Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.617/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_617/2019

Urteil vom 14. November 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Bernard,

Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,

2. B.________,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Einfache Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 4. April 2019 (SB180161-O/U/cwo).

Sachverhalt:

A. 

A.________ und B.________ besuchten in der Nacht des 19./20. August 2015 die
Bar C.________ in Zürich. Die beiden trafen im Verlaufe der Nacht aufeinander.
Schliesslich kam es zur Eskalation, als sie sich einige Meter voneinander
entfernt an der Bar des besagten Lokals befanden. A.________ sagte zu
B.________ eher provokativ-unterstellend als fragend etwas im Sinne von "bist
du schwul", worauf B.________ zu ihm hinging und ihn zur Rede stellte. Dabei
trat er nahe an A.________ heran und machte eine Stossbewegung mit seinem Kopf
gegen diesen, wobei er ihn am Oberkörper im Hals- oder Brustbereich traf.
B.________ trat A.________ zudem gegen das rechte Schienbein. In der Folge
führte A.________ willentlich mit der Hand, in welcher er eine Bierflasche
hielt, einen wuchtigen Stoss gegen das Gesicht von B.________ aus. Dieser
erlitt dadurch an der Stirn links, nahe der Nase durch die linke Augenbraue,
zum Augenoberlid ausgerichtet, eine ca. 4 cm lange, in Körperachse verlaufende
Rissquetschwunde mit vereinzelten, bis max. 0.5 cm langen, glattrandigen,
oberflächlichen Ausläufern.

B. 

Das Bezirksgericht Zürich sprach A.________ am 19. September 2016 der
versuchten schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 i.V.m. Art. 22 Abs.
1 StGB schuldig. Es bestrafte ihn mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12
Monaten und ordnete eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB an,
wobei es den Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten der ambulanten Behandlung
aufschob. Es erklärte A.________ gegenüber B.________ aus dem eingeklagten
Ereignis dem Grundsatz nach schadenersatzpflichtig. Zur genauen Feststellung
des Umfangs des Schadenersatzanspruches verwies es Letzteren auf den Weg des
Zivilprozesses. Dessen Genugtuungsbegehren wies es ab. Auf Berufung von
A.________ und der Staatsanwaltschaft bestätigte das Obergericht des Kantons
Zürich am 6. Juli 2017 das erstinstanzliche Urteil.

C. 

Das Bundesgericht hiess die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde mit
Urteil 6B_908/2017 vom 15. März 2018 gut, soweit es darauf eintrat. Es hob das
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. Juli 2017 auf und wies die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

D. 

Mit Urteil vom 4. April 2019 sprach das Obergericht A.________ der einfachen
Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand im Sinne von Art. 123 Ziff.
2 Abs. 1 StGB schuldig. Es bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von
60 Tagessätzen zu Fr. 30.--, als Zusatzstrafe zu der mit Strafbefehl der
Staatsanwaltschaft Winterthur /Unterland vom 19. Juni 2017 ausgefällten
Geldstrafe, und ordnete eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB an.

E. 

A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 4. April
2019 sei aufzuheben, er sei vollumfänglich freizusprechen und auf die
Zivilforderungen sei nicht einzutreten. A.________ ersucht um unentgeltliche
Rechtspflege.

F. 

Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichteten auf eine Stellungnahme.
B.________ liess sich nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Qualifikation seiner Tat als
einfache Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand im Sinne von Art.
123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB. Er rügt im Wesentlichen, er habe zwar mit der Hand,
mit welcher er eine Bierflasche gehalten habe, gegen den Kopf des
Beschwerdegegners 2 gestossen, jedoch sei nicht von einem eigentlichen
Zuschlagen auszugehen. Es liege gerade kein Schlag mit der Flasche vor und er
habe diese auch nicht geworfen. Ein solcher Stoss möge ganz leicht gefährlicher
sein als ein Stoss mit der Hand, in welcher sich kein harter Gegenstand
befinde. Die Möglichkeit einer schweren Körperverletzung erscheine bei Lichte
betrachtet aber nahezu ausgeschlossen, weshalb das Qualifikationsmerkmal des
gefährlichen Gegenstands nicht gegeben sei.

1.2. Die Vorinstanz erwägt, das Handeln des Beschwerdeführers sei im Lichte der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung als einfache Körperverletzung mit einem
gefährlichen Gegenstand zu qualifizieren. Wer einem anderen mit einer Hand, in
welcher er eine Bierflasche halte, einen wuchtigen Stoss gegen das Gesicht
versetze, sodass nahe der Nase eine 4 cm lange, in Körperlängsachse verlaufende
Rissquetschwunde durch die linke Augenbraue entstehe, rufe fraglos die Gefahr
einer schweren Körperverletzung hervor. Zwar sei nicht von der Inkaufnahme
einer solchen auszugehen. Aber gerade ein Stoss, wie ihn der Beschwerdeführer
dem Beschwerdegegner 2 offensichtlich sehr nahe an dessen Auge versetzt habe,
berge die Gefahr, dass dasselbe in Mitleidenschaft gezogen werden könnte - sei
dies, weil die Flasche zerspringe oder etwa auch weil der Treffer mit einer
harten Kante (etwa Rand/Boden) erfolge. Dabei sei diese Gefahr direkte Folge
des Umstands, dass der Beschwerdeführer mit der Glasflasche einen gefährlichen
Gegenstand eingesetzt habe (angefochtenes Urteil E. 4.4.2 S. 12 f.).

1.3.

1.3.1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer als schwerer Weise an Körper
oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Die Strafe ist
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, und der Täter wird von
Amtes wegen verfolgt, wenn er Gift, eine Waffe oder einen gefährlichen
Gegenstand gebraucht (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB).

1.3.2. Ob ein Gegenstand gefährlich im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
ist, hängt von der konkreten Art seiner Verwendung ab. Ein Gegenstand ist
gefährlich, wenn er so verwendet wird, dass die Gefahr einer schweren
Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB besteht (BGE 111 IV 123 E. 4; 101 IV 285;
Urteile 6B_555/2018 vom 11. September 2018 E. 2.1.1; 6B_181/2017 vom 30. Juni
2017 E. 2.2; je mit Hinweisen). Die Verwendung von leichteren und schwereren
Gläsern sowie von Glasflaschen als Wurf- oder Schlaginstrument gegen den Kopf
bzw. das Gesicht einer Person wird in der Rechtsprechung als Verwendung eines
gefährlichen Gegenstands im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB qualifiziert
(Urteil 6B_181/2017 vom 30. Juni 2017 E. 2.4). Ein gefährlicher Gegenstand
gemäss Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB lag nach der Rechtsprechung etwa bei einem
gezielt aus einer Entfernung von ca. vier Metern gegen den Kopf eines Menschen
geschleuderten Bierglas vor (BGE 101 IV 285). Die neuere Rechtsprechung bejahte
eine einfache Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand zudem beim
Wurf eines rund 10 cm grossen Cocktailglases gegen den Kopf einer Person,
wodurch diese am Kopf unter den Haaren eine oberflächliche Verletzung erlitt.
Zu berücksichtigen war dabei, dass das Glas im Gesicht des Opfers, in
unmittelbarer Nähe der Augen, hätte zerbrechen können (Urteil 6B_590/2014 vom
12. März 2015 E. 1.3). Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB gelangte zudem bei einem
Schlag von einiger, wenn auch nur durchschnittlicher Stärke mit einer
Glasflasche in Richtung Kopf des Opfers zur Anwendung (Urteil 6B_181/2017 vom
30. Juni 2017 E. 2.4).

1.3.3. Die Vorinstanz gibt die bundesgerichtliche Rechtsprechung korrekt
wieder. Sie übergeht allerdings, dass der Beschwerdeführer die Bierflasche
weder als Schlag- noch als Wurfinstrument verwendete, sondern diese lediglich
in der Hand hielt, als er dem Beschwerdegegner 2 mit der Hand einen Stoss
versetzte. Das Bundesgericht wies bereits im Urteil 6B_908/2017 vom 15. März
2018 darauf hin, dass ein heftiges Wegstossen mit der Hand, in welcher sich ein
Bier bzw. eine kleine Bierflasche befindet, nicht mit einem Schlag mit einer
Bierflasche gegen den Kopf gleichgesetzt werden kann (Urteil, a.a.O., E. 1.4).
Gestützt auf die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ist davon
auszugehen, dass der Beschwerdegegner 2 die Verletzung nicht durch die Flasche,
sondern die Hand des Beschwerdeführers bzw. die Knöchel von dessen Hand erlitt,
und die gleiche Verletzung auch eingetreten wäre, wenn der Beschwerdeführer
keine Flasche in der Hand gehalten hätte. Zumindest legt die Vorinstanz weder
dar noch begründet sie, weshalb es sich anders zugetragen haben soll. Der
Beschwerdeführer fügte dem Beschwerdegegner 2 die Verletzung demnach mit seiner
Hand zu, bei welcher es sich nicht um einen gefährlichen Gegenstand im Sinne
von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB handelt.

Zutreffend ist zwar, dass ein Schlag oder wuchtiger Stoss ins Auge zu schweren
Verletzungen führen kann. Vorliegend traf der Stoss des Beschwerdeführers
jedoch nicht das Auge. Die Gefahr von schweren Augenverletzungen bei einem
Schlag oder wuchtigen Stoss ins Auge besteht nach der allgemeinen
Lebenserfahrung zudem unabhängig davon, ob der Täter den Stoss mit der blossen
Faust ausführt oder ob er in seiner Hand eine kleine Bierflasche hält.

Nicht zu überzeugen vermag weiter die Begründung der Vorinstanz, die Flasche
hätte zerspringen können. Tatsache ist, dass der Beschwerdeführer die Flasche
gerade nicht so einsetzte, dass sie zerbrach. Wie gross beim vorliegend zu
beurteilenden Stoss die Gefahr eines Zerbrechens der Flasche war bzw. ob eine
ernstliche Gefahr des Zerbrechens der Flasche bestand, lässt sich ohne
vertiefte Analyse nur schwer beurteilen. Eine solche nahm die Vorinstanz nicht
vor. Das Risiko, dass die Flasche zerbrechen könnte, ist auf jeden Fall
geringer, wenn die Flasche während eines Stosses von der Hand umgeben ist, als
bei einem direkten Zuschlagen mit derselben (Urteil 6B_908/2017 vom 15. März
2018 E. 1.4).

Insgesamt ist daher nicht ersichtlich, weshalb sich die Gefährlichkeit des
Stosses massgeblich erhöht haben soll, weil der Beschwerdeführer in der Hand,
mit welcher er zustiess, eine Flasche hielt. Folglich kann die Flasche in der
Hand des Beschwerdeführers auch nicht als gefährlicher Gegenstand qualifiziert
werden. Der Beschwerdeführer fügte dem Beschwerdegegner 2 die Verletzung
vielmehr mit blosser Hand zu. Daran ändert nichts, dass bei einem anderen
Einsatz der Flasche Verletzungen durch die Kanten der Flasche hätten verursacht
werden können.

Die Rüge des Beschwerdeführers, er habe keinen gefährlichen Gegenstand im Sinne
von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB gebraucht, ist begründet. Die Beschwerde ist
in diesem Punkt gutzuheissen. Damit erübrigt sich eine Behandlung der übrigen
Rügen.

2. 

Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Es sind keine
Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Da dieser um unentgeltliche
Rechtspflege ersuchte, ist die Parteientschädigung praxisgemäss seinem
Rechtsbeistand auszurichten. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird
gegenstandslos.

Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung zuzusprechen, da er im
bundesgerichtlichen Verfahren keine Auslagen hatte.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 4. April 2019 wird aufgehoben und die Sache
zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Kosten erhoben.

3. 

Der Kanton Zürich hat Rechtsanwalt Stephan Bernard für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. November 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld