Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.779/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_779/2019

Urteil vom 9. August 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

nebenamtliche Bundesrichterin Griesser,

Gerichtsschreiber Weber.

Verfahrensbeteiligte

X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic,

Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,

Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Verfahrenskosten,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen,

vom 21. Mai 2019 (SBE.2019.13 / va).

Sachverhalt:

A. 

Mit Strafbefehl vom 28. Juli 2017 sprach die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau
X.________ der fahrlässigen einfachen Körperverletzung zum Nachteil von
A.________ (Zivil- und Strafkläger) schuldig und verurteilte ihn zu einer
bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à Fr. 40.-- und einer Busse von Fr.
600.--. In Ziffer 3 des Strafbefehlsdispositivs auferlegte die
Staatsanwaltschaft die Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 2'010.-- X.________ und
brachte den folgenden Vermerk an: "Über Auslagen, die nach Erlass des
vorliegenden Strafbefehls eingehen, wird separat verfügt."

Gegen den Strafbefehl vom 28. Juli 2017 erhob der Zivil- und Strafkläger
Einsprache. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die
Akten dem Bezirksgericht Aarau. Dieses trat mit Präsidialverfügung vom 27.
Februar 2019 auf die Einsprache nicht ein.

B. 

Am 27. März 2019 verfügte die Staatsanwaltschaft eine "Ergänzung zum
Strafbefehl vom 28. Juli 2017 und Urteil des Bezirksgerichts Aarau vom 27.
Februar 2019" (nachfolgend: Ergänzung zum Strafbefehl) und auferlegte
X.________ die nachträglich in Rechnung gestellten Auslagen für ein Gutachten
in der Höhe von Fr. 700.--. In der Rechtsmittelbelehrung der Ergänzung zum
Strafbefehl hielt die Staatsanwaltschaft fest: "Gegen den Strafbefehl können
nach Art. 354 StPO die beschuldigte Person und weitere Betroffene bei der
Staatsanwaltschaft innert 10 Tagen schriftlich Einsprache erheben."

Am 17. April 2019 verfügte die Staatsanwaltschaft unter Beilage der vom 27.
März 2019 datierenden Ergänzung zum Strafbefehl die "Überweisung eines
Strafbefehls ans Gericht". Darin führte die Staatsanwaltschaft aus, X.________
habe mit Eingabe vom 5. April 2019 Einsprache gegen die am 27. März 2019
erfolgte Ergänzung zum Strafbefehl erhoben, habe jedoch zugleich geltend
gemacht, entgegen der Rechtsmittelbelehrung sei die Kostenauflage nicht mittels
Einsprache, sondern mittels Beschwerde anzufechten.

Am 11. April 2019 erhob X.________ gegen die Ergänzung zum Strafbefehl
Beschwerde ans Obergericht des Kantons Aargau und begründete die Ergreifung
dieses Rechtsmittels damit, dass der Entscheid der Staatsanwaltschaft vom 27.
März 2019 entweder als eine Verfügung im Sinne von Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO
oder als ein nachträglicher Entscheid im Sinne von Art. 363 ff. StPO zu
betrachten und beides mit Beschwerde und nicht mit Einsprache anzufechten sei.
Mit Entscheid vom 21. Mai 2019 trat die Vizepräsidentin des Obergerichts des
Kantons Aargau auf die Beschwerde nicht ein.

C. 

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 21. Mai 2019 sei aufzuheben und die Sache
sei zur materiellen Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 

Da die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist
(Art. 107 Abs. 2 BGG), muss auch das Rechtsbegehren grundsätzlich
reformatorisch gestellt werden; ein blosser Antrag auf Rückweisung ist nicht
zulässig, ausser wenn das Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch
entscheiden könnte, so beispielsweise, wenn geltend gemacht wird, die
Vorinstanz sei zu Unrecht auf das kantonale Rechtsmittel nicht eingetreten (BGE
134 III 235 E. 2). Dies ist vorliegend der Fall. Der Beschwerdeführer rügt in
seiner Beschwerde, die Vorinstanz sei zu Unrecht auf seine Beschwerde nicht
eingetreten. Der allein auf Rückweisung lautende Antrag ist damit nicht zu
beanstanden und auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundesrecht, "namentlich von
Art. 81 Abs. 4 i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO". Ein Kostenvorbehalt im
Entscheiddispositiv habe nicht dessen Unvollständigkeit zur Folge, weshalb das
Dispositiv einem Ergänzungsentscheid im Sinne von Art. 83 Abs. 1 StPO und somit
auch einer Berichtigung nicht zugänglich sei. Indem die Vorinstanz hievon
ausgehe, verletzte sie Bundesrecht. Um Art. 83 StPO anwenden zu können, müsse
ein Fehler im Ausdruck und nicht ein solcher in der Willensbildung vorliegen.
Falsch sei die Annahme der Vorinstanz, mit der Ergänzung des Strafbefehls vom
27. März 2019 sei der Strafbefehl vom 28. Juli 2017 nicht korrigiert, sondern
einzig um damals noch nicht bekannte Kosten ergänzt worden. Ein
Berichtigungsentscheid nach Art. 83 Abs. 1 StPO könne nur ergehen, wenn ein
zulässiger Kostenvorbehalt angebracht worden sei. Dies sei vorliegend nicht der
Fall. Ebenso berufe sich die Vorinstanz zu Unrecht auf Art. 356 Abs. 6 StPO,
wonach in einem Strafbefehl ergangene Kostenentscheide mit Einsprache
anzufechten seien. Vorliegend handle es sich beim Entscheid vom 27. März 2019
nicht um eine Vervollständigung des ursprünglichen Strafbefehls, sondern um
eine "neuerliche Verwaltungshandlung in Form einer Verfügung i.S.v. Art. 393
Abs. 1 lit. a StPO" und Verfügungen der Staatsanwaltschaft seien mit Beschwerde
anzufechten.

2.2. Die Vorinstanz hält fest, die Beantwortung der Frage, ob die vom 27. März
2019 datierende Ergänzung des ursprünglichen Strafbefehls mit Einsprache oder
mit Beschwerde anzufechten sei, hänge von der Rechtsnatur des angefochtenen
Entscheids ab. Die Staatsanwaltschaft habe den Strafbefehl vom 28. Juli 2017
mit einem Vorbehalt in Bezug auf noch nicht feststehende Auslagen versehen und
so zum Ausdruck gebracht, dass der gefällte Kostenentscheid womöglich
unvollständig sei, weil er nicht alle zu tragenden Kosten enthalte. Die von
Thomas Domeisen (in: Basler Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art.
421) vertretene Auffassung, wonach ein Kostenvorbehalt in einem Endentscheid
zulässig sei und ein mit einem Kostenvorbehalt versehenes Entscheiddispositiv -
weil unvollständig - einem Ergänzungsentscheid im Sinne von Art. 83 Abs. 1 StPO
zugänglich sei, erscheine zutreffend. Entgegen der Behauptung des
Beschwerdeführers gehe es nicht darum, einen auf einer fehlerhaften
Willensbildung beruhenden und deshalb fehlerhaften Kostenentscheid zu
korrigieren. Vielmehr werde der Kostenentscheid einzig um die beim Erlass des
Strafbefehls am 28. Juli 2017 noch nicht bekannten (aber vorbehaltenen) Kosten
ergänzt. Ein in einem Strafbefehl ergangener Kostenentscheid sei auch dann mit
Einsprache anzufechten, wenn es einzig um die Kostenhöhe gehe, was sich aus
Art. 356 Abs. 6 StPO ergebe. Es stehe fest, dass die Staatsanwaltschaft ihren
Entscheid vom 27. März 2019 als einen Ergänzungsentscheid im Sinne von Art. 83
Abs. 1 StPO und nicht als eine anderweitige Verfügung gemäss Art. 393 ff. StPO
erlassen habe. Demnach unterliege der angefochtene Entscheid der Einsprache und
nicht der Beschwerde. Ob die Staatsanwaltschaft die Kosten im angefochtenen
Ergänzungsentscheid tatsächlich gültig verlegt habe, sei eine im
Einspracheverfahren zu klärende Frage.

2.3.

2.3.1. Die Beschwerde ist zulässig gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen
von Polizei, Staatsanwaltschaft und Übertretungsbehörden (Art. 393 Abs. 1 lit.
a StPO). Die Beschwerde hat als das (subsidiäre) Rechtsmittel dann
zurückzutreten, wenn die Strafprozessordnung andere Rechtsbehelfe zur Verfügung
stellt oder andere Rechtsschutzbestimmungen vorsieht (Patrick Guidon, in:
Basler Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2014, N. 11 zu Art. 393; Andreas Keller,
in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 18 zu Art. 393). Dies ist
namentlich beim Erlass eines Strafbefehls der Fall, welcher mittels Einsprache
anzufechten ist (Art. 354 StPO). Die Einsprache kann auch nur gegen die
Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen erhoben werden (Art. 356 Abs. 6
StPO). Gegen den Strafbefehl als Ganzes oder gegen die allein angefochtene
Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen stehen den zur Einsprache
berechtigten Personen ausser der Einsprache keine anderen Rechtsbehelfe oder
Rechtsmittel (wie z.B. die Beschwerde nach Art. 393 ff. StPO) offen (Michael
Daphinoff, Das Strafbefehlsverfahren in der Schweizerischen
Strafprozessordnung, 2012, S. 553).

2.3.2. Grundsätzlich sind die Kosten- und Entschädigungsfolgen im Endentscheid
festzulegen (Art. 421 Abs. 1 StPO). Als Endentscheid gilt auch der Strafbefehl
(Art. 416 i.V.m. Art. 353 StPO). Gemäss Art. 353 Abs. 1 lit. g StPO hat dieser
auch die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen zu enthalten. Gemäss
Lehre (Thomas Domeisen, in: Basler Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu
Art. 421) und der kantonalen Rechtsprechung (Entscheid des Obergerichts des
Kantons Zürich, UH130006 vom 10. April 2013) ist in Fällen, in denen eine
Gebühr, Auslage oder Entschädigung nicht schon beim Fällen des Endentscheids,
sondern erst nachträglich ermittelt werden kann, ein entsprechender Vorbehalt
im Endentscheid anzubringen. Ein solches Dispositiv des Endentscheids sei
unvollständig und der entsprechende Betrag sei später in einem
Berichtigungsentscheid gemäss Art. 83 Abs. 1 StPO festzusetzen. Gemäss
Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein unvollständiges Dispositiv gestützt
auf Art. 83 Abs. 1 StPO zu ergänzen (Urteil 6B_15/2019 vom 15. Mai 2019 E. 4).
Das ergänzte Urteilsdispositiv ist den Parteien zu eröffnen (Art. 83 Abs. 4
StPO) und es steht ihnen dagegen das gleiche Rechtsmittel zur Verfügung wie
gegen den ursprünglichen Entscheid.

2.3.3. Vorliegend auferlegte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer die
beim Erlass des Strafbefehls vom 28. Juli 2017 bekannten Verfahrenskosten von
CHF 2'010.-- und brachte zugleich den Vermerk an, dass über Auslagen, die nach
Erlass des Strafbefehls eingehen, separat verfügt werde. Entgegen der Ansicht
des Beschwerdeführers geht es vorliegend nicht darum, einen auf einer
fehlerhaften Willensbildung beruhenden Kostenentscheid zu korrigieren, sondern
allein darum, diesen zu ergänzen. Die Kosten für das Gutachten waren am 28.
Juli 2017 noch nicht bekannt, datiert doch die entsprechende Rechnung über CHF
700.-- vom 19. Januar 2018. Zu Recht hält die Vorinstanz fest, dass durch den
Vorbehalt zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Regelung der Kostenfolgen in
Dispositivziffer 3 des Strafbefehls unvollständig ist. Ein unvollständiges
Urteilsdispositiv ist in Anwendung von Art. 83 Abs. 1 StPO zu ergänzen (Urteil
6B_15/2019 vom 15. Mai 2019 E. 4).

2.3.4. Als unbehelflich erweist sich der Einwand des Beschwerdeführers, der
Entscheid vom 27. März 2019 stelle einen selbständigen Verwaltungsakt dar und
unterläge daher der Beschwerde. Die von der Vorinstanz gemachte Feststellung,
wonach es sich beim Entscheid der Staatsanwaltschaft vom 27. März 2019 um eine
Ergänzung zum Strafbefehl vom 28. Juli 2017 handelt, ist nicht zu beanstanden.
Entsprechendes ergibt sich nicht nur aus dem Titel des angefochtenen Entscheids
("Ergänzung zum Strafbefehl vom..."), sondern auch aus dessen materiellem
Inhalt ("Die nachträglich in Rechnung gestellten Auslagen werden dem
Beschuldigten zur Bezahlung auferlegt"). Doch auch bei einer Qualifikation als
"selbständiger Verwaltungsakt" handelte es sich beim Entscheid vom 27. März
2019 um einen sich auf einen früher erlassenen Strafbefehl beziehenden
Kostenentscheid der Staatsanwaltschaft und als solcher ist dieser allein mit
der Einsprache (und nicht mit der Beschwerde) anzufechten, denn sämtliche von
der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem Strafbefehlsverfahren erlassenen
Entscheide sind ausschliesslich mit dem Rechtsmittel der Einsprache
anzufechten. Dies gilt auch für Kostenentscheide, welche selbständig mit
Einsprache angefochten werden können (Art. 356 Abs. 6 StPO).

Indem die Vorinstanz auf das vom Beschwerdeführer erhobene Rechtsmittel der
Beschwerde gegen einen im Zusammenhang mit einem Strafbefehlsverfahren
erlassenen Kostenentscheid nicht eintritt, verletzt sie das Bundesrecht nicht.

3. 

Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. August 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Weber