Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.219/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_219/2019

Urteil vom 30. September 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Heine, präsidierendes Mitglied,

Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,

Gerichtsschreiberin Elmiger-Necipoglu.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch MLaw Rechtsanwältin Anna Härry,

Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,

Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Invalidenversicherung

(Invalidenrente; Invalideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 11. Februar 2019 (IV.2017.00944).

Sachverhalt:

A. 

Der 1959 geborene A.________ arbeitete zuletzt in einem 100%-Pensum als
Mechaniker. Am 24. Juli 2015 meldete er sich unter Hinweis auf
Hüftgelenksarthrose, Chronic obstructive pulmonary disease (COPD), Psoriasis
und Depression bei der Invalidenversicherung an. Am 6. Januar 2016 unterzog er
sich einer Hüftgelenkstotalendoprothese rechts. Nach Abklärungen der
beruflichen und medizinischen Verhältnisse, namentlich gestützt auf das
polydisziplinäre Gutachten der Medexperts AG vom 6. Februar 2017 und nach
Rücksprache mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) sprach die IV-Stelle des
Kantons Zürich dem Versicherten, wie vorbeschieden, vom 1. Mai 2016 bis 31. Mai
2017 eine befristete ganze Invalidenrente zu (Verfügung vom 8. August 2017).

B. 

Die von A.________ dagegen gerichtete Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 11. Februar
2019 ab, soweit darauf einzutreten sei.

C. 

A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihm auch
nach dem 1. Juni 2017 die gesetzlichen Leistungen, namentlich eine halbe
Invalidenrente, zu gewähren.

Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht
durchgeführt.

Erwägungen:

1. 

Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Eine - für den
Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) -
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann das Bundesgericht nur berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2. 

Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis
31. Mai 2017 Anspruch auf eine ganze Rente der Invalidenversicherung hat.
Streitig und zu prüfen ist demgegenüber, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt
hat, als sie die Befristung der ganzen Rente auf den 31. Mai 2017 hin
bestätigte.

3. 

3.1. Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem
voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar
bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich
bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.

3.2. Zur Bestimmung des Invaliditätsgrades wird gemäss Art. 16 ATSG das
Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der unfallbedingten
Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch
eine zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte
(sog. Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie
erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (sog. Valideneinkommen).

3.3. Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen
Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert allenfalls zu
kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und
berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter,
Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad
Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 135 V 297 E. 5.2 mit Hinweis
auf BGE 126 V 75) und die versicherte Person je nach Ausprägung deswegen die
verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit
unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 126 V 75 E. 5b/
aa i.f. S. 80). Der Abzug soll aber nicht automatisch erfolgen. Er ist unter
Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft
zu schätzen und darf 25 % nicht übersteigen (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; 134 V
322      E. 5.2 S. 327 f.; 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80).

3.4. Ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom
Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare
Rechtsfrage dar (BGE 137 V 71 E. 5.1         S. 72 f. mit Hinweis, Urteil 8C_83
/2019 vom 6. Mai 2019 E. 6.2.2).

4. 

4.1. In medizinischer Hinsicht ist im bundesgerichtlichen Verfahren nicht mehr
strittig, dass für die Bestimmung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit auf das
beweiskräftige Gutachten der Medexperts AG vom   6. Februar 2017 abzustellen
und der Beschwerdeführer gestützt darauf seit dem 6. Februar 2017 in einer
angepassten Tätigkeit zu   80 % arbeitsfähig ist.

4.2. Ebenso ist unbestritten, dass für die Festlegung der erwerblichen
Auswirkungen des Gesundheitsschadens die Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung
des Bundesamtes für Statistik (LSE) heranzuziehen sind. Dabei beträgt das
jährliche Valideneinkommen unter Berücksichtigung der durchschnittlichen
wöchentlichen Arbeitszeit und nach Anpassung an die Nominallohnerhöhung, Fr.
85'669.- (LSE 2016, Tabelle TA1, Ziff. 31-33 [Reparatur und Installation von
Maschinen], Kompetenzniveau 3, Männer), und das Invalideneinkommen, ohne
Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzugs, Fr. 53'682.- (LSE 2016, Tabelle
TA1, Kompetenzniveau 1, Total, Männer). Das entspricht einem
rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 37,34 %.

5. 

5.1. Vor Bundesgericht beanstandet der Beschwerdeführer einzig, dass die
IV-Stelle keinen leidensbedingten Abzug berücksichtigte, was die Vorinstanz
bestätigt hat. Er erachtet einen leidensbedingten Abzug im Wesentlichen
aufgrund seiner medizinischen Einschränkungen (körperlich leichte und
vorwiegend sitzende Tätigkeiten; Absenz von pneumologisch schädlichen Stoffen)
und seines Alters (58 Jahre zum Verfügungszeitpunkt) als angebracht.

5.2. Der Umstand, dass eine grundsätzlich vollzeitlich arbeitsfähige
versicherte Person gesundheitlich bedingt lediglich reduziert leistungsfähig
ist, rechtfertigt an sich noch keinen Abzug vom Tabellenlohn (Urteile 8C_558/
2017 vom 1. Februar 2018 E. 5.3.1; 8C_552/2017 vom 18. Januar 2018 E. 5.3.1 je
mit Hinweisen). Bestehen über das ärztlich beschriebene Beschäftigungspensum
hinaus zusätzliche Einschränkungen, wie beispielsweise ein vermindertes
Rendement pro Zeiteinheit wegen verlangsamter Arbeitsweise oder ein Bedarf nach
ausserordentlichen Pausen oder ist die funktionelle Einschränkung ihrer
besonderen Natur nach nicht ohne Weiteres mit den Anforderungen vereinbar, wie
sie sich aus den gewöhnlichen betrieblichen Abläufen ergeben, kann dies bei der
Bemessung des leidensbedingten Abzugs vom statistischen Tabellenlohn
berücksichtigt werden (Urteile 8C_558/2017 vom 1. Februar 2018 E. 5.3.1 und
8C_163/2015 vom 16. Juni 2015 E. 3.2.2 je mit Hinweis). Im Zumutbarkeitsprofil
wurde dem Bedarf nach längeren, betriebsunüblichen Pausen bereits durch die auf
80 % reduzierte Leistungsfähigkeit bei einer ganztägigen Präsenzzeit Rechnung
getragen, wie die Vorinstanz richtig erkannte. Würde dies zusätzlich beim
leidensbedingten Abzug berücksichtigt, käme dies einer doppelten Anrechnung
desselben Gesichtspunkts gleich (vgl. Urteil 9C_535/2017 vom 14. Dezember 2017
E. 4.6, nicht veröffentlicht in BGE 143 V 431, dafür aber in SVR 2018 IV Nr. 20
S. 63; Urteil 8C_570/2018 vom 10. April 2019 E. 4.3.1 mit Hinweis). Ob der
Bedarf einer pneumologisch unschädlichen Umgebung einen leidensbedingten Abzug
vom Tabellenlohn rechtfertigt, muss hier ebenfalls verneint werden. In diesem
Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der ausgeglichene Arbeitsmarkt im
Kompetenzniveau 1 eine Vielzahl von leichten Tätigkeiten beinhaltet, die den im
Gutachten umschriebenen Einschränkungen (körperlich leichte Tätigkeit, die
vorwiegend im Sitzen auszuführen ist, kein Heben und Tragen von Lasten über 5
kg, keine Zwangspositionen der Hüftgelenke wie Abhocken oder Kauern, kein
Absolvieren längerer Gehstrecken, kein Überwinden von Höhendifferenzen wie
Treppen, Leitern oder Gerüste) Rechnung tragen. Nebst den klassischen
Bürotätigkeiten fallen zahlreiche weitere Tätigkeiten in Betracht, die im
Sitzen zu verrichten und bei denen keine schweren Lasten zu heben sind. Ferner
ist auch an Überwachungsfunktionen zu denken. Im Übrigen rechtfertigt auch die
lange Abwesenheit bei Hilfstätigkeiten im untersten Kompetenzniveau
rechtsprechungsgemäss keinen Abzug (vgl. Urteile 8C_59/2019 vom      17. Mai
2019 E. 5.5; 8C_594/2011 vom 20. Oktober 2011 E. 5).

5.3. Ferner hat die Vorinstanz auch kein Bundesrecht verletzt, als sie dem
Beschwerdeführer aufgrund seines Alters (58-jährig zum Verfügungszeitpunkt)
keinen leidensbedingten Abzug gewährte. Dem Alter kommt im Zusammenhang mit dem
Leidensabzug nur beschränkte Bedeutung zu. So fällt der Umstand, dass die
Stellensuche altersbedingt erschwert sein mag, als invaliditätsfremder Faktor
regelmässig ausser Betracht (Urteil 8C_878/2018 vom 21. August 2019 E. 5.3.1
mit weiteren Hinweisen). Insbesondere besticht das Argument nicht, wonach
Mitarbeiter über 50 Jahren nur durch ihre langjährige Berufserfahrung im selben
Kompetenzniveau mit Lohnzuschüssen belohnt werden und nur deshalb mehr
verdienen. Aus der einschlägigen Tabelle TA9 lässt sich entgegen der Ansicht
des Beschwerdeführers auch nicht herleiten, dass die Zahlen nur für jene, die
langjährig im gleichen Kompetenzniveau tätig waren, Geltung haben. Zudem werden
Hilfsarbeiten auf dem hypothetisch ausgeglichenen Arbeitsmarkt altersunabhängig
nachgefragt (vgl. Urteile 8C_705/2018 vom 16. Mai 2019 E. 4.3 mit Hinweis und
9C_200/2017 vom 14. November 2017 E. 4.5). Sodann vermag der Beschwerdeführer
auch aus dem Urteil 9C_805/2018 vom 21. Februar 2019 nichts zu seinen Gunsten
herleiten, handelt es sich doch um eine Versicherte, die zum
Verfügungszeitpunkt bereits 63 Jahre alt war und somit kurz vor der
ordentlichen Pensionierung stand.

5.4. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich annimmt, die Vorinstanz habe
unzulässigerweise ihre Kognition auf eine Ermessensüberschreitung bzw.
-unterschreitung beschränkt, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Vorinstanz
gelangte nach Würdigung der gesamten Umstände, insbesondere des Gutachtens der
Medexperts AG, zum Ergebnis, dass kein triftiger Grund bestehe, in das Ermessen
der Verwaltung einzugreifen, was aufgrund der Ausführungen weiter vorne nicht
zu beanstanden ist.

Zusammenfassend bestehen keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer seine
verbliebene Arbeitsfähigkeit nur mit unterdurchschnittlichem Erfolg auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt verwerten kann. Demzufolge hat die Vorinstanz kein
Bundesrecht verletzt, als sie in Bestätigung der Verfügung vom 8. August 2017
beim Invalideneinkommen keinen leidensbedingten Abzug berücksichtigte. Die
Beschwerde ist unbegründet und deshalb abzuweisen.

6. 

Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden
Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist und
die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen war (Art. 64 Abs. 1 und 2
BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht,
wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben
wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und MLaw
Rechtsanwältin Anna Härry wird als unentgeltliche Anwältin bestellt.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 

Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. September 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Heine

Die Gerichtsschreiberin: Elmiger-Necipoglu