Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.997/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_997/2019

Urteil vom 8. Januar 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

nebenamtliche Bundesrichterin Lötscher,

Gerichtsschreiber Weber.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Simon Lukas Huwiler,

Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern,

2. B.________,

Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand

Mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind; Anklagegrundsatz,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 13.
Mai 2019 (4M 18 70).

Sachverhalt:

A.

A.________ wird eine unbekannte Vielzahl an sexuellen Übergriffen auf seine
jüngere Schwester B.________ vorgeworfen. Diese sollen sich ab seinem 18.
Geburtstag bis ca. anfangs September 2006 zum Teil wöchentlich oder mehrmals
wöchentlich ereignet haben.

B.

Das Kriminalgericht des Kantons Luzern, Abteilung 1, verurteilte A.________ mit
Urteil vom 11. Oktober 2017 wegen mehrfacher, teilweise versuchter
Vergewaltigung, mehrfacher, teilweise versuchter sexueller Nötigung und
mehrfacher, teilweise versuchter sexueller Handlungen mit einem Kind zu einer
teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon 24 Monate mit bedingtem
Strafvollzug bei einer Probezeit von zwei Jahren. Ferner verurteilte es ihn zur
Zahlung einer Genugtuung in Höhe von Fr. 15'000.-- an B.________.

C.

Das Kantonsgericht Luzern sprach A.________ mit Urteil vom 13. Mai 2019 vom
Vorwurf der sexuellen Nötigung frei und bestätigte im Weiteren das Urteil des
Kriminalgerichts vollumfänglich.

D.

A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des
Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses
zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde muss ein Rechtsbegehren enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da
die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art.
107 Abs. 2 BGG), muss auch das Rechtsbegehren grundsätzlich reformatorisch
gestellt werden; ein blosser Antrag auf Rückweisung ist nicht zulässig, ausser
wenn das Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (BGE 136
V 131 E. 1.2 S. 135; 134 III 379 E. 1.3 S. 383 mit Hinweis).

1.2. Der Beschwerdeführer stellt keinen materiellen Antrag, sondern verlangt
lediglich die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung an die
Vorinstanz zu neuer Entscheidung. Er rügt einzig eine Verletzung des
Anklagegrundsatzes. Rechtsfolge der Verletzung des Anklagegrundsatzes ist
grundsätzlich die Rückweisung an die Staatsanwaltschaft zur Ergänzung oder
Berichtigung (Art. 329 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend,
dass Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden könnten oder
Prozesshindernisse aufgetreten seien, die zu einer Einstellung des Verfahrens
führen müssten (siehe Art. 319 Abs. 1 lit. d i.V.m. Art. 329 Abs. 4 und Art.
379 StPO). Solche Gründe sind denn auch nicht ersichtlich. Dem Bundesgericht
wäre im Falle der Gutheissung folglich kein reformatorischer Entscheid möglich.
Ein reformatorisches Rechtsbegehren ist damit vorliegend nicht erforderlich.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes. Die
Anklageschrift trage weder der Umgrenzungs- noch der Informationsfunktion des
Anklageprinzips genügend Rechnung. Die Vorwürfe in der Anklageschrift würden
zeitlich überwiegend in eine nicht zur Anklage gebrachte Zeitspanne fallen.
Wenn Vorwürfe in zeitlicher Hinsicht nur approximativ umschrieben würden,
müssten sie dafür in sachlicher Hinsicht genügend detailliert umschrieben sein,
damit eine hinreichende Individualisierung der zu beurteilenden Taten möglich
werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Dem Beschwerdeführer sei nicht klar,
um welche sexuellen Übergriffe es sich genau handeln und welche Tatbestände er
mit welchem Verhalten erfüllt haben solle.

2.2. Die Vorinstanz geht davon aus, dass keine Zweifel darüber bestehen,
welches Verhalten dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wird. Die
Staatsanwaltschaft beschreibe zwar eingehend ein Verhalten des
Beschwerdeführers während einer nicht zur Anklage gebrachten Zeitspanne. Sie
führe indessen aus, auch danach habe er die zuvor dargelegten Handlungen
fortgesetzt. Dem Beschwerdeführer müsse klar sein, dass es um geltend gemachte
Übergriffe in unbestimmter Zahl gegangen sei, die mehrmals pro Woche
vorgenommen worden seien, wobei es auch zu kleineren Pausen habe kommen können.
Es würde den Anklagegrundsatz überstrapazieren, einem potentiellen Opfer
abzuverlangen, dass es sich an regelmässig wiederkehrende gleichartige
Sachverhalte während eines längeren Zeitraumes in allen Einzelheiten erinnern
könne.

2.3. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des
Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 29 Abs.
2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK). Die Anklage
hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt
so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver
Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den
Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den
Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 143 IV 63 E. 2.2 S.
65; 141 IV 132 E. 3.4.1 S. 142 f.; je mit Hinweisen).

Unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion ist massgebend, dass die
beschuldigte Person genau weiss, was ihr angelastet wird, damit sie ihre
Verteidigungsrechte angemessen ausüben kann. Ungenauigkeiten in den Zeitangaben
sind solange nicht von entscheidender Bedeutung, als für die beschuldigte
Person keine Zweifel darüber bestehen, welches Verhalten ihr vorgeworfen wird.
Bei gehäuften und regelmässigen Delikten wird dem Anklagegrundsatz Genüge
getan, wenn die Handlungen in zeitlicher und örtlicher Hinsicht lediglich
approximativ umschrieben werden. Der Zeitraum ist auf eine bestimmte Dauer
einzugrenzen. Insbesondere bei Familiendelikten kann nicht erwartet werden,
dass über jeden einzelnen Vorfall Buch geführt wird (Urteile 6B_103/2017 vom
21. Juli 2017 E. 1.5.2; 6B_228/2015 vom 25. August 2015 E. 1.3; je mit
Hinweisen).

2.4. In zeitlicher Hinsicht geht die Anklage davon aus, dass sich die sexuellen
Übergriffe zum Teil wöchentlich oder mehrmals wöchentlich ereignet haben, wobei
es zum Teil auch Zeitabstände von zwei bis drei Wochen gab, an denen keine
Übergriffe stattfanden. Die Anklage schränkt die angeklagte Zeitspanne auf den
18. Geburtstag des Beschwerdeführers bis ca. anfangs September 2006 ein. Beginn
des angeklagten Zeitraums ist der 18. Geburtstag des Beschwerdeführers, weil
bezüglich der vorher unbestrittenermassen stattgefundenen Übergriffe die
Verjährung eingetreten ist. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bezieht
sich abgesehen von wenigen Vorbemerkungen die gesamte Anklage auf den
angeklagten Zeitraum. Diese zusätzlichen Vorbemerkungen sind nicht zu
beanstanden, zumal aus der Anklage deutlich hervorgeht, auf welche Zeitspanne
sie sich beschränkt. In sachlicher Hinsicht beschreibt die Anklage detailliert
die Art und Weise der vorgenommenen sexuellen Übergriffe und die Vorgehensweise
des Beschwerdeführers. In der Anklage werden zwar kaum konkrete Einzelakte
geschildert und einzelne Übergriffe nicht auseinandergehalten. Dies ist aber
angesichts der Häufigkeit und Gleichförmigkeit der angeklagten sexuellen
Übergriffe nicht zu beanstanden. Eine derartige Zahl von Erlebnissen, die sich
immer wieder über einen Zeitraum von mehreren Jahren in vergleichbarer Weise
ereigneten, lässt sich gerade im familiären Kontext nicht mehr in allen
Einzelheiten zeitlich und sachlich einordnen. Die Anklage hat den angeklagten
Sachverhalt so präzise wie möglich zu umschreiben. Entscheidend ist, ob die zur
Anklage gebrachten Vorwürfe hinreichend konkretisiert werden, um die Funktionen
des Anklageprinzips zu erfüllen. Davon ist vorliegend auszugehen. Es ist nicht
nachvollziehbar, inwiefern dem Beschwerdeführer aufgrund der Ausführungen in
der Anklageschrift nicht klar sein sollte, welches Verhalten ihm vorgeworfen
wird. Es bestanden für den Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran,
welches Verhalten ihm angelastet wird. Er konnte seine Verteidigungsrechte
angemessen ausüben. Die Anklageschrift erfüllt die Anforderungen an die
Informationsfunktion. Aus der Anklageschrift geht sodann deutlich hervor, dass
alle sexuellen Übergriffe auf die Beschwerdegegnerin 2 im angeklagten Zeitraum
zur Anklage gelangen, womit die Anklageschrift auch der Umgrenzungsfunktion
genügt. Eine Verletzung des Anklagegrundsatzes liegt nicht vor.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer begründet die angebliche Verletzung des
Anklageprinzips insbesondere damit, dass sich die in der Anklageschrift
angegebenen Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 nicht auf den angeklagten
Zeitraum bezögen, sondern diesem zeitlich vorgelagert seien, respektive in
allgemeiner Weise und ohne explizite zeitliche Einordnung gemacht worden seien.
Er macht mit anderen Worten geltend, die in der Anklage vorgebrachten Vorwürfe
seien jedenfalls für den angeklagten Zeitraum nicht mit den zitierten Aussagen
der Beschwerdegegnerin 2 zu erstellen. Damit verkennt er den Inhalt seiner
Rüge. Er macht implizit eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung geltend. Mit
einer Verletzung des Anklageprinzips ist eine solche nicht zu verwechseln. Ob
sich der angeklagte Sachverhalt durch die vorliegenden Beweise erstellen lässt,
ist nicht eine Frage des Anklageprinzips, sondern der Sachverhaltsfeststellung.

3.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist und wenn
die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244 mit Hinweisen). Für die
Anfechtung des Sachverhalts gelten qualifizierte Begründungsanforderungen (vgl.
Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Rüge der Willkür muss in der
Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Dazu genügt
es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu
erläutern (BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356; Urteil 6B_1084/2017 vom 26. April 2018
E. 2.3; je mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder eine bloss
allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das
Bundesgericht nicht ein (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142
III 364 E. 2.4 S. 368).

3.3. Auf die vollständig unbegründeten Vorbringen des Beschwerdeführers zur
Sachverhaltsfeststellung ist mangels einer ausdrücklichen und begründeten
Sachverhaltsrüge nicht einzutreten.

4. 

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten
dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Januar 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Weber