Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1316/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1316/2019

Urteil vom 8. April 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Muschietti,

Bundesrichterin Koch,

Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Yetkin Geçer,

Beschwerdeführerin,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,

2. B.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Paul Hofer,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Beweiswürdigung (sexuelle Nötigung; Zivilforderung),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
1. Kammer, vom 16. Oktober 2019 (SST.2019.169).

Erwägungen:

1. 

Die Vorinstanz sprach den Beschwerdegegner mit Urteil vom 22. März 2018 in
Übereinstimmung mit der ersten Instanz vom Vorwurf der sexuellen Nötigung frei
und verwies die Zivilforderungen der Beschwerdeführerin auf den Zivilweg. Die
hiergegen erhobene Beschwerde in Strafsachen hiess das Bundesgericht aus
formellen Gründen gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurück (Urteil 6B_582/2018 vom 12. Juli 2019).

Die Vorinstanz sprach den Beschwerdegegner im zweiten Berufungsverfahren mit
Urteil vom 16. Oktober 2019 erneut vollumfänglich frei und verwies die
Zivilklage auf den Zivilweg. Sie auferlegte der Beschwerdeführerin, der die
unentgeltliche Rechtspflege gewährt worden war, die Kosten des (zweiten)
Berufungsverfahrens von Fr. 3'000.-- und verpflichtete sie zur Zahlung einer
Parteientschädigung von Fr. 4'000.-- an den Beschwerdegegner sowie zur
Rückzahlung der ihrem unentgeltlichen Rechtsbeistand ausgerichteten
Entschädigung von Fr. 6'800.--, sobald es ihre finanziellen Verhältnisse
erlauben.

2. 

Die Beschwerdeführerin führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt
zusammengefasst, das Urteil der Vorinstanz sei aufzuheben und der
Beschwerdegegner im Sinne der Anklage (wegen sexueller Nötigung) schuldig zu
sprechen und zu verpflichten, ihr eine Genugtuung sowie Schadensersatz von Fr.
10'211.80 zu zahlen. Es sei Vormerk zu nehmen, dass sie sich vorbehalte, den
durch die Straftat entstehenden zukünftigen Schaden mit separater Klage geltend
zu machen. Die Beschwerdeführerin ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unvollständige
Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches
Gehör. Sie bringt zusammengefasst vor, sie sei IV-Rentnerin, so dass mangels
einer intellektuellen Leistungsfähigkeit die allfälligen Defizite ihrer
Aussagen hätten begründet werden können und die Vorinstanz auf Begutachtungen
ihrer Aussagen hätte zurückgreifen müssen. Die Ausführungen der Vorinstanz
seien (teilweise) unsubstantiert und geeignet, grundlos ihre glaubwürdigen
Aussagen zu schmälern. Auch vereinzelt entstehe kein Eindruck, dass sie nicht
die Wahrheit gesagt haben könnte. Ihre Aussagen als einzelne
Interaktionsschilderungen darzutun, erscheine angesichts der Art und Weise
ihres Aussageverhaltens durchaus als willkürlich. Ihre Aussagen seien
detailwesentlich, während diejenigen des Beschwerdegegners vollkommen
"unglaublich" und unglaubwürdig sowie weitestgehend aktenwidrig seien.
Änderungen in ihren Aussagen beruhten auf spontanen Präzisierungen bei späteren
Befragungen und seien als diffenrenzierte Aussagekonstanz über die Zeit
zurückzuführen. Insgesamt liefere sie jene von der Rechtsprechung geforderte
gewisse Aussagedichte, um dem Beschwerdegegner zweifelsfrei ein strafrechtlich
relevantes Verhalten nachzuweisen. Die Vorinstanz verletze den Anspruch auf
rechtliches Gehör der Beschwerdeführerin, da sie sich nicht mit dem Aspekt der
Hypersexualität des Beschwerdegegners ausseinandersetze. Zudem seien der
Beschwerdeführerin, die Opfer im Sinne des OHG sei, zu Unrecht die
Verfahrenskosten auferlegt worden. Art. 30 OHG gehe als lex specialis den
Regelungen von Art. 135 Abs. 4 und Art. 138 Abs. 1 StPO vor.

3. 

Das Bundesgericht legt seinem Urteil grundsätzlich den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 144 V 50 S. 52 f.
mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Offensichtlich unrichtig ist eine Sachverhaltsfeststellung, wenn der
angefochtene Entscheid unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch steht (BGE 143 IV 500 E. 1.1, 241 E. 2.3.1). Das Sachgericht
verfügt bei der Würdigung der Beweise über einen weiten Beurteilungsspielraum,
weshalb es im Rahmen der Sachverhaltsrüge nicht genügt, einen von den
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu
behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 143 IV 241 E.
2.3.1; 141 IV 369 E. 6.3). Auf ungenügend begründete Rügen oder rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht
ein (vgl. Art. 42 Abs. 2, Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 145 I 26 E. 1.3; 145 IV 154
E. 1.1 S. 156).

4. 

Soweit die Rügen überhaupt den Begründungsanforderungen genügen, erweisen sie
sich als offensichtlich unbegründet. Die Beschwerdeführerin setzt sich mit der
vorinstanzlichen Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung inhaltlich nicht
auseinander. Weder ihre umfangreichen (vorliegend nicht wiedergegebenen)
abstrakt-theoretischen Ausführungen zur Aussagewürdigung noch ihre eigenen
Tatsachenbehauptungen sind geeignet aufzuzeigen, dass oder inwieweit die
Vorinstanz als erkennendes Sachgericht unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche
Beweise übersehen oder solche willkürlich ausser Acht gelassen haben soll. Das
Bundesgericht als oberste Recht sprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) ist
keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht
vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition
überprüft. Die Beschwerdeführerin kann sich im bundesgerichtlichen Verfahren
nicht darauf beschränken, der Beweiswürdigung der Vorinstanz losgelöst vom
angefochtenen Entscheid ihre eigenen Tatsachenbehauptungen gegenüberzustellen
und frei zum Beweisergebnis zu plädieren. Dass sich die Vorinstanz mangels
Relevanz für die Beurteilung des Anklagesachverhalts nicht zur angeblich
dokumentierten "Hypersexualität" des Beschwerdegegners äussert, ist nicht zu
beanstanden. Aus der Beschwerde ergibt sich nicht, inwieweit die
vorinstanzliche Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung offensichtlich
unrichtig sein sollen. Ob die Beweiswürdigung, die bis auf geringfügige
Ergänzungen praktisch wortwörtlich mit derjenigen des aufgehobenen, ersten
Berufungsurteils übereinstimmt, bei einem Eintreten auf die Sachverhaltsrügen
vor Bundesrecht standhalten würde, kann vorliegend nicht überprüft werden,
erscheint aber fraglich (zur Beweiswürdigung nach bundesgerichtlicher
Rückweisung: Urteil 6B_777/2018 vom 2. Dezember 2019 E. 3.1). 

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin verstösst die vorinstanzliche
Kostenverteilung nicht gegen Bundesrecht. Aus der von ihr in der Beschwerde
angeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergibt sich, dass die Kosten der
unentgeltlichen Verbeiständung im Rechtsmittelverfahren der Privatklägerin
auferlegt werden können, wenn bereits erstinstanzlich ein Freispruch erfolgte,
der sodann im Berufungsverfahren bestätigt wurde. Die in Art. 138 Abs. 1 i.V.m.
Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO statuierte Pflicht zur Rückerstattung der Kosten
der unentgeltlichen Verbeiständung geht im Rechtsmittelverfahren Art. 30 Abs. 3
OHG vor (BGE 143 IV 154 E. 2.3.5). Da es beim Freispruch bleibt, ist auf die
Genugtuungs- und Schadensersatzforderungen nicht einzugehen.

5. 

Die Beschwerde ist im Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen
Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
Der Beschwerdeführerin sind reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1, Art. 65 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Der Beschwerdeführerin werden Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'200.--
auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. April 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Held