Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1106/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1106/2019

Urteil vom 1. April 2020

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,

Bundesrichterin van de Graaf,

Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwältin Brigitta Brunner,

Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Führen eines Motorfahrzeugs in fahrunfähigem Zustand, Nichtbeherrschen des
Fahrzeugs; rechtliches Gehör, Willlkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
3. Kammer, vom 22. August 2019 (SST.2019.103).

Sachverhalt:

A. 

A.________ verursachte am 3. September 2017 um ca. 5:44 Uhr auf der Autobahn A1
einen Selbstunfall. Das Bezirksgericht Zofingen erklärte ihn am 19. Februar
2019 des Fahrens in fahrunfähigem Zustand wegen Übermüdung sowie der Verletzung
der Verkehrsregeln wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs schuldig. Es bestrafte
ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 200.-- und einer
Busse von Fr. 800.--. Gegen dieses Urteil erhob A.________ Berufung.

B. 

Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte am 22. August 2019 das
erstinstanzliche Urteil.

C. 

A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und er sei freizusprechen. Eventualiter sei die
Sache zwecks Einholung eines schlafmedizinischen und verkehrstechnischen
Gutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe seinen Antrag, ein
schlafmedizinisches sowie ein verkehrstechnisches Gutachten einzuholen, zu
Unrecht abgelehnt. Darüber hinaus stelle sie den Sachverhalt hinsichtlich der
Ursache des Unfalls willkürlich fest.

1.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1). Willkür liegt vor, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung
ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme
von Willkür nicht (BGE 141 IV 305 E. 1.2). Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt
in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht
keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 144
IV 345 E. 2.2.3.1; BGE 138 V 74 E. 7; je mit Hinweisen). Eine entsprechende
Rüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106
Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt
das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4).

Über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig, der Strafbehörde bekannt oder
bereits rechtsgenügend erwiesen sind, wird nicht Beweis geführt (Art. 139 Abs.
2 StPO). Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 3 Abs. 2
lit. c StPO, Art. 107 StPO) räumt dem Betroffenen das persönlichkeitsbezogene
Mitwirkungsrecht ein, erhebliche Beweise beizubringen, mit solchen
Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise
mitzuwirken. Dem Mitwirkungsrecht entspricht die Pflicht der Behörden, die
Argumente und Verfahrensanträge der Parteien entgegenzunehmen und zu prüfen.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Untersuchungsgrundsatzes im
Sinne von Art. 6 StPO liegt nicht vor, wenn eine Behörde auf die Abnahme
beantragter Beweismittel verzichtet, weil sie aufgrund der bereits abgenommenen
Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener
(antizipierter) Beweiswürdigung annehmen kann, dass ihre Überzeugung durch
weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 143 III 297 E. 9.3.2; BGE
141 I 60 E. 3.3; Urteil 6B_811/2019 vom 15. November 2019 E. 1.5.2).

1.3.

1.3.1. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer sei in einer langgezogenen
Linkskurve zuerst nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und habe die
Randleitplanke mit der rechten Fahrzeugseite mehrere Meter lang ohne zu bremsen
touchiert. Dann habe er nach links geschwenkt und so stark gebremst, dass eine
Bremsspur entstanden sei. Schliesslich sei er heftig mit der Mittelleitplanke
kollidiert. Das festgestellte Spurenbild entspreche dem typischen Unfallverlauf
infolge eines Sekundenschlafs und sei nicht mit der Darstellung des
Beschwerdeführers vereinbar, wonach er einem Tier habe ausweichen müssen.
Bereits das Bezirksgericht habe zutreffend ausgeführt, dass die Spuren am
Unfallort gegen das geschilderte Ausweichmanöver sprechen würden und die
diesbezüglichen Aussagen des Beschwerdeführers zum Tier selbst als auch zum
genauen Unfallhergang in sich nicht konsistent seien. Die vom Beschwerdeführer
eingereichten Statistiken würden lediglich belegen, dass es nicht grundsätzlich
ausgeschlossen sei, dass trotz Wildschutzzaun Tiere auf den Streckenabschnitt
der Unfallstelle gelangen würden. Sie würden aber kein Indiz dafür bilden, dass
sich genau das beim Unfall des Beschwerdeführers zugetragen habe. Für eine
Übermüdung würden auch die Aussagen des Beschwerdeführers zur Vorgeschichte des
Unfalls sprechen. Es sei erstellt, dass er im Zeitpunkt des Unfalls von
Rumänien kommend bereits über elf Stunden und zwar grösstenteils nachts sowie
alleine hinter dem Steuer gesessen sei. Der Unfall habe sich in den frühen
Morgenstunden und nach einer Schlafpause von lediglich eineinhalb Stunden
ereignet. Die lange Nachtfahrt, die kurze Schlafpause, die Strassenverhältnisse
sowie die Zeit des Unfalls würden sowohl für sich alleine betrachtet als auch
in ihrer Gesamtheit auf einen Sekundenschlaf infolge Übermüdung schliessen
lassen (Urteil, S. 4 f.). Zu dem vom Beschwerdeführer beantragten
schlafmedizinischen Gutachten erwägt die Vorinstanz, es sei nach der
allgemeinen Lebenserfahrung unrealistisch, dass ein solches die Möglichkeit
eines Sekundenschlafes nach nur eineinhalbstündiger Schlafpause und
Koffeinkonsum ausschliessen könne. Zum beantragten verkehrstechnischen
Gutachten hält die Vorinstanz fest, dass ein solches unter den vorliegenden
Umständen nicht geeignet sei, am gewonnenen Beweisergebnis hinsichtlich der
Übermüdung etwas zu ändern (Urteil, S. 6 f.).

1.3.2. Hinsichtlich seiner Beweisanträge macht der Beschwerdeführer im
Wesentlichen geltend, dass die Vorinstanz die Einholung eines
schlafmedizinischen Gutachtens abgelehnt habe, ohne über ausreichende
medizinische Kenntnisse zu verfügen. Ein verkehrstechnisches Gutachten sei
erforderlich, um zu bestimmen, ob das Spurenbild auf ein Ausweichmanöver oder
auf einen Sekundenschlaf hindeute.

Zur Beweiswürdigung rügt der Beschwerdeführer sodann hauptsächlich, die
Vorinstanz verfalle in Willkür, indem sie feststelle, dass er zum
Unfallzeitpunkt übermüdet gewesen sei. Die Vorinstanz berücksichtige nicht,
dass er normalerweise nur 7 ½ Stunden Schlaf benötige. Vor der Abreise in
Rumänien habe er aber 10 ½ Stunden geschlafen. Damit habe er den von ihm
benötigten Schlaf bereits vor der Abreise vorgezogen. Zudem fahre er
regelmässig in der Nacht lange Strecken und habe dabei nie Probleme gehabt.
Entsprechend sei er an regelmässige Nachtschichten gewohnt. Die
eineinhalbstündige Schlafpause vor dem Unfall sei einem "Mittagsschlaf"
gleichzustellen, in welchem er einen vollständigen und erholsamen Schlafzyklus
durchlaufen habe. Zudem habe er während der Fahrt insgesamt 3 ½ Stunden Pause
eingelegt.

Der Beschwerdeführer moniert weiter, das Spurenbild deute auf eine logische und
naturgemässe Reaktion aufgrund eines abrupten Ausweich- und Bremsmanövers hin.
Ohne rechtsgenügliche Beweise dürfe von nichts anderem ausgegangen werden. Die
Vorinstanz verfalle in Willkür, indem sie feststelle, dass die Spuren
denjenigen eines typischen Unfallverlaufs infolge Sekundenschlafs entsprechen
würden. Zudem habe die Vorinstanz die von ihm eingereichte Statistik über das
Fallwild im Bereich der Unfallstelle zu Unrecht nicht berücksichtigt.

1.3.3. Die Vorinstanz schliesst die Präsenz eines Tieres auf der Fahrbahn nicht
nur aufgrund der Spuren des Unfalls, sondern auch unter Berücksichtigung der
Aussagen des Beschwerdeführers zum Tier selbst und zum genauen Unfallhergang
aus. Sie bezieht sich dabei auf das Urteil des Bezirksgerichts, welches
diesbezüglich erwägt, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers zum
Unfallhergang fragwürdig seien. Zunächst habe sich der Beschwerdeführer bei der
Frage verstrickt, auf welcher Spur er sich befunden habe, als er das angebliche
Ausweichmanöver begann. Weiter seien seine Angaben zum Tier widersprüchlich. Er
glaube, es könne ein kleines Wildschwein, ein Hund oder ein Fuchs gewesen sein.
Das Tier sei etwa einen Meter bzw. ein bis zwei Meter lang gewesen. Ein
Wildschwein mit dieser Länge wäre aber nicht mit einem Fuchs verwechselbar und
könne auch nicht unter der Leitplanke durch. Der Beschwerdeführer habe weiter
erzählt, dass er das Tier etwa 20 Meter vor seinem Auto gesehen habe. Dann habe
er versucht auszuweichen und sogar noch gehupt. Das Bezirksgericht erwägt
weiter, dass man bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h 33 Meter pro Sekunde
zurücklege. Während der Reaktionszeit von einer Sekunde wäre der
Beschwerdeführer also bereits mit dem Tier zusammengestossen, bevor er
überhaupt irgendwie hätte reagieren können. Weiter sei die Strasse durch einen
Schutzzaun bzw. eine Trennwand abgesperrt gewesen. Wäre ein Tier dennoch auf
die Autobahn geraten, hätte es diese nicht mehr verlassen können und wäre
umhergeirrt. Dafür gäbe es aber keine Hinweise oder Meldungen. Die Aussage des
Beschwerdeführers, es sei ein Tier auf die Strasse gelaufen, sei demnach als
Schutzbehauptung zu werten (erstinstanzliches Urteil, S. 10).

Der Beschwerdeführer äussert sich nicht zur Würdigung seiner eigenen Aussagen
zum Unfallhergang und zum Tier selbst. Auf seine Rüge, er sei einem Tier
ausgewichen, ist demnach mangels hinreichender Begründung nicht einzutreten.
Unter dieser Prämisse erscheint es nicht als willkürlich, wenn die Vorinstanz -
namentlich unter Berücksichtigung der langen, nächtlichen Anreise - den Unfall
einer Übermüdung des Beschwerdeführers zuschreibt. Ebenso durfte die Vorinstanz
in antizipierter Beweiswürdigung von der Einholung der beantragten Gutachten
absehen.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt, es liege keine eventualvorsätzliche Tatbegehung
vor. Aus dem Umstand, dass er nach seiner eineinhalbstündigen Schlafpause einen
Redbull konsumiert habe, folgere die Vorinstanz willkürlich, dass er etwas
gegen seine noch vorhandene Müdigkeit habe unternehmen wollen. Wie viele andere
Automobilisten habe er während der Fahrt koffeinhaltige Getränke konsumiert.
Daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, dass er in Kauf genommen habe, sein
Fahrzeug in einem fahrunfähigen Zustand zu lenken. Diese Tatsache müsse bei dem
durch die Vorinstanz in Auftrag zu gebenden schlafmedizinischen Gutachtens
berücksichtigt werden.

2.2. Was der Täter wusste, wollte oder in Kauf nahm, betrifft sogenannte innere
Tatsachen. Es handelt sich dabei um eine Tatfrage, welche das Bundesgericht nur
unter dem Blickwinkel der Willkür prüft (BGE 141 IV 369 E. 6.3). Die Vorinstanz
erwägt, dass der Beschwerdeführer nach einer nur eineinhalbstündigen
Schlafpause weiter gefahren sei, obwohl er zuvor scheinbar erkannt hatte, dass
er ein akutes Schlafbedürfnis hatte. Der Beschwerdeführer habe zwar ausgesagt,
dass er nach dieser Pause keine Anzeichen von Müdigkeit verspürt und sich fit
gefühlt habe. Nach einer komplett durchgefahrenen Nacht sei dies nach der
allgemeinen Lebenserfahrung aber nicht naheliegend. Zudem habe der
Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben einen Redbull konsumiert, was
darauf hindeute, dass er etwas gegen seine noch vorhandene Müdigkeit habe
unternehmen wollen.

Der Schluss der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe mit dem Konsum eines
Redbulls etwas gegen die noch vorhandene Müdigkeit unternehmen wollen, ist
nicht willkürlich. Auch in diesem Punkt durfte die Vorinstanz in antizipierter
Beweiswürdigung davon absehen, ein Gutachten einzuholen.

3. 

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. April 2020

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Moses