Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1030/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

6B_1030/2019

Urteil vom 20. November 2019

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Denys, Präsident,

Bundesrichter Rüedi,

Bundesrichterin Jametti,

Gerichtsschreiberin Andres.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Simon Epprecht,

Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,

2. Justizvollzug Kanton Zürich,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Verhältnismässigkeit der Verwahrung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3.
Abteilung, Einzelrichter, vom 28. Juni 2019 (VB.2019.00216).

Sachverhalt:

A. 

Das Bezirksgericht Zürich verurteilte A.________ am 7. Juli 2005 wegen
versuchter Vergewaltigung sowie einfacher Körperverletzung zu neun Monaten
Freiheitsstrafe. Gleichzeitig ordnete es eine stationäre Massnahme gemäss Art.
43 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB an und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten
dieser Massnahme auf. Zudem stellte es fest, dass A.________ die Tatbestände
der unvollendet versuchten schweren Körperverletzung sowie des unvollendet
versuchten Verbreitens menschlicher Krankheiten im Zustand der nicht
selbstverschuldeten Zurechnungsunfähigkeit erfüllt hatte.

Am 1. September 2008 ordnete das Bezirksgericht die Verwahrung von A.________
im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB an.

B. 

Am 2. August 2017 lehnte das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich die
bedingte Entlassung von A.________ aus dem Verwahrungsvollzug ab. Der hiergegen
geführte Rekurs von A.________ an die Direktion der Justiz und des Innern des
Kantons Zürich blieb ebenso ohne Erfolg wie die Beschwerde an das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde und das
Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Rechtsvertretung am
26. September 2018 ab. Das Bundesgericht hiess die dagegen geführte Beschwerde
in Strafsachen am 25. März 2019 teilweise gut, hob das verwaltungsgerichtliche
Urteil auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Verwaltungsgericht
zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Urteil
6B_1147/2018).

C. 

Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde und das Gesuch von A.________ um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Rechtsvertretung am 28. Juni
2019 erneut ab.

D. 

A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das verwaltungsgerichtliche
Urteil sei aufzuheben und er sei unter Ansetzung einer Probezeit von zwei
Jahren aus dem Verwahrungsvollzug zu entlassen. Eventualiter sei das Urteil
aufzuheben und die Sache zur Prüfung geeigneter Ersatzmassnahmen,
subeventualiter zur Ergänzung des Gutachtens vom 22. November 2017, an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm für das vorinstanzliche Verfahren die
unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung zu gewähren und die
Vorinstanz sei anzuweisen, den unentgeltlichen Rechtsbeistand angemessen zu
entschädigen. Auch vor Bundesgericht ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

E. 

Das Verwaltungsgericht sowie das Amt für Justizvollzug verzichten auf eine
Stellungnahme und beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich stellt und begründet den Antrag, die
Beschwerde sei abzuweisen. A.________ verzichtet auf eine Replik.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Weiterführung der Verwahrung sei
nicht verhältnismässig und mit Bundes- sowie Verfassungsrecht unvereinbar. Zur
Begründung führt er aus, die vorinstanzliche Einschätzung betreffend Gefahr
beziehungsweise Schwere von erneuten Delikten finde keine Grundlage in den
Akten. Zudem seien mildere Massnahmen, beispielsweise eine engmaschige
Überwachung im Rahmen von erwachsenenschutzrechtlichen Massnahmen, denkbar.
Schliesslich würden seine persönlichen Interessen die öffentlichen Interessen
überwiegen. Mit der Abweisung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege und
Rechtsverbeiständung verletze die Vorinstanz schliesslich Art. 29 Abs. 3 BV.

1.2. Das Bundesgericht befasste sich im Urteil 6B_1147/2018 vom 25. März 2019
(Rückweisungsentscheid) zunächst mit den Rügen des Beschwerdeführers zu der
vorinstanzlichen Einschätzung seiner Entlassungsprognose. In diesem
Zusammenhang hielt es fest, es sei nicht willkürlich, wenn die Vorinstanz zum
Schluss gelange, das gutachterlich attestierte deutlich aktuelle Risiko für
Gewaltdelikte umfasse auch schwere Körperverletzungen. Insgesamt sei der
Entscheid der Vorinstanz betreffend die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers
zumindest nachvollziehbar (a.a.O., E. 1.4). In der Folge prüfte das
Bundesgericht die Einwände gegen die vorinstanzliche
Verhältnismässigkeitsprüfung. Diese erachtete es als ungenügend, weshalb es die
Sache an die Vorinstanz zurückwies. Es erwog, die Vorinstanz äussere sich weder
zur Schwere der vom Beschwerdeführer zu erwartenden Delikte noch zu den
bedrohten Rechtsgütern und deren Gewichtung. Auch dem Gutachten lasse sich zur
expliziten Frage nach der Schwere erneuter Delikte keine Angaben entnehmen.
Folglich nehme die Vorinstanz keine Interessensabwägung vor. Ebenso wenig
begründe sie, weshalb keine mildere Massnahme möglich sei. Dies habe sie
nachzuholen. Dabei werde die Vorinstanz prüfen müssen, ob das Gutachten vom 22.
November 2017 ergänzungsbedürftig sei (a.a.O., E. 2.4).

1.3. Heisst das Bundesgericht eine Beschwerde gut und weist es die
Angelegenheit zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück, darf sich diese
von Bundesrechts wegen nur noch mit jenen Punkten befassen, die das
Bundesgericht kassierte. Die anderen Teile des Urteils haben Bestand und sind
in das neue Urteil zu übernehmen. Irrelevant ist, dass das Bundesgericht mit
seinem Rückweisungsentscheid formell in der Regel das ganze angefochtene Urteil
aufhebt. Entscheidend ist nicht das Dispositiv, sondern die materielle
Tragweite des bundesgerichtlichen Entscheids. Die neue Entscheidung der
kantonalen Instanz ist somit auf diejenige Thematik beschränkt, die sich aus
den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der neuen Beurteilung ergibt.
Das Verfahren wird nur insoweit neu in Gang gesetzt, als dies notwendig ist, um
den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen (BGE 143 IV
214 E. 5.2.1 S. 220 mit Hinweisen). Die mit der neuen Entscheidung befasste
Instanz hat ihrem Urteil die rechtliche Beurteilung zugrunde zu legen, mit der
die Rückweisung begründet wird. Jene bindet auch das Bundesgericht, falls ihm
die Sache erneut unterbreitet wird (BGE 135 III 334 E. 2 und 2.1 S. 335 f. mit
Hinweisen; Urteil 6B_739/2019 vom 2. September 2019 E. 2.2).

1.4. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, hatte sie einzig die
Verhältnismässigkeitsprüfung zu wiederholen. Die übrigen Punkte ihres Urteils
wurden entweder nicht angefochten oder vom Bundesgericht bestätigt. Nicht
einzutreten ist daher auf den neuen Antrag des Beschwerdeführers, es sei ihm
für das Verfahren vor der Vorinstanz die unentgeltliche Rechtspflege sowie
unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu gewähren und die Vorinstanz sei
anzuweisen, den unentgeltlichen Rechtsbeistand angemessen zu entschädigen. Der
Beschwerdeführer focht die Verweigerung der unentgeltlichen Prozessführung und
Rechtsverbeiständung in seiner ersten Beschwerde in Strafsachen nicht an,
weshalb sie nie Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens und nicht von der
Rückweisung betroffen war.

1.5.

1.5.1. Die Vorinstanz erwägt im Rahmen ihrer Verhältnismässigkeitsprüfung
zusammengefasst, der 62-jährige Beschwerdeführer befinde sich seit dem 1.
September 2008 und damit seit über zehn Jahren in der Verwahrung. Zuvor sei
kurzzeitig eine stationäre therapeutische Massnahme angeordnet gewesen. Der
Eingriff in seine Freiheitsrechte erreiche auch mit Blick auf die ausgefällte
Strafe von neun Monaten mittlerweile eine mittlere Schwere. Es seien
Gewalttaten nach der Art der bisherigen zu erwarten, wofür ihm ein deutlich
aktuelles Risiko attestiert werde. Auch wenn der Beschwerdeführer bislang
keines seiner Opfer in schwerwiegender Weise verletzt habe, würden seine
Gewalthandlungen (würgen, Messerstich in Brust, Schlagen auf Halsschlagader,
Kopf auf Boden schlagen) doch das Risiko bergen, schwere körperliche Schäden,
mit bis zu möglicher Todesfolge zu verursachen. Somit seien die hochrangigen
Rechtsgüter von Leib und Leben betroffen und in nicht unbedeutendem Umfang
gefährdet. Weiter sei die Wahrscheinlichkeit und Schwere von Sexualdelikten in
die Verhältnismässigkeitsprüfung einzubeziehen. Das Risiko in Bezug auf
Sexualdelikte sei nur äussert gering, soweit der Beschwerdeführer seine
Medikamente einnehme. Sollte der Beschwerdeführer jedoch seine Medikamente
nicht mehr einnehmen und wieder eine Partnerschaft eingehen, erhöhe sich das
Risiko eines Sexualdelikts und auch die mögliche Ansteckung mit dem HI-Virus.
Das fortschreitende Alter des Beschwerdeführers habe bislang nicht zu einer
Abnahme seiner Gefährlichkeit geführt, treibe er doch regelmässig Sport,
verneine körperliche Probleme, fühle sich gut und seine körperliche Gesundheit
sei aufgrund der HIV-Erkrankung nicht beeinträchtigt. Insgesamt würden die
erheblichen öffentlichen Interessen am Schutz der bedrohten Rechtsgüter
potenzieller Opfer die privaten Interessen des Beschwerdeführers an der
Wiedererlangung seiner Freiheit überwiegen. In der Folge begründet die
Vorinstanz, weshalb keine mildere Massnahme zur Verfügung steht und gelangt zum
Schluss, dass sich die Verwahrung weiterhin als verhältnismässig erweist
(Urteil S. 7 ff.).

1.5.2. Damit kommt die Vorinstanz der Kritik im Rückweisungsurteil
grundsätzlich nach und prüft die Verhältnismässigkeit der Verwahrung.
Unberücksichtigt lässt sie dabei jedoch die Aufforderung des Bundesgerichts,
bei ihrer neuen Entscheidung zu prüfen, ob das Gutachten vom 22. November 2017
ergänzungsbedürftig ist. Auch in ihrer Zusammenfassung des
Rückweisungsentscheids erwähnt sie die bundesgerichtlichen Hinweise zum
Gutachten nicht (Urteil S. 4). Das Bundesgericht erwog in diesem Zusammenhang,
die Gutachterin habe die ihr ausdrücklich unterbreitete Frage, mit welcher
Schwere von Gewalt- und Sexualdelikten konkret zu rechnen sei, nicht
beantwortet. Die Vorinstanz werde bei ihrer Beurteilung der
Verhältnismässigkeit auch prüfen müssen, ob das Gutachten ergänzungsbedürftig
sei (Urteil 6B_1147/2018 vom 25. März 2019 E. 2.4). Aus dem angefochtenen
Urteil ergibt sich nicht, ob sich die Vorinstanz mit der aufgeworfenen Frage
auseinandersetzte und weshalb sie gegebenenfalls von der Ergänzung des
Gutachtens absieht. Damit setzt die Vorinstanz einerseits die
bundesgerichtlichen Vorgaben nicht um. Andererseits kann das Bundesgericht
nicht überprüfen, ob die Vorinstanz Bundes- oder Verfassungsrecht verletzt,
indem sie das Gutachten nicht ergänzen lässt. Um weitere Leerläufe zu vermeiden
und angesichts der Tatsache, dass seit der Erstellung des Gutachtens zwei Jahre
verstrichen sind, ist die Vorinstanz nun anzuweisen, das Gutachten vom 22.
November 2017 hinsichtlich der Frage der konkret vom Beschwerdeführer zu
erwartenden Gewalthandlungen beziehungsweise deren Schwere ergänzen zu lassen.
Ferner erscheint sinnvoll, dass die Gutachterin ihre Einschätzung der Höhe der
Rückfallgefahr hinsichtlich Gewalt- und Sexualdelikten aktualisiert.

Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen kann das Bundesgericht noch
nicht prüfen, ob die vorinstanzliche Einschätzung, wonach die Verwahrung
weiterhin verhältnismässig ist, bundesrechtskonform ist. Mit der vorliegenden
erneuten Rückweisung soll die Frage jedenfalls nicht präjudiziert werden. Auf
die Rügen des Beschwerdeführers ist grundsätzlich nicht einzugehen. Zum
jetzigen Zeitpunkt rechtfertigt sich einzig, die Vorinstanz darauf hinzuweisen,
dass sie bei ihrer Beurteilung die gesamte Zeit, in der dem Beschwerdeführer
die Freiheit entzogen war, berücksichtigen muss (Urteil S. 6; Beschwerde S. 9).

2. 

Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs.1 und 2 BGG). Da dieser um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung ersucht, ist die Parteientschädigung
praxisgemäss seinem Rechtsbeistand auszurichten. Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Juni 2019 wird aufgehoben und
die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Kosten erhoben.

3. 

Der Kanton Zürich hat Rechtsanwalt Simon Epprecht für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich,
3. Abteilung, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. November 2019

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Andres