Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.131/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

8C_131/2019

Urteil vom 26. Juni 2019

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Heine, präsidierendes Mitglied,

Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,

Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Michael Weissberg,

Beschwerdeführerin,

gegen

Groupe Mutuel Versicherungen GMA AG, Rechtsdienst, Rue des Cèdres 5, 1920
Martigny,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Unfallversicherung (Invalidenrente; Invalideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 17.
Januar 2019 (200 18 571 UV).

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1962 geborene A.________, gelernte Dentalhygienikerin, war seit August
1999 als Lehrbeauftragte bzw. Dozentin für Dentalhygiene an der Berufsschule
B.________ und nebenbei als Dentalhygienikerin tätig; mit Vertrag vom 3. August
2012 wurde eine hauptberufliche, ausschliessliche Tätigkeit als Dozentin
vereinbart. Infolge ihrer Anstellung war sie bei der Groupe Mutuel
Versicherungen GMA AG (nachfolgend: Groupe Mutuel) gegen die Folgen von
Unfällen versichert. Gemäss Unfallmeldung vom 24. Oktober 2012 war A.________
am 8. Oktober 2012 beim Stossen eines beladenen Rollwagens in den offenen
Schacht einer Hebebühne gestürzt und hatte sich dabei diverse Verletzungen
zugezogen, die während einer stationären Hospitalisation im Spital
C.________vom 8. Oktober bis 5. November 2012 behandelt wurden. Die Groupe
Mutuel anerkannte ihre Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen
Leistungen in Form von Heilbehandlung und Taggeld. Am 11. März 2013 nahm
A.________ ihre Lehrtätigkeit an der Berufsschule wieder vollumfänglich auf.
Nachdem die Versicherte einer Auflösung dieses Arbeitsverhältnisses per 31.
Oktober 2016 zugestimmt hatte, schloss sie am 12. Oktober 2016 mit dem beco
Berner Wirtschaft (nachfolgend: beco) einen Arbeitsvertrag für eine Tätigkeit
als Personalberaterin ab 1. November 2016 bis 30. April 2020.

A.b. Mit Verfügung vom 25. November 2014 stellte die Groupe Mutuel die
vorübergehenden Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung per 30.
November 2014 ein und sprach der Versicherten eine Integritätsentschädigung
basierend auf einer Integritätseinbusse von 10% (Hypothermie Hand rechts sowie
diskrete Feinmotorikstörung) zu. Im Rahmen des Einspracheverfahrens nahm sie
Rücksprache mit ihrem beratenden Arzt Dr. med. D.________, Facharzt Neurologie
FMH (Stellungnahme vom 15. März 2016), und veranlasste auf dessen Empfehlung
eine konsiliarische neurologische Untersuchung durch Prof. Dr. med. E.________,
Leitender Arzt Neurologie am Spital F.________ (Gutachten vom 23. November 2016
und Ergänzung vom 2. Juni 2017). Mit Verfügung vom 3. Oktober 2017 ersetzte die
Groupe Mutuel gestützt darauf die bisherige Verfügung vom 25. November 2014:
Sie sprach A.________ eine Integritätsentschädigung basierend auf einer
Integritätseinbusse von 10% (leichte distale Medianusparese) zu, verneinte den
Anspruch auf eine Invalidenrente mangels einer unfallbedingten Lohneinbusse und
gewährte die Übernahme der unfallkausalen Heilbehandlung zur Erhaltung des
stabilen Gesundheitszustandes. Die bezüglich Verneinung des Rentenanspruchs
erhobene Einsprache wies die Groupe Mutuel mit Entscheid vom 19. Juni 2018 ab.

B. 

Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 17. Januar 2019 ab.

C. 

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids vom 17. Januar 2019
und des Einspracheentscheids vom 19. Juni 2018 sei die Groupe Mutuel zu
verpflichten, ihr ab 1. November 2016 eine Invalidenrente basierend auf einem
Invaliditätsgrad von 25% auszurichten.

Die Groupe Mutuel schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz und
das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 145 V 57 E. 4.2 S. 62 mit Hinweis).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.

2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem
sie in Bestätigung des Einspracheentscheids der Beschwerdegegnerin vom 19. Juni
2018 einen Rentenanspruch verneinte. Die zugesprochene Integritätsentschädigung
war bereits im Einspracheverfahren nicht mehr umstritten, sodass diesbezüglich
Teilrechtskraft eingetreten ist (vgl. BGE 119 V 347 E. 1b S. 350; vgl. auch SVR
2013 UV Nr. 9 S. 29, 8C_592/2012 E. 3.2 f. mit Hinweisen).

2.2. Das kantonale Gericht hat die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze
über das anwendbare Recht (BGE 141 V 657 E. 3.5.1 S. 661; Abs. 1 der
Übergangsbestimmungen zur Änderung des UVG vom 25. September 2015, AS 2016
4375, 4387) und zu den Begriffen der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG) sowie der
Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 ATSG) zutreffend dargelegt. Richtig
wiedergegeben sind auch die rechtlichen Grundlagen zur Leistungspflicht des
obligatorischen Unfallversicherers bei Unfällen (Art. 6 Abs. 1 UVG in
Verbindung mit Art. 4 ATSG), namentlich zum erforderlichen natürlichen und
adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden
(BGE 142 V 435 E. 1 S. 438, 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181), sowie zu den
Voraussetzungen für den Fallabschluss (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 134 V 109 E. 4.3
S. 115) und zum Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung (Art.
18 Abs. 1 UVG). Darauf wird verwiesen.

3. 

Die Vorinstanz hat zunächst in Würdigung der medizinischen Aktenlage,
namentlich gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. med. E.________ vom 23.
November 2016, festgestellt, dass die Versicherte als Dentalhygienikerin
praktisch nicht mehr arbeitsfähig ist, dass indes bei der Tätigkeit als
Dozentin für Dentalhygiene keine nennenswerte Einschränkung besteht. Diese
Feststellung wird von der Beschwerdeführerin ausdrücklich anerkannt.

4. 

Für die strittige Frage des Anspruchs auf eine Invalidenrente der
Unfallversicherung entscheidend ist, ob und wenn ja, in welchem Ausmass, die
Versicherte infolge des Unfalls invalid ist.

4.1.

4.1.1. Die Vorinstanz verneinte, wie bereits die Beschwerdegegnerin im
Einspracheentscheid vom 19. Juni 2018, eine unfallbedingte Lohneinbusse. Die
Versicherte habe nach dem Unfallereignis vom 8. Oktober 2012 ihre im Zeitpunkt
des Unfalls ausgeübte Tätigkeit als Dozentin für Dentalhygiene an der
Berufsschule B.________ am 11. März 2013 wieder vollumfänglich aufnehmen
können. Die auf die per 31. Oktober 2016 erfolgte Auflösung des
Arbeitverhältnisses zurückzuführende Reduktion des Erwerbseinkommens stehe zwar
möglicherweise in einem natürlichen, zweifellos aber nicht in einem adäquaten
Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis, weshalb die Beschwerdegegnerin nicht
dafür einzustehen habe.

4.1.2. Die Beschwerdeführerin wendet ein, das Verhältnis zwischen ihr und der
Schulleitung habe sich infolge des Unfalls vom 8. Oktober 2012 zunehmend
verschlechtert, was letztlich zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt
habe. Da die Versicherte aufgrund der somatischen Unfallfolgen nicht mehr in
ihre angestammte Tätigkeit als Dentalhygienikerin habe zurückkehren können und
Dozentinnenstellen an Ausbildungsstätten für Dentalhygiene extrem dünn gesät
seien, habe sich der unfallbedingte Verlust ihrer feinmotorischen Fähigkeiten
adäquat kausal in Form eines verringerten Einkommens ausgewirkt. Die
Unfallversicherung habe ihr daher eine Invalidenrente auf der Grundlage einer
Erwerbseinbusse von 25% auszurichten.

4.2. Die Rügen der Beschwerdeführerin sind nicht stichhaltig.

4.2.1. Vorab ist ihr entgegenzuhalten, dass aufgrund der seit August 1999
teilzeitlich und seit August 2012 hauptberuflich sowie ausschliesslich
ausgeübten Tätigkeit als Dozentin für Dentalhygiene diese und nicht diejenige
als Dentalhygienikerin als angestammte Tätigkeit zu betrachten ist. Für die
Arbeit als Dozentin bestehen unfallbedingt unbestrittenermassen keine
nennenswerten Einschränkungen. Dies zeigt sich neben der ärztlich attestierten
Arbeitsfähigkeit auch darin, dass die Beschwerdeführerin ihre
Dozentinnentätigkeit am 11. März 2013 wieder aufnahm und bis zur Auflösung des
Arbeitsverhältnisses vollumfänglich ausübte. Eine Beeinträchtigung des
Leistungsvermögens in der angestammten Tätigkeit liegt mithin nicht vor,
weshalb die Verneinung des Rentenanspruchs mangels unfallbedingter
Erwerbseinbusse zu Recht erfolgt ist.

4.2.2. Daran ändert nichts, dass das Arbeitsverhältnis mit der Berufsschule
B.________ per 31. Oktober 2016 aufgelöst worden ist und die Beschwerdeführerin
per 1. November 2016 eine schlechter bezahlte, befristete Stelle beim beco
angenommen hat. Zum einen wird nicht substanziiert dargelegt und ist aus der
Aktenlage auch nicht ersichtlich, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
aufgrund unfallbedingter medizinischer Einschränkungen erfolgt wäre.
Missverständlich ist diesbezüglich die Argumentation mit der adäquaten
Kausalität, bezieht sich doch das Erfordernis des natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhangs auf das Verhältnis zwischen Unfallereignis und
Gesundheitsschaden und nicht auf dasjenige zwischen Unfallereignis und
Stellenverlust bzw. Erwerbseinbusse. Zum andern wäre der Versicherten die
Ausübung einer Dozentinnentätigkeit weiterhin vollumfänglich zumutbar gewesen.
Wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, entsprechende Stellen seien an
Ausbildungsstätten für Dentalhygiene extrem dünn gesät, stellt sie die
effektive Verwertbarkeit der attestierten Arbeitsfähigkeit in Frage. Diese ist
allerdings nicht massgebend, da bei der Invaliditätsbemessung nicht der
effektive, sondern der hypothetische ausgeglichene Arbeitsmarkt Referenzpunkt
bildet (Art. 16 ATSG). Der ausgeglichene Arbeitsmarkt ist ein theoretischer und
abstrakter Begriff. Er berücksichtigt die konkrete Arbeitsmarktlage nicht,
umfasst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch tatsächlich nicht vorhandene
Stellenangebote und übergeht die fehlenden oder verringerten Chancen
gesundheitlich Beeinträchtigter, tatsächlich eine zumutbare und geeignete
Arbeitsstelle zu finden. Er umschliesst einerseits ein bestimmtes Gleichgewicht
zwischen dem Angebot von und der Nachfrage nach Stellen; anderseits bezeichnet
er einen Arbeitsmarkt, der von seiner Struktur her einen Fächer
verschiedenartiger Stellen offenhält (BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70 f.; 110 V 273
E. 4b S. 276; vgl. Urteil 8C_806/2012 vom 12. Februar 2013 E. 5.2.1). Mit Blick
darauf ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin eine entsprechende
Stelle finden könnte, zumal sie in ihrer Beschwerde ans kantonale Gericht
selber bereits andere Schulen für Dentalhygiene in Basel, Bern, Luzern, Olten
und Zürich erwähnt hatte.

4.3. Zusammenfassend hat es in Anbetracht der uneingeschränkten
Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit als Dozentin für Dentalhygiene
beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.

5. 

Die Gerichtskosten sind von der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. Juni 2019

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Heine

Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch