Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.531/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_531/2019

Urteil vom 20. Juni 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte

X.________,

Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Verfahrenseinstellung; Entschädigungsfolgen,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 21. Februar 2019 (UH180439-O/U/PFE).

Sachverhalt:

A. 

Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmt sprach X.________ mit Strafbefehl vom 28.
April 2018 des mehrfachen Diebstahls schuldig und bestrafte ihn mit einer
unbedingten Freiheitsstrafe von 90 Tagen. X.________ erhob gegen den
Strafbefehl Einsprache. Das Amt für Justizvollzug (AJV) schrieb X.________ am
7. Juni 2018 über Ripol zur Verhaftung aus. Infolgedessen wurde dieser am 13.
September 2018 verhaftet. Am 26. September 2018 wurde er wieder aus der Haft
entlassen.

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2018 kündete die Staatsanwaltschaft X.________ den
bevorstehenden Abschluss der Untersuchung mit einer Einstellungsverfügung an,
wobei sie ihm Gelegenheit gab, innert einer Frist von 10 Tagen allfällige
Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche geltend zu machen. X.________
reagierte darauf nicht.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren gegen X.________ wegen
Diebstahls mit Verfügung vom 9. November 2018 ein. Sie sprach diesem für die
insgesamt 16 Tage dauernde Haft eine Genugtuung von Fr. 1'600.-- zu. Von der
Ausrichtung einer Entschädigung sah sie ab.

B. 

Das Obergericht des Kantons Zürich hiess die Beschwerde von X.________ gegen
diesen Entscheid mit Beschluss vom 21. Februar 2019 teilweise gut und sprach
diesem für die erstandene Haft eine Genugtuung von Fr. 2'560.-- zu. Im Übrigen
wies es die Beschwerde ab.

C. 

X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid vom 21.
Februar 2019 sei aufzuheben und er sei mit Fr. 21'600.-- zu entschädigen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass ihm für die 16 Tage Haft
lediglich eine Genugtuung von Fr. 2'560.-- zugesprochen wurde. Ihm aufgrund der
unterschiedlichen Kaufkraft in Polen eine reduzierte Entschädigung
auszurichten, komme einer Diskriminierung aufgrund seiner Herkunft gleich.

1.2.

1.2.1. Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder
wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf Genugtuung
für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse,
insbesondere bei Freiheitsentzug (Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO).

Ein Anspruch auf Genugtuung im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO besteht
regelmässig, wenn gegenüber der beschuldigten Person Untersuchungs- oder
Sicherheitshaft angeordnet wurde. Nebst der Haft können auch weitere
Verfahrenshandlungen oder Umstände wie etwa familiäre oder berufliche
Konsequenzen des Strafverfahrens eine schwere Verletzung der persönlichen
Verhältnisse im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO begründen (BGE 143 IV 339
E. 3.1 S. 341 mit Hinweis).

1.2.2. Im Falle einer ungerechtfertigten Inhaftierung von kurzer Dauer erachtet
die Rechtsprechung grundsätzlich einen Betrag von Fr. 200.-- pro Hafttag als
angemessen, soweit keine besonderen Umstände einen tieferen oder höheren Betrag
rechtfertigen. Dieser Tagessatz ist indes nur ein Kriterium für die Ermittlung
der Grössenordnung der Entschädigung. In einem zweiten Schritt sind auch die
Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen wie die Dauer des
Freiheitsentzugs, die Auswirkungen des Strafverfahrens auf die betroffene
Person und die Schwere der ihr vorgeworfenen Taten etc. (zum Ganzen: BGE 143 IV
339 E. 3.1 S. 342; Urteile 6B_506/2015 vom 6. August 2015 E. 1.3.1; 6B_53/2013
vom 8. Juli 2013 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 139 IV 243).

Die Lebenshaltungskosten am Wohnort der anspruchsberechtigten Person haben bei
der Festsetzung der Genugtuung im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO
grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben. Von diesem Grundsatz darf abgewichen
werden, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten am Wohnort der
anspruchsberechtigten Person von den hiesigen Verhältnissen markant abweichen
und eine Entschädigung nach dem üblichen Ansatz daher eine krasse
Besserstellung der anspruchsberechtigten Person zur Folge hätte. Sind die am
Wohnort tieferen Lebenshaltungskosten bei der Festsetzung der Genugtuung im
Sinne von Art. 431 Abs. 2 StPO ausnahmsweise zu berücksichtigen, darf indes
nicht schematisch auf das (ungefähre) Verhältnis zwischen den
Lebenshaltungskosten am Wohnort der anspruchsberechtigten Person und in der
Schweiz abgestellt werden. Das Bundesgericht liess eine gewisse, nicht
schematische Genugtuungsreduktion in Fällen zu, in denen die
Lebenshaltungskosten am Wohnsitz des Berechtigten viel niedriger lagen als in
der Schweiz (zum Ganzen: Urteile 6B_984/2018 vom 4. April 2019 E. 5.4.1; 6B_909
/2015 vom 22. Juni 2016 E. 2.3.1 f.; 6B_1052/2014 vom 22. Dezember 2015 E. 2.4;
siehe dazu auch BGE 125 II 554 für das OHG).

1.2.3. Die Festlegung der Genugtuungssumme beruht auf richterlichem Ermessen,
in welches das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift (BGE 143 IV 339 E.
3.1 S. 342 f.; Urteile 6B_1342/2016 vom 12. Juli 2017 E. 4.2; 6B_53/2013 vom 8.
Juli 2013 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 139 IV 243).

1.3. Die Vorinstanz sprach dem Beschwerdeführer für den insgesamt 16-tägigen
Freiheitsentzug eine Genugtuung von Fr. 2'560.-- zu, was Fr. 160.-- pro Hafttag
entspricht. Sie erwägt, grundsätzlich sei in Anlehnung an die
bundesgerichtliche Rechtsprechung von einer Genugtuung von Fr. 200.-- pro
Hafttag auszugehen. Mit Blick auf die verglichen mit den hiesigen Verhältnissen
um rund 60% tiefere Kaufkraft am Wohnort des Beschwerdeführers, wobei das
durchschnittliche Lohnniveau gar nur rund 1/5 des schweizerischen betrage,
lägen hingegen aussergewöhnliche Umstände vor, welche eine Reduktion der
üblichen Entschädigungspauschale von Fr. 200.-- pro Hafttag auf Fr. 160.--
rechtfertigen würden (angefochtenes Urteil E. 2.6 S. 7).

1.4. Vorliegend befand sich der Beschwerdeführer in der Zeit vom 13. bis 26.
September 2018 im Freiheitsentzug, weil die Staatsanwaltschaft dem AJV
(versehentlich) mitteilte, der Strafbefehl vom 28. April 2018 sei
rechtskräftig. Der Freiheitsentzug erfolgte insoweit daher nicht unter dem
Titel der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft, sondern weil zu Unrecht eine
nicht rechtskräftige Freiheitsstrafe vollzogen wurde. Es rechtfertigt sich
dennoch, den Freiheitsentzug nach den gleichen Grundsätzen zu entschädigen wie
die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft im Falle eines Freispruchs oder einer
Verfahrenseinstellung.

1.5. Der Beschwerdeführer übersieht mit seiner Kritik, dass eine
Berücksichtigung der in der Schweiz im Vergleich zu Polen unterschiedlichen
Kaufkraft bei der Festsetzung der Genugtuung nicht zwingend gegen Bundesrecht
verstösst. Er setzt sich mit der zuvor erwähnten Rechtsprechung (oben E. 1.2.2)
nicht auseinander und zeigt nicht auf, inwiefern die Vorinstanz mit der
Reduktion der Tagespauschale um Fr. 40.-- das ihr zustehende Ermessen
überschritten haben könnte. Er widerlegt insbesondere nicht, dass die
Lebenshaltungskosten an seinem Wohnort in Polen markant tiefer sind und
insofern besondere Umstände vorliegen, welche bei der Festsetzung der
Genugtuung mitberücksichtigt werden dürfen. Der Vorinstanz kann angesichts der
Reduktion um lediglich Fr. 40.--, d.h. 20%, auch nicht zum Vorwurf gemacht
werden, sie habe diesen Umstand übermässig gewichtet. Die übrigen vom
Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände (erschwerter Kontakt zur Familie
während der Haft; Imageschaden bei Geschäftspartner) sind einem Freiheitsentzug
teils inhärent und rechtfertigen ebenfalls keinen höheren Ansatz.

Zwar sind die Umstände der Inhaftierung des Beschwerdeführers in der Zeit vom
13. bis 26. September 2018 besonders bedauerlich, da ein nicht rechtskräftiger
Strafbefehl vollzogen wurde. Der Vorinstanz kann dennoch nicht vorgeworfen
werden, sie habe bei der Festsetzung der Genugtuung ihr Ermessen überschritten
bzw. sie sei in Verletzung von Bundesrecht von rechtlich nicht massgebenden
Kriterien ausgegangen oder habe wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht
gelassen. Die Rüge des Beschwerdeführers ist unbegründet, soweit sie den
gesetzlichen Begründungsanforderungen überhaupt zu genügen vermag (vgl. Art. 42
Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Die Vorinstanz trat auf die übrigen Schadenersatzbegehren des
Beschwerdeführers nicht ein, weil dieser auf das Schreiben vom 2. Oktober 2018
nicht reagierte und er sein Begehren erstmals im Beschwerdeverfahren stellte.
Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, er sei im Schreiben vom 2. Oktober 2018
lediglich über die beabsichtigte Verfahrenseinstellung informiert worden. Eine
Aufforderung, Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche geltend zu machen, habe
das Schreiben nicht enthalten.

2.2. Wird das Verfahren eingestellt, so hat die beschuldigte Person Anspruch
auf Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen
Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind (Art. 429 Abs. 1 lit. b StPO).
Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte
Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen (Art. 429 Abs. 2
StPO).

Die Strafbehörde ist nicht verpflichtet, alle für die Beurteilung des
Entschädigungsanspruchs bedeutsamen Tatsachen von Amtes wegen abzuklären.
Gestützt auf Art. 429 Abs. 2 StPO hat sie die beschuldigte Person mindestens
anzuhören und gegebenenfalls aufzufordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu
belegen. Es obliegt der beschuldigten Person, ihre Ansprüche zu begründen und
auch zu belegen, d.h. zu beweisen. Reagiert die beweispflichtige Person auf die
behördliche Aufforderung nicht, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen
(Art. 429 Abs. 2 StPO), lässt dies auf einen Verzicht auf eine Geltendmachung
schliessen und die Entschädigung kann auch nach Erlass der
Einstellungsverfügung auf dem Beschwerdeweg nicht mehr geltend gemacht werden.
Dies gilt zumindest dann, wenn kein Anlass für Abklärungen der
Staatsanwaltschaft von Amtes wegen bestand (zum Ganzen: Urteil 6B_353/2018 vom
30. Mai 2018 E. 1.3 f.; siehe auch Urteil 6B_156/2016 vom 8. März 2016 E. 2.1
f.).

2.3. Die Staatsanwaltschaft informierte den Beschwerdeführer gemäss den
Verfahrensakten mit Schreiben vom 2. Oktober 2018 über den bevorstehenden
Abschluss der Strafuntersuchung (Art. 318 Abs. 1 StPO), wobei sie diesem -
unter Vorbehalt der Genehmigung durch die Leitung der Staatsanwaltschaft - eine
Verfahrenseinstellung (Art. 319 ff. StPO) in Aussicht stellte. Gleichzeitig bot
sie dem Beschwerdeführer Gelegenheit, innert 10 Tagen allfällige
Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren geltend zu machen (kant. Akten, D1/26).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, das Schreiben vom 2. Oktober 2018
erhalten zu haben. Da er darauf nicht reagierte und es unterliess, gegenüber
der Staatsanwaltschaft Ersatz für den ihm durch das Strafverfahren angeblich
entstandenen Schaden zu beantragen, kann er Schadenersatz auch im
Beschwerdeverfahren nicht mehr beantragen. Die Staatsanwaltschaft hatte keinen
Anlass, über die Genugtuung für die zu Unrecht erstandene Haft hinausgehende
Schadenersatz- oder Genugtuungsansprüche von Amtes wegen zu prüfen.

Die unbelegte Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Schreiben vom 2.
Oktober 2018 nicht aufgefordert worden, allfällige Entschädigungs- und
Genugtuungsbegehren geltend zu machen, ist als Schutzbehauptung zu werten.
Anhaltspunkte, dass das dem Beschwerdeführer zugestellte Schreiben nicht der
Kopie dieses Schreibens in den Verfahrensakten entsprach, liegen nicht vor. Der
Beschwerdeführer selber unterliess es, dem Bundesgericht eine Kopie des bei ihm
eingegangenen Schreibens vom 2. Oktober 2018 einzureichen, womit er seine
Behauptung hätte belegen können.

3. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist
abzuweisen, weil die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Der
finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit herabgesetzten Gerichtskosten
Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Juni 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld