Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1111/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1111/2019

Urteil vom 25. November 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Oberholzer,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Gewerbsmässiger Betrug usw.; Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c
StGB,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer,
vom 19. Februar 2019 (SK 18 342).

Erwägungen:

1. 

Das Obergericht des Kantons Bern stellte am 19. Februar 2019 fest, das von
A.________ mit Berufung angefochtene Urteil des Regionalgerichts
Bern-Mittelland vom 1. Februar 2018 sei in Rechtskraft erwachsen, soweit das
Verfahren in zwei Fällen eingestellt, er in sechs Fällen freigesprochen und in
zwei Fällen zu Schadenersatzzahlungen verurteilt worden sei. Weiter stellte das
Obergericht das Strafverfahren in einem Fall ein und sprach ihn in drei Fällen
von Betrugsvorwürfen frei.

Das Obergericht verurteilte ihn erstens in 24 Fällen wegen gewerbsmässigen
Betrugs, mehrfach begangen, davon 15 Fälle in der ersten Deliktsperiode
zwischen 14. November 2014 bis 16. März 2016 sowie 9 Fälle in der zweiten
Deliktsperiode zwischen 13. Januar 2017 bis 1. März 2017, und zweitens wegen
Zechprellerei, mehrfach, teilweise geringfügig begangen, in 8 Deliktsperioden
in der Zeit vom 28. Oktober 2015 bis 8. Februar 2017 insgesamt zu einer
Freiheitsstrafe von 17 Monaten, teilweise als Zusatzstrafe zu den Urteilen der
Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis vom 13. November 2015 und der
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 10. Februar 2016, unter Anrechnung
der ausgestandenen Untersuchungshaft von 162 Tagen, sowie zu einer
Übertretungsbusse von Fr. 300.--. Es ordnete die Landesverweisung für 5 Jahre
an.

Wie die Vorinstanz dem Bundesgericht mit Schreiben vom 27. September 2019
mitteilte, ist bei der 1. Strafkammer des Kantons Bern ein weiteres
Strafverfahren SK 19 243 hängig.

2. 

Der Beschwerdeführer richtet sich mit einer Laienbeschwerde (in Strafsachen)
gegen das vorinstanzliche Urteil. Er war im vorinstanzlichen Verfahren durch
einen amtlichen Verteidiger vertreten. Er ist als Beschuldigter zur Beschwerde
berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG). Auch eingedenk einer bei
Laienbeschwerden üblichen wohlwollenden Betrachtungsweise (Urteil 6B_1239/2016
vom 14. Juni 2017 E. 3.2 sowie Urteil 6B_280/2017 vom 9. Juni 2017 E. 2.2.2 f.
zu einer kantonalen Beschwerde) genügt die Beschwerde den bundesrechtlichen
Begründungsanforderungen weder im Sinne von Art. 42 Abs. 2 BGG ("darzulegen,
inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt") noch hinsichtlich Art. 97 Abs.
1 BGG ("offensichtlich unrichtig"), wonach Willkür zu substanziieren ist
(Urteile 6B_228/2017 vom 4. Juli 2017 E. 3.4 a.E. und 6B_519/2017 vom 4.
September 2017 E. 1) noch unter dem Titel von Art. 106 Abs. 2 BGG, wonach
Verletzungen von Grundrechten qualifiziert zu begründen sind. Angesichts der
angeordneten Landesverweisung lässt es sich rechtfertigen, auf die Vorbringen
einzugehen und die Sache nicht formell mangels Erfüllens der Anforderungen mit
Nichteintreten von der Hand zu weisen.

3. 

Der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Strafzumessung.

Er bringt vor, seit 2015 habe er Probleme mit der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Wegen dieser Behörde habe er in ein
Psychiatriezentrum gehen müssen. Die Medikamente und die fehlende Bewegung
hätten ihm Mühe gemacht, so dass er entwichen sei. Danach habe er in mehreren
Hotels übernachtet, um einen Schlafplatz zu haben. Er habe nicht bezahlt, aber
ab November 2019 Kontakte für Ratenzahlungen aufgenommen. Er habe Darlehen
genommen. Das sei nicht Betrug. Das trifft offenkundig nicht zu. Wie die
Vorinstanz gestützt auf das erstinstanzliche Urteil ausführt, war er zwar
teilweise geständig, Geld bzw. Darlehen erhalten zu haben, doch Einsicht und
Reue kamen nicht zum Ausdruck. Ein Rückzahlungswille war nicht glaubhaft. Er
hatte frisch und fröhlich weiter delinquiert. Das gewichtet die Vorinstanz mit
Recht straferhöhend (Urteil S. 89).

Der Beschwerdeführer findet die Strafe "sehr hoch". Angesichts des mehrfach
begangenen gewerbsmässigen Betrugs in 24 Fällen (Urteilsdispositiv S. 103-105)
und der mehrfach begangenen Zechprellerei (oben E. 1) kann von einer sehr hohen
Strafe nicht die Rede sein. Das Gesetz droht für gewerbsmässigen Betrug
Freiheitsstrafen bis zu zehn (Art. 146 Abs. 2 StGB) und für Zechprellerei bis
zu drei Jahren an (Art. 149 StGB). Die Vorinstanz hatte bei der Strafzumessung
zudem vier Vorstrafen zu berücksichtigen, nämlich jene vom 13. November 2015
und 10. Februar 2016 (oben E. 1) sowie das Urteil der Staatsanwaltschaft
Bern-Mittelland vom 4. Januar 2016 und ein weiteres Urteil der
Staatsanwaltschaft Solothurn vom 4. April 2016. Die Vorinstanz kam angesichts
der schlechten Legalprognose (Urteil S. 94) nicht umhin, die Freiheitsstrafe
unbedingt auszusprechen (Art. 42 Abs. 1 und 2 StGB) und in Vollzug zu setzen.

4. 

Der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Landesverweisung.

4.1. Er bringt vor, aufgrund seiner kombinierten Persönlichkeitsstörung sei es
sehr unwahrscheinlich, dass er ohne medizinische Unterstützung in der Lage sei,
sich in irgendeinem Lande zu integrieren. Es sei zudem davon auszugehen, dass
er in seinem Heimatland Somalia keine medizinische Unterstützung erhalten
werde. Die besten Aussichten für eine erfolgreiche Integration seien in der
Schweiz zu sehen. Es sei nicht richtig, dass er nicht zu einer Behandlung
bereit sei. Die Feststellungen im Gutachten von 2016 stimmten nicht mehr mit
den heutigen Gegebenheiten überein.

4.2. Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer lebe seit 2001 in der
Schweiz und habe es in keiner Art und Weise, auch nicht mit der geduldigen
Unterstützung durch staatliche Institutionen (Sozialhilfe, KESB), geschafft,
den Lebensalltag deliktfrei zu bewältigen. Die berufliche Integration sei
komplett gescheitert, obwohl er sprachlich gute Voraussetzungen mitbringe. Er
werde auch in Zukunft sozial nicht kompatibel sein. Er sei kinderlos, habe
keine Familienangehörigen in der Schweiz, lebe als Einzelgänger und habe über
Jahre keinen festen Wohnsitz. In Somalia sei er ein erfolgreicher Berufsmann
gewesen. Dagegen habe er sich in der Schweiz in 18 Jahren nicht integriert. Er
verfüge in der Schweiz nicht über bessere Chancen zur Integration. Zwar wäre
die Persönlichkeitsstörung in der Schweiz einfacher zu behandeln, doch sei er
weder fähig noch bereit, kooperativ zu sein. Medikamente habe er nicht
zuverlässig eingenommen. Er wolle sich nicht helfen lassen. Nach dem
Migrationsamt sei zur Zeit eine Zwangsrückschaffung unmöglich. Das könne sich
aber mit dem Rücknahmeübereinkommen ändern. Eine freiwillige Rückkehr sei
möglich. Vor der Vorinstanz habe er erklärt, er möchte auf jeden Fall in sein
Land zurück, er liebe Somalia, er habe nie in einem fremden Land leben wollen.
Er möchte seinen Lebensabend in Somalia verbringen und dort sterben. Er wisse,
dass die Bewilligung F nur vorübergehend sei und von ihm verlangt werde, zurück
in sein Land zu reisen, sobald es ihm wieder gut gehe (Urteil S. 99). Ein
Härtefall sei entgegen der Verteidigung zu verneinen. Er stelle nach wie vor
eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Entsprechend sei die auf die
Mindestdauer angesetzte fünfjährige Landesverweisung im Schengener
Informationssystem auszuschreiben.

4.3. Die Vorinstanz nimmt zu Recht an, mit der Verurteilung u.a. zu
gewerbsmässigem Betrug in der Zeit vom 23. Januar 2017 bis 1. März 2017 liege
eine Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB vor, was die
obligatorische Landesverweisung zur Folge habe, sofern kein Härtefall vorliege
(Urteil S. 97).

Von der Landesverweisung kann nur "ausnahmsweise" unter den kumulativen
Voraussetzungen (Urteil 6B_2/2019 vom 27. September 2019 E. 7.1) abgesehen
werden, dass die Ausweisung (1.) einen "schweren persönlichen Härtefall
bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung
gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz
nicht überwiegen" (Art. 66a Abs. 2 StGB). Die Härtefallklausel ist restriktiv
anzuwenden (BGE 144 IV 332 E. 3.3.1 S. 340; Urteile 6B_689/2019 vom 25. Oktober
2019 E. 1.7, 6B_908/2019 vom 5. November 2019 E. 2.1).

Der Beschwerdeführer mit Jahrgang 1972 ist nicht integriert (vgl. Urteil 6B_793
/2019 vom 12. September 2019 E. 2.3.2 sowie zu den Integrationskriterien weiter
Urteil 6B_689/2019 vom 25. Oktober 2019 E. 1.7.2). Die staatliche Unterstützung
durch die Sozialhilfe und die KESB war erfolglos. Aus der Behandlung in der
psychiatrischen Klinik ist er entwichen. Die notwendige Kooperation war weder
gegeben noch ist sie erwartbar. Bei seiner psychischen Störung handelt es sich
weder um eine lebensbedrohende Krankheit noch ist eine dramatische
Verschlechterung des Gesundheitszustands infolge der Rückkehr nach Somalia zu
befürchten, welche nach der Rechtsprechung des EGMR eine Ausweisung im Sinne
von Art. 3 EMRK hindern könnte ("à un risque réel d'être exposée à un déclin
grave, rapide et irréversible de son état de santé entraînant des souffrances
intenses ou à une réduction significative de son espérance de vie"; zur
Publikation vorgesehenes Urteil 6B_2/2019 vom 27. September 2019 E. 6.1;
Urteile 6B_908/2019 vom 5. November 2019 E. 2 und 6B_1117/2018 vom 11. Januar
2019 E. 2.3.3). Übersetzt bedeutet diese Rechtsprechung: Ein aussergewöhnlicher
Fall, in dem eine aufenthaltsbeendende Massnahme unter Verbringung einer
gesundheitlich angeschlagenen Person in ihren Heimatstaat Art. 3 EMRK verletzt,
liegt vor, wenn für diese im Fall der Rückschiebung die konkrete Gefahr
besteht, dass sie aufgrund fehlender angemessener Behandlungsmöglichkeiten oder
fehlenden Zugangs zu Behandlungen, einer ernsthaften, rapiden und irreversiblen
Verschlechterung des Gesundheitszustands ausgesetzt wird, die intensives Leiden
oder eine wesentliche Verringerung der Lebenserwartung nach sich zieht (Urteil
2D_14/2018 vom 13. August 2018 E. 4.2). Das ist weder hinreichend substanziiert
dargetan noch ersichtlich noch geht es darum, dass der gleiche
Behandlungsstandard in Somalia garantiert wird wie in der Schweiz (a.a.O., E.
4.3).

4.4. Schliesslich ist lediglich anzumerken, dass der Vollzug der
Landesverweisung unter den vorinstanzlich festgestellten Umständen (oben E.
4.2) gegebenenfalls noch zu prüfen sein wird (zur Publikation bestimmtes Urteil
6B_2/2019 vom 27. September 29019 E. 9.4), wobei es sich nach der Vorinstanz
allerdings nicht um einen Fall von offensichtlichem "Non-Refoulement" handelt
(Urteil S. 98).

5. 

Eine Verletzung von Bundesrecht ist weder dargetan noch ersichtlich. Soweit auf
die Beschwerde eingetreten werden kann, ist sie abzuweisen. Das sinngemässe
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ("Ich habe keinen
Anwalt. Mein Verteidiger war bis 20.02.19") ist wegen Aussichtslosigkeit
abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG; vgl. Urteil 5A_315/2019 vom 28. Mai 2019 E. 5).
Die aufzuerlegenden Gerichtskosten sind herabzusetzen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m.
Art. 65 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. November 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw