Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.626/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_626/2019

Urteil vom 1. Oktober 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,

Gerichtsschreiber Matt.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Urban Carlen,

Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Zentrales Amt, Rue des Vergers 9, 1950
Sitten,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Einstellungsverfügung (fahrlässige Tötung),

Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts des Kantons Wallis,
Strafkammer, vom 25. April 2019 (P3 19 8).

Sachverhalt:

A.

Am 21. August 2018 kurz nach 07.00 Uhr morgens verstarb B.________ anlässlich
einer Kollision seines Motorfahrzeugs mit einer Zugkomposition der C.________
AG auf einem unbewachten, mit Andreas-Kreuzen signalisierten Bahnübergang in
D.________ VS.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis nahm ein Verfahren gegen den
Lokomotivführer, die Bahnbetreiberin und Dritte an die Hand, stellte dieses
aber am 4. Januar 2019 mangels eines pflichtwidrigen Fehlverhaltens ein. Die
dagegen erhobene Beschwerde der Witwe des Verstorbenen, A.________, wies das
Kantonsgericht Wallis am 25. April 2019 ab.

B.

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, das Verfahren sei
fortzuführen, namentlich sei zu prüfen, ob der Bahnübergang gesetzeskonform
gesichert gewesen sei.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Beschwerde zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung
ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Als
Zivilansprüche gelten solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb
eigentlich vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden müssen. In erster Linie
handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff.
OR. Nicht in diese Kategorie gehören Ansprüche aus öffentlichem Recht, etwa
Staatshaftungsrecht. Die Einstellung des Strafverfahrens kann sich in diesem
Fall nicht auf Zivilansprüche auswirken (BGE 131 I 455 E. 1.2.4 mit Hinweisen).
Die Privatklägerschaft hat vor Bundesgericht darzulegen, dass die
Legitimationsvoraussetzungen erfüllt sind und unter Vorbehalt klarer,
zweifelsfreier Fälle insbesondere zu erläutern, weshalb und inwiefern sich der
angefochtene Entscheid im Ergebnis und aufgrund der Begründung negativ auf ihre
Zivilansprüche auswirken kann (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht
stellt an die Begründung strenge Anforderungen. Fehlt es daran, tritt es auf
die Beschwerde nicht ein (BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen).

1.2. Die Beschwerdeführerin macht zu ihrer Legitimation geltend, als Witwe des
Getöteten habe sie gemäss Art. 40f des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957
(EBG; SR 742.101) Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung nach den
Bestimmungen des Obligationenrechts über die unerlaubten Handlungen. Es kann
offen bleiben, ob es sich dabei um Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1
lit. b Ziff. 5 BGG handelt. Wie nachfolgend zu zeigen ist, ist die Beschwerde
ohnehin abzuweisen.

2.

2.1. Die Staatsanwaltschaft verfügt nach Art. 319 Abs. 1 StPO unter anderem die
vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht
erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a); kein Straftatbestand
erfüllt ist (lit. b) oder Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand
unanwendbar machen (lit. c).

Der Entscheid über die Verfahrenseinstellung hat sich nach dem Grundsatz "in
dubio pro duriore" zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die
Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder
offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Sofern die
Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, ist Anklage zu erheben,
wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein
Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der
Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei
zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die
Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur
materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch müssen
Sachverhaltsfeststellungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro
duriore" auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen "klar"
bzw. "zweifelsfrei" feststehen, so dass im Fall einer Anklage mit grosser
Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Den
Staatsanwaltschaften ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der
gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit.
b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der
Regel notwendig. Auch insoweit gilt aber, dass der rechtlichen Würdigung der
Sachverhalt "in dubio pro duriore", d.h. der klar erstellte Sachverhalt,
zugrunde gelegt werden muss. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt
werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu
beachten (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 und E. 2.3.1; 138 IV 186 E. 4.1, 86 E. 4.1).

Wie die Beweise nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu würdigen sind (und
ob die Vorinstanz gestützt darauf einen hinreichenden Tatverdacht verneinen
durfte), prüft das Bundesgericht nur auf Willkür. Es prüft aber im Rahmen einer
Beschwerde gegen eine Einstellung nicht, wie beispielsweise bei einem
Schuldspruch, ob die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen willkürlich
sind (Art. 97 Abs. 1 BGG), sondern nur, ob die Vorinstanz willkürlich von einer
"klaren Beweislage" ausging oder gewisse Tatsachen willkürlich für "klar
erstellt" annahm. Dies ist der Fall, wenn offensichtlich nicht gesagt werden
kann, es liege ein klarer Sachverhalt vor, beziehungsweise wenn ein solcher
Schluss schlechterdings unhaltbar ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.2).

2.2. Die Vorinstanz erwägt, die Eisenbahnlinie sei ab 160 Metern vor dem
Bahnübergang von der Strasse her vollständig einsehbar gewesen. Die dem
landwirtschaftlichen und dem Zubringerverkehr vorbehaltene, mithin wenig
befahrene Strasse sei trocken, das Wetter sonnig und klar gewesen. 20 Meter vor
dem Übergang befinde sich ein mit dem System ZIS-90 gesichertes Hauptsignal für
den Bahnverkehr, welches für diesen zum Unfallzeitpunkt auf Fahrt gestanden
habe. Gemäss den Aufzeichnungen des Fahrtenschreibers der Lokomotive habe der
Lokomotivführer 245 Meter vor der Unfallstelle ein erstes Mal die Warnpfeife
betätigt und somit das Fahrzeug des Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt erstmals
wahrgenommen. Der Zug sei mit 66,4 km/h bei erlaubten 70 km/h unterwegs
gewesen. 131 Meter vor dem Übergang habe der Zugführer erneut, diesmal zwei
Sekunden lang, die Warnpfeife bestätigt. Der dritte Pfiff mit anschliessender
Einleitung der Notbremsung sei 72 Meter vor der Unfallstelle erfolgt, worauf
der Zug 134 Meter nach der Unfallstelle zum Stillstand gekommen sei. Aufgrund
der überblickbaren Distanz und der geschätzten Geschwindigkeit des technisch
voll funktionsfähigen Fahrzeugs des Verstorbenen müsse es ihm grundsätzlich
möglich gewesen sein, dieses rechtzeitig anzuhalten und dem
vortrittsberechtigten Bahnverkehr die Durchfahrt zu gewähren. Der
Lokomotivführer habe angesichts des im Strassen- und Eisenbahnverkehr geltenden
Vertrauensgrundsatzes davon ausgehen können, dass sich der Getötete
regelkonform verhalten und ihm den Vortritt gewähren würde. Er habe daher
grundsätzlich weder bremsen noch sonstige Vorkehrungen treffen müssen, zumal
erfahrungsgemäss davon auszugehen sei, dass auf einen Bahnübergang zufahrende
Verkehrsteilnehmer, die einen Zug pfeifen hörten, rechtzeitig stoppen würden.
Dem Lokomotivführer könne deshalb nicht vorgeworfen werden, dass er zunächst
versucht habe, das herannahende Fahrzeug mittels Pfiffen zum Anhalten zu
bewegen. Erst, als er sich habe gewahr werden müssen, dass das Fahrzeug nicht
mehr rechtzeitig stoppen würde, habe er eine Notbremsung einleiten müssen. Dies
habe er getan, wobei ihm nicht zum Nachteil gereiche, dass er vorab ein drittes
Mal die Warnpfeife betätigt habe. Angesichts der sehr engen zeitlichen (vier
Sekunden) und räumlichen (72 Meter) Verhältnisse sei die Kollision zu diesem
Zeitpunkt unvermeidbar gewesen. Ein pflichtwidriges, unfallursächliches
Verhalten des Lokomotivführers liege nicht vor.

Sodann habe der Bahnübergang gemäss Feststellungen der Schweizerischen
Sicherheitsuntersuchungsstelle (nachfolgend SUST) den gesetzlichen Normen
entsprochen und hätten keine Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit oder
zur Vermeidung des Unfalls benannt werden können, so die Vorinstanz weiter.
Selbst wenn aber der Bahnübergang nicht nur mit Andreas-Kreuzen hätte gesichert
werden dürfen, wäre angesichts des signalisierten Fahrverbots und des nur
schwachen bis sehr schwachen Verkehrs auf der betreffenden Strasse jedenfalls
eine Blinklichtsignalanlage ausreichend gewesen. Dadurch wäre aber der
vorliegend beurteilte Unfall höchstwahrscheinlich nicht vermieden worden, zumal
der Getötete durch den gut erkennbaren, roten Zug und die abgegebenen Pfiffe
optisch und akustisch vor der herannahenden Gefahr gewarnt gewesen sei. Es sei
nicht ersichtlich, welchen zusätzlichen Warneffekt eine Blinklichtsignalanlage
gehabt hätte. Es fehle deshalb an einem Kausalzusammenhang zwischen der
allenfalls fehlenden Anlage und dem Unfall. Weitere Untersuchungshandlungen zur
abschliessenden Klärung des Unfallhergangs seien nicht ersichtlich, sodass die
Staatsanwaltschaft das Verfahren zu Recht eingestellt habe.

2.3. Die Beschwerdeführerin stellt die vorinstanzlichen Ausführungen zur
Verantwortlichkeit des Lokomotivführers nicht in Abrede, sodass sich weitere
Ausführungen hierzu erübrigen. Die Vorinstanz begründet zudem überzeugend,
weshalb sie auch ein pflichtwidriges, unfallrelevantes Fehlverhalten der
Bahnbetreiberin und Dritter verneint und die Verfahrenseinstellung auch
insoweit schützt. Sie stützt sich hierbei nachvollziehbar auf die
Feststellungen der Polizei, die Aufzeichnungen des Fahrtenschreibers der
Lokomotive sowie ein als Stellungnahme der SUST bezeichnetes Schreiben des
Unfalluntersuchungsleiters. Was die Beschwerdeführerin vorbringt, begründet
weder Willkür in der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung, noch lässt
es die angefochtene Verfügung als bundesrechtswidrig erscheinen.

Zunächst ist nicht ersichtlich, was die Beschwerdeführerin aus dem Umstand für
sich ableiten will, dass kein Bericht der SUST vorliege und diese ohnehin nur
technische, nicht verantwortlichkeitsrechtliche Fragen zu beantworten habe. Die
Beschwerdeführerin stellt den Unfallhergang nicht in Abrede. Namentlich legt
sie nicht dar und behauptet sie nicht, dass die Aufzeichnungen des
Fahrtenschreibers der Lokomotive oder die Ausführungen zum einwandfreien
Funktionieren von Lenkung und Bremsen des Fahrzeugs des Verstorbenen
unzutreffend wären oder welche weiteren Befragungen ihrer Ansicht nach
erforderlich gewesen sein sollen. Abgesehen davon begründet die Vorinstanz
überzeugend, weshalb sie die Angaben der C.________ AG für unbefangen hält.
Darauf kann verwiesen werden. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, die
Sichtverhältnisse von der Strasse her seien nicht optimal gewesen, zumal Zwecks
Erkennbarkeit der von Osten verkehrenden Züge eigens ein Spiegel habe montiert
werden müssen, so vermag sie damit keine Willkür darzutun. Sie scheint zu
verkennen, dass sich der Zug dem Bahnübergang von Südwesten her näherte und
dass die Bahntrasse gemäss den plausiblen Feststellungen der Vorinstanz von
dieser Seite her von weitem einsehbar ist (vgl. Fotos in den Akten). Zudem
steht für das Bundesgericht verbindlich fest, dass der Lokomotivführer das
herannahende Fahrzeug erstmals rund 250 Meter vor der Unfallstelle und damit
frühzeitig wahrnahm. Gleichfalls ist unbestritten, dass der Zugführer in der
Folge dreimal ein akustisches Warnsignal abgab. Schliesslich steht fest, dass
das Hauptsignal für den Bahnverkehr diesem freie Fahrt gewährte und dass der
Verunfallte folglich vortrittsbelastet war. Wie die Vorinstanz zutreffend
erwägt, muss er den herannahenden Zug zumindest akustisch wahrgenommen haben.
Zudem ist aufgrund der Akten davon auszugehen, dass der als Forstwart tätige
Verunfallte ortskundig war. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden,
wenn die Vorinstanz zum Schluss gelangt, dass er den Zug auch optisch
rechtzeitig muss erkannt haben können und dass die von der Beschwerdeführerin
für nötig befundene Blinklichtsignalanlage beim Bahnübergang
höchstwahrscheinlich nichts am Unfallhergang geändert und einen Unfall nicht
verhindert hätte. Sie verneint daher einen Kausalzusammenhang zwischen einer
allfällig ungenügenden Signalisation und dem Unfall zu Recht und folgert
zutreffend, dass eine gerichtliche Beurteilung mit hoher Wahrscheinlichkeit zum
selben Ergebnis käme. Daran ändert nichts, dass im Nachgang zum Unfall offenbar
Massnahmen zur Sanierung des Bahnübergangs eingeleitet wurden. Daraus kann
insbesondere nicht abgeleitet werden, dass die Signalisation mittels
Andreas-Kreuzen den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprochen hätte.

2.4. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.

Die Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--.

3.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Wallis,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Oktober 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Matt