Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.162/2019
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2019
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2019


 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_162/2019

Urteil vom 15. Mai 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,

Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte

X.________, vertreten durch

Rechtsanwalt Julian Burkhalter,

Beschwerdeführer,

gegen

Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Regierungsgebäude, Rathausstrasse
2, 4410 Liestal,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Massnahmenvollzug; rechtliches Gehör, Akteneinsicht,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 12. Dezember 2018 (810 18 252).

Sachverhalt:

A.

A.a. X.________ (Jahrgang 1996) wurde am 26. April 2016 in Untersuchungshaft
versetzt.

Das Strafgericht Basel-Landschaft stellte am 25. November 2016 fest, dass er
zahlreiche Straftaten (u.a. versuchte einfache Körperverletzung und Drohungen)
tatbestandsmässig und rechtswidrig begangen hatte. Es sprach ihn wegen
Schuldunfähigkeit gemäss Art. 19 Abs. 1 StGB frei und ordnete eine stationäre
therapeutische Massnahme gemäss Art. 59 StGB an. Das Kantonsgericht bestätigte
die Massnahme am 28. November 2017. Das Bundesgericht wies seine dagegen
erhobene Beschwerde mit Urteil 6B_356/2018 vom 4. Juni 2018 ab, soweit es
darauf eintrat.

A.b. X.________ befand sich auf sein Gesuch hin seit dem 8. Dezember 2016 im
vorzeitigen Massnahmenvollzug in der Klinik Beverin der Psychiatrischen Dienste
Graubünden.

Das von seinem heutigen Verteidiger eingereichte Entlassungsgesuch wies das
Bundesgericht im (zweiten) Urteil 1B_449/2017 vom 13. November 2017 ab, soweit
es darauf eintrat.

Eine Beschwerde betreffend Haftbedingungen und Einweisung in eine
Vollzugseinrichtung nach Art. 59 Abs. 2 StGB wies das Bundesgericht mit Urteil
6B_453/2018 vom 4. Juni 2018 ab, soweit es darauf eintrat.

B. 

X.________ wandte sich bereits mit Eingabe vom 13. März 2018 an die
Sicherheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft und erklärte, er werde im
falschen Setting festgehalten, sein Anwalt sei nicht über die Einweisung in das
Inselspital wegen epileptischer Vorfälle informiert worden, ihm seien sämtliche
medizinischen Akten zuzusenden, ihm sei sein Anwalt als amtlicher beizuordnen.

Die Sicherheitsdirektion verwahrte sich am 22. März 2018 gegen die Vorwürfe zum
Vollzugssetting und zur medizinischen Behandlung: die Verlegung in das
Inselspital sei dem Anwalt mittels Vollzugsauftrag mitgeteilt worden, soweit
dieser sämtliche medizinischen Unterlagen anfordere, verweise sie
zuständigkeitshalber an die Klinik Beverin, die Rechtsberatung falle nicht
unter die unentgeltliche Rechtspflege, das "Vollzugskonto" sei zu
spezifizieren. Sie verweist in der Rechtsmittelbelehrung auf den Beschwerdeweg
an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.

Der Regierungsrat wies die Beschwerde mit Beschluss vom 4. September 2018 ab,
soweit er darauf eintrat. Er nahm an, die medizinischen Akten lägen der Klinik
und nicht der Sicherheitsdirektion vor, dieser könne aufgrund der vorliegenden
Aktenlage kein Vorwurf gemacht werden, es lasse sich auch keine Weigerung
erkennen, die Akten zugänglich zu machen: "Bizarrerweise besteht die Weigerung,
Akten einzusehen, somit nicht bei der Sicherheitsdirektion, sondern beim
Beschwerdeführer selbst."

Das Kantonsgericht Basel-Landschaft (Verwaltungsgericht) wies die gegen den
Beschluss erhobene Beschwerde am 12. Dezember 2018 ab, soweit es darauf
eintrat, es erhob keine Kosten, verpflichtete den Regierungsrat zu einer
Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- (inkl. Auslagen und MWSt) und wies das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab, soweit es nicht gegenstandslos
geworden war.

C. 

X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen die unentgeltliche
Rechtspflege (und Verbeiständung), ihm durch die Sicherheitsdirektion
vollumfängliche Einsicht in die relevanten medizinischen Akten zu gewähren, ihm
für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Fr. 2'019.-- (inkl. Auslagen und
MWSt) auszuzahlen und eventuell die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren
sowie im Eventualbegehren die Sache zu neuer Entscheidung zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Gehörrechts (Art. 29 Abs. 2
BV; Art. 6 EMRK) und eine Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV).

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei "zuständigkeitshalber" an die
Klinik Beverin und das Inselspital verwiesen worden. Der "Vollzug" mache
geltend, die Clozapindosierung sei im Bereich der Norm gewesen, der Klient sei
zu keiner Zeit in Gefahr gewesen, für Details habe er sich direkt an die Klinik
zu wenden. Wie könne sich der Vollzug zu so einer Aussage hinreissen lassen,
wenn es doch angeblich keine Akten zum Vorfall gebe. Die Behauptung der Klinik
sei qualifiziert falsch, die Dosierung sei über längere Zeit zu hoch gewesen.
Gravierende Zeichen eines epileptischen Anfalls hätten sich mehrmals
manifestiert, so sei er "am 31.12 ungebremst und mit Wucht zu Boden geknallt".
Hernach habe man ihn als Simulanten abgetan. Er sei auf dem Spazierhof
zusammengebrochen und im Zimmer kollabiert und habe notfallmässig in das
Inselspital überführt werden müssen. Die Verweisung an die Klinik sei eine
Verfügung (materieller Verfügungsbegriff). Ob die Klinik auf ein solches
Begehren um Einsicht in die medizinischen Unterlagen eintreten würde, sei nicht
sicher.

1.2. Die Vorinstanz geht davon aus, sie habe als Rechtsmittelinstanz die
Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen zu prüfen. Der Beschwerdeführer
moniere die Abweisung seines Gesuchs um Einsicht in die medizinischen Akten. Im
Schreiben der Sicherheitsdirektion vom 22. März 2018 werde allerdings gar kein
Akteneinsichtsgesuch abgewiesen. Diese verweise "zuständigkeitshalber" für die
Zusendung der medizinischen Akten an die Klinik, sie habe damit keinen
Entscheid zum Akteneinsichtsrecht getroffen und verweigere damit weder explizit
noch implizit die verlangte Einsicht in die medizinischen Akten. Sie verneine
auch nicht ihre Zuständigkeit zur Behandlung von Akteneinsichtsgesuchen.
Vielmehr sei der Hinweis im Schreiben offensichtlich so zu verstehen, dass die
Behörde gar nicht über die entsprechenden Unterlagen verfügte. Der Verweisung
an die Klinik komme im vorliegenden Kontext keine Verfügungsqualität zu. Ob die
Vollzugsbehörde ihrer Aktenführungspflicht nachgekommen sei, spiele in dieser
Hinsicht keine Rolle. Die Akteneinsicht könne somit von vornherein nicht
Streitgegenstand einer Verwaltungsbeschwerde bilden. Die Rechtsmittelbelehrung
habe keine Rechtsmittelmöglichkeit schaffen können, die es gemäss Gesetz nicht
gebe (BGE 135 III 470 E. 1.2). Die inhaltliche Stellungnahme der
Sicherheitsdirektion im Beschwerdeverfahren habe das fehlende Anfechtungsobjekt
ebenso wenig ersetzen können. Diese Rechtslage habe sowohl der Beschwerdeführer
wie die Vorinstanz verkannt. Bezüglich Akteneinsicht wäre richtigerweise nicht
auf die Beschwerde einzutreten gewesen. Da Zwischenentscheide nicht in
materielle Rechtskraft erwüchsen, sei der Beschwerdeführer durch die
regierungsrätliche Abweisung seiner Beschwerde nicht beschwert. Es könne offen
bleiben, ob er noch über ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse hinsichtlich
der Verlegung in das Inselspital verfüge, zumal er inzwischen offenbar Zugang
zu gewissen medizinischen Unterlagen der Klinik erhalten habe. Die Abweisung
des Begehrens um unentgeltliche Rechtspflege bilde [hingegen] ein taugliches
Anfechtungsobjekt.

1.3.

1.3.1. Allerdings kann durch eine "unrichtige" Rechtsmittelbelehrung kein vom
Gesetzgeber nicht vorgesehenes Rechtsmittel geschaffen werden (BGE 135 III 470
E. 2.1 S. 473 betreffend Kollokationsklage). Das "Schreiben" der
Sicherheitsdirektion vom 22. März 2018 enthielt eine Rechtsmittelbelehrung und
wurde damit zutreffend als hoheitliche Entscheidung qualifiziert. Der
Regierungsrat trat auf die "form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde
[...] ohne weiteres" ein. Soweit die Vorinstanz von einem Zwischenentscheid
ausgeht, handelt es sich um einen Entscheid, mit welchem eine Behörde vorgängig
und gesondert über eine Rechtsfrage entscheidet, die für den Ausgang des
Verfahrens massgebend ist, indem formell- oder materiellrechtliche Fragen im
Hinblick auf die Verfahrenserledigung geregelt werden. Zwischenentscheide
binden die erlassende Behörde für den Lauf des Verfahrens (vgl. FELIX UHLMANN,
in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 3 zu Art. 92 BGG
mit Nachweisen). Zwischenentscheide erwachsen in formelle Rechtskraft, können
allenfalls in Wiedererwägung gezogen werden und fallen mit dem Endurteil dahin.
Durch den Erlass eines ablehnenden Zwischenentscheids ist die betroffene Person
regelmässig beschwert. Ebenso verhält es sich mit der regierungsrätlichen
Abweisung der Beschwerde.

1.3.2. Die Kantone haben die gerichtlich angeordneten Massnahmen zu vollziehen
(Art. 372 StGB). Sie betreiben die für den Massnahmenvollzug vorgesehenen
Einrichtungen (Art. 377 Abs. 3 StGB). Sie können Massnahmen durch privat
geführte Anstalten und Einrichtungen vollziehen lassen; diese Einrichtungen
unterstehen der Aufsicht der Kantone (Art. 379 Abs. 1 und 2 StGB). In casu ist
die Feststellung entscheidend, dass für die Vollstreckung der Massnahmen die
gemäss kantonalem Recht auch für die Vollstreckung von Strafen verantwortlichen
Behörden zuständig sind (ANDREAS BAECHTOLD ET AL., Strafvollzug, 3. Aufl. 2016,
S. 81, 296). Die Behandlung erfolgt regelmässig in einer öffentlichen oder
privaten Psychiatrischen Klinik des allgemeinen Gesundheitswesens oder in einer
spezialisierten Massnahmenvollzugseinrichtung (a.a.O., S. 302 f., 308).

1.3.3. Wie MARIANNE HEER darlegt, erschwert die Verlagerung des Vollzugs in das
Medizinalwesen die Kontrollmöglichkeiten der Vollzugsverantwortlichen und der
Justiz sowie die Einflussnahme der Anwälte. Klar ist, dass Massnahmenpatienten
nicht im rechtsfreien Raum untergebracht sind und Vollzugsentscheide in Form
einer anfechtbaren Verfügung zu ergehen haben (in: Basler Kommentar,
Strafrecht, 4. Aufl. 2019, N. 1, 3 und 4 zu Art. 90 StGB). Diese Rechtslage
gilt ebenso für die Verlegung somatisch Erkrankter in die Bewachungsstation des
Inselspitals (vgl. BAECHTOLD ET AL., a.a.O., S. 234).

1.4. Der Vollzug wird durch das StGB und das kantonale Recht (inklusive
Konkordatsrecht) normiert. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen im Sinne
von Art. 29 Abs. 1 und 2 BV geltend im kantonal geregelten
Vollzugsverwaltungsrecht.

Die Vorinstanz trat auf das Akteneinsichtsgesuch mit der Begründung nicht ein,
die Sicherheitsdirektion habe "gar kein Akteneinsichtsgesuch abgewiesen",
sondern "zuständigkeitshalber" für die Zusendung der medizinischen Akten an die
Klinik verwiesen. Die Sicherheitsdirektion verweigere damit weder explizit noch
implizit die verlangte Einsicht in die medizinischen Akten. Das "Schreiben" der
Sicherheitsdirektion sei kein Anfechtungsobjekt. Die Vorinstanz geht an der
Sache vorbei. Die Sicherheitsdirektion hat als verantwortliche Vollzugsbehörde
die Akteneinsicht zu gewähren. Soweit ihr die Akten nicht unmittelbar zur
Verfügung stehen, was bei medizinischen Unterlagen durchaus der Fall sein kann,
hat sie die für eine berechtigte Akteneinsicht nach den konkreten Umständen
notwendigen Schritte von Amtes wegen vorzunehmen, sodass die Akteneinsicht vom
Anwalt tatsächlich ausgeübt werden kann.

1.5. Tritt eine Behörde auf die ihr unterbreitete Sache nicht ein, obwohl sie
darüber entscheiden müsste, begeht sie eine formelle Rechtsverweigerung (HAUSER
/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, S. 17, Rz.
4). Das ist der Fall. Der vorinstanzliche Entscheid ist aufzuheben. Die
bundesgerichtliche Kassation ist verfahrensrechtlicher Natur und präjudiziert
den Ausgang des Verwaltungsverfahrens in der Sache nicht. Es kann ohne
Vernehmlassung entschieden werden (vgl. Urteil 6B_693/2018 vom 1. November 2018
E. 4). Über die Kostenfolgen wird die Vorinstanz neu zu befinden haben.
Diesbezüglich ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

2. 

Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2
BGG). Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton
Basel-Landschaft hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Diese wird
bei Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege praxisgemäss in analoger Anwendung
von Art. 64 Abs. 2 BGG dem Anwalt ausbezahlt. Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege ist gegenstandslos geworden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, der Entscheid
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 12. Dezember 2018 wird aufgehoben und
die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Kosten erhoben.

3. 

Der Kanton Basel-Landschaft hat Rechtsanwalt Julian Burkhalter mit Fr. 3'000.--
zu entschädigen.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Mai 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw