Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1198/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1198/2019

Urteil vom 20. Januar 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Muschietti,

Bundesrichterin Koch,

Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt, An der Aa 4,
6300 Zug,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Revision (Fahren in fahrunfähigem Zustand),

Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zug,
Strafabteilung, vom 17. September 2019 (S 2019 37).

Erwägungen:

1. 

Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte den Beschwerdeführer am 10. Januar
2019 wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand zu einer Busse von Fr. 700.-
respektive einer Ersatzfreiheitsstrafe von sieben Tagen im Falle schuldhafter
Nichtbezahlung.

Der Beschwerdeführer erhob gegen das Urteil Berufung. Mit Verfügung vom 6. Mai
2019 schrieb die Vorinstanz das Berufungsverfahren kostenfällig ab, weil der
Beschwerdeführer innert der ihm gesetzten Frist keine schriftliche
Berufungsbegründung eingereicht hatte.

2. 

Mit Eingabe vom 24. Juli 2019 stellte der Beschwerdeführer bei der Vorinstanz
einen "Revisionsantrag gemäss Art. 410-415 StPO" und beantragte, die
Präsidialverfügung sei aufzuheben und das Verfahren wieder aufzunehmen. Er
leide seit 2018 an einer schwerwiegenden Krankheit, welche vor allem im
Zeitraum Februar bis Juni 2019 keine planbare Prozessfähigkeit zugelassen habe.
Aus finanziellen Gründen habe er sich keinen Rechtsbeistand leisten können und
sämtliche von ihm an Rechtspersonen gestellten Anfragen seien abschlägig
beantwortet worden. Der Beschwerdeführer legte seiner Eingabe die "fehlende
Berufungsbegründung" bei.

Mit Präsidialverfügung vom 17. September 2019 trat die Vorinstanz auf das
"Revisionsgesuch" nicht ein und auferlegte dem Beschwerdeführer die
Verfahrenskosten. Die Vorinstanz erwägt zusammengefasst, der Beschwerdeführer
lege nicht dar, weshalb er gegen die ihm ordnungsgemäss eröffnete Verfügung vom
6. Mai 2019 innert der gesetzlich vorgeschriebenen 30-tägigen Frist keine
Beschwerde beim Bundesgericht habe erheben können. Die Revision sei gegenüber
ordentlichen Rechtsmitteln subsidiär und diene nicht dazu, verpasste
Rechtsmittelmöglichkeiten zu ersetzen. Der Beschwerdeführer habe sich während
laufender Beschwerdefrist mehrmals telefonisch an Mitarbeitende des Gerichts
(Vorinstanz) gewandt, woraus sich ergebe, dass es ihm ohne Weiteres möglich
gewesen sei, das ordentliche Rechtsmittel fristgerecht zu ergreifen.

3. 

Der Beschwerdeführer beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, das Revisionsbegehren gutzuheissen
und die Berufung an die Hand zu nehmen. Entgegen der Vorinstanz könne aufgrund
des mehrmaligen telefonischen Kontakts mit Mitarbeitern des Gerichts nicht
geschlossen werden, dass er in dieser Zeit handlungs- und prozessfähig gewesen
sei. Für eine rechtskonforme Ausarbeitung einer verständlichen und
rechtskonformen Rechtsschrift sei für einen Laien erforderlich, dass er im
Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte sei. Zudem hätten die
telefonischen Kontakte zu anderen Zeitpunkten stattgefunden, als von der
Vorinstanz behauptet. Es sei unverständlich, dass die Vorinstanz eine ärztlich
attestierte Prozessunfähigkeit eines palliativ behandelten Krebspatienten nicht
anerkenne. Erst nach vorläufiger Absetzung der Chemotherapie Anfang Juli 2019
sei eine Besserung eingetreten, die es ihm erlaubt habe, am 24. Juli 2019
"einen Revisionsantrag und eine Berufungsbegründung" zu verfassen.

4.

4.1. Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht. Entgegen der Ansicht der
Vorinstanz stellt der Beschwerdeführer keinen "Revisionsantrag gemäss Art.
410-415 StPO", auch wenn er seine Eingabe vom 24. Juli 2019 ausdrücklich so
bezeichnet. Der Beschwerdeführer rügt nicht, der Abschreibungsentscheid sei in
Verletzung von Bundesrecht zu Stande gekommen. Dass er die ihm gesetzte
20-tägige Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung nicht eingehalten hat
und seine Berufung gemäss Art. 407 Abs. 1 lit. b StPO als zurückgezogen gilt,
ist unstreitig und wird vom Beschwerdeführer auch nicht in Frage gestellt.
Zudem war eine Revision der Präsidialverfügung von vornherein ausgeschlossen.
Abschreibungsbeschlüsse gehören nicht zu den gemäss Art. 410 Abs. 1 StPO
revisiblen Entscheiden. Ihnen kommt lediglich deklaratorische Bedeutung zu,
weshalb allenfalls die Revision des erstinstanzlichen Urteils in Betracht
gekommen wäre (vgl. BGE 141 IV 269 E. 2.2.2 f. mit Hinweisen). Aber auch eine
solche beantragt der Beschwerdeführer nicht. Aus seinen Rechtsbegehren und
deren Begründung ergibt sich, dass er gemäss Art. 94 Abs. 1 StPO um
Wiederherstellung der ihm angesetzten 20-tägigen Frist zur Berufungsbegründung
ersucht (vgl. zur Auslegung von Rechtsbegehren: Urteil 4A_653/2018 vom 14.
November 2019 mit Hinweisen; zur unrichtigen Bezeichnung eines Rechtsmittels:
Art. 385 Abs. 3 StPO, der sinngemäss auf die falsche Bezeichnung von
Rechtsbehelfen angewendet werden kann). Er macht in seiner Eingabe vom 24. Juli
2019 unter Beilage eines ärztlichen Attestes geltend, dass er kranheits- und
behandlungsbedingt die von der Vorinstanz verlangte Berufungsbegründung nicht
fristgerecht habe einreichen können, mithin dass ihn an der unterlassenen
Prozesshandlung kein Verschulden treffe (vgl. Art. 93, Art. 94 StPO). Seinem
Gesuch legte er die "fehlende Berufungsbegründung" bei und holte damit die
versäumte Verfahrenshandlung nach (vgl. 94 Abs. 2 StPO). Die Vorinstanz hätte
demnach die Eingabe des Beschwerdeführers trotz falscher Bezeichnung als
Fristwiederherstellungsgesuch entgegennehmen müssen.

4.2. Für die Beurteilung des Wiederherstellungsgesuchs ist entscheidend, ob der
Beschwerdeführer während der ihm gesetzten 20-tägigen Frist vom 11. April bis
zum 30. April 2019 (kant. Akten, act. OG GD 8) gesundheitlich dazu in der Lage
war, eine Berufungsbegründung einzureichen. Hierzu äussert sich die Vorinstanz
weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht, weshalb die Sache
diesbezüglich auch vom Bundesgericht nicht beurteilt werden kann. Dass der
Beschwerdeführer sich nach Eröffnung des Abschreibungsentscheides vom 6. Mai
2019 mehrmals telefonisch mit der Vorinstanz in Verbindung gesetzt haben soll,
ist allenfalls für die Frage von Relevanz, ob das Gesuch um Wiederherstellung
der Frist zur Berufungsbegründung gemäss Art. 94 Abs. 2 StPO innert 30 Tagen
nach Wegfall des Säumnisgrundes eingereicht wurde. Anzumerken ist insoweit,
dass der Beschwerdeführer bestreitet, in dem von der Vorinstanz erwähnten
Zeitraum telefonisch Kontakt aufgenommen zu haben und diese Telefonate in den
Verfahrensakten auch nicht dokumentiert oder vermerkt sind. Die Akten enthalten
lediglich eine Notiz zu einer telefonischen Anfrage des Beschwerdeführers vom
16. August 2019 (kant Akten, act. OG GD 4). Im Strafverfahren gilt die
Dokumentationspflicht. Danach sind alle verfahrensmässig relevanten Vorgänge
von den Behörden in geeigneter Form festzuhalten und die entsprechenden
Aufzeichnungen in die Strafakten zu integrieren (BGE 143 IV 408 E. 8.2 f.;
Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005,
BBl 2006, 1155). Da anhand der Aktenlage nicht erstellt und überprüfbar ist,
dass und allenfalls wann Telefongespräche zwischen der Eröffnung der
Präsidialverfügung und der Einreichung des Wiederherstellungsgesuchs
stattfgefunden haben, kann offenbleiben, ob eine allfällige telefonische
Kontaktaufnahme belegt, der Beschwerdeführer sei nach dem 6. Mai 2019 in der
Lage gewesen, Beschwerde an das Bundesgericht zu führen respektive bei der
Vorinstanz ein Fristwiederherstellungsgesuch nebst Berufungserklärung
einzureichen. Dies erscheint angesichts des dem Wiederherstellungsgesuch
beigelegten, von der Vorinstanz jedoch nicht berücksichtigten Arztzeugnisses,
wonach der Beschwerdeführer sich seit Februar 2018 einer Chemotherapie
unterzieht, zwei grössere Operationen hatte, sein Allgemeinzustand aufgrund der
Erkrankung/Therapie teilweise deutlich reduziert und er mithin nicht immer voll
prozessfähig ist, fraglich und bedürfte zumindest einer eingehenden Begründung.
Ob das Wiederherstellungsgesuch fristgerecht eingereicht und begründet ist,
kann jedoch offenbleiben, wenn auf die Berufung eingetreten wird und diese sich
im Rahmen der gemäss Art. 398 Abs. 4 StPO eingeschränkten Prüfungskognition
ohnehin als unbegründet erweisen sollte.

5. 

Die Beschwerde ist im Verfahren gemäss Art. 109 BGG gutzuheissen. Es sind keine
Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der anwaltlich nicht
vertretene Beschwerdeführer beantragt keine Parteientschädigung.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Präsidialverfügung des Obergerichts des
Kantons Zug vom 17. September 2019 aufgehoben und die Sache zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug,
Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Januar 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Held