Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.788/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_788/2019

Urteil vom 4. September 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,

als präsidierendes Mitglied,

Bundesrichter Oberholzer,

Bundesrichter Rüedi,

Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte

1. A.________,

2. B.________ AG,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Sicherheitsleistung,

Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 29.
Mai 2019

(AK.2019.136-AK und AK.2019.137-AK).

Sachverhalt:

A. 

Nach einer Strafanzeige von A.________ und der B.________ AG gegen X.________
und Y.________ wegen des Verdachts auf Veruntreuung und Betrug verfügte das
kantonale Untersuchungsamt am 11. April 2019 die Nichtanhandnahme.

Dagegen führten A.________ und die B.________ AG Beschwerde. Die Anklagekammer
des Kantons St. Gallen trat darauf am 29. Mai 2019 nicht ein, nachdem die
verlangte Sicherheit nicht geleistet wurde.

B. 

A.________ und die B.________ AG führen Beschwerde in Strafsachen. Sie
beantragen sinngemäss, der Entscheid der Anklagekammer sei aufzuheben. Auf ihre
Beschwerde sei einzutreten und ihnen sei im kantonalen Beschwerdeverfahren ohne
Verpflichtung zur Sicherheitsleistung Akteneinsicht zu gewähren.

Erwägungen:

1. 

1.1. Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer
vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Der
Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse zuerkannt, wenn der
angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken
kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Dies verlangt grundsätzlich vom
Privatkläger, dass er bereits adhäsionsweise Zivilforderungen geltend gemacht
hat. Bei Nichtanhandnahme oder Einstellung des Strafverfahrens wird auf dieses
Erfordernis verzichtet. In diesen Fällen muss im Verfahren vor Bundesgericht
aber dargelegt werden, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid
inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann, sofern dies (etwa
aufgrund der Natur der untersuchten Straftat) nicht ohne Weiteres aus den Akten
ersichtlich ist (BGE 137 IV 246 E. 1.3.1 S. 247 f., 219 E. 2.4 S. 222 f.; je
mit Hinweisen). Das Bundesgericht stellt an die Begründung strenge
Anforderungen (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit Hinweisen).

Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst kann der
Privatkläger die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren
Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Zulässig sind Rügen
formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu
hören sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des
angefochtenen Entscheids abzielen (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5 mit Hinweisen). Ein
in der Sache nicht legitimierter Beschwerdeführer kann deshalb weder die
Beweiswürdigung kritisieren, noch kann er geltend machen, die Begründung sei
materiell unzutreffend (BGE 136 IV 41 E. 1.4 S. 44; 135 II 430 E. 3.2 S. 436
f.; je mit Hinweisen). Er kann hingegen vorbringen, auf ein Rechtsmittel sei zu
Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht angehört worden, er habe keine
Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder er habe keine Einsicht in
die Akten nehmen können ("Star-Praxis"; BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160; Urteil
6B_536/2018 vom 2. November 2018 E. 2.1; je mit Hinweisen).

1.2. Die Vorinstanz tritt mangels Leistung einer Sicherheit auf die gegen die
Nichtanhandnahmeverfügung gerichtete Beschwerde nicht ein. Dies sowie die
behauptete fehlende Akteneinsicht können die Beschwerdeführer vor Bundesgericht
unbesehen ihrer Legitimation in der Sache selbst rügen.

2.

2.1. Die Beschwerdeführer machen geltend, sie hätten rein vorsorglich gegen die
Nichtanhandnahmeverfügung Beschwerde erhoben und um Akteneinsicht ersucht.
Anstatt ihnen die Akteneinsicht und die Möglichkeit zur Substanziierung der
Beschwerde zu gewähren, seien sie "mit einer unsinnigen Vorschussverfügung
genötigt" worden. Das Akteneinsichtsrecht von einem "Kostenvorschussultimatum"
abhängig zu machen, sei "rechtsstaatlich [...] nicht vereinbar" (Beschwerde S.
2 f.).

2.2. Die Beschwerdeführer gehen auf den Entscheid der Vorinstanz vom 29. Mai
2019 nicht ein. Zwar wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an
(Art. 106 Abs. 1 BGG). Das bedeutet jedoch nicht, dass überhaupt nicht zu
erörtern wäre, inwiefern der angefochtene Entscheid bundesrechtliche Normen
verletzen könnte. Vielmehr müssen sich die Beschwerdeführer, um der
Begründungspflicht im Sinne von Art. 42 Abs. 2 BGG zu genügen, mit den
Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen und klar aufzeigen,
inwiefern die Vorinstanz Recht verletzt (BGE 140 III 86 E. 2 S. 88 f. mit
Hinweisen).

Unabdingbar ist damit eine Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Entscheid.
Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen,
inwiefern dieser Recht verletzt. Die Beschwerdeführer setzen sich aber mit den
Erwägungen der Vorinstanz nicht auseinander, sondern klammern deren Entscheid
im Ergebnis aus. Zudem bezeichnen sie den angefochtenen Entscheid als
"unsinnig" und rechtsstaatlich unzulässig. Es bleibt unklar, welche Norm als
verletzt beanstandet wird und inwiefern das Nichteintreten der Vorinstanz
mangels Leistung der Prozesskostensicherheit verfassungs- oder sonstwie
bundesrechtswidrig sein soll.

Ob die Beschwerde den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG genügt,
ist zweifelhaft, kann aber angesichts des Ausgangs des Verfahrens offenbleiben.

2.3.

2.3.1. Nach Art. 383 StPO kann die Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz
die Privatklägerschaft verpflichten, innert einer Frist für allfällige Kosten
und Entschädigungen Sicherheit zu leisten. Vorbehalten bleibt die
unentgeltliche Prozessführung (Abs. 1). Wird die Sicherheit nicht fristgerecht
geleistet, tritt die Rechtsmittelinstanz auf das Rechtsmittel nicht ein (Abs.
2).

Die Kosten- und Entschädigungspflicht der Privatklägerschaft im
Rechtsmittelverfahren bildet das Gegenstück zu deren sehr weitgehenden
Rechtsmittelbefugnissen. Um die Vollstreckung allfälliger Kosten- und
Entschädigungsansprüche zu gewährleisten, schuf der Gesetzgeber die
Möglichkeit, von der Privatklägerschaft entsprechende Sicherheiten zu verlangen
(Urteil 6B_814/2013 vom 28. November 2013 E. 2.2.2; Botschaft zur
Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1308
Ziff. 2.9.1). Die Auferlegung einer Sicherheitsleistung ist an keine
Voraussetzungen gebunden (BGE 144 IV 17 E. 2.2 S. 20 mit Hinweisen).

2.3.2. Aus den Erwägungen der Vorinstanz und ihren Akten ergibt sich Folgendes.
Am 23. April 2019 reichten die Beschwerdeführer Beschwerde gegen die
Nichtanhandnahme ihrer Anzeige ein. Daraufhin wurde ihnen am 29. April 2019
eine zehntägige Frist gesetzt, um für allfällige Kosten und Entschädigungen
Sicherheit zu leisten. In der Folge ersuchten die Beschwerdeführer die
Vorinstanz mit Schreiben vom 4. Mai 2019 sinngemäss, ihnen die Frist abzunehmen
und Akteneinsicht zu gewähren. Die Vorinstanz teilte den Beschwerdeführern am
6. Mai 2019 mit, dass sie Einsicht in die Akten des Beschwerdeverfahrens nehmen
könnten, welche die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Schriftenwechsels
einreichen werde. Die Einleitung des Schriftenwechsels setze aber die Leistung
der Sicherheit voraus, weshalb die Frist bis zum 20. Mai 2019 erstreckt werde.
Die Beschwerdeführer liessen darauf ihr Schreiben vom 4. Mai 2019 der
Vorinstanz am 20. Mai 2019 (unverändert) und am 24. Mai 2019 (handschriftlich
leicht ergänzt) nochmals zukommen. Am 29. Mai 2019 trat die Vorinstanz wie
angedroht auf die Beschwerde nicht ein.

2.3.3. Der Zweck der Kautionierung im Sinne von Art. 383 StPO ist wie
ausgeführt, im Rechtsmittelverfahren Sicherheit für allfällige Verfahrenskosten
und Entschädigungen zu leisten (vgl. zur Kosten- und Entschädigungspflicht der
Privatklägerschaft im Rechtsmittelverfahren Art. 417, Art. 428 und Art. 436 in
Verbindung mit Art. 432 StPO). Dieses Verfahren leiteten die Beschwerdeführer
mit der kantonalen Beschwerde ein, worauf grundsätzlich die Vorinstanz die
übrigen Verfahrensbeteiligten zur Stellungnahme aufzufordern hatte (Art. 397
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 390 Abs. 2 StPO). Verlangt die Vorinstanz von den
Beschwerdeführern vor dem (ersten) Schriftenwechsel - mithin bevor (weitere)
Verfahrenskosten und Aufwendungen der Beschwerdegegner anfallen - die
Sicherstellung ebendieser etwaigen finanziellen Ansprüche, verletzt dies nicht
Bundesrecht.

Daran ändert die mit der Beschwerde vom 23. April 2019 verlangte Akteneinsicht
nichts. Offenbleiben kann, ob die Beschwerdeführer noch vor der
Nichtanhandnahme beim Untersuchungsamt rechtzeitig ein Begehren um
Akteneinsicht stellten. Die Nichtanhandnahmeverfügung wurde dem
Beschwerdeführer 1 am 12. April 2019 und der Beschwerdeführerin 2 am 15. April
2019 zugestellt. Die Rechtsmittelfrist endete am 23. April 2019 respektive am
25. April 2019. Die Beschwerde wurde mithin vom Beschwerdeführer 1 am letzten
Tag der Frist erhoben. Der Antrag zu diesem Zeitpunkt, die
Nichtanhandnahmeverfügung "einstweilen aufzuheben", um "allfällige Ergänzungen
der Untersuchung zu beantragen" (vorinstanzliche Akten Urk. 1), respektive um
die Beschwerde nach Einsicht in die Akten besser substanziieren zu können (Urk.
1), zielte im Ergebnis auf eine Verlängerung der zehntägigen Beschwerdefrist.
Diese gesetzliche Frist kann nicht erstreckt werden (Art. 396 Abs. 1 und Art.
89 Abs. 1 StPO). Eine Verlängerung der Beschwerdefrist wäre selbst in jenem
Fall nicht möglich, wenn die Akteneinsicht rechtzeitig beantragt worden und
innert der Beschwerdefrist nicht möglich gewesen wäre (PATRICK GUIDON, in:
Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2014, N.
6 zu Art. 396 StPO). Ebenso wenig überzeugt, soweit die Beschwerdeführer neu
einen Rückzug der kantonalen Beschwerde thematisieren. Deshalb kann
offenbleiben, ob es sich dabei um ein unzulässiges Novum handelt (vgl. Art. 99
Abs. 1 BGG). Zwar wäre ein Beizug der Vorakten (ST.2015.5568) unabhängig von
einem ersten Schriftenwechsel zweifelsohne möglich gewesen. Hätten die
Beschwerdeführer aber nach der Akteneinsicht vom Rechtsmittel Abstand genommen,
wären sie - da unterliegend (Art. 428 Abs. 1 StPO) - kostenpflichtig und
eventuell bereits entschädigungspflichtig geworden. Auch in diesem Fall wäre
nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz für die entsprechenden Kosten und
Entschädigungen Sicherheit verlangt. Dass deren Höhe angesichts der konkreten
Verhältnisse unverhältnismässig wäre, behaupten die Beschwerdeführer nicht.

Zusammenfassend ist nicht bundesrechtswidrig, wenn die Vorinstanz ein Eintreten
auf das Rechtsmittel gestützt auf Art. 383 StPO von einer Sicherheitsleistung
abhängig macht und in der Folge nach unbenutztem Ablauf der Frist auf das
Rechtsmittel nicht eintritt. Die Beschwerde in Strafsachen ist unbegründet,
soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG überhaupt zu
genügen vermag.

3. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Beschwerdeführer werden ausgangsgemäss kostenpflichtig. Ihnen sind die
Gerichtskosten je zur Hälfte und unter solidarischer Haftung aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 und 5 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte
und unter solidarischer Haftung für den ganzen Betrag auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. September 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari

Der Gerichtsschreiber: Faga