Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.43/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_43/2019

Urteil vom 27. Mai 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte

X.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Walker,

Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse
28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Mehrfaches fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Ausweises;
Widerrufsverfahren,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn,
Strafkammer, vom 23. Oktober 2018 (STBER.2018.34).

Sachverhalt:

A. 

A.a. Mit Strafbefehl vom 26. März 2015 verurteilte die Staatsanwaltschaft des
Kantons Solothurn X.________ wegen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs
des Führerausweises. Er habe am 18. und 19. Oktober 2014 einen Personenwagen
gelenkt, obwohl ihm der Führerausweis am 24. September 2014 entzogen worden
war. X.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft
hielt am Strafbefehl fest und überwies die Sache dem erstinstanzlichen Gericht.

Das Amtsgericht Thal-Gäu vereinigte dieses Strafverfahren mit einem anderen. Am
3. Dezember 2015 sprach es X.________ unter anderem des mehrfachen Führens
eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Ausweises schuldig. Dafür sowie für
weitere Schuldsprüche (mehrfache qualifizierte ungetreue Geschäftsbesorgung,
mehrfache Urkundenfälschung, mehrfache Anstiftung dazu, versuchte Erpressung,
Veruntreuung) bestrafte es ihn mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30
Monaten. Zudem widerrief es den mit Urteil des Obergerichts Solothurn vom 9.
Januar 2014 gewährten bedingten Vollzug einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen.

A.b. Dagegen erhob X.________ Berufung. Das Obergericht Solothurn bestätigte
das erstinstanzliche Urteil bezüglich der Vermögens- und Urkundendelikte
teilweise und sprach X.________ des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs
trotz Entzugs des Führerausweises schuldig. Es fällte eine bedingte
Freiheitsstrafe von 22 Monaten und eine bedingte Geldstrafe von 15 Tagessätzen
und widerrief den mit Urteil des Obergerichts Solothurn vom 9. Januar 2014
gewährten bedingten Vollzug einer Geldstrafe (Urteil vom 22. Juni 2017).

A.c. Das Bundesgericht hiess die dagegen eingereichte Beschwerde in Strafsachen
gut und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück, damit
sie X.________ zum Verkehrsregelverstoss befrage und auch über den damit
verbundenen Widerruf der Vorstrafe neu befinde (Urteil 6B_1042/2017 vom 16.
April 2018).

B. 

Das Berufungsgericht führte eine Verhandlung durch, bei welcher sie X.________
zum Vorhalt des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des
Führerausweises befragte. Es sprach ihn des mehrfachen fahrlässigen Führens
eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises schuldig und belegte ihn
mit einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 210.--. Ausserdem
widerrief es den mit Urteil vom 9. Januar 2014 gewährten bedingten Vollzug
einer Geldstrafe (Urteil vom 23. Oktober 2018).

Die Vorinstanz geht von folgendem Sachverhalt aus: Im Hinblick auf einen
bevorstehenden Führerausweisentzug hat X.________ am 24. September 2014, einen
Tag vor Antritt einer Ferienreise ins Ausland, den Ausweis an die
Motorfahrzeugkontrolle (MFK) gesandt. Am 25. September 2014 erliess diese eine
Verfügung, wonach ihm der Ausweis für eine Dauer von drei Monaten ab dem 24.
September 2014 (vorzeitige Deponierung) bis am 23. Dezember 2014 entzogen
werde. Die Verfügung wurde dem damaligen Rechtsvertreter von X.________ am 26.
September 2014 zugestellt. Der Anwalt sandte ihm am 26. September 2014 eine
E-Mail, in welcher er mitteilte, er müsse den Ausweis "ab dem 24.10.2014"
abgeben (statt, wie verfügt, ab dem 24. September 2014). Am 18. Oktober 2014
kehrte X.________ aus den Ferien in die Schweiz zurück und lenkte gleichentags
noch ein Auto. Am 19. Oktober 2014 wurde er am Steuer polizeilich angehalten
und kontrolliert.

C. 

X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, vom Vorwurf des
mehrfachen fahrlässigen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des
Ausweises freigesprochen zu werden. Das Verfahren bezüglich den Widerruf sei
einzustellen. Eventuell sei die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 

1.1. Den vorinstanzlichen Schluss, es habe ihm klar sein müssen, dass es sich
beim vom Anwalt mitgeteilten Datum um einen Verschrieb handelte, beanstandet
der Beschwerdeführer als bundesrechtswidrig. Die Vorinstanz erwäge, er habe
gewollt, dass sein Ferienaufenthalt in die Dauer des Führerausweisentzugs
falle. Sie halte ihm vor, aufgrund einschlägiger Erfahrung und anwaltlicher
Beratung habe er gewusst, dass die Entzugsdauer mit der Zustellung an die MFK
beginne. Er habe auch anhand des E-Mails seines Anwalts, so die Vorinstanz
weiter, erkennen müssen, dass es sich bei der Datumsangabe um einen Verschrieb
handeln müsse, wäre die Mitteilung doch ganz anders abgefasst gewesen, wenn der
Beginn des Ausweisentzugs tatsächlich erst auf den 24. Oktober 2014 festgelegt
worden wäre, obwohl der Ausweis schon am 24. September 2014 hinterlegt worden
sei. Der Beschwerdeführer macht geltend, es gehe nicht an, ihm aufgrund eines
früheren Ausweisentzugs zu unterstellen, er hätte die Praxis der MFK kennen
müssen. Auch der vorinstanzliche Hinweis auf anwaltliche Beratung halte nicht
stand, sei der Irrtum doch gerade durch eine Information des Anwalts
entstanden. Mit einer telefonischen Anfrage bei der Kanzlei, die in Abwesenheit
des betreffenden Anwalts durch eine Sekretariatsmitarbeiterin in bestätigendem
Sinne beantwortet worden sei, habe er schliesslich alles getan, was er während
seines Auslandaufenthalts vorkehren konnte. Der Irrtum sei also nicht durch
Anwendung pflichtgemässer Vorsicht zu verhindern gewesen. Nach seiner Rückkehr
in die Schweiz am Samstag, den 18. Oktober 2014 habe er erst bei Abholung der
schriftlichen Zusendung am Montag, den 20. Oktober 2014 vom wahren Inhalt der
Verfügung erfahren. Im Zeitpunkt der Kontrolle am 19. Oktober 2014 und auch
während der eingestandenen Fahrt am 18. Oktober 2014 habe er somit keine
Kenntnis davon haben können, dass ihm der Führerausweis tatsächlich schon seit
dem 24. September 2014 entzogen war. Nach Art. 13 Abs. 1 StGB sei zugunsten des
Täters von jenem Sachverhalt auszugehen, den sich der Täter vorstellte, wenn er
sich in einem unvermeidbaren Irrtum befand. In seiner berechtigten Vorstellung
sei er davon ausgegangen, bis zum 23. Oktober 2014 berechtigt zu sein, ein
Motorfahrzeug zu führen. Dass er bereits nicht mehr im Besitz des Ausweises
gewesen sei, sei für die Anwendung des ihm zur Last gelegten Straftatbestandes
von Art. 95 SVG nicht massgeblich.

1.2. Es ist nicht willkürlich (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 241 E.
2.3.1 S. 244), wenn die Vorinstanz u.a. aufgrund des Tenors der E-Mail
ausgeschlossen hat, dass der Beschwerdeführer vor der eigenen Inempfangnahme
der MFK-Verfügung dem geltend gemachten Irrtum unterlegen ist. Der
Beschwerdeführer meint zu Unrecht, die Vorinstanz argumentiere widersprüchlich,
wenn sie auf anwaltliche Beratung verweise, wo doch der Irrtum gerade wegen
einer versehentlich falschen Benennung des Massnahmebeginns durch diesen Anwalt
entstanden sei. Hier ist ihm entgegenzuhalten, dass die Vorinstanz damit einzig
ein Indiz dafür genannt hat, weshalb der Beschwerdeführer, der mit der
vorzeitigen Hinterlegung des Ausweises (vgl. Art. 32 VZV; Urteil 1C_74/2007 vom
10. September 2007 E. 2.3) einen sofortigen Massnahmebeginn bewirken wollte,
aus der Darstellung des Anwalts, es sei gleichsam alles in Ordnung, schliessen
musste, dass es sich bei der Datumsangabe um einen Verschrieb handelte (vgl.
angefochtenes Urteil, S. 9 f. E. 3). Wenn der Ausweisentzug - dem Wortlaut in
der E-Mail gemäss - erst nach seinen Ferien begonnen hätte, hätte die
vorzeitige Einsendung des Ausweises ihren Zweck verfehlt, was sich in der
Mitteilung des Rechtsvertreters niedergeschlagen hätte. Unter diesen Umständen
spielt der vorinstanzlich angeführte zusätzliche Gesichtspunkt früherer
Erfahrungen mit einem Führerausweisentzug keine entscheidende Rolle. Was
schliesslich den Anruf des Beschwerdeführers in der Kanzlei seines damaligen
Rechtsvertreters betrifft, ist nicht ersichtlich, inwiefern die vorinstanzliche
Annahme bundesrechtswidrig sein sollte, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
sei es völlig ausgeschlossen, dass eine Mitarbeiterin im Sekretariat während
eines knapp zweieinhalbminütigen Telefonats erfasse, um was es gehe und den
Sachverhalt prüfe, nur um dann den Fehler, der mit einem Blick auf die
Verfügung der MFK erkennbar war, fälschlicherweise zu bestätigen (angefochtenes
Urteil, S. 8).

Somit durfte die Vorinstanz von einem vermeidbaren Irrtum (Art. 13 Abs. 2 StGB)
ausgehen und den Beschwerdeführer des fahrlässigen mehrfachen Führens eines
Motorfahrzeugs trotz entzogenen Führerausweises (Art. 95 Abs. 1 lit. b in
Verbindung mit Art. 100 Ziff. 1 SVG) schuldig sprechen.

1.3. Der Beschwerdeführer rügt den Widerruf des bedingten Vollzugs einer
Vorstrafe (Art. 46 StGB) ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt des
beantragten Freispruchs. Mit dem Schuldspruch ist der Widerruf ohne Weiteres zu
bestätigen.

2. 

Die Beschwerde ist abzuweisen. Der Beschwerdeführer wird kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Mai 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Traub