Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.561/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_561/2019

Urteil vom 7. Oktober 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,

als präsidierendes Mitglied,

Bundesrichter Oberholzer,

Bundesrichter Rüedi,

Gerichtsschreiber Reut.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic Marini,

Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln, mehrfaches Fahren ohne
Berechtigung; Strafzumessung; "reformatio in peius",

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts

des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer,

vom 5. April 2019 (SST.2019.68).

Sachverhalt:

A. 

A.________ wird vorgeworfen, mit seinem Personenwagen innerorts die zulässige
Höchstgeschwindigkeit nach Abzug der Toleranzgrenze um 51 km/h überschritten zu
haben. Zudem soll er auf dem Vorplatz seiner Arbeitgeberin mit verschiedenen
Personenwagen (Werkstattfahrzeugen) gefahren sein, obwohl ihm sein
Führerausweis von der Kantonspolizei Aargau am 12. Dezember 2015 vorläufig
entzogen worden war.

B. 

Das Bezirksgericht Zofingen verurteilte A.________ am 16. März 2017 wegen
qualifiziert grober Verletzung der Verkehrsregeln und Führens eines
Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises zu einer be-dingten
Freiheitsstrafe von 20 Monaten und einer (unbedingten) Geld-strafe von 30
Tagessätzen zu Fr. 120.--.

Auf Berufung von A.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am
16. November 2017 die bedingte Freiheitsstrafe von 20 Monaten wegen
qualifiziert grober Verletzung der Verkehrsregeln, sprach wegen Führens eines
Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises hingegen eine bedingte
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 120.-- und eine Verbindungsbusse von Fr.
500.-- respektive eine Ersatzfreiheitsstrafe von 5 Tagen im Falle schuldhafter
Nichtbezahlung der Busse aus. Es setzte alsdann die Anklagegebühr von Fr.
2'750.-- auf Fr. 1'800.-- herab. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden
A.________ zu fünf Sechstel auferlegt. Das Obergericht entschädigte ihn im
Umfang von einem Sechstel für die im Berufungsverfahren angefallenen
Parteikosten.

C. 

Auf Beschwerde von A.________ wies das Bundesgericht die Sache am 11. März 2019
im Umfang einer teilweisen Aufhebung zu neuer Entscheidung an das Obergericht
zurück (Urteil 6B_1358/2017).

D. 

Das Obergericht fällte am 5. April 2019 ein neues Urteil. Es verurteilte
A.________ nunmehr zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten, einer
bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 120.-- sowie zu einer
Verbindungsbusse von Fr. 500.-- bzw. einer ersatzweisen Freiheitsstrafe von 5
Tagen. Es auferlegte A.________ einen Drittel der obergerichtlichen
Verfahrenskosten und sprach ihm im Umfang von zwei Drittel seiner Parteikosten
eine Entschädigung zu.

E. 

Gegen diesen Entscheid richtet sich die von A.________ erhobene Beschwerde in
Strafsachen. Er beantragt, es sei auf eine Verbindungsbusse im Sinne von Art.
42 Abs. 4 StGB zu verzichten. Die obergerichtlichen Verfahrenskosten seien ihm
höchstens zu einem Achtel aufzuerlegen und im Übrigen auf die Staatskasse zu
nehmen. Entsprechend seien ihm mindestens sieben Achtel seiner gerichtlich
genehmigten Parteikosten auszubezahlen. Eventualiter sei das angefochtene
Urteil aufzuheben und es sei die Sache zur neuerlichen Beurteilung an das
Obergericht zurückzuweisen. 

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe es zu Unrecht unterlassen,
im Rückweisungsverfahren die Voraussetzungen der Verbindungsbusse nach Art. 42
Abs. 4 StGB zu prüfen. Die Vorinstanz habe damit seinen Anspruch auf
rechtliches Gehör und die Pflicht zur Justizgewährleistung im Sinne von Art. 32
Abs. 3 BV verletzt (Beschwerde S. 4).

1.2. Das Bundesgericht erwog, dass das Verbot der "reformatio in peius" der
Ausfällung einer Verbindungsbusse im vorliegenden Fall nicht entgegenstehen
würde. Da es die Angelegenheit namentlich zur Neubeurteilung des
Sanktionspunkts an die Vorinstanz zurückwies, erübrigte es sich, auf die
erhobene Rüge der Verletzung von Art. 42 Abs. 4 StGB einzugehen (a.a.O. E. 4
und E. 6). Insofern wäre die Vorinstanz gehalten gewesen, die Voraussetzungen
der Verbindungsbusse im neuen Entscheid - unter Berücksichtigung von allenfalls
zulässigen Noven (vgl. BGE 135 III 334 E. 2) - erneut in Erwägung zu ziehen. Da
sich der Beschwerdeführer indes mit denselben Argumenten wie schon im Verfahren
6B_1358/2017 gegen die Verbindungsbusse zur Wehr setzt, sich der Sachverhalt
unverändert präsentiert und die Vorinstanz "im Übrigen" auf die Ausführungen im
ersten Entscheid verweist (angefochtener Entscheid S. 4), sind die Rügen des
Beschwerdeführers gleichwohl zu behandeln.

2. 

In materieller Hinsicht bemängelt der Beschwerdeführer, die angeordnete
Verbindungsbusse verletze Art. 42 Abs. 4 StGB. Es sei richtig, dass er trotz
Entzugs des Führerausweises Fahrzeuge gelenkt habe. Dennoch lasse insbesondere
der Umstand, dass er wenige Tage nach dem Geschwindigkeitsexzess auf dem
Vorplatz seiner Arbeitgeberin Werkstattautos verschoben habe, nicht den Schluss
zu, das Strafverfahren habe keine Wirkung gezeigt. Die Vorinstanz lasse zudem
unberücksichtigt, dass es sich vorliegend nicht um einen Fall von
Schnittstellenproblematik handle und der Beschwerdeführer bereits einen
spürbaren "Denkzettel" erhalten habe. Namentlich habe der damals 19-jährige
Lehrling für das Verschieben von Werkstattfahrzeugen auf dem Vorplatz bei
seiner Arbeitgeberin drei Tage in Untersuchungshaft verbracht. Die Inhaftierung
habe einen starken Eindruck hinterlassen. Schliesslich habe sich der
Beschwerdeführer auch seither nichts mehr zu Schulden kommen lassen (Beschwerde
S. 4 f.).

2.1. Gestützt auf Art. 42 Abs. 4 StGB kann eine bedingte Strafe mit einer
unbedingten Geldstrafe oder mit einer Busse nach Art. 106 StGB verbunden
werden. Die Bestimmung dient in erster Linie dazu, die
Schnittstellenproblematik zwischen der Busse (für Übertretungen) und der
bedingten Geldstrafe (für Vergehen) zu entschärfen. Auf Massendelikte, die im
untersten Bereich bloss mit Bussen geahndet werden, soll - auch - mit einer
unbedingten Sanktion reagiert werden können, wenn sie die Schwelle zum Vergehen
überschreiten. Insoweit, also im Bereich der leichteren Kriminalität, verhilft
Art. 42 Abs. 4 StGB zu einer rechtsgleichen Sanktionierung und übernimmt auch
Aufgaben der Generalprävention (BGE 134 IV 60 E. 7.3.1 S. 74 f. mit Hinweisen).
Darüber hinaus erhöht die Strafenkombination ganz allgemein die Flexibilität
des Gerichts bei der Auswahl der Strafart. Sie kommt in Betracht, wenn man dem
Täter den bedingten Vollzug der Freiheitsstrafe gewähren möchte, ihm aber
dennoch in gewissen Fällen mit der Auferlegung einer zu bezahlenden Geldstrafe
oder Busse einen spürbaren Denkzettel verabreichen möchte. Die
Strafenkombination dient hier spezialpräventiven Zwecken (BGE 135 IV 188 E. 3.3
S. 189; 134 IV 82 E. 4.2 S. 85, 1 E. 4.5.2 S. 8). Es liegt im Ermessen des
Sachgerichts, ob und wie es die Strafenkombination von Art. 42 Abs. 4 StGB
anwenden will (Urteil 6B_1042/2008 vom 30. April 2009 E. 2.2).

2.2. Die Vorinstanz hat eine Gesamtwürdigung aller rechtserheblichen Umstände
vorgenommen. Sie hat in Bezug auf den Beschwerdeführer erwogen (Entscheid vom
16. November 2017 S. 11), es könne aufgrund des Umstands, dass er kurz nach dem
Entzug des Führerausweises unbekümmert davon und mehrfach Autos auf dem
Vorplatz seiner Arbeitgeberin verschoben habe, zwar keine gute Legalprognose
gestellt werden. Ihm sei allerdings auch keine eigentliche Schlechtprognose zu
stellen. Bei ihrer Prüfung berücksichtigt die Vorinstanz die
Vorstrafenlosigkeit des Beschwerdeführers wie auch dessen stabile familiäre und
berufliche Situation. Entgegen seiner Ansicht werden auch die drei Tage
Untersuchungshaft nicht ausser Acht gelassen. Im Unterschied zur ersten Instanz
schiebt die Vorinstanz nicht nur den Vollzug der Freiheitsstrafe auf, sondern
spricht auch die Geldstrafe bedingt aus. Mit ihrer Auffassung, dass den noch
bestehenden, durchaus erheblichen Bedenken an der Legalbewährung mit dem
Ausfällen einer Verbindungsbusse angemessen Rechnung zu tragen sei, liegt die
Vorinstanz im weiten sachrichterlichen Ermessen. Sie hat die Gewährung des
bedingten Strafvollzugs, kombiniert mit einer Verbindungsbusse, dem unbedingten
Vollzug vorgezogen, nachdem sie die Strafenkombination spezialpräventiv als
ausreichend erachtet hat. Dies ist nicht zu beanstanden.

3. 

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz verfalle beim Kostenspruch
in Willkür und verletze Art. 428 f. i.V.m. Art. 436 StPO, indem sie das
teilweise Obsiegen im neuen Verfahren im Vergleich zum ersten
Berufungsverfahren ohne Begründung zum Nachteil des Beschwerdeführers abändere.
Im Ergebnis habe er mit einer kaum ins Gewicht fallenden Ausnahme
vollumfänglich obsiegt (Beschwerde S. 6).

3.1. Die Vorinstanz erwägt, die Berufung des Beschwerdeführers erweise sich in
Bezug auf die Höhe der Freiheitsstrafe sowie die Gewährung des bedingten
Strafvollzugs für die Geldstrafe vollständig und hinsichtlich der Höhe der
Anklagegebühr teilweise als berechtigt. Bei diesem Ausgang seien dem
Beschwerdeführer die obergerichtlichen Verfahrenskosten zu einem Drittel
aufzuerlegen und im Übrigen auf die Staatskasse zu nehmen. Dementsprechend habe
der Beschwerdeführer im Umfang von zwei Dritteln Anspruch auf Ersatz seiner im
Berufungsverfahren auf Fr. 2'000.-- festgesetzten Parteikosten (angefochtener
Entscheid S. 4).

3.2. Nach Art. 428 Abs. 1 StPO tragen die Parteien die Kosten des
Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens. Ob bzw.
inwieweit eine Partei im Sinne dieser Bestimmung obsiegt oder unterliegt, hängt
davon ab, in welchem Ausmass ihre vor der zweiten Instanz gestellten Anträge
gutgeheissen werden (Urteil 6B_572/2018 vom 1. Oktober 2018 E. 5.1.2 mit
Hinweis). Innerhalb der rechtlichen Grundsätze liegt die Kostenverteilung im
Ermessen des Sachgerichts. Da das Sachgericht am besten in der Lage ist, die
Angemessenheit der Kostenverteilung zu beurteilen, auferlegt sich das
Bundesgericht eine gewisse Zurückhaltung. Es schreitet nur ein, wenn das
Sachgericht den ihm zustehenden weiten Ermessensspielraum überschritten hat
(Urteile 6B_1050/2018 vom 8. März 2019 E. 4.1.3 und 6B_900/2017 vom 14. Februar
2018 E. 2.3; je mit Hinweisen). Die Entschädigungsfrage folgt grundsätzlich den
gleichen Regeln wie der Kostenentscheid (vgl. Art. 429 Abs. 1 und Art. 436
StPO).

3.3. Die Vorinstanz berücksichtigt in ihrem Kostenspruch, dass der
Beschwerdeführer im Strafpunkt und im Zusammenhang mit der Höhe der
Anklagegebühr weitgehend obsiegt hat. Freilich betrifft sein Unterliegen - mit
Ausnahme der Höhe der Geldstrafe - blosse Nebenpunkte. Die Vorinstanz hält sich
mit dem festgelegten Verteilungsschlüssel allerdings gerade noch im Rahmen
ihres Ermessensspielraums. Die Rüge erweist sich als unbegründet.

4. 

Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei der Regelung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich der
Beschwerdeführer in Bezug auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs in guten
Treuen zur Beschwerdeführung veranlasst sehen durfte. Es rechtfertigt sich
daher, dem Beschwerdeführer lediglich eine reduzierte Entscheidgebühr
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 2 BGG; vgl. Urteile 6B_941/2018
vom 6. März 2019 E. 3; 6B_1024/2018 vom 7. Februar 2019 E. 4). Zudem hat ihm
der Kanton Aargau für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung
auszurichten (vgl. BGE 133 I 234 E. 3).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Oktober 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari

Der Gerichtsschreiber: Reut