterkühlung typisch, trotz des Kälteeinbruchs nicht sämtliche mitgeführten
Kleider angezogen habe. Ein Tod durch Unterkühlung gelte sowohl nach
medizinischem als auch nach allgemeinem Verständnis als Unfall. Es würden
diesbezüglich bei der Ungewöhnlichkeit zu hohe Hürden gestellt. Diese
Todesursache komme heutzutage wegen verbesserter Ausrüstung nur noch selten
vor, weshalb eine Praxisänderung angezeigt sei.

6.

6.1. Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was die Feststellungen der
Vorinstanz als unrichtig oder ihre rechtlichen Schlussfolgerungen als
bundesrechtswidrig erscheinen liessen. Weshalb eine Abweichung vom Grundsatz,
dass meteorologische Bedingungen die für den Unfallbegriff vorausgesetzte
Ungewöhnlichkeit nicht zu erfüllen vermögen, gerechtfertigt gewesen wäre, ist
nicht erkennbar. Dass der Parkwächter am 8. September 2016 ausserordentlich
schlechtes Wetter notierte, vermag eine Ungewöhnlichkeit im Sinne einer
Überschreitung dessen, was im Hochland Islands im Gebiet des Vulkans X.________
alltäglich oder üblich ist, nicht zu begründen. Daran kann nichts ändern, dass
es dem Versicherten auf dem bei noch gutem Wetter gewählten Wanderweg nicht
möglich war, sich in Schutz zu bringen oder das Lavaterrain wegen der
nebelbedingt eingeschränkten Sicht zu verlassen. Es fällt aufgrund der
gerichtsmedizinischen Feststellungen insbesondere ausser Betracht, dass er -
etwa wegen einer programmwidrigen Körperbewegung (vgl. BGE 130 V 117 E. 2.1 S.
118; Urteil 8C_282/2017 vom 22. August 2017 E. 3.1.2) - gestürzt und aus diesem
Grund dazu nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Dass sich sonst etwas
Sinnfälliges ereignet hätte, ist rein spekulativ und blieb unbewiesen. Auch die
schlanke Konstitution des Versicherten, die die Unterkühlung begünstigt
beziehungsweise beschleunigt haben mag, kann keine besondere Sinnfälligkeit
begründen. Insbesondere war es gemäss Prof. Dr. med. E.________ nicht zu einem
bei Unterkühlung möglichen sogenannten paradoxen Wärmegefühl mit Entkleidung
gekommen. Gleiches gilt insoweit, als sich die Beschwerdeführerin auf die
Seltenheit des Todes durch Unterkühlung beruft (vgl. etwa SVR 2018 UV Nr. 42 S.
150, 8C_813/2017 E. 7).

6.2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Änderung der Rechtsprechung zu den
Wettereinflüssen, insbesondere durch Kälte, beantragt, vermag sie nicht
durchzudringen. Ihre Vorbringen erlauben keine bessere Erkenntnis des
Gesetzeszwecks (ratio legis; vgl. BGE 132 V 72 E. 3.3 S. 76). Praxisgemäss
(oben E. 3) wird generell bei Schädigungen, die sich, wie hier, auf das
Körperinnere beschränken, eine Verursachung unter besonders sinnfälligen
Umständen verlangt. Gleiches gilt insoweit, als geltend gemacht wird, in
anderen Bereichen würden weniger hohe Hürden gestellt hinsichtlich der
Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors. Inwiefern das im Vergleich zum
angeführten Beispiel des Einatmens einer im Blut nachgewiesenen tödlichen Dosis
von Acetondämpfen bei Arbeiten in einem städtischen Wasserversorgungsnetz
gelten sollte, erschliesst sich nicht (SVR 2008 UV Nr. 5 S. 15, U 32/07). Bei
der Trommelfellperforation (EVGE 1964 S. 65) oder beim Zeckenbiss (BGE 122 V
230) sind im Unterschied zum vorliegenden Fall äussere Verletzungen sichtbar.
Sie gelten nach bewährter Lehre und Rechtsprechung als typisches Merkmal für
einen Unfall.

6.3. Nach dem Gesagten ist trotz der unerwarteten und schwerwiegenden Folge die
Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors nicht nachzuweisen. Die
Einholung weiterer echtzeitlicher Berichte zum Wetterverlauf erübrigten sich.
Desgleichen durfte das kantonale Gericht auf weitere Ausführungen zu dem für
den Unfallbegriff weiter erforderlichen Merkmal der Plötzlichkeit verzichten.

7. 

Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in
Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. Juli 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Heine

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo