Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.311/2019
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2019
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2019


 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_311/2019

Urteil vom 22. August 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,

Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind; willkürliche Beweiswürdigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts

des Kantons Zürich, II. Strafkammer,

vom 13. November 2018 (SB180057-O/U/cs).

Sachverhalt:

A. 

Das Bezirksgericht Zürich erklärte X.________ am 1. November 2017 der
mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind sowie der mehrfachen sexuellen
Nötigung zum Nachteil von A.________ schuldig. Es bestrafte ihn mit einer
teilbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Gegen dieses Urteil
erhoben X.________ Berufung und die Staatsanwaltschaft Anschlussberufung. Das
Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 13. November 2018 frei.

B. 

Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Beschwerde in Strafsachen.
Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und X.________
angemessen zu bestrafen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt
willkürlich festgestellt und es unterlassen, A.________ erneut einzuvernehmen.

1.2. Zu den Aussagen von A.________ erwägt die Vorinstanz, dass deren
Kernaussagen, wonach die Übergriffe grösstenteils drei- bis viermal pro Woche
jeweils während dem Gutenachtritual geschehen seien und der Beschwerdegegner
sie jeweils an den Brüsten und zwischen den Beinen streichelte oder massierte
und ihr Küsschen in den Nacken, auf die Ohren und im Brustbereich gab, konstant
geblieben seien. Auch habe A.________ durchgehend erklärt, dass die Berührungen
des Beschwerdegegners grösstenteils sanft gewesen sein; Schmerzen habe er ihr
nie verursacht. Er sei weder in sie eingedrungen noch habe er sie je auf den
Mund geküsst. In Bezug auf diese Vorfälle, welche sich im Rahmen des
Gutenachtrituals abgespielt haben sollen, seien die Aussagen von A.________
grösstenteils identisch und würden lebensnah wirken. Allerdings sei auch zu
bedenken, dass gerade mit einer massvollen erweiterten Schilderung von
alltäglichen Familienritualen Realität und Fiktion besonders einfach und auf
den ersten Blick überzeugend mit sexuellen Grenzüberschreitungen verbunden
werden könnten. In den Aussagen von A.________ gebe es denn auch verschiedene
Widersprüche, die namentlich im Licht dieser Problematik zu besonderer Vorsicht
mahnen würden. So habe A.________ gegenüber der Polizei erklärt, der
Beschwerdegegner habe sie im ganzen Intimbereich und auch an der Klitoris
massiert. In der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme habe sie hingegen
erklärt, der Beschwerdegegner habe sie zwar zwischen den Beinen, aber nie im
Intimbereich angefasst. Die Frage, ob er sie an der Vagina berührt habe, habe
sie ausdrücklich verneint. Auf den Widerspruch angesprochen, habe sie erklärt,
dass dies auch einmal vorgekommen sei, jedoch nach ihrer Einschätzung eher
unabsichtlich. Einen weiteren Widerspruch erblickt die Vorinstanz darin, dass
A.________ anfänglich erklärt habe, bei den Übergriffen den harten Penis des
Beschwerdegegners gespürt zu haben. Bei der späteren Einvernahme durch die
Staatsanwaltschaft habe sie diese Ereignisse nicht geschildert bzw. die
dahingehenden Fragen, ob sie den Penis gespürt habe, verneint. Auf die
Diskrepanz angesprochen habe sie erklärt, es könne vielleicht sein, dass sie es
einmal gespürt habe, aber heute sei ihr das nicht mehr so gross in Erinnerung
geblieben. Ferner habe A.________ auf die Frage der Polizei, ob der
Beschwerdegegner ihr gegenüber Gewalt angewendet habe, geantwortet, dass dies
einmal der Fall gewesen sei. Er habe sie an den Haaren gerissen und an den
Ohren gezogen, weil sie sich gewehrt habe. Er habe sie an den Haaren gepackt
und daran gezogen. Sie habe zu ihm gesagt, er solle aufhören, und das habe er
dann auch gemacht. Bei der Staatsanwaltschaft habe A.________ dies dann
explizit verneint und ihre ersten Aussagen auf den Widerspruch angesprochen
dahingehend relativiert, dass es nicht ein richtiges Ziehen, ein festes,
gewesen sei, und das mit dem Ohr sei gewesen, als er sie am Nacken und den
Ohren geküsst habe, da habe er dann auch gezogen. Dazu komme, dass A.________
in einem Fall auf Nachfrage eine Verbindung zu einem Alltagsritual herstelle,
die so nicht überzeuge. So habe sie gegenüber der Polizei angegeben, die
Übergriffe hätten jeweils in ihrem Zimmer stattgefunden; einmal sei es auch im
Elternzimmer passiert. Die Übergriffe, die im Elternzimmer stattgefunden haben
sollen, habe A.________ zeitlich am Mittag eingeordnet. In der
staatsanwaltlichen Einvernahme habe sie von "am Nachmittag vielleicht"
gesprochen. Auf die Frage, weshalb sie sich in das Zimmer des Beschwerdegegners
begeben habe, habe sie jedoch zu Protokoll gegeben, sie hätten am Morgen immer
so Spiele gemacht. Die Vorinstanz folgert daraus, dass A.________ den
Beschwerdegegner konstant belastete und dabei auch gewisse Einzelheiten sowie
Gedanken und Gefühle geschildert habe, die ihrer Darstellung Lebensnähe geben
würden. Allerdings weise ihre Darstellung der sexuellen Übergriffe auch
Widersprüche auf, die auf eine Dramatisierungstendenz hindeuten würden. Dies
sei vorliegend besonders problematisch, weil die zur Diskussion stehenden
sexuellen Übergriffe aus alltäglichen Familienritualen entstanden sein sollen
und sich in diesem Bereich Realität und Fiktion relativ einfach zu einer
vordergründig glaubhaften Darstellung verbinden liessen.

Im Ergebnis hält die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdegegner die
Anklagevorwürfe konstant von sich gewiesen und das Gutenachtritual
nachvollziehbar und im Wesentlichen im Einklang mit den übrigen
Familienmitgliedern geschildert habe. Der Beschwerdegegner habe selber erklärt,
dass er mit A.________ einen zärtlichen Vater-Tochter-Kontakt gepflegt habe.
Ein sichergestelltes Video, welches die nackte A.________ in der Badewanne
zeige, indiziere, dass er womöglich ein sexuelles Interesse an ihr hegte oder
widerlege zumindest seine Angabe, dass er immer die nötige Distanz zu ihr
gewahrt habe. Weder diese Aufnahme noch weitere Vorgänge im Bad seien aber
Gegenstand der Anklage. Von der Videoaufnahme könne auch nicht ohne Weiteres
darauf geschlossen werden, dass auch andere Grenzüberschreitungen sexueller
Natur stattfanden. A.________ sei zwar während des gesamten Verfahrens bei
ihren Belastungen geblieben, und ihre Darstellung könne auch nicht einfach als
lebensfremd bewertet werden. Ihre Schilderung weise jedoch Widersprüche auf,
welche - obwohl sie nur einzelne Elemente betreffen - auf eine
Dramatisierungstendenz hindeuten würden, die zur Frage führe, ob nicht auch
andere Teile der Schilderung nur teilweise realitätsbasiert seien. Realität und
Fiktion könnten unter den konkreten Umständen relativ einfach zu einer
glaubhaft wirkenden Schilderung sexueller Übergriffe verbunden werden. Eine
zuverlässige Aussage darüber, welche Teile der Erklärungen von A.________
realitätsbasiert seien und welche allenfalls nicht, lasse sich unter diesen
Umständen nicht machen. Die Widersprüche in den Aussagen von A.________ würden
vor diesem Hintergrund so bedeutende Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer
Belastung begründen, dass der Beschwerdegegner in Anwendung des Grundsatzes in
dubio pro reo freizusprechen sei.

1.3.

1.3.1. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1). Willkür liegt vor, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung
ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme
von Willkür nicht (BGE 141 IV 305 E. 1.2). Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt
in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht
keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 144
IV 345 E. 2.2.3.1; BGE 138 V 74 E. 7; je mit Hinweisen). Eine entsprechende
Rüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106
Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt
das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4).

1.3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, dass die Vorinstanz sich nicht selbst ein
Bild von A.________ gemacht habe, um den festgestellten Widersprüchen bzw. der
Dramatisierungstendenz fundiert auf den Grund zu gehen. Es sei vor Augen zu
führen, dass die Aussagen des Beschwerdegegners wie auch von A.________
vorliegend die einzigen direkten Beweismittel darstellen, weshalb ein eigener
Eindruck dringend notwendig gewesen wäre. Angesichts der Tatsache, dass das
Obergericht - welches von der Beweiswürdigung des Bezirksgerichts abweiche -
aus den vier Widersprüchen eine Dramatisierungstendenz herauslese, sollte es
sich bezüglich dieser selbst überzeugen (Beschwerde, S. 7 f.).

Im Rahmen der Berufungserklärung stellte der Beschwerdegegner den Antrag, es
sei ein aussagepsychologisches Gutachten hinsichtlich der Aussagen von
A.________ einzuholen. Die Staatsanwaltschaft widersetzte sich in der
Anschlussberufung diesem Antrag und stellte keine eigenen Beweisanträge. Sie
führte aus, dass die notwendigen Beweismittel in der Untersuchung formgerecht
und verwertbar erhoben worden seien und der Fall spruchreif sei. Auch in der
Berufungsverhandlung stellte die Beschwerdeführerin keine Beweisanträge. Die
Beschwerdeführerin verhält sich treuwidrig, indem sie sich zunächst explizit
auf den Standpunkt stellt, der Fall sei spruchreif und erst später - nachdem
die Vorinstanz zu ihren Ungunsten entschied - vor Bundesgericht rügt,
A.________ hätte im Berufungsverfahren erneut einvernommen werden müssen. Auf
diese Rüge ist nicht einzutreten.

1.3.3. Die Beschwerdeführerin rügt weiter, dass sich die Vorinstanz in
willkürlicher Weise mit den Aussagen von A.________ auseinandersetze bzw. diese
willkürlich würdige und dabei das sehr schwerwiegende Indiz der Videoaufnahme
in ihre Würdigung kaum einbeziehe. Setze man das sichergestellte Video ins
Verhältnis mit den vom Obergericht geltend gemachten vier Widersprüchen und der
damit zusammenhängenden gesamten Würdigung der Glaubhaftigkeit, so sei
festzuhalten, dass der Rechtsgrundsatz in dubio pro reo klar überdehnt und
damit verletzt worden sei, weshalb das Urteil des Obergerichts in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufe (Beschwerde, S. 5 ff.).

A.________ ist die einzige direkte Zeugin der vermeintlichen Übergriffe. Dass
die von der Vorinstanz festgestellten Widersprüche an der Glaubhaftigkeit ihrer
Aussagen zweifeln lassen, stellt die Beschwerdeführerin nicht in Abrede. Dass
die Vorinstanz die sichergestellte Videoaufzeichnung lediglich als Indiz für
ein sexuelles Interesse des Beschwerdeführers an A.________, jedoch nicht als
hinreichenden Nachweis für die angeklagten Handlungen wertet, lässt die
Beweiswürdigung nicht als willkürlich erscheinen. Die Rüge willkürlicher
Sachverhaltsfeststellung ist unbegründet.

2. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
unterliegenden Staatsanwaltschaft sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs.
1 und 4 BGG). Der Beschwerdegegner wurde nicht zur Vernehmlassung eingeladen,
weshalb er keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung hat.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Es werden keine Kosten erhoben.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. August 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Moses