Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.668/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_668/2019

Urteil vom 21. Oktober 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,

Bundesrichter Rüedi,

Gerichtsschreiber Matt.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Severin Gabathuler,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Fälschung von Ausweisen; Widerruf des bedingten Strafvollzugs,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
22. Februar 2019 (ST.2018.52-SK3).

Sachverhalt:

A. 

A.________ wird im Wesentlichen vorgeworfen, am 29./30. September 2017 mit
einem gefälschten italienischen Ausweis rechtswidrig in die Schweiz eingereist
zu sein. Am 11. April 2018 verurteilte ihn der Einzelrichter des Kreisgerichts
See-Gaster wegen rechtswidriger Einreise und Fälschung von Ausweisen zu 8
Monaten Gesamtfreiheitsstrafe und widerrief den bedingten Teil einer
12-monatigen Freiheitsstrafe gemäss Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland
vom 21. Januar 2015. Das Kantonsgericht St. Gallen wies die Berufung von
A.________ am 22. Februar 2019 ab.

B. 

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, er sei lediglich wegen
fahrlässiger rechtswidriger Einreise zu bestrafen. Vom Widerruf der bedingten
Vorstrafe sei abzusehen. Eventualiter sei die Sache an das Kantonsgericht
zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1. 

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz verfalle in Willkür und
verletze Bundesrecht, indem sie hinsichtlich des Vorwurfs der rechtswidrigen
Einreise relevante Sachverhaltselemente ausser Acht lasse und ihm - mit Bezug
auf beide Vorwürfe - vorsätzliches Handeln unterstelle.

1.1.

1.1.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne
von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG; BGE 143 IV 241 E. 5.4). Offensichtlich unrichtig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 500 E. 1.1; zum
Willkürbegriff: BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 und 141 IV 369 E. 6.3). Die Willkürrüge
muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2
BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 145 IV 154 E.
1.1; 143 IV 347 E. 4.4; je mit Hinweisen).

1.1.2. Nach Art. 252 StGB macht sich strafbar, wer in der Absicht, sich oder
einem anderen das Fortkommen zu erleichtern, Ausweisschriften, Zeugnisse,
Bescheinigungen fälscht oder verfälscht, eine Schrift dieser Art zur Täuschung
gebraucht, oder echte, nicht für ihn bestimmte Schriften dieser Art zur
Täuschung missbraucht. Subjektiv ist neben Vorsatz Täuschungsabsicht sowie die
Absicht, sich (oder einem anderen) das Fortkommen zu erleichtern, erforderlich.
Dazu genügt jede unmittelbare Verbesserung der persönlichen Lage (BGE 111 IV 24
E. 1b; 98 IV 55 E. 2; Urteile 6B_346/2014 vom 6. August 2014 E. 2.4; 6B_317/
2014 vom 28. April 2014 E. 7; 6B_619/2012 vom 18. Dezember 2012 E. 1.2; je mit
Hinweisen). Unter den Tatbestand fallen etwa der Missbrauch eines echten
Ausweises oder die Verwendung eines gefälschten fremdenpolizeilichen
Ausweispapiers zur Ermöglichung oder Erleichterung des rechtswidrigen
Grenzübertritts (MARKUS BOOG, Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019 N.
19 ff. zu Art. 252 StGB mit Hinweisen).

Nach Art. 115 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 5 des Bundesgesetzes über die
Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005
(AIG, vormals AuG; SR 142.20) wird wegen rechtswidriger Einreise bestraft, wer
Einreisevorschriften verletzt, indem er nicht über ein für den Grenzübertritt
anerkanntes Ausweispapier und, sofern dieses erforderlich ist, über ein Visum
verfügt. Strafbar ist der Grenzübertritt ohne Ausweispapier oder Visum sowie
der Übertritt mit gefälschten Papieren oder die Einreise trotz
Fernhaltemassnahme (ANDREAS ZÜND, in Kommentar Migrationsrecht, Spescha/Zünd/
Bolzli/Hruschka/de Weck [Hrsg.], 5. Aufl. 2019 Rz. 2 zu Art. 115 AIG).
Subjektiv verlangt Art. 115 Abs. 1 AIG Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt.

1.1.3. Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen
und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der
Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB). Was der Täter
wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sogenannte innere Tatsachen, und ist
damit Tatfrage. Als solche prüft sie das Bundesgericht nur unter dem
Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV; Art. 97 Abs. 1 BGG). Rechtsfrage ist
hingegen, ob angesichts der festgestellten Tatsachen der Schluss auf
Eventualvorsatz begründet ist (BGE 141 IV 369 E. 6.3; 137 IV 1 E. 4.2.3).

1.2. Die vorinstanzliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen vorsätzlicher
Verletzung von Art. 252 StGB und Art. 115 Abs. 1 lit. a aAuG anlässlich seines
Grenzübertritts vom 29./30. September 2017 verletzt kein Bundesrecht.

1.2.1. Es ist unbestritten, dass sich der Beschwerdeführer in Rom bei einem
Bekannten eine italienische Identitätskarte und einen italienischen
Aufenthaltstitel, beides lautend auf seinen Namen, beschaffte und dass es sich
bei beiden Papieren um Totalfälschungen handelte. Die Vorinstanz begründet
überzeugend, weshalb sie davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer um die
Unechtheit der Papiere wusste. Demnach habe er über die Bestellung der
Ausweispapiere und die Person, die sie beschafft habe, nur vage Auskünfte
gegeben. Der Bekannte soll ein "Anwalt oder irgend so etwas" gewesen sein,
dessen Namen oder Adresse der Beschwerdeführer aber nicht nennen konnte. Zudem
hätten weder er noch sein Sohn zum Zeitpunkt der Bestellung der Papiere in
Italien Wohnsitz gehabt, und habe er sich diese nach Spanien schicken lassen.
Dennoch sei in den Ausweisen ein Wohnsitz sowie eine Adresse in Rom vermerkt.
Ferner seien die Dokumente am 15. Oktober 2013 und am 6. November 2014
ausgestellt worden, während feststehe, dass der Beschwerdeführer sie erst im
Jahre 2016 bestellt habe. Er habe somit gewusst, dass die Papiere falsche
Angaben enthalten hätten. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung aus dem
Vorstehenden, wonach dem Beschwerdeführer auch bewusst gewesen sein müsse, dass
die - nicht von einer staatlichen Behörde, sondern von einem kaum bekannten
Dritten beschafften, ihm schriftlich ins Ausland zugesandten - Papiere
insgesamt unecht waren, ist nahe liegend. Seine Vorbringen, insbesondere die
Behauptung, dass er sich auf die Ausführungen des "Anwalts" verlassen habe, was
die Vorinstanz nachvollziehbar verwirft, belegen keine Willkür.

Gleiches gilt für die Annahme der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer die
gefälschten Papiere beim Grenzübertritt tatsächlich benutzte. Sie stützt sich
hierfür auf den Polizeirapport vom 19. Oktober 2017, an dessen Korrektheit zu
zweifeln sie keinen Anlass findet. Demnach hat er sich mit seinem kubanischen
Pass sowie der italienischen Identitätskarte ausgewiesen. Er muss daher gewusst
haben, dass ihn der kubanische Pass alleine nicht zur Einreise berechtigen
würde. Zudem habe der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung zugegeben,
mit der gefälschten Identitätskarte durch Europa gereist zu sein und gemeint zu
haben, er dürfe damit auch in die Schweiz reisen. Es ist daher nicht zu
beanstanden, wenn die Vorinstanz als erstellt erachtet, dass der
Beschwerdeführer das gefälschte Papier bei seiner Einreise in die Schweiz
vorgezeigt hat. Dies gilt umso mehr, als er behauptete, sich auf die
italienischen Papiere verlassen zu haben.

1.2.2. Gleichfalls unbestritten ist ferner, dass der Beschwerdeführer ohne
gültigen Aufenthaltstitel und Visum, mithin nach Art. 115 Abs. 1 lit. a i.V.m.
Art. 5 Abs. 1 aAuG objektiv rechtswidrig in die Schweiz einreiste. Die
Vorinstanz bejaht indes auch insoweit vorsätzliches Handeln zu Recht und ohne
Willkür. Wie sie zutreffend erwägt, ist es angesichts der Tatsache, dass der
Beschwerdeführer bei früheren Reisen nach Kuba jeweils im Voraus ein
Wiedereinreisevisum für die Schweiz beantragt hat, nicht nachvollziehbar, dass
er nach seiner Flucht aus dem Gefängnis angenommen haben will, ein Visum oder
eine Meldung an das Migrationsamt seien generell nicht nötig. Der Vorinstanz
ist zudem zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer unter den Umständen seiner
"Ausreise" nicht ernsthaft geglaubt haben kann, das zuvor noch hängig gewesene
Verfahren um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sei trotz Flucht und
mehrmonatiger Abwesenheit von der Schweiz noch im Gang oder die Bewilligung sei
in der Zwischenzeit gar erneuert worden. Es drängt sich im Gegenteil auf, dass
der Beschwerdeführer nicht davon ausgehen konnte und auch nicht davon ausging,
in der Schweiz langfristig aufenthaltsberechtigt zu sein. Wie die Vorinstanz
zutreffend erwägt, zeigt sich dies nicht zuletzt daran, dass er sich
(gefälschte) italienische Ausweispapiere besorgte und diese beim Grenzübertritt
vorwies (oben 1.2.1), was unter der gegenteiligen Prämisse nicht
nachvollziehbar wäre. Ferner ist unerfindlich, inwiefern die bereits
vorinstanzlich vorgebrachte Behauptung des Beschwerdeführers, wonach ihm
anlässlich einer Einvernahme vom 4. Januar 2016 - mithin vor seiner Flucht ins
Ausland - mitgeteilt worden sei, dass er während des hängigen Verfahrens
betreffend Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz arbeiten dürfe, zum Schluss
führen soll, dass er hinsichtlich des späteren Grenzübertritts ohne Vorsatz
gehandelt hätte. Es kann daher letztlich offen bleiben, ob die Vorinstanz die
Aussagen des Beschwerdeführers vom 4. Januar 2016 zutreffend würdigt, indem sie
annimmt, er habe damals in Kenntnis des laufenden ausländerrechtlichen
Verfahrens ausgeführt, die Aufenthaltsbewilligung nach der Trennung von seiner
Frau abgegeben und für die Schweiz keinen Ausweis mehr zu haben. Entgegen
seiner Auffassung ist Willkür jedenfalls nicht ersichtlich oder genügend
dargetan. Nicht zu beanstanden ist nach dem Gesagten schliesslich die Annahme,
dass dem Beschwerdeführer die Aufenthalts- und Einreiseproblematik bewusst war
und er dieser mit den gefälschten Papieren entgegenwirken wollte. Die
Vorinstanz wertet auch seine Behauptung, wonach er sich einfach ein Visum
besorgt hätte, wenn er um das Erlöschen der Bewilligung gewusst hätte, zu Recht
als haltlos.

2. 

Der Beschwerdeführer kritisiert den Widerruf des bedingten Teils einer
Vorstrafe gemäss Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 21. Januar
2015.

2.1. Begeht der Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen
und ist deshalb zu erwarten, dass er weitere Straftaten verüben wird, so
widerruft das Gericht die bedingte Strafe oder den bedingten Teil der Strafe
(Art. 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Der Widerruf ist nur anzuordnen, wenn von einer
negativen Einschätzung der Bewährungsaussichten auszugehen ist, d.h., wenn
aufgrund der erneuten Straffälligkeit eine eigentliche Schlechtprognose besteht
(BGE 134 IV 140 E. 4.3). Die Prüfung der Bewährungsaussichten ist anhand einer
Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung
sind neben den Tatumständen auch das Vorleben und der Leumund sowie alle
weiteren Tatsachen miteinzubeziehen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des
Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. Relevante Faktoren sind
etwa strafrechtliche Vorbelastung, Sozialisationsbiographie und
Arbeitsverhalten, soziale Bindungen, Hinweise auf Suchtgefährdungen usw.. Dabei
sind die persönlichen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Entscheids
miteinzubeziehen. Wie bei der Strafzumessung müssen die Gründe im Urteil so
wiedergegeben werden, dass sich die richtige Anwendung des Bundesrechts
überprüfen lässt (BGE 134 IV 140 E. 4.4; Urteil 6B_195/2017 vom 9. November
2017 E. 4.3; je mit Hinweisen).

2.2. Die Vorinstanz begründet ausführlich und überzeugend, weshalb sie dem
Beschwerdeführer eine eigentliche Schlechtprognose stellt und deshalb die
bedingte Vorstrafe von sechs Monaten widerruft. Darauf kann verwiesen werden.
Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Vorinstanz von unzutreffenden Faktoren
hätte leiten lassen, dass sie wesentliche Umstände ausser Acht gelassen oder
das ihr zustehende Ermessen überschritten hätte. Der Beschwerdeführer behauptet
dies denn auch nicht. Ebenso wenig bestreitet er die vorinstanzlichen
Erwägungen namentlich betreffend seine zahlreichen Vorstrafen. Entgegen seiner
Auffassung war die Vorinstanz hingegen nicht zu einer positiven Prognose
gehalten, allein weil der Beschwerdeführer behauptete, "reinen Tisch" machen zu
wollen und sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen. Dies gilt ebenso für das
attestierte Wohlverhalten im Vollzug und das Fehlen weiterer Delinquenz, was
erwartet werden kann.

3. 

Die Beschwerde ist abzuweisen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen, zumal sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
aussichtslos ist. Seinen finanziellen Verhältnissen ist bei der
Kostenfestsetzung Rechnung zu tragen (Art. 64 Abs. 1 und 2, Art. 65 Abs. 1 und
2, Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 1'200.--.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Oktober 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Matt