Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.781/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_781/2019

Urteil vom 20. November 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Oberholzer,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Urs Späti,

Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Einstellung des Strafverfahrens; Beschwerde, Bevollmächtigung, Kostenauflage,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts

des Kantons Schaffhausen vom 11. Januar 2019 (Nr. 51/2018/66/D).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. 

Am 12. März 2018 wurde die Beschwerdeführerin und ihr damaliger Ehemann bei
einem Grenzübergang einer Kontrolle unterzogen. Die Grenzwächter stiessen dabei
im Fahrzeug auf eine Lederhandtasche, die einen vorwiegend in kleinen Banknoten
gestückelten Bargeldbetrag von EURO 18'600.-- enthielt. Eine Untersuchung mit
einem Ionenspektrometer ergab, dass das sichergestellte Bargeld
Kokainkontaminationen aufwies. Am 13. März 2018 wurde das Bargeld durch die
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen beschlagnahmt.

Am 29. Oktober 2018 wurde das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen
Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz und Geldwäscherei eingestellt, das
beschlagnahmte Bargeld eingezogen und die Verfahrenskosten wurden auf die
Staatskasse genommen. Die Beschwerdeführerin wurde mit Fr. 250.-- entschädigt.

Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies das Obergericht des Kantons
Schaffhausen am 11. Januar 2019 ab. Die Verfahrenskosten von Fr. 600.--
auferlegte es der Beschwerdeführerin.

Mit Strafrechtsbeschwerde vom 27. Juni 2019 beantragt die Beschwerdeführerin
die Aufhebung des Entscheids betreffend Kostenauflage. Sie führt aus, sie habe
den damaligen Rechtsanwalt nie bevollmächtigt, eine Beschwerde an das
Obergericht zu erheben. In den Akten sei denn auch keine entsprechende
Vollmacht vorhanden. Ein Grund, um sich gegen die Einstellungsverfügung zur
Wehr zu setzen, habe für sie nicht bestanden. Das Obergericht sei mangels
Vollmacht zu Unrecht auf die Beschwerde eingetreten und habe ihr zu Unrecht
Kosten auferlegt.

Das Obergericht lässt sich vernehmen, ohne einen formellen Antrag zu stellen.
Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde.

2. 

Es stellt sich vorab die Frage nach der Rechtzeitigkeit der Beschwerde.

Eine Beschwerde an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der
vollständigen Ausfertigung eines Entscheids einzureichen (Art. 100 Abs. 1 BGG).

Der angefochtene Entscheid vom 11. Januar 2019 wurde, wie das Obergericht
vernehmlassungsweise ausführt, praxisgemäss dem (allenfalls nur vermeintlichen)
Rechtsvertreter zugestellt. Darauf kann vorliegend für die Fristberechnung nach
Art. 100 BGG indes nicht abgestellt werden, da die Beschwerdeführerin in ihrer
Beschwerde vor Bundesgericht gerade geltend macht, es habe an einer
Bevollmächtigung des Rechtsvertreters für eine Beschwerdeeinreichung an das
Obergericht gefehlt. Massgebend für die Berechnung der Frist gemäss Art. 100
BGG ist daher der Zeitpunkt, in welchem die Beschwerdeführerin vom
angefochtenen Entscheid tatsächlich Kenntnis erhalten hat. Sie nennt insoweit
den 4. Juni 2019. In seiner Vernehmlassung bestätigt das Obergericht das
genannte Zustelldatum vom 4. Juni 2019 als plausibel. Die Frist für die
Einreichung der Beschwerde an das Bundesgericht begann folglich am 5. Juni 2019
zu laufen und endete am 4. Juli 2019. Die Beschwerde vom 27. Juni 2019 wurde
innert Frist erhoben und erweist sich damit als rechtzeitig.

3. 

Zu prüfen ist, ob der damalige Rechtsanwalt bevollmächtigt war, im Namen der
Beschwerdeführerin gegen die staatsanwaltliche Einstellungsverfügung vom 29.
Oktober 2018 Beschwerde an das Obergericht zu erheben.

3.1. Das Tätigwerden der (Wahl-) Verteidigung setzt eine schriftliche Vollmacht
oder die protokollierte Erklärung der beschuldigten Person voraus, dass der
Anwalt mit der Verteidigung beauftragt worden ist (Art. 129 Abs. 2 StPO). Das
Vorhandensein einer gültigen Vollmacht ist Prozessvoraussetzung und als solche
von Amtes wegen zu prüfen (Art. 62 Abs. 1 StPO).

3.2. Bei den kantonalen Verfahrensakten liegt keine Vollmacht, die auf den
Namen der Beschwerdeführerin lautet. Es findet sich auch keine protokollierte
Erklärung und kein sonstiges Dokument, welchem sich entnehmen liesse, dass die
Beschwerdeführerin den angeblichen Rechtsvertreter beauftragt hätte, die
Einstellungsverfügung beim Obergericht in ihrem Namen anzufechten. Das
Obergericht anerkennt in seiner Vernehmlassung denn auch, dass der Beschwerde
gegen die Einstellungsverfügung keine Vollmacht beigelegen habe. Dennoch habe
es sich nicht dazu veranlasst gesehen, eine solche einzuholen, sondern sei ohne
Weiteres von einer rechtsgültigen Bevollmächtigung ausgegangen, da es sich beim
fraglichen Rechtsvertreter um einen Rechtsanwalt handle, welcher die
Beschwerdeführerin zumindest dem Anschein nach bereits im staatsanwaltlichen
Verfahren vertreten habe.

3.3. Damit will sich das Obergericht der Sache nach auf das Vorliegen einer
Anscheins- und Duldungsvollmacht berufen, welche den Rechtsmangel der fehlenden
tatsächlichen Bevollmächtigung beheben sollte. Die Voraussetzungen hierfür
liegen indessen nicht vor. So ist nicht im Ansatz ersichtlich, dass und
inwiefern die Beschwerdeführerin den Rechtsschein einer wirksamen Vertretung
zurechenbar veranlasst haben könnte, zumal nicht einmal erstellt ist, ob sie
vom Auftreten des fraglichen Rechtsanwalts in ihrem Namen überhaupt Kenntnis
hatte bzw. hätte haben können. Feststellungen hierzu fehlen. Unter diesen
Umständen lässt sich eine Vertretungsberechtigung nach den Grundsätzen der
Anscheins- und Duldungsvollmacht nicht herleiten. Selbst wenn aber anzunehmen
wäre, die Beschwerdeführerin habe das Auftreten des Rechtsanwalts in ihrem
Namen im staatsanwaltlichen Verfahren wissentlich geduldet, liesse sich daraus
für das Beschwerdeverfahren vor Obergericht in Bezug auf die
Vertretungskompetenz des Anwalts nichts ableiten, da die Rechtslage nach
Einstellung des Verfahrens eine neue ist und eine Anfechtung der
Einstellungsverfügung bei Beschwerdeabweisung Verfahrenskosten generiert. Den
Akten lässt sich darüber hinaus entnehmen, dass die Beschwerdeführerin -
nachdem sie von der Staatsanwaltschaft zur Erhältlichmachung von Bankdaten
zwecks Zahlung der Entschädigung direkt kontaktiert worden war - klargestellt
hatte, dass der fragliche Rechtsanwalt an sich nicht ihr Anwalt sei, er keine
Vollmacht von ihr habe und sie gerne wüsste, was besprochen worden sei (vgl.
kantonale Akten, act. 99). Dies legt den Schluss nahe, dass die
Beschwerdeführerin tatsächlich keine Kenntnis von entsprechenden Aktivitäten
des fraglichen Rechtsanwalts hatte. Angesichts all dessen hätte das Obergericht
davon ausgehen müssen, dass es an einer rechtsgültigen Bevollmächtigung fehlt.
Jedenfalls aber hätte es Anlass gehabt, die Vertretungsberechtigung des
fraglichen Rechtsanwalts für das kantonale Beschwerdeverfahren abzuklären. Das
hat es nicht getan. Stattdessen ist es zu Unrecht kurzerhand auf die Beschwerde
eingetreten und hat der Beschwerdeführerin als Folge der Beschwerdeabweisung
unzulässig Kosten auferlegt. Der Entscheid ist wegen Verletzung von Bundesrecht
aufzuheben.

4. 

Die Beschwerde ist damit gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben
und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit der Gutheissung der
Beschwerde ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos
geworden. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton
Schaffhausen ist zu einer Parteientschädigung an die Beschwerdeführerin zu
verpflichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Diese ist bei Gesuchen um unentgeltliche
Rechtspflege praxisgemäss in analoger Anwendung von Art. 64 Abs. 2 BGG dem
Anwalt zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts Schaffhausen
vom 11. Januar 2019 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Kosten erhoben.

3. 

Der Kanton Schaffhausen hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin,
Rechtsanwalt Urs Späti, mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. November 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill