Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1300/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1300/2019

Urteil vom 11. Februar 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichterinnen van de Graaf, Koch,

Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Beat Rohrer,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt, An der Aa 4,
6300 Zug,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Fahrlässige grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, Strafabteilung,
vom 10. Oktober 2019 (S 2019 26).

Sachverhalt:

A.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug brachte gegen A.________ mit
Anklageschrift vom 18. März 2019 den folgenden Sachverhalt zur Anklage:

A.________ fuhr am 28. März 2018, ca. 06.20 Uhr, mit seinem Personenwagen mit
einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h ortseinwärts. Vor einer Rechtskurve
lenkte er das Fahrzeug infolge mangelnder Aufmerksamkeit oder eines
Sekundenschlafs über die Sicherheitslinie auf die Gegenfahrbahn, wo er mit der
linken Fahrzeughälfte auf die angrenzende, linksseitige Grünfläche geriet. Nach
einer zurückgelegten Strecke von ca. 30 Metern auf der Gegenfahrbahn und in der
Grünfläche, kam es im Kurvenbereich auf der Gegenfahrbahn zu einer seitlich
frontalen Kollision mit dem korrekt entgegenkommenden Personenwagen von
B.________. Dieser hatte noch versucht, eine Frontalkollision zu verhindern,
indem er sein Fahrzeug nach links gelenkt hatte. Er wurde verletzt
(Schleudertrauma, Rückenschmerzen, verschobenes Becken).

B.

Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte A.________ am 7. Mai 2019 wegen
fahrlässiger grober Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Art.
31 Abs. 1 SVG) zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 160.--
und einer Verbindungsbusse von Fr. 1'600.--.

A.________ erhob Berufung. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf
Anschlussberufung. Die Verfahrensleitung des Obergerichts des Kantons Zug
ordnete am 5. Juli 2019 das schriftliche Verfahren an. Es wies die Berufung am
10. Oktober 2019 ab und bestätigte das strafgerichtliche Urteil.

C.

A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil
aufzuheben, ihn wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse
von Fr. 500.-- zu verurteilen, eventualiter die Sache zu neuer Beurteilung
zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei zu Unrecht wegen fahrlässiger
grober Verkehrsregelverletzung schuldig gesprochen worden. Zudem verletze das
Urteil das Willkürverbot, denn es liege immer auch Willkür vor, wenn der
Beschuldigte in Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" (Art. 10 Abs. 3
StPO) verurteilt werde (mit Hinweis auf Urteil 6B_1219/2018 vom 27. September
2019 E. 1.2).

Strittig geblieben sei primär die Dauer der Unaufmerksamkeit. Nach der
Vorinstanz sei mit der Erstinstanz davon auszugehen, dass er in jedem Fall
nicht nur kurzfristig unaufmerksam gewesen sei. Dem könne nicht gefolgt werden:
Bei einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h (nach seiner Aussage) bzw. 70 km/h
(nach der Zeugenaussage) könne dies in weniger als einer Sekunde passiert sein
(mit Hinweis auf Urteil 6B_1294/2017 vom 19. September 2018 E. 1.7).

Aus dem Fahrverlauf folge, dass er, der zuvor nach links von der rechten
Fahrbahn abgekommen sei, vor der Kollision Gegensteuer nach rechts gegeben
haben müsse. Hätte er in dieser Phase keine Kontrolle über sein Fahrzeug
gehabt, wäre es ihm nicht möglich gewesen, der Rechtskurve zu folgen.

"Dass es dennoch zur Kollision mit dem entgegenkommenden Fahrzeug kam, war
mithin nicht darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdeführer sein Fahrzeug in
dieser Phase nicht beherrschte, sondern vielmehr darauf, dass ihm in dieser
hektischen Situation zu wenig Zeit zur Verfügung stand, um zu überlegen, wie
eine Kollision mit dem entgegenkommenden Fahrzeug allenfalls noch hätte
verhindert werden können (falls dies überhaupt noch möglich gewesen wäre, was
nicht erstellt ist) und einen entsprechenden Entschluss danach auch erfolgreich
umzusetzen. [...] Als erstellt muss jedoch gelten, dass sich der
Beschwerdeführer in dieser prekären Situation in einem Dilemma befunden haben
muss, ob er den Versuch, auf die rechte Fahrspur zurück zu gelangen, fortsetzen
sollte oder nicht" (Beschwerde S. 6).

Zusammenfassend müsse er schon kurz nach dem Überqueren der Sicherheitslinie
bemerkt haben, dass er auf die linke Fahrbahnhälfte geraten sei. Dass er nach
rechts lenkte, deute auf seine Absicht hin, zurück auf die rechte Spur zu
gelangen. Spätestens ab diesem Moment müsse er die Herrschaft über das Fahrzeug
wieder erlangt haben. Dass es dennoch zur Kollision kam, sei mithin entgegen
der Ansicht der Staatsanwaltschaft und der Vorinstanz nicht auf anhaltende
Unaufmerksamkeit zurückzuführen, sondern dass ihm nach Wiedererlangen der
Kontrolle nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung gestanden habe, um in dieser
höchst prekären Situation einen Entscheid zu fassen und in die Tat umzusetzen,
um eine Kollision noch vermeiden zu können.

Er anerkenne, dass er sich zufolge eines auf eine momentane Unaufmerksamkeit
zurückzuführenden Augenblicksversagens einer fahrlässigen einfachen Verletzung
der Verkehrsregeln schuldig gemacht habe. Eine schwere Verkehrsregelverletzung
könne darin nicht erblickt werden. Nicht jede Unaufmerksamkeit, die wegen der
Schwere des Erfolges objektiv als gravierende Verletzung der Vorsichtspflicht
zu betrachten sei, wiege auch subjektiv schwer (mit Hinweis auf Urteil 6B_263/
2015 vom 30. Juni 2015 E. 2.1). Bei dieser Ausgangslage hätte die Vorinstanz
ihm zugute halten müssen, dass er seine Kontrolle über das Fahrzeug nur während
kurzer Zeit verloren habe und wenige Augenblicke später wieder in der Lage
gewesen sei, sein Fahrzeug entlang der Rechtskurve zu steuern, es also zu
beherrschen.

1.2. Die Vorinstanz ordnete im Einverständnis der Parteien (Urteil S. 4, E.
1.2) das schriftliche Verfahren an. In diesem Verfahren kann die Berufung
behandelt werden, wenn (u.a.) "ausschliesslich" Rechtsfragen zu entscheiden
sind (Art. 406 Abs. 1 lit. a StPO). Mit dem Einverständnis zu diesem Verfahrens
anerkannte der Beschwerdeführer den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt.
Er kann vor Bundesgericht keine sachverhaltlichen Willkürrügen vortragen. Dass
die Vorinstanz vom massgebenden erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt
abgewichen wäre, behauptet er nicht. Auf den Willkürvorwurf (inklusive
Verletzung des "in dubio pro reo"-Grundsatzes) ist nicht einzutreten.

1.3. Der Beschwerdeführer wird nicht wegen eines Entscheiddilemmas in prekärer
Situation zur Rechenschaft gezogen, sondern weil er infolge Unaufmerksamkeit in
einer Rechtskurve ortseinwärts einen gravierenden Fahrfehler mit der kausalen
Folge einer schweren Kollision mit einem korrekt entgegenkommenden
Personenwagen verursacht hatte. Dass "ihm in dieser hektischen Situation zu
wenig Zeit zur Verfügung stand", ist die inhärente Konsequenz des seiner
Unaufmerksamkeit geschuldeten Fahrmanövers und kann ihn nicht entlasten. In
gleicher Weise unbehelflich ist sein Argument, dass er "wieder in der Lage war,
sein Fahrzeug entlang der Rechtskurve zu steuern, also zu beherrschen"
(Beschwerde S. 8, Ziff. 15). Er steuerte sein Fahrzeug unkontrolliert in den
korrekt entgegenkommenden Personenwagen und beherrschte es also nicht. Er
konnte seinen Vorsichtspflichten nicht nachkommen (Art. 31 Abs. 1 SVG). Gemäss
dieser Vorschrift hat der Lenker sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass
er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er muss jederzeit in der Lage
sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf das Fahrzeug einzuwirken und auf
jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig zu reagieren. Er muss seine
Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 VRV). Das
Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeuglenker verlangt wird, beurteilt sich
nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen
Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen
(Urteil 6B_221/2018 vom 7. Dezember 2018 E. 2.2).

1.4. Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Urteil 6B_263/2015 vom 30. Juni
2015 E. 2.1. Nach dem im Urteil a.a.O. zitierten BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136
ist subjektiv ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges
Verhalten erforderlich, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln
mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Beschuldigte
sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst
ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn er die Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht gezogen, also
unbewusst fahrlässig gehandelt hat. In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit
zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
auf Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist u.a. ein bedenkenloses
Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen
(momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen.

Es genügt mithin ein momentanes Nichtbedenken der Gefährdung fremder
Rechtsgüter zur Erfüllung von Art. 90 Abs. 2 SVG in subjektiver Hinsicht. Mit
der prozessual ohnehin unzulässigen Bestreitung der Dauer seiner
Unaufmerksamkeit lässt sich eine Bundesrechtswidrigkeit der vorinstanzlichen
Beurteilung nicht aufzeigen.

1.5. Die Vorinstanz folgt der Erstinstanz mit der "in dubio pro reo" verneinten
Annahme eines Sekundenschlafs als Unfallursache. Der einzige Grund sei eine
vollständige, umfassende Unaufmerksamkeit und damit verbunden faktisch eine
Unfähigkeit, den Personenwagen eingangs der Kurve auf der Spur zu halten
(Urteil S. 8. E. 3.4.1). Die Vorinstanz stimmt der Verteidigung zu, dass die
Dauer der Unaufmerksamkeit nicht sekundengenau feststellbar sei, nimmt aber der
Erstinstanz folgend an, dass der Beschwerdeführer in jedem Fall nicht nur
kurzfristig unaufmerksam war. Entscheidend sei, dass es nicht nur zu einem
kurzen Schlenker auf die Gegenfahrbahn gekommen sei, sondern zu einer
eigentlichen Schlingerfahrt über die Sicherheitslinie mit Querung der
Gegenfahrbahn, einer Weiterfahrt während rund 30 Metern halbseitig auf einem
Grünstreifen und einer anschliessenden Kollision mit einem korrekt
entgegenkommenden Personenwagen. Dass alles sehr schnell gegangen sei, sei
nachvollziehbar, ändere aber an der verwirklichten Tatsache nichts, dass er
während der ganzen Schlingerfahrt bis zur Kollision schlicht nicht in der Lage
gewesen sei, seinen Personenwagen zu kontrollieren und ausreichend zu
beherrschen (Urteil S. 9, E. 3.4.2).

1.6. Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, indem sie in der rechtlichen
Subsumtion schliesst, der Beschwerdeführer habe die wichtige, zentrale
Verkehrsregel des Art. 31 Abs. 1 SVG durch seine vollkommene Unaufmerksamkeit
missachtet, welche dazu geführt habe, dass er die Herrschaft über seinen
Personenwagen vollständig verloren habe. Der Streckenabschnitt sei dem
Beschwerdeführer als "etwas gefährlich" und "sehr unübersichtlich" bekannt
gewesen. Im Unfallzeitpunkt sei es noch dunkel und die Fahrbahn nass gewesen.
Dies hätte zwingend zu erhöhter Aufmerksamkeit führen müssen. Er erfülle auch
den subjektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG (Urteil S. 10, 11).

2.

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Dem
Beschwerdeführer sind die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.

Dem Beschwerdeführer werden die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- auferlegt.

3.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug,
Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Februar 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw