Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.748/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_748/2019

Urteil vom 11. März 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,

Bundesrichter Muschietti,

Gerichtsschreiberin Andres.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Amtsmissbrauch; Willkür, rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Dreiergericht,

vom 21. Mai 2019 (SB.2017.114).

Sachverhalt:

A. 

Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte A.________ in
Bestätigung des Urteils des Strafgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 11.
August 2017 wegen Amtsmissbrauchs zu einer bedingten Geldstrafe von 210
Tagessätzen zu Fr. 80.-- und den Verfahrenskosten.

Das Appellationsgericht erachtet folgenden Sachverhalt als erstellt:

In der Nacht vom 29. auf den 30. September 2013, kurz nach Mitternacht, wollten
drei in Zivilkleider patrouillierende Polizeibeamte, darunter A.________,
B.________ (nachfolgend Angehaltener) auf der Strasse kontrollieren. Dieser
ergriff sofort die Flucht und widersetzte sich der Anhaltung massiv. Er musste
von den Polizeibeamten zu Boden geführt werden. Als der Angehaltene bereits in
Bauchlage auf dem Boden lag und von zwei Polizeibeamten in Handschellen gelegt
wurde, trat ihm A.________ mit seinem rechten Fuss in das Gesicht. Diese
Handlung hing nicht mit der Arrestierung zusammen. A.________ nahm durch das
gezielte Zutreten mindestens in Kauf, seine Amtsgewalt zu missbrauchen, in der
Absicht den Angehaltenen zu verletzen. Dieser erlitt einen Nasenbeinbruch und
Prellungen sowie Schürfungen im Gesicht.

B. 

A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das
appellationsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und er sei vollumfänglich
freizusprechen, eventualiter sei das Verfahren zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei er mit einer Geldstrafe von 80
Tagessätzen zu bestrafen.

Das Gesuch von A.________, seiner Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu
erteilen, wies der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts
am 24. Juni 2019 ab.

C. 

Das Appellationsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme und beantragt die
Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt lässt
sich nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung als willkürlich sowie den
Grundsatz "in dubio pro reo" verletzend. Die Vorinstanz stelle auf ein
unzulängliches Gutachten ab. Er habe bereits im Berufungsverfahren darauf
hingewiesen, dass das rechtsmedizinische Gutachten auf verzerrten Fotografien
der Verletzungen des Angehaltenen beruhe. Da sich die Vorinstanz mit diesem
wesentlichen Einwand nicht auseinandersetze, verletze sie seinen Anspruch auf
rechtliches Gehör.

1.2. Gestützt auf das rechtsmedizinische Gutachten und die Aussagen des
Angehaltenen sowie des Beschwerdeführers erachtet die Vorinstanz als erstellt,
dass der Angehaltene anlässlich seiner Arrestierung einen Fusstritt ins Gesicht
erhielt, die Wundmorphologie zu einem rechten Adidas-Turnschuh passt, der dem
Beschwerdeführer gehört, dieser am Tattag bei der Arrestierung im Einsatz war
und vom Angehaltenen umgehend wegen des Fusstritts zur Rede gestellt worden
war, woraufhin der Beschwerdeführer diesem seine Personalien gab. Sie
bezeichnet die Beweislage als eindeutig und schliesst eine Dritttäterschaft aus
(Urteil S. 10).

1.3. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 145 IV 154 E. 1.1 S. 156 f.; 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244
mit Hinweis; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244; 141
III 564 E. 4.1 S. 566; je mit Hinweisen).

Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als
Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das
Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 144 IV 345 E.
2.2.3.1 - 2.2.3.3 S. 348 ff.; 143 IV 500 E. 1.1 S. 503; je mit Hinweisen).

Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet, dass die Behörde alle
erheblichen und rechtzeitigen Vorbringen der Parteien würdigt und die ihr
angebotenen Beweise abnimmt, wenn diese zur Abklärung des Sachverhalts tauglich
erscheinen (BGE 141 I 60 E. 3.3 S. 64; 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f.). Das Gericht
muss sich nicht ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem
rechtlichen Einwand auseinandersetzen. Es darf sich auf die für seinen
Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 143 III 65 E. 5.2 S. 70
f. mit Hinweisen).

Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StGB). In
Fachfragen darf es davon indessen nicht ohne triftige Gründe abweichen, und
Abweichungen müssen begründet werden. Auf der anderen Seite kann das Abstellen
auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen
zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung
(Art. 9 BV) verstossen. Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines
Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende
Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Ein Gutachten stellt namentlich
dann keine rechtsgenügliche Grundlage dar, wenn gewichtige, zuverlässig
begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens
ernstlich erschüttern. Das trifft etwa zu, wenn der Sachverständige die an ihn
gestellten Fragen nicht beantwortet, seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen
nicht begründet oder diese in sich widersprüchlich sind oder die Expertise
sonstwie an Mängeln krankt, die derart offensichtlich sind, dass sie auch ohne
spezielles Fachwissen erkennbar sind (zum Ganzen: BGE 142 IV 49 E. 2.1.3 S. 53;
141 IV 369 E. 6.1 S. 372 f.).

Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der
Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen
Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, anderenfalls
darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 500 E. 1.1 S.
503; 142 II 206 E. 2.5 S. 210; 142 I 135 E. 1.5 S. 144; je mit Hinweisen).

1.4. Die Vorinstanz bezeichnet das rechtsmedizinische Gutachten vom 22.
November 2013 als stimmig sowie nachvollziehbar und stellt massgeblich darauf
ab. Sie erwägt, dem Gutachten lägen Fotografien der Verletzungen auf der
rechten Gesichtsseite des Angehaltenen, der rechten Schuhsohle des
Adidas-Turnschuhs des Beschwerdeführers und des Schuhsohlen-Abdrucks auf
Knetmasse bei. Auf allen Fotografien sei ein Massstab abgebildet, an dem sich
die Ausdehnung der abgebildeten Objekte ablesen lasse. Auch die Überlagerung
des Verletzungsbildes mit dem Sohlenbild sei fotografisch dokumentiert und
veranschauliche die Übereinstimmung des Sohlenprofils mit den Verletzungen auf
eindrückliche Weise. Aus dem Gutachten gehe hervor, dass sich auf dem
Befundfoto mit den Verletzungen des Angehaltenen auf dessen Wangenknochen
charakteristische Merkmale mit zinnenartigen, nahezu rechteckig begrenzten
Aussparungen zeigten. Bei massstabgerechter Überlagerung (Superimposition) des
Profilabdrucks mit der Aufnahme der Verletzung sei erkennbar, dass die
einzelnen Noppen mit den Aussparungen innerhalb des Verletzungsbefundes
praktisch deckungsgleich übereinstimmten. Zusammenfassend werde im Gutachten
festgehalten, dass die Morphologie der Verletzungen an der rechten
Gesichtshälfte des Angehaltenen und das Sohlenprofil des rechten
Adidas-Turnschuhs mit hoher Wahrscheinlichkeit übereinstimmten (Urteil S. 7
ff.).

Mit dem bereits in der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwand des
Beschwerdeführers, wonach das Gutachten auf unzulänglichen beziehungsweise
verzerrten Fotografien der Verletzungen des Angehaltenen beruhe, setzt sich die
Vorinstanz nicht auseinander. Anlässlich der forensisch-medizinischen
Untersuchung vom 30. September 2013 wurden die Verletzungen des Angehaltenen
fotografiert. Dabei wurde Letzterem ein rechtwinkliger Massstab neben
beziehungsweise unter die Verletzung gehalten. Ein Ausdruck dieser Fotografien
liegt dem rechtsmedizinischen Gutachten bei (kantonale Akten, act. 132). Misst
man die beiden Achsen des Massstabs auf diesem Ausdruck nach, sind sie, wie der
Beschwerdeführer zutreffend vorbringt, unterschiedlich lang. Während 4 cm der
horizontalen Massstabsachse knapp 7.4 cm auf dem Ausdruck entsprechen, sind es
bei der vertikalen Massstabsachse gut 7.5 cm. Damit ist die vertikale Achse auf
der ausgedruckten Fotografie gut 1 mm länger als die horizontale Achse. Dies
kann tatsächlich auf eine minimale Verzerrung der Fotografie hindeuten. Welche
Auswirkungen dies auf das rechtsmedizinische Gutachten beziehungsweise dessen
Inhalt und Aussagekraft sowie schliesslich das Beweisergebnis hätte, kann
anhand der Akten nicht beurteilt werden. Daraus geht nicht hervor, ob
allenfalls lediglich der dem Gutachten beiliegende Ausdruck verzerrt ist
beziehungsweise ob die Sachverständigen noch über weitere (digitale)
Fotografien verfügten. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, dass der Einwand
des Beschwerdeführers für die Beurteilung der Schlüssigkeit des
rechtsmedizinischen Gutachtens gänzlich irrelevant war. Die Vorinstanz hätte
sich folglich damit auseinandersetzen müssen. Indem sie dies unterliess,
verletzt sie den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör.

Die Vorinstanz wird in ihrem neuen Urteil die Kritik des Beschwerdeführers an
der Schlüssigkeit des Gutachtens prüfen und dieses allenfalls ergänzen lassen
müssen. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen
einzugehen.

2. 

Die Beschwerde ist gutzuheissen, das Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben
und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton
Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung
auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 21. Mai 2019 aufgehoben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Kosten erhoben.

3. 

Der Kanton Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von Fr.
3'000.-- auszurichten.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Dreiergericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. März 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Andres