Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1419/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1419/2019

Urteil vom 4. Februar 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Muschietti,

Bundesrichterin Koch,

Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Chris Bräutigam,

Beschwerdeführerin,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden,

2. B.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Arno Thürig,

Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand

Beschimpfung, mehrfache Drohung; Willkür;

Grundsatz "in dubio pro reo",

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden,
Strafabteilung, vom 4. April 2019 (SA 18 14).

Sachverhalt:

A. 

Das Kantonsgericht Nidwalden sprach A.________ am 16. März 2018 wegen
mehrfacher Beschimpfung und mehrfacher Drohung zum Nachteil von B.________
(Privatklägerin) schuldig und bestrafte sie mit einer Geldstrafe von 30
Tagessätzen zu Fr. 110.--, bedingt, bei einer Probezeit von 3 Jahren und mit
einer Busse von Fr. 600.--. A.________ führte Berufung.

B. 

Das Obergericht des Kantons Nidwalden bestätigte die erstinstanzlichen
Schuldsprüche mit Urteil vom 4. April 2019 und bestrafte A.________ mit einer
bedingten Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu Fr. 110.--, bei einer Probezeit von
3 Jahren, und mit einer Busse von Fr. 600.--. Im Übrigen wies es die Berufung
ab.

C. 

Gegen dieses Urteil führt A.________ Beschwerde. Sie beantragt, das
obergerichtliche Urteil sei aufzuheben. Sie sei von Schuld und Strafe
freizusprechen. Eventualiter sei die Strafe um 25 % und die Probezeit auf 2
Jahre zu reduzieren. Die kantonalen Verfahrenskosten seien auf die Staatskasse
zu nehmen. Es sei ihr eine Parteientschädigung für das erstinstanzliche
Verfahren von Fr. 5'851.60 und eine angemessene Parteientschädigung für das
zweitinstanzliche Verfahren zu gewähren, unter Kosten- und
Entschädigungsfolgen.

Erwägungen:

1.

1.1. 

Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz stelle den Sachverhalt in
verschiedenen Punkten willkürlich im Sinne von Art. 9 BV fest. Sie verletze
ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV und die
Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Grundsatz von "in
dubio pro reo") sowie das Legalitätsprinzip nach Art. 1 StGB.

1.2.

1.2.1. Die Feststellung des Sachverhalts kann vor Bundesgericht nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den
Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art.
105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 500 E. 1.1 S.
503, 241 E. 2.3.1 S. 244). Die Rüge der willkürlichen Feststellung des
Sachverhalts prüft das Bundesgericht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG, soweit sie in
der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet worden ist. In
der Beschwerde muss im Einzelnen dargelegt werden, inwiefern der angefochtene
Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet. Auf eine
blosse appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht
nicht ein (BGE 145 I 26 E. 1.3 S. 30; 145 IV 154 E. 1.1 S. 155 f.; 143 IV 347
E. 4.4 S. 354 f.). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt als
Beweiswürdigungsmaxime im Verfahren vor Bundesgericht keine über das
Willkürverbot (Art. 9 BV) hinausgehende Bedeutung zu (BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.3
S. 351).

1.2.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet, dass die Behörde alle
erheblichen und rechtzeitigen Vorbringen der Parteien würdigt und die ihr
angebotenen Beweise abnimmt, wenn diese zur Abklärung des Sachverhalts tauglich
erscheinen (BGE 141 I 60 E. 3.3 S. 64; 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f.; Urteil
6B_1023/2017 vom 25. April 2018 E. 2.1 betr. Art. 29 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 389
und 139 Abs. 2 StPO). Das Gericht muss sich nicht ausdrücklich mit jeder
tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen. Es
darf sich auf die für seinen Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken
(BGE 143 III 65 E. 5.2 S. 70 f.; 133 I 270 E. 3.1 S. 277).

1.3.

1.3.1. Die Beschwerdeführerin stellt vorwiegend ihre eigene Sicht der Dinge
dar, ohne aufzuzeigen, dass und weshalb der angefochtene Entscheid auch im
Ergebnis schlechterdings unhaltbar wäre. Auf ihre appellatorische Kritik ist
nicht einzutreten. Dies gilt auch, soweit sie bloss auf ihre
Berufungsbegründung verweist (Urteil 6B_231/2019 vom 24. April 2019 E. 3).

1.3.2. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung ist nachvollziehbar und hinreichend
begründet. Die Vorinstanz erwägt zunächst, die Beschwerdeführerin habe auf
diversen Wegen, so auch über Drittpersonen, versucht, den Zeugen C.________ zu
kontaktieren. Sie geht detailliert auf die Aussagen der Beschwerdeführerin und
der Privatklägerin ein. Die Aussagen der Privatklägerin erachtet sie als
glaubhaft, weil diese sowohl in der ersten als auch in der zweiten Befragung
die konkreten Schimpfworte und Drohungen der Beschwerdeführerin nennen konnte,
wobei sie diese in den späteren Einvernahmen ergänzte. Der Umstand, dass sie in
der ersten Befragung, welche kurze Zeit nach dem Vorfall und zu
fortgeschrittener Zeit stattgefunden habe, nicht sämtliche Schimpfwörter habe
nennen können, schade der Glaubhaftigkeit der privatklägerischen Aussagen
nicht. Die Privatklägerin habe selbst auf den Umstand hingewiesen, dass sie
nicht alle Aussagen der Beschwerdeführerin, sondern bloss die schlimmsten
Ausdrücke wiedergeben könne. Das Aussageverhalten der Privatklägerin sei
konstant, die Schilderungen seien weder stereotyp noch schemenhaft, sondern
würden sich durch eine hohe Originalität auszeichnen. Die Privatklägerin habe
schlüssig geschildert, dass sich die Beschwerdeführerin mehrfach telefonisch
meldete, an der Türe klingelte und sie bei den Telefonaten beschimpfte und
bedrohte. Auch von der Beschwerdeführerin nicht bestrittene, ausserhalb des
Vorfalls liegende Ereignisse, wie das Zusenden eines Fotos mit einem
Hochzeitskleid sowie die Vollmacht zur Eheschliessung seien im ganzen Kontext
aussergewöhnliche und einzigartige Details. Es ist nicht ersichtlich, weshalb
diese vorinstanzliche Würdigung der Aussagen der Privatklägerin unhaltbar wäre.

Die von der Privatklägerin geäusserte Angst erachtet die Vorinstanz mit
vertretbarer Begründung als echt, obwohl sie in diesem Punkt nicht stets
gleichbleibend aussagte. Denn die Beschwerdeführerin trat in der Vergangenheit
mehrfach in Kontakt mit dem näheren Umfeld der Privatklägerin, wodurch diese um
das Wohl ihrer Familie fürchtete und ihr Sicherheitsgefühl verlor. Hinzu kommt,
dass die Privatklägerin beim fraglichen Vorfall die Polizei rief und Anzeige
erstattete.

Dass die Vorinstanz den von der Beschwerdeführerin geschilderten Inhalt der
Telefongespräche als unglaubhaft wertet, verstösst ebenso wenig gegen das
Willkürverbot. Diese Aussagen enthalten gemäss der Vorinstanz zwar ebenfalls
Realkennzeichen zum groben Ablauf des Vorfalls. Indessen macht die
Beschwerdeführerin gemäss dem angefochtenen Urteil wenig Angaben zum strittigen
Inhalt der Telefongespräche. Sie gebe bloss an, sie habe anlässlich der drei
bis vier Telefonate von der Privatklägerin wissen wollen, ob der Zeuge
C.________ im Haus sei, was diese verneint habe. Die Beschwerdeführerin habe
dem Zeugen C.________ regelrecht nachgestellt. Sie habe bereits vor dem Vorfall
mehrfach versucht, mit ihm über sein Umfeld Kontakt aufzunehmen. Am fraglichen
Abend habe sie der Privatklägerin nicht geglaubt, dass der Zeuge C.________
abwesend sei, sondern diese hartnäckig, zunächst durch mehrfache Anrufe und
anschliessend durch Klingeln an der Wohnungstüre, kontaktiert. Somit stellte
die Beschwerdeführerin dem Zeugen C.________ regelrecht nach. Es ist
nachvollziehbar, dass die Vorinstanz namentlich unter diesen Umständen zum
Inhalt des Telefongesprächs auf die Aussagen der Privatklägerin abstellt.

Dabei vermag der Umstand, dass die Privatklägerin bezüglich der Frage, ob der
Zeuge C.________ in ihrer Wohnung anwesend war, unterschiedlich ausgesagt hat,
das Beweisergebnis nicht umzustossen. Dasselbe gilt bezüglich der Würdigung der
Aussagen des Zeugen C.________, deren Glaubhaftigkeit die Vorinstanz entgegen
den Ausführungen in der Beschwerde geprüft und unter Verweisung auf die
überzeugende erstinstanzliche Begründung bejaht hat.

Soweit die Beschwerdeführerin verlangt, bezüglich verschiedener schriftlicher
Dokumente hätten die Verfasser persönlich angehört werden müssen, ist ihr nicht
zu folgen. Die Urheber der Dokumente sind, abgesehen von der
Beschwerdeführerin, keine Tatzeugen. Die Vorinstanz schliesst aus den Urkunden
zudem nicht auf die Tat selbst, sondern lediglich auf die generelle Motivation
der Beschwerdeführerin zur Aufnahme einer Liebesbeziehung mit dem Zeugen
C.________. Dieses Motiv lässt sich bereits aus dem gesamten Verhalten der
Beschwerdeführerin bei der Tat (mehrfache Telefonanrufe, Klingeln an der
Haustüre, Zusenden eines Fotos mit einem Hochzeitskleid sowie der Vollmacht zur
Eheschliessung an die Privatklägerin) und aus den objektiven Beweismitteln
ableiten (Verbindungsnachweis des Telefonanbieters D.________, wonach der Zeuge
C.________ am Tatabend des 23. Juni 2016 verschiedentlich von der Nummer der
Beschwerdeführerin anonym angerufen wurde).

1.3.3. Die Rüge der Beschwerdeführerin, sie habe nicht die Privatklägerin,
sondern den Zeugen C.________ kontaktieren wollen, geht an der Sache vorbei. Am
vorinstanzlich festgestellten Deliktswillen ändert sich dadurch nichts.
Spätestens als die Privatklägerin die Anrufe entgegen nahm, wusste die
Beschwerdeführerin, dass sie nicht mit dem Zeugen C.________ spricht. Die
Äusserungen der Beschwerdeführerin, welche Gegenstand des vorliegenden
Strafverfahrens bilden, erfolgten, nachdem sich die Privatklägerin am Telefon
zu erkennen gegeben hatte. Dabei spielt auch keine Rolle, ob die Privatklägerin
sich mit oder ohne Namen am Telefon meldete.

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Beschleunigungsgebot nach Art.
29 Abs. 1 BV sei verletzt. Die zentralen Verfahrenshandlungen, wie die
Befragung des wichtigen Zeugen C.________, seien zu spät erfolgt. Daher müsse
die Strafe um einen Viertel geringer ausfallen und sei die Probezeit von drei
auf zwei Jahre zu reduzieren.

2.2. Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen
Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Art. 6
Ziff. 1 EMRK vermittelt diesbezüglich keinen weitergehenden Schutz als Art. 29
Abs. 1 BV (BGE 130 I 269 E. 2.3 S. 272, 312 E. 5.1 S. 332). Gemäss Art. 5 Abs.
1 StPO nehmen die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und
bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss. Das
Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, ein Strafverfahren mit der
gebotenen Beförderung zu behandeln, nachdem die beschuldigte Person darüber in
Kenntnis gesetzt wurde. Sie soll nicht länger als notwendig den Belastungen
eines Strafverfahrens ausgesetzt sein (BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170). Die
Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln. Ob
sich die Dauer als angemessen erweist, ist in jedem Einzelfall unter Würdigung
aller konkreten Umstände zu prüfen (BGE 130 I 312 E. 5.2 S. 332 mit Hinweisen).

2.3. Die Vorinstanz erwägt, die Polizei und die Staatsanwaltschaft seien im
beanstandeten Zeitraum von Anfang Oktober 2016 bis Ende August 2017 wiederholt
tätig gewesen, auch wenn der Zeuge C.________ erst am 30. August 2017
einvernommen worden sei. So sei die Beschwerdeführerin am 17. Februar 2017
befragt worden, die Staatsanwaltschaft habe am 17. Mai 2017 einen Strafbefehl
erlassen, der Privatklägerin sei wiederholt Akteneinsicht gewährt und die Frist
zur Einsprachebegründung erstreckt worden. Gestützt darauf verneint die
Vorinstanz eine Rechtsverweigerung oder -verzögerung.

2.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin
beanstandet das angefochtene Urteil diesbezüglich auch nicht. Gestützt auf die
vorinstanzlichen Feststellungen lässt sich keine Verletzung des
Beschleunigungsgebots erkennen. Auch wenn der Zeuge C.________ erst längere
Zeit nach der Tat befragt wurde, waren die Behörden nicht untätig. Welche
"zentralen Verfahrenshandlungen" die kantonalen Behörden im Übrigen zu spät
vorgenommen haben sollen, begründet die Beschwerdeführerin nicht näher (Art. 42
Abs. 2 BGG). Darauf ist nicht einzutreten.

3. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Auf die von der
Beschwerdeführerin für den Fall ihres Obsiegens beantragte Änderung der
Kostenregelung ist daher nicht einzugehen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Der Beschwerdeführerin werden die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Februar 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw