Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.770/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_770/2019

Urteil vom 7. November 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Oberholzer,

Bundesrichter Rüedi,

Gerichtsschreiber Matt.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Eric Stern,

Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons

Schaffhausen,

2. B.________,

3. C.________,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Strafverfahren; Ausstand,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts

des Kantons Schaffhausen vom 9. April 2019

(Nr. 95/2019/17).

Sachverhalt:

A. 

Am 1. Juni 2018 verurteilte das Kantonsgericht Schaffhausen A.________ unter
anderem wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
26 Monaten Freiheitsstrafe und verwies ihn für fünf Jahre des Landes. Im Rahmen
des Berufungsverfahrens stellte A.________ zwei Gesuche um Entlassung aus dem
vorzeitigen Strafvollzug, welche das Obergericht indes abwies. Die dagegen
erhobenen Beschwerden wies das Bundesgericht ebenfalls ab, soweit es darauf
eintrat (Urteil 1B_566/2018 vom 21. Januar 2019).

Anlässlich der Berufungsverhandlung vom 9. April 2019 stellte A.________ ein
Ausstandsgesuch gegen die vorsitzende Präsidentin B.________ und den
Gerichtsschreiber C.________. Das Obergericht wies auch dieses Gesuch ab und
entschied gleichentags in der Sache, wobei es den erstinstanzlichen Entscheid
bestätigte.

B. 

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, es sei festzustellen, dass
die Präsidentin des Obergerichts, B.________, sowie der Gerichtsschreiber
C.________ befangen gewesen seien und hätten in den Ausstand treten müssen,
sodass das nachfolgende Erkenntnisurteil aufzuheben sei.

Erwägungen:

1. 

Der angefochtene Beschluss erging parallel zum Entscheid in der Sache (vgl.
Verfahren 6B_771/2019) als selbständig eröffneter Zwischenentscheid über ein
Ausstandsbegehren. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen an das
Bundesgericht zulässig (Art. 78 Abs. 1 und Art. 92 Abs. 1 BGG sowie Art. 80 BGG
i.V.m. Art. 59 Abs. 1 lit. c StPO). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1. Gemäss Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch
darauf, dass ihre Sache von einem durch Gesetz geschaffenen, zuständigen,
unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände
entschieden wird. Art. 56 StPO konkretisiert diese grundrechtliche Garantie.
Demnach tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person unter anderem dann in
den Ausstand, wenn sie in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied
einer Behörde, in der gleichen Sache tätig war (lit. b), oder wenn sie aus
anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer
Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (vgl. lit. f).

Voreingenommenheit und Befangenheit werden nach der Rechtsprechung angenommen,
wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Gerichts zu erwecken. Solche Umstände
können in einem bestimmten Verhalten des Gerichts begründet sein. Für die
Ablehnung ist nicht erforderlich, dass die Gerichtsperson tatsächlich befangen
ist. Der objektive Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit genügt.
Hingegen ist nicht bloss auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen
(BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.; Urteil 6B_1442/2017 vom 24. Oktober
2018 E. 5.2; je mit Hinweisen). Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit
und damit Misstrauen in das Gericht kann bei den Parteien immer dann entstehen,
wenn einzelne Gerichtspersonen in einem früheren Verfahren mit der konkreten
Streitsache schon einmal befasst waren. In einem solchen Fall sogenannter
Vorbefassung stellt sich die Frage, ob sich eine Gerichtsperson durch ihre
Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem
Mass festgelegt hat, die sie nicht mehr als unvoreingenommen und
dementsprechend das Verfahren nicht mehr offen erscheinen lassen (BGE 140 I 326
E. 5.1; 137 I 227 E. 2.1; 131 I 113 E. 3.4 f.; Urteil 6B_1175, 1176/2016 vom
24. März 2017 E. 8.2). Allgemeine Verfahrensmassnahmen als solche, seien sie
nun richtig oder falsch, vermögen in der Regel keine Voreingenommenheit zu
begründen. Soweit konkrete Verfahrensfehler beanstandet werden, kommen als
Ablehnungsgrund jedenfalls nur besonders krasse oder ungewöhnlich häufige
Versäumnisse und Mängel in Frage (Urteile 6B_1124/2018 vom 18. März 2019 E.
3.2.3; 6B_979/2016 vom 20. Februar 2017 E. 2.3.5).

2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die abgelehnten Gerichtspersonen
hätten über seine Haftentlassungsgesuche abschlägig befunden und im
Haftentscheid zum Ausdruck gebracht, dass sie ihm gegenüber negativ eingestellt
seien. Sie hätten die einschlägige Bundesgerichtspraxis zu seinen Lasten völlig
verkannt und erwogen, dass im Rahmen des Haftprüfungsverfahrens bei
erstinstanzlich ausgesprochener Landesverweisung kein oder kaum noch Raum für
eine bedingte Entlassung bestehe. Zudem hätten sie dem Beschwerdeführer
schlechte Perspektiven auf einen längerfristigen Verbleib in der Schweiz
attestiert. Sie seien nach der Entlassung von einem Aufenthaltsort ausserhalb
des Schengen/Dublin-Raumes, insbesondere in Serbien, ausgegangen. Die
Haftentscheide implizierten daher ein praktisch abschliessendes Urteil über den
Landesverweis.

2.3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers vermögen die
vorinstanzlichen Haftentscheide, seien sie nun in der Sache richtig oder
falsch, für sich genommen keine Befangenheit der damit befassten
Gerichtspersonen zu begründen (vgl. oben E. 2.1). Es spielt daher insoweit
keine Rolle, ob die Vorinstanz die einschlägige Rechtslage verkannt hat. Eine
allfällige Korrektur hat vielmehr im ordentlichen Rechtsmittelverfahren zu
erfolgen, wobei aber zu bemerken ist, dass auch das Bundesgericht die
Beschwerden abwies, soweit es darauf eintrat (vgl. oben zum Sachverhalt).
Sodann ist es angesichts der erstinstanzlichen Verurteilung des
Beschwerdeführers nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz im Rahmen des
Haftentscheides eine vorläufige prognostische Einschätzung hinsichtlich der -
offenbar unbestrittenen - Fluchtgefahr vornimmt und davon ausgeht, dass er sich
zum damaligen Zeitpunkt im Fall einer Entlassung in Serbien niederlassen
dürfte. Daraus lässt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht
schliessen, dass das Hauptverfahren nicht mehr offen wäre, und sich die
Vorinstanz bezüglich der inkriminierten Straftaten und deren Folgen schon
festgelegt hätte. Sie äussert sich hierzu in keiner Weise, was der
Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Ohne Weiteres einleuchtend und
zutreffend ist schliesslich die Einschätzung der Vorinstanz, wonach die
Anordnung von Bewährungshilfe und die Erteilung von Weisungen während der
Probezeit bei einem Aufenthalt in Serbien nicht möglich wären. Nachdem der
Beschwerdeführer seine sozialen Bindungen vor allem in der Schweiz verortet,
ist ebenso nachvollziehbar, dass er in Serbien kaum auf gefestigte Wohn- und
Arbeitsstrukturen treffen würde. Angesichts der Tatsache, dass lediglich
Stellenangebote, mithin keine gefestigte Anstellung, vorlagen, ist auch die
vorinstanzlich attestierte unsichere finanzielle Zukunft in der Schweiz
plausibel.

Im Übrigen begründet die Vorinstanz überzeugend, weshalb sie das
Ausstandsgesuch als verspätet erachtet. Es kann auf ihre zutreffenden
Ausführungen verwiesen werden, womit sich der Beschwerdeführer nicht
auseinander setzt (vgl. auch Art. 58 Abs. 1 StPO). Es ist unbestritten, dass
ihm die vorinstanzliche Gerichtszusammensetzung am 21. Januar 2019 mitgeteilt
wurde, während die Haftentscheide im November des Vorjahres ergangen waren.
Sein erst anlässlich der Berufungsverhandlung vom 9. April 2019 gestelltes
Ausstandsgesuch ist klar verspätet, zumal der Beschwerdeführer nichts
vorbringt, was sein Zuwarten während mehr als zwei Monaten zu erklären
vermöchte.

3. 

Hinsichtlich des Antrags, er sei aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen,
ist der Beschwerdeführer an die Vorinstanz zu verweisen. Da diese Frage nicht
Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens bildete, ist darauf nicht
einzutreten.

4. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Ausgangsgemäss
hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen, da sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege aussichtslos ist. Seinen finanziellen Verhältnissen
ist bei der Kostenfestsetzung Rechnung zu tragen (Art. 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 und
2, Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 1'200.--.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. November 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Matt