Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1139/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1139/2019

Urteil vom 3. April 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichterin van de Graaf,

Bundesrichterin Koch,

Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Joos,

Beschwerdeführerin,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Grobe Verletzung von Verkehrsregeln,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 9. Juli 2019 (SB180540-O/U/cw).

Sachverhalt:

A. 

A.________ fuhr am 6. November 2016 um ca. 2:22 Uhr auf der Autobahn A1 in
Opfikon in Fahrtrichtung Bern. Ihr wird vorgeworfen, Im Stelzentunnel einen
deutlich zu geringen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug gehalten zu haben.

Das Bezirksgericht Bülach erklärte A.________ am 18. September 2018 der groben
Verletzung der Verkehrsregeln schuldig. Es bestrafte sie mit einer bedingten
Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 30.-- und einer Busse von Fr. 300.--.

B. 

A.________ erhob Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts. Das Obergericht
des Kantons Zürich bestätigte dieses am 9. Juli 2019.

C. 

A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, sie sei
freizusprechen. Eventualiter sei sie der einfachen Verletzung der
Verkehrsregeln schuldig zu sprechen. Für das Verfahren vor dem Bundesgericht
sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.

Erwägungen:

1. 

Die Beschwerdeführerin macht eingangs ihrer Beschwerde Ausführungen zum
Sachverhalt und zum Verfahren (Beschwerde, S. 3 - 5). Sie erhebt dabei keine
konkreten Rügen, weshalb darauf nicht einzugehen ist.

2. 

Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine
falsche Anwendung von Art. 34 Abs. 4 und Art. 90 Abs. 2 SVG.

2.1. Die Vorinstanz stellt fest, die Beschwerdeführerin habe im Stelzentunnel
nachts und bei nasser Fahrbahn auf einer Strecke über rund 300 Metern Abstände
von 0.32 bis 0.56 Sekunden zu einem vor ihr fahrenden unbekannten Personenwagen
gehalten. Dies entspreche, bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 85
km/h, 8.8 % bis 15. 5 % des Geschwindigkeitswertes bzw. 7.5 bis 13.2 Meter
Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug. Die Vorinstanz qualifiziert dieses
Verhalten als grobe Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 34 Abs. 4
und Art. 90 Abs. 2 SVG.

2.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1). Willkür liegt vor, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung
ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme
von Willkür nicht (BGE 141 IV 305 E. 1.2). Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt
in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht
keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 145
IV 154 E. 1.1). Eine entsprechende Rüge muss explizit vorgebracht und
substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht
ein (BGE 142 III 364 E. 2.4).

Nach Art. 90 Abs. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine
ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. In
objektiver Hinsicht setzt die Annahme einer schweren Widerhandlung bzw. einer
groben Verkehrsregelverletzung voraus, dass die Verkehrssicherheit ernsthaft
gefährdet wurde. Dabei genügt eine erhöhte abstrakte Gefährdung (BGE 142 IV 93
E. 3.1; BGE 131 IV 133 E. 3.2; je mit Hinweisen).

Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend
verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei
fahrlässiger Begehung grobe Fahrlässigkeit. Je schwerer die
Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit
subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (BGE
142 IV 93 E. 3.1 mit Hinweisen).

Gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ein
ausreichender Abstand einzuhalten, namentlich beim Kreuzen und Überholen sowie
beim Neben- und Hintereinanderfahren. Was unter einem "ausreichenden Abstand"
im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG zu verstehen ist, hängt von den gesamten
Umständen ab. Dazu gehören unter anderem die Strassen-, Verkehrs- und
Sichtverhältnisse sowie die Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge. Die
Rechtsprechung hat keine allgemeinen Grundsätze zur Frage entwickelt, bei
welchem Abstand in jedem Fall, d.h. auch bei günstigen Verhältnissen, eine
einfache Verkehrsregelverletzung anzunehmen ist. Im Sinne von Faustregeln wird
für Personenwagen auf die Regel "halber Tacho" (entsprechend 1,8 Sekunden) und
die "Zwei-Sekunden"-Regel abgestellt (zum Ganzen BGE 131 IV 133 E. 3.1 mit
Hinweisen). Für die Beurteilung, ob eine grobe Verkehrsregelverletzung
anzunehmen ist, wird auf Autobahnen als Richtschnur die Regel "1/6-Tacho" bzw.
Abstand von 0,6 Sekunden herangezogen (BGE 131 IV 133 E. 3.2.2; Urteile 6B_1382
/2017 vom 28. Juni 2018 E. 3.3.2; 6B_1090/2017 vom 15. Februar 2018 E. 3.5; je
mit Hinweisen).

2.3. Hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellung rügt die Beschwerdeführerin
namentlich, dass die Geschwindigkeit der involvierten Fahrzeuge nicht genau
bestimmt worden sei. So kenne die Vorinstanz die Geschwindigkeit des
vorausfahrenden Fahrzeugs nicht und lege diejenige der Beschwerdeführerin von
sich aus auf 85 km/h fest, was willkürlich sei. Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz sei der Parameter der Geschwindigkeit entscheidend, um zu bestimmen,
ob eine Abstandsverletzung vorliege. Willkürlich sei auch, dass die Vorinstanz
den massgeblichen Sachverhalt nicht anhand der polizeilichen Abklärungen,
sondern selber feststelle, sowie dass sie das Video "von blossem Auge"
interpretieren wolle. Ebenso willkürlich sei, dass die Vorinstanz festhalte,
dass aus seitlichen Manövrierbewegungen der Beschwerdeführerin nach links und
nach rechts keine Schlüsse auf ein inkriminiertes Verhalten gezogen werden
könnten.

Die Beschwerdeführerin rügt weiter, Art. 34 Abs. 4 SVG stelle keine klare Regel
hinsichtlich des notwendigen Abstands auf. Die Vorinstanz wende schematisch
ältere Bundesgerichtsentscheide an, ohne das Verhalten fallspezifisch zu
beurteilen. Die Beschwerdeführerin macht insbesondere geltend, dass in einem
Tunnel nicht mit einem plötzlichen Bremsen des vorausfahrenden Fahrzeugs
gerechnet werden müsse. Schliesslich dränge sich im Sinne eines obiter dictum
eine Änderung der Rechtsprechung auf, welche den heutigen Verkehrsverhältnissen
und der Entwicklung der Technik Rechnung trage. Die Faustregel "halber Tacho"
sei nicht mehr zeitgemäss.

2.4.

2.4.1. Eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln liegt nach der erwähnten
Rechtsprechung vor, wenn der zeitliche Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug
geringer als 0,6 Sekunden ist oder wenn der räumliche Abstand die Regel "1/
6-Tacho" missachtet. In tatsächlicher Hinsicht musste die Vorinstanz daher
entweder den zeitlichen Abstand oder den räumlichen Abstand und die
Geschwindigkeit bestimmen. Die Vorinstanz hat den zeitlichen Abstand anhand
einer gutachterlichen Auswertung der von der Polizei erstellten Videoaufnahme
bestimmt. Weitere Feststellungen - namentlich hinsichtlich der Geschwindigkeit
- waren nicht erforderlich. Dass die Vorinstanz den Sachverhalt "selber" und
"von blossem Auge", mithin ohne hinreichende Beweise, feststelle, ist bei
dieser Sachlage abwegig. Inwiefern die Vorinstanz den zeitlichen Abstand
willkürlich bestimmt haben soll, legt die Beschwerdeführerin nicht dar.
Hinsichtlich der seitlichen Bewegungen des Fahrzeuges der Beschwerdeführerin
erwägt die Vorinstanz lediglich, dass diese kein strafrechtlich relevantes
Verhalten darstellen würden. Was daran willkürlich sein soll, ist nicht
ersichtlich. Die Kritik der Beschwerdeführerin an der Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz geht an der Sache vorbei und erschöpft sich im Übrigen in
appellatorischer Kritik, worauf nicht einzutreten ist.

2.4.2. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz betrug der
zeitliche Abstand zwischen den Fahrzeugen 0.32 bis 0.56 Sekunden. Damit hat
sich die Beschwerdeführerin nach der erwähnten Rechtsprechung - von welcher
kein Anlass besteht, abzuweichen - in objektiver Hinsicht der groben Verletzung
der Verkehrsregeln schuldig gemacht. Dass keine erhöhte Gefährdung bestanden
habe, weil in einem Tunnel nicht mit einem plötzlichen Bremsen zu rechnen sei,
ist unerheblich, zumal die Gründe für ein solches Manöver weder voraussehbar
noch für den Lenker eines hinterherfahrenden Fahrzeugs zwingend erkennbar sind.
Gerade bei dichtem Auffahren (wie vorliegend) ist zudem jederzeit damit zu
rechnen, dass der Lenker des vorderen Fahrzeugs in Bedrängnis geraten und aus
diesem Grund unangemessen reagieren kann.

2.4.3. Das Verhalten der Beschwerdeführerin stellt in objektiver Hinsicht nicht
eine einfache, sondern eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln dar. Damit
verfügt die Beschwerdeführerin über kein Rechtsschutzinteresse hinsichtlich der
Frage, ob die "Zwei-Sekunden"-Regel angemessen ist (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG;
BGE 133 IV 121 E. 1.1).

3.

3.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz gehe von einer
eventualvorsätzlichen Tatbegehung aus, ohne dafür eine Begründung zu liefern.
Damit verfalle die Vorinstanz in Willkür. Die Beurteilung der Gefährdung nur
aufgrund einer bestimmten Abstandszeit sei ungenügend. Eine Notbremsung des
vorderen Fahrzeugs in den 13 Sekunden Fahrzeit im Tunnel liege ausserhalb
jeglicher Vernunft und der von ihr gehaltene Abstand genüge, um rechtzeitig zu
bremsen.

3.2. Die Vorinstanz erwägt, es sei davon auszugehen, dass der
Beschwerdeführerin die im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des objektiven
Tatbestandes bereits geschilderten Umstände und die besondere Gefährlichkeit
ihrer Fahrweise bewusst gewesen seien und sie diese in Kauf genommen habe. Es
sei deshalb von einer eventualvorsätzlichen Tatbegehung auszugehen (Urteil, S.
18 f.).

3.3. Was der Täter wusste, wollte oder in Kauf nahm, betrifft sogenannte innere
Tatsachen. Es handelt sich dabei um eine Tatfrage, welche das Bundesgericht nur
unter dem Blickwinkel der Willkür prüft (BGE 141 IV 369 E. 6.3). Die Vorbringen
der Beschwerdeführerin, wonach der Abstand ausreichend gewesen sei und sie
nicht mit einem plötzlichen Bremsen habe rechnen müssen, lassen die
vorinstanzlichen Feststellungen, obwohl nur knapp begründet, im Ergebnis nicht
als willkürlich erscheinen. Die Rüge ist unbegründet.

4. 

Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz qualifiziere die Delinquenz im
Rahmen aller denkbaren Abstandsunterschreitungen als geringfügig und das
Verschulden sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht als sehr
leicht. Wie dies mit einer eventualvorsätzlichen Tatbegehung korrelieren solle,
sei unerklärt und widersprüchlich. Konsequenterweise hätte dies dazu führen
müssen, dass kein Eventualvorsatz angenommen werden könne.

Die von der Beschwerdeführerin erwähnten Erwägungen der Vorinstanz erfolgten im
Rahmen der Strafzumessung. Diese hat keinen Einfluss auf die Frage, ob die
Täterin vorsätzlich handelte. Die Rüge ist unbegründet.

5. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, weil die Beschwerde von
vornherein aussichtslos war. Der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin ist
mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. April 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Moses