Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.33/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_33/2019

Urteil vom 22. Mai 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte

A.________, vertreten durch

Rechtsanwalt Dominique Chopard,

Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Nichtanhandnahme (fahrlässige Körperverletzung, Arbeitsunfall),

Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom
15. November 2018

(2N 18 69).

Sachverhalt:

A. 

A.________ erlitt am 17. Mai 2017 einen Arbeitsunfall, infolgedessen ihm der
rechte Daumen amputiert werden musste.

Mit Verfügung vom 26. Mai 2017 beschloss die Staatsanwaltschaft Abteilung 2
Emmen, in dieser Sache kein Strafverfahren an die Hand zu nehmen.

B. 

Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Kantonsgericht Luzern nicht ein
(Verfügung vom 15. November 2018).

C. 

A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die angefochtene
Verfügung sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf die Beschwerde
gegen die Nichtanhandnahmeverfügung einzutreten.

Erwägungen:

1. 

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht auf
seine kantonale Beschwerde eingetreten. Dazu ist er ohne Weiteres legitimiert
(BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; Urteil 6B_829/2018 vom 21. März 2019 E. 1.2).

2. 

Die Vorinstanz ist mit der Begründung nicht auf die Beschwerde eingetreten, der
Beschwerdeführer als Geschädigter habe sich nicht als Privatkläger
konstituiert. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Erhebung einer Beschwerde
gegen die Nichtanhandnahmeverfügung sei einer formellen Erklärung über die
Konstituierung als Privatkläger gleichzusetzen, weil dadurch rechtsgenügend zum
Ausdruck gebracht werde, dass sich der Geschädigte am Strafverfahren beteiligen
will.

3. 

Im kantonalen Verfahren kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes
Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, ein
Rechtsmittel ergreifen (Art. 382 Abs. 1 StPO). Eine Nichtanhandnahmeverfügung
kann innert zehn Tagen bei der Beschwerdeinstanz angefochten werden (Art. 310
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 322 Abs. 2 StPO). Als (beschwerdebefugte) Partei
gilt unter anderem die Privatklägerschaft (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO).
Privatkläger ist, wer als geschädigte Person ausdrücklich erklärt, sich am
Strafverfahren als Straf- oder Zivilkläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1
StPO). Die Erklärung ist gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde spätestens bis
zum Abschluss des Vorverfahrens abzugeben (Abs. 3). Das Vorverfahren besteht
aus dem Ermittlungsverfahren der Polizei (Art. 306 f. StPO) und der
Untersuchung der Staatsanwaltschaft (Art. 308 ff.; Art. 299 Abs. 1 StPO). Hat
die geschädigte Person von sich aus keine Erklärung über die Konstituierung als
Privatklägerin abgegeben, so weist sie die Staatsanwaltschaft nach Eröffnung
des Vorverfahrens auf diese Möglichkeit hin (Art. 118 Abs. 4 StPO).

Geschädigte, die sich nicht als Privatkläger konstituiert haben, können eine
Nichtanhandnahme- oder Einstellungsverfügung mangels Parteistellung
grundsätzlich nicht anfechten. Diese Einschränkung gilt dann nicht, wenn die
geschädigte Person noch keine Gelegenheit hatte, sich zur Frage der
Konstituierung zu äussern, so etwa wenn eine Einstellung ergeht, ohne dass die
Strafverfolgungsbehörde die geschädigte Person zuvor auf ihr
Konstituierungsrecht aufmerksam gemacht hat (BGE 141 IV 380 E. 2.2 S. 383). Die
Hinweispflicht nach Art. 118 Abs. 4 StPO trifft die Staatsanwaltschaft.
Entsprechend kommt sie regelmässig erst mit Eröffnung der Untersuchung nach
Art. 309 StPO zum Tragen (MICHA NYDEGGER, Vom Geschädigten zum Privatkläger,
in: ZStrR 2018 S. 74; JEANDIN/MATZ, in: Commentaire romand, CPP, 2011, N 18 zu
Art. 118; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2012, Rz. 541).
Angefochten ist die vom 26. Mai 2017 datierende Nichtanhandnahmeverfügung, die
von der Oberstaatsanwaltschaft am 21. Dezember 2017 genehmigt worden ist.
Angesichts dieser Chronologie ist nicht von Belang, dass der Beschwerdeführer
in der Zwischenzeit, am 6. November 2017, im Rahmen einer delegierten
Einvernahme durch die Luzerner Polizei als Auskunftsperson einvernommen worden
ist (vgl. Auftrag der Staatsanwaltschaft vom 5. Juli 2017), dabei im Hinblick
auf Art. 178 lit. a StPO gefragt worden ist, in welcher Eigenschaft er im
Strafverfahren auftreten wolle, und sich die Konstituierung als Privatkläger
vorbehalten hat (vgl. angefochtene Verfügung, S. 5 E. 4.2). Wurde vorliegend
jedenfalls bis zum Zeitpunkt der mit kantonaler Beschwerde angefochtenen
Nichtanhandnahmeverfügung keine Untersuchung im Sinne von Art. 308 StPO
angehoben, kann dem Beschwerdeführer im Hinblick auf ihre Anfechtung nicht
entgegengehalten werden, er habe sich nicht schon vorher als Privatkläger
konstituiert. Unter diesen Umständen darf die Vorinstanz auch nicht darauf
schliessen, der Beschwerdeführer leite seine Legitimation (fälschlicherweise)
nicht aus einer Konstituierung als Privatkläger ab, sondern aus seiner Stellung
als Geschädigter. Bereits insoweit ist der Beschwerdeführer zur kantonalen
Beschwerde legitimiert.

Im Übrigen kann die Erhebung der kantonalen Beschwerde nur dahin verstanden
werden, dass sich der Beschwerdeführer im Sinne von Art. 118 Abs. 1 StPO am
Strafverfahren beteiligen will (vgl. NYDEGGER, a.a.O., S. 81). Das Vorverfahren
war in diesem Zeitpunkt nicht rechtskräftig abgeschlossen, so dass der
Beschwerdeführer, der mit dem kantonalen Rechtsmittel auf die Anhebung einer
Strafuntersuchung abzielt, immer noch erklären konnte, sich als Privatkläger am
Strafverfahren zu beteiligen (vgl. Art. 118 Abs. 3 StPO).

4. 

Die Beschwerde ist gutzuheissen und die angefochtene Verfügung aufzuheben. Die
Sache ist zum Entscheid in der Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Ausgangsgemäss sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der
Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Da es sich um einen Entscheid handelt, der die Beurteilung in der Sache nicht
präjudiziert, und in Nachachtung des Beschleunigungsgebots (Art. 29 Abs. 1 BV)
kann auf die Einholung von Vernehmlassungen verzichtet werden (vgl. Urteil
6B_151/2019 vom 17. April 2019 E. 5).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern vom
15. November 2018 wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an dieses
zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Kosten erhoben.

3. 

Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Mai 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Traub