Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.590/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_590/2019

Urteil vom 28. Juni 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Oberholzer,

nebenamtliche Bundesrichterin Lötscher,

Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte

X.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Mario Thöny,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Erster Staatsanwalt, Sennhofstrasse
17, 7000 Chur,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür, Unschuldsvermutung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts

von Graubünden, I. Strafkammer, vom 20. März 2019 (SK1 17 42).

Sachverhalt:

A. 

X.________ überschritt am 4. April 2016 um 16.07 Uhr mit seinem Personenwagen
auf der Autobahn A3 zwischen Wädenswil und Chur auf dem Gemeindegebiet von
Wangen SZ die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 39 km/h (nach Abzug der
Sicherheitsmarge).

B. 

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden verurteilte X.________ mit
Strafbefehl vom 3. Januar 2017 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu
einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 180.--, bedingt vollziehbar bei
einer Probezeit von drei Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 1'000.--.

C. 

Auf Einsprache hin verurteilte das Regionalgericht Engiadina Bassa/Val Müstair
X.________ mit Urteil vom 29. Juni 2017 wegen einfacher Verletzung der
Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 1'000.--.

D. 

Auf Berufung der Staatsanwaltschaft Graubünden hin verurteilte das
Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, X.________ mit Urteil vom 20.
März 2019 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Geldstrafe von 15
Tagessätzen zu Fr. 180.-- als Zusatzstrafe zum Strafbefehl vom 2. Juni 2017,
bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren, sowie zu einer Busse
von Fr. 500.--.

E. 

X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des
Kantonsgerichts vom 20. März 2019 sei aufzuheben. Er sei der einfachen
Verkehrsregelverletzung schuldig zu sprechen und mit einer Busse von Fr. 500.--
zu bestrafen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und
eine Verletzung der Unschuldsvermutung. Die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon
aus, dass die Geschwindigkeitsmessung bei der Videosequenz «time 0 min 54 s»
beginne. In Wahrheit beginne die Messung erst bei der Sequenz «time 1 min 00
s». Die Vorinstanz würdige zur Beurteilung seiner
Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund dieser fehlerhaften Annahme einen
Streckenabschnitt, der gar nicht im Bereich der Messung liege. Damit gehe sie
fälschlicherweise von einer lang gezogenen Rechtskurve und zwei Brücken und
damit von einer nicht vollständig übersichtlichen Situation aus. Diese
Situation sei bei Beginn der Messsequenz «time 1 min 00 s» bereits vorüber. Im
gemessenen Streckenabschnitt sei die Autobahn relativ gerade und werde nicht
von Brücken überquert. Zudem habe im Zeitpunkt der Messung ein geringes
Verkehrsaufkommen geherrscht.

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG
kann die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nur gerügt werden,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Verletzung von
schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. Offensichtlich
unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich im Sinne von
Art. 9 BV ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244; 143 I 310 E. 2.2 S. 313; je mit
Hinweis). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die
vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die
Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler
beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE
143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244 mit Hinweisen). Die Rüge der Willkür muss in der
Beschwerde explizit vorgebracht und substantiiert begründet werden (Art. 106
Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid
tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368 mit Hinweis).

1.3. Ob die Messung bei der Sequenz «time 0 min 54 s» oder erst 6 Sekunden
später anfängt, ist für den Ausgang des Verfahrens nicht entscheidend. Die
Vorinstanz stützt ihren Schuldspruch nicht primär auf die durch den
Beschwerdeführer beanstandete Sachverhaltsfeststellung. Sie setzt sich vielmehr
mit der vom Beschwerdeführer dargelegten Sachlage auseinander und geht bei
ihrer rechtlichen Würdigung in ihrer Hauptbegründung von einer relativ gerade
verlaufenden Fahrstrecke aus. Nur in ihrer Eventualbegründung stützt sich die
Vorinstanz auf die beanstandete Sachverhaltsfeststellung. Auf diese muss aber
nicht zurückgegriffen werden, weil bereits die Hauptbegründung verfängt, wie
nachfolgend zu zeigen ist. Eine Korrektur der Sachverhaltsfeststellungen im
Sinne der Darstellung des Beschwerdeführers ist mangels Entscheidrelevanz nicht
angezeigt.

1.4. Die gerügte Verletzung der Unschuldsvermutung begründet der
Beschwerdeführer nicht. Er genügt damit seiner Begründungspflicht nicht (Art.
42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG), womit auf diese Rüge nicht einzutreten ist.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 32 Abs. 2 SVG (richtig
wohl: Art. 32 Abs. 1 SVG) und Art. 90 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 4a Abs. 1 lit. d
der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11). Er
anerkennt die Erfüllung des objektiven Tatbestands von Art. 90 Abs. 2 SVG,
bestreitet aber, den subjektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung
erfüllt zu haben. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei ortskundig und habe
seine Geschwindigkeitsüberschreitung bei besten Witterungs- und
Sichtverhältnissen an einer übersichtlichen Stelle, bei relativ geradem
Strassenverlauf und bei geringem Verkehrsaufkommen auf einer
richtungsgetrennten, doppelspurigen Autobahn begangen. In dem betreffenden
Streckenabschnitt befinde sich keine Autobahneinfahrt. Es sei keine erhöhte
Aufmerksamkeit erforderlich gewesen. Er habe kein bedenkenloses Verhalten
gegenüber fremden Rechtsgütern an den Tag gelegt. Sein Verhalten sei zwar als
pflichtwidrig unachtsam, aber nicht als rücksichtslos zu qualifizieren.

2.2. Nach Art. 90 Abs. 2 SVG macht sich strafbar, wer durch grobe Verletzung
von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft
oder in Kauf nimmt.

Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend
verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei
fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen,
wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst
ist. Grobe Fahrlässigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn der Täter die
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht
zieht. Die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung setzt in diesem Fall
voraus, dass das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf
Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses
Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen
(momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen (BGE 131
IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen). Zwar darf nicht unbesehen von der
objektiven auf die subjektiv schwere Verkehrsregelverletzung geschlossen
werden. Das Bundesgericht wertete jedoch die Mehrheit der beurteilten Fälle von
Geschwindigkeitsüberschreitungen, welche den objektiven Tatbestand von Art. 90
Abs. 2 SVG erfüllten, auch in subjektiver Hinsicht als rücksichtslos, weil
besondere Umstände fehlten, die die Geschwindigkeitsüberschreitung in einem
milderen Licht erscheinen liessen. Solche nahm es etwa an bei einer
Geschwindigkeitsüberschreitung um 29 km/h, wobei die Geschwindigkeit zur
kurzfristigen Verkehrsberuhigung innerorts mit 60 km/h signalisiert war, die
Strecke angesichts des guten Ausbaus und der Übersichtlichkeit optisch als
Ausserortsstrecke erschien, die Sicht- und Witterungsverhältnisse ideal waren
sowie geringer Verkehr herrschte (BGE 142 IV 93 E. 3.1 S. 96; Urteil 6B_148/
2012 vom 30. April 2012 E. 1.3; je mit Hinweisen).

Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird
Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen
Gegenindizien vorliegen (BGE 142 IV 93 E. 3.1 S. 96 mit Hinweisen). Nach
ständiger Rechtsprechung sind die objektiven und grundsätzlich auch die
subjektiven Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung ungeachtet der
konkreten Umstände zu bejahen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit
ausserorts um 30 km/h oder auf Autobahnen um 35 km/h oder mehr überschritten
wird (BGE 143 IV 508 E. 1.3 S. 512; 132 II 234 E. 3.1 S. 237 f.; je mit
Hinweisen).

2.3. Die Geschwindigkeitsüberschreitung des Beschwerdeführers betrug 39 km/h
auf der Autobahn. Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich, die als
Gegenindizien gegen das Vorliegen von Rücksichtslosigkeit sprechen würden. Es
lagen zwar gute und übersichtliche Verhältnisse vor. Dies wird von der
Vorinstanz im Rahmen ihrer Hauptbegründung auch nicht in Abrede gestellt. Es
handelt sich bei den konkreten Verhältnissen aber keineswegs um besondere
Umstände, die die Geschwindigkeitsüberschreitung in einem milderen Licht
erscheinen lassen würden. Vielmehr lag eine Alltagssituation auf der Autobahn
vor, aus der der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten kann. Im
Einklang mit der durch die Vorinstanz sorgfältig referierten ständigen
Rechtsprechung sind auch die subjektiven Voraussetzungen der groben
Verkehrsregelverletzung zu bejahen. Die Beschwerde erweist sich als
unbegründet.

3. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Juni 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Faga