Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.168/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_168/2019

Urteil vom 9. September 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Maillard, Präsident,

Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,

Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Jan Herrmann,

Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Invalidenversicherung (Revision; Arbeitsunfähigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 15.
November 2018

(720 17 273 / 315).

Sachverhalt:

A. 

Der 1961 geborene A.________ meldete sich am 10. November 2009 unter Hinweis
auf eine bei einem Verkehrsunfall vom 26. Juli 2009 erlittene Distorsion der
Halswirbelsäule (HWS) sowie wegen der Folgen eines Hirntumors zum
Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Basel-Landschaft
klärte den Sachverhalt in erwerblicher und medizinischer Hinsicht ab. Laut dem
polydisziplinären Gutachten der asim, Academy of Swiss Insurance Medicine,
Universitätsspital Basel, vom 12. Dezember 2011 war der Versicherte als Musiker
/Musiklehrer sowie als Schreiner nicht mehr arbeitsfähig. In einer den
körperlichen Einschränkungen angepassten Erwerbstätigkeit war er zu 70 %
leistungsfähig. Mit rechtskräftig gewordener Verfügung vom 8. Januar 2013
sprach die IV-Stelle dem Versicherten ab 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2011
eine ganze Invalidenrente zu. Nachdem sie das auf psychiatrischen und
neuropsychologischen Untersuchungen beruhende Verlaufsgutachten der asim vom
31. Dezember 2014 eingeholt hatte, verneinte sie nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren mit Verfügung vom 7. Juli 2017 ab dem 1. Januar 2012 einen
Anspruch auf eine Invalidenrente.

B. 

Hiegegen liess A.________ beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Beschwerde
führen und beantragen, ihm sei ab 1. Januar 2012 eine ganze Invalidenrente
zuzusprechen; eventualiter sei eine Evaluation der funktionellen
Leistungsfähigkeit (EFL) durchzuführen, subeventualiter sei ein neues
polydisziplinäres Gutachten einzuholen. Anlässlich der am 8. Februar 2018
abgehaltenen Parteiverhandlung gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, dass
eine abschliessende Beurteilung des medizinischen Sachverhalts aufgrund der
vorhandenen Akten nicht möglich sei und es holte das Gutachten des PD Dr. med.
B.________, Spezialarzt FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 1. Juni 2018
ein. Nachdem das kantonale Gericht den Parteien Gelegenheit gegeben hatte, sich
zum psychiatrischen Gutachten zu äussern, wies es die Beschwerde mit Entscheid
vom 15. November 2018 ab.

C. 

A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache
an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es ein polydisziplinäres
medizinisches Gutachten einhole und hernach über den Leistungsanspruch neu
entscheide. Ferner wird um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren ersucht.

Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch.

Erwägungen:

1. 

Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2. 

Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht in Bestätigung
der Verwaltungsverfügung vom 7. Juli 2017 erkannt hat, der Beschwerdeführer
habe seit dem 1. Januar 2012 keinen Anspruch auf eine Invalidenrente mehr
gehabt. Dabei ist unbestritten, dass ein Revisionsgrund (vgl. Art. 17 Abs. 1
ATSG) im Sinne der Rechtsprechung gegeben war, weshalb die Vorinstanz auf
Beschwerde hin den Rentenanspruch zutreffend in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht umfassend ("allseitig"), ohne Bindung an frühere Beurteilungen,
geprüft hat (vgl. BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 11 mit Hinweisen). Prozessthema bildet
die Frage, ob der Gesundheitszustand und die Arbeits (un) fähigkeit (vgl. Art.
6 ATSG) rechtsgenüglich abgeklärt worden sind. Im angefochtenen Entscheid
werden die dabei zu beachtenden Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt, worauf
verwiesen wird.

3.

3.1. Die Vorinstanz hat zunächst erwogen, dass zur Beurteilung des psychischen
Gesundheitszustands auf das von ihr eingeholte, in allen Teilen beweiskräftige
Gutachten des PD Dr. med. B.________ vom 1. Juni 2018 abzustellen sei. Danach
habe der Versicherte sowohl anamnestisch betrachtet als auch anlässlich der
Exploration an keiner psychischen Erkrankung gelitten, mit welcher eine
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in den angestammten Berufen als Musiker,
Musiklehrer sowie Instrumentenbauer oder anderen vergleichbaren
Ewerbstätigkeiten habe begründet werden können. Diese Feststellung ist
unbestritten, und es ist aufgrund der Akten nicht ersichtlich, inwieweit sie
offensichtlich unrichtig sein sollte.

3.2.

3.2.1. Sodann hat das kantonale Gericht erkannt, die Auswirkungen der
medizinisch begründbaren somatischen Befunde auf die Arbeitsfähigkeit seien in
Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle vom 7. Juli 2017 gestützt auf das
beweiskräftige Gutachten der asim vom 12. Dezember 2011 zu beurteilen. Danach
sei der Versicherte aufgrund der Taubheit am linken Gehör im bisherigen Beruf
als Musiker dauernd vollständig arbeitsunfähig. Dasselbe gelte auch für die
Beschäftigung als Musiklehrer, wobei erschwerend die glaubhafte Geräusch- und
Lärmempfindlichkeit aufgrund des Tinnitus hinzu komme. In einer
Verweistätigkeit sei der Versicherte zu 70 % leistungsfähig, wobei zu beachten
sei, dass Arbeiten, welche den Schultergürtel und die HWS belasteten oder in
Zwangshaltung sowie über dem Kopf ausgeübt werden müssten, zu vermeiden seien.
Ideal seien leicht bis intermittierend maximal mittelschwer belastende
Tätigkeiten, die körpernah, mit der Möglichkeit, die Positionen zu ändern,
verrichtet werden könnten. Wegen der persistierenden Schwindelproblematik seien
Verrichtungen, bei welchen der Versicherte stürzen könnte, und an Maschinen,
die gefährlich sein könnten, nicht geeignet. Ungünstig seien zudem alle
Tätigkeiten, die mit einer erhöhten Lärmbelastung einher gingen (zum Beispiel
Arbeiten in einem Grossraumbüro mit Hintergrundgeräuschen). Daher sei der
Versicherte auch als Schreiner nicht mehr einsetzbar.

3.2.2. Das kantonale Gericht hat weiter erwogen, für die Zeit bis Erlass der
Verfügung vom 7. Juli 2017 fehlten Hinweise darauf, dass sich der somatische
Gesundheitszustand seit dem Zeitpunkt der Explorationen bei den medizinischen
Sachverständigen der asim (Gutachten vom 12. Dezember 2011) bis zum Erlass der
Verfügung der IV-Stelle vom 7. Juli 2017 in revisionsrechtlich erheblicher
Weise verschlechtert habe. Vielmehr sei den Berichten der behandelnden
Osteopathin zu entnehmen, dass sich eher eine Besserung eingestellt habe, was
den Auskünften der Hausärztin entspreche.

3.3. Der Beschwerdeführer macht zusammenfassend geltend, aus den Akten sei
ersichtlich, dass ihm über die letzten 7 Jahre seit der Begutachtung durch die
Sachverständigen der asim von 10 verschiedenen, ihn behandelnden
Medizinalpersonen übereinstimmend eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung
und massive Einschränkungen in der Lebensführung mit daraus resultierender
Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit attestiert worden seien. Auch die Hausärztin,
die ihn nunmehr schon seit mehreren Jahren kenne, sowie die Ärzte der Klinik
C.________ gingen davon aus, dass er aus somatischer Sicht deutlich stärker
eingeschränkt sei, als die Gutachter der asim annähmen. Die Vorinstanz habe den
Grundsatz verletzt, wonach behandelnde Ärzte und Therapeuten dank der
langjährigen Betreuung besondere Kenntnisse über den Gesundheitszustand einer
versicherten Person hätten und ihnen bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit
gefolgt werden könne (mit Hinweis auf das Urteil 9C_468/2009 vom 9. September
2009 E. 3.3.1). Es bestehe ein unauflösbarer, unerklärter Widerspruch zur
Expertise der asim, weshalb zumindest leichte Zweifel an deren Validität
angebracht seien (mit Hinweis auf das Urteil 9C_148/2012 vom 17. September 2012
E. 1.4, publ. in SVR 2013 IV Nr. 6 S. 13). Zudem müsse man sich fragen, ob die
Sachverständigen der asim das Beschwerdebild im Jahre 2011 im Rahmen der
Gutachtenssituation tatsächlich richtig hätten erfassen können, nachdem der
nachträgliche Krankheitsverlauf nahe lege, dass dem nicht so gewesen sei. Daher
sei eine neue polydisziplinäre medizinische Begutachtung zu veranlassen (mit
Hinweis auf Art. 72 ^bis IVV). 

3.4. Der Beschwerdeführer verkennt die Tragweite der zitierten E. 3.3.1 des
Urteils 9C_468/2009 vom 9. September 2009 (mit Hinweisen). Wohl hielt das
Bundesgericht unter anderem fest, das Gericht könne auch auf die speziellen,
etwa dank der langjährigen medizinischen Betreuung nur einem Hausarzt
zugänglichen Kenntnisse des Gesundheitszustands einer versicherten Person
abstellen. Auf der anderen Seite sei es wegen der unterschiedlichen Natur von
Behandlungsauftrag des therapeutisch tätigen (Fach-) Arztes und
Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten medizinischen Experten nicht
geboten, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen
und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Ärzte zu
anderslautenden Einschätzungen gelangten. Diese nach wie vor geltende
Rechtsprechung hat die Vorinstanz entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
nicht übersehen. Vielmehr hat sie mit einlässlicher Begründung zutreffend
erkannt, dass weder zum Zeitpunkt der durch die Begutachtung der
Sachverständigen der asim noch im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens
fachärztlich qualifizierte Stellungnahmen hätten eingeholt werden können. Wohl
ist aufgrund der Vorbringen des Beschwerdeführers einzuräumen, dass nach der
Rechtsprechung (vgl. BGE 137 V 210) nur leichte Zweifel die Beweiswertigkeit
des Gutachtens der asim in Frage stellen könnten. Indessen ist mit dem
kantonalen Gericht zu erkennen, dass aus keiner ärztlichen oder anderweitigen
Auskunft auch nur annähernd erkennbar ist, der Beschwerdeführer sei auch ab dem
1. Dezember 2012 nicht mehr arbeitsfähig gewesen. Im Übrigen ist auf die
Beschwerde nicht näher einzugehen, da sich der Beschwerdeführer weitgehend
darauf beschränkt, die im kantonalen Verfahren geltend gemachten Einwände gegen
die Beweiskraft des Gutachtens der asim zu wiederholen. Die Beschwerde ist
abzuweisen.

4.

4.1. Das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren ist wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde
abzuweisen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

4.2. Dem Beschwerdeführer werden als unterliegender Partei die Gerichtskosten
von Fr. 800.- auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Der Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten von Fr. 800.- zu bezahlen.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. September 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder