Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.877/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

5A_877/2019

Urteil vom 25. November 2019

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Herrmann, Präsident,

Bundesrichter Schöbi, Bovey,

Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Tim Walker,

Beschwerdeführerin,

gegen

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen,

Kantonsgericht St. Gallen,

Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand

unentgeltliche Rechtspflege (Ausstand),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 27. September
2019 (KES.2019.17-EZE2 ZV.2019.115-EZE2).

Sachverhalt:

A.________ und B.________ sind die Eltern der 2015 geborenen C.________. Im
Nachgang zum Eheschutzentscheid des Kreisgerichtes Toggenburg vom 29. März 2018
entstanden im Zusammenhang mit dem Vorwurf sexueller Übergriffe schwerwiegende
Differenzen zwischen den Eltern, was ein Kindesschutzverfahren vor der KESB
Toggenburg erforderte.

In dessen Rahmen entzog der Präsident D.________ (stellvertretend für das
verfahrensleitende, aber ferienabwesende Behördenmitglied E.________) den
Eltern mit superprovisorischer Verfügung vom 28. April 2019 das
Aufenthaltsbestimmungsrecht und brachte das Kind bei den Grosseltern
väterlicherseits unter; zudem lud er die Eltern auf den 6. Mai 2019 zur
Anhörung bezüglich vorsorglicher Massnahmen.

Unmittelbar vor der Anhörung am 6. Mai 2019 stellte die Mutter ein
Ausstandsgesuch gegen D.________, welches die KESB Toggenburg noch gleichentags
abwies.

Dagegen erhob die Mutter bei der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St.
Gallen Beschwerde und verlangte für das Beschwerdeverfahren unentgeltliche
Rechtspflege. Mit Entscheid vom 4. Juli 2019 wies die
Verwaltungsrekurskommission dieses Gesuch wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde ab.

Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht St.
Gallen mit Entscheid vom 27. September 2019 ab. Gleichzeitig wies es auch das
vor Kantonsgericht gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen
Aussichtslosigkeit des betreffenden Verfahrens ab.

Gegen den Entscheid des Kantonsgerichts hat die Mutter am 31. Oktober 2019 beim
Bundesgericht eine Beschwerde eingereicht mit den Begehren um dessen Aufhebung
und Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege vor beiden Instanzen. Ferner
wird auch für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege
verlangt.

Erwägungen:

1. 

Der Verfahrensantrag auf Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels ist
gegenstandslos, weil angesichts der offensichtlichen Unbegründetheit der
Beschwerde auf die Einholung von Vernehmlassungen verzichtet werden kann und
die Sache sogleich spruchreif ist.

2. 

Gegen andere Behördenmitglieder als den Präsidenten wurde nie der Ausstand
verlangt. Von vornherein nicht einzutreten ist deshalb auf das Vorbringen, die
weiteren Behördenmitglieder der KESB seien vom Präsidenten abhängig (womit
offenbar deren Unparteilichkeit im Zusammenhang mit dem Ausgangsentscheid in
Zweifel gezogen werden soll).

Im Übrigen besteht die Beschwerde zu einem grossen Teil aus (weitestgehend
abstrakt bleibenden) Ausführungen zur angeblichen Befangenheit des
KESB-Präsidenten. Während sich die Verwaltungsrekurskommission hierzu (im
verneinenden Sinn) noch geäussert hatte, fokussierte das Kantonsgericht auf die
Frage der Rechtzeitigkeit des Ausstandsbegehrens. Weil einzig der kantonal
letztinstanzliche Entscheid vor Bundesgericht das Anfechtungsobjekt bilden
(Art. 75 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdegegenstand im weiteren
Rechtsmittelverlauf nicht (wieder) ausgedehnt werden kann (BGE 136 II 457 E.
4.2 S. 462 f.; 136 V 362 E. 3.4.2 S. 365; 142 I 155 E. 4.4.2 S. 156), ist auf
die betreffenden Ausführungen ebenfalls von vornherein nicht einzutreten.

3. 

Das Kantonsgericht hat erwogen, dass gemäss Art. 450f ZGB für das
Ausstandsverfahren kantonales Recht zur Anwendung gelange, und zwar vorliegend
das Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRP, sGS 951.1), weil das Einführungsgesetz
zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (EG KES, sGS 912.5) keine Vorschriften
über den Ausstand enthalte.

Das Kantonsgericht hielt fest, dass die Verwaltungsrekurskommission die
Befangenheit als solche verneint, aber auch erwogen habe, dass das
Ausstandsgesuch zu spät erfolgt sei. Zur Rechtzeitigkeit des Ausstandsgesuches
äussere sich die Beschwerdeführerin gar nicht, weshalb die Beschwerde
unsubstanziiert bleibe. Das Kantonsgericht äusserte sich aber in der Folge zur
Rechtzeitigkeit und verneinte diese gestützt auf Art. 450f ZGB i.Vm. Art. 10 EG
KESR i.V.m. Art. 7 VRP, wobei es im Sinn einer analogen Anwendung ergänzend
auch auf Art. 49 Abs. 1 ZPO verwies: Am 28. Mai 2018 habe der Präsident der
KESB mitgeteilt, dass er im hängigen KESB-Verfahren die Verfahrensleitung
übernehme und für das Dossier zuständig sei. In der Folge habe er das Verfahren
bis anfangs Januar 2019 geführt und während dieser Zeit mehrere Verfügungen
(u.a. bezüglich Neuregelung der faktischen Obhut, Regelung des persönlichen
Verkehrs und Weisungen an die Eltern) erlassen und sei mit den beteiligten
Personen in direktem Kontakt gestanden, indem er u.a. einen Hausbesuch
abgestattet und C.________ persönlich angehört habe. Ab dem 7. Januar 2019 habe
ein anderes Behördenmitglied die Verfahrensleitung übernommen, in dessen
Stellvertretung am 28. April 2019 wiederum der Präsident entschieden und zur
Verhandlung auf den 6. Mai 2019 vorgeladen habe, was das vorliegend
interessierende Ausstandsbegehren ausgelöst habe. Sämtliche Umstände, aus
welchen die Beschwerdeführerin eine Befangenheit ableite (gleicher Wohnort;
Duzis-Beziehung; persönliche Bekanntschaft), seien bereits während der
Verfahrensleitung im Jahr 2018 vorhanden gewesen. Indes habe die
Beschwerdeführerin die ganze Zeit anstandslos am Verfahren teilgenommen, ohne
je Befangenheitsgründe geltend zu machen. Sie sei mit der Verfahrensleitung
durch den Präsidenten offensichtlich einverstanden gewesen, solange diese mehr
oder weniger in ihrem Sinn erfolgt sei, und habe erst den Ausstand verlangt,
als ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden sei. Zu diesem
Zeitpunkt sei das Recht, die längst bekannten angeblichen Befangenheitsgründe
anzurufen, aber offensichtlich verwirkt gewesen.

4. 

Die Sachverhaltsfeststellungen, wonach der Präsident der KESB das Verfahren
vorher während sieben Monaten führte und dabei mehrere Verfügungen traf sowie
dass die geltend gemachten Ausstandsgründe damals der Beschwerdeführerin alle
bekannt waren und sie vorbehaltlos am Verfahren teilnahm, sind für das
Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). In diesem Bereich kann
lediglich eine offensichtlich unrichtige - d.h. willkürliche, in Verletzung von
Art. 9 BV ergangene (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253;
141 IV 369 E. 6.3 S. 375; 143 I 310 E. 2.2 S. 313) - Sachverhaltsfeststellung
gerügt werden, wobei hierfür das strenge Rügeprinzip gilt (Art. 97 Abs. 1
i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 141 IV 369 E. 6.3 S.
375).

Die Beschwerdeführerin stellt die Sachverhaltsfeststellungen weitgehend nicht
in Frage. Sie macht einzig geltend, die Ausstandsgründe hätten erst im Verlauf
der Zeit mit mühsamen Internet-Recherchen eruiert werden können. Dieses im
Widerspruch zu den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen stehende Vorbringen
bleibt indes rein appellatorisch und überdies handelt es sich um eine neue und
damit unzulässige Behauptung (Art. 99 Abs. 1 BGG), denn es wird nicht
aufgezeigt, inwiefern und an welcher Stelle dies bereits im kantonalen
Verfahren vorgebracht worden wäre.

5. 

Das Kantonsgericht hat sich bei der Frage der Rechtzeitigkeit des
Ausstandsgesuches auf kantonales Recht gestützt. Dessen Verletzung überprüft
das Bundesgericht nur im Zusammenhang mit einer Verletzung verfassungsmässiger
Rechte, wobei die Rüge im Vordergrund steht, dass das kantonale Recht
willkürlich angewandt worden sei (BGE 139 III 225 E. 2.3 S. 231; 139 III 252 E.
1.4 S. 254; 142 II 369 E. 2.1 S. 372). Dies gilt nicht nur für die Bestimmungen
von Art. 7 ff. VRG, sondern auch für die analog herangezogenen Bestimmungen der
ZPO, welcher im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes als subsidiäres
kantonales Recht gilt und deren Anwendung deshalb ebenfalls nur auf Willkür hin
überprüft werden kann (BGE 139 III 225 E. 2.3 S. 231; Urteile 5A_530/2014 vom
19. März 2015 E. 3; 5A_724/2015 vom 2. Juni 2016 E. 2.2; 5A_367/2016 vom 6.
Februar 2017 E. 2.2).

Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, für die KESB gälten strengere
Ausstandsgründe als für Gerichte, was "der herrschenden Lehre entspreche",
erfolgen keinerlei Willkürrügen in Bezug auf das kantonale Recht; vielmehr
erfolgen die Ausführungen im Zusammenhang mit der Anwendung des VRG und der ZPO
rein appellatorisch, weshalb auf die Beschwerde insofern nicht eingetreten
werden kann. Abgesehen davon vermag die Beschwerdeführerin auch keine Belege
für die angeblich herrschende Lehre anzuführen, sondern sie lässt es
diesbezüglich bei einer abstrakten Behauptung bewenden.

Nur der Vollständigkeit sei halber festgehalten, dass sich Entsprechendes auch
nicht aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV ableiten
liesse, welcher für den Fall ungenügender kantonaler Garantien bundesrechtliche
Minimalgarantien gewährt (vgl. BGE 124 I 121 E. 2 S. 122 f.).

6. 

Bei den weiteren rechtlichen Vorbringen erfolgen zwar ebenfalls keine
Willkürrügen im Zusammenhang mit dem kantonalen Recht, aber wenigstens werden
andere Verfassungsverletzungen geltend gemacht.

Die Behauptung, die Rechtsuchende müsse angesichts des Eingriffes in
Grundrechte und des äusserst fragwürdigen und gegen das Kindeswohl stehenden
Entscheides vom 28. April 2019 jederzeit den Ausstand verlangen können,
widerspricht jedoch den sich aus Art. 30 Abs. 1 BV - gerügt wird fälschlich
eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV - und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergebenden
Grundsätzen diametral: Die dazu aufgestellte Rechtsprechung geht gerade dahin,
dass Ausstandsgründe ohne Verzug geltend zu machen sind; wer von einem
Ablehnungsgrund tatsächlich Kenntnis hat oder bei pflichtgemässer
Aufmerksamkeit Kenntnis haben müsste und sich dennoch auf das Verfahren
einlässt, verwirkt den Anspruch auf spätere Geltendmachung, insbesondere wenn
in der Sache ein ungünstiger Entscheid ergeht (vgl. BGE 132 II 485 E. 4.3 S.
496; 134 I 20 E. 4.3.1 S. 21 f.; 143 V 66 E. 4.3 S. 69).

Insofern ist auch die - ebenfalls durch keine Hinweise belegte - Behauptung
falsch, für die "Befristung" der Geltendmachung bedürfe es einer ausdrücklichen
gesetzlichen Grundlage, in welcher die Ablehnungsfristen genau zu regeln wären.

Der Grundsatz, wonach Ausstandsgründe unverzüglich vorzubringen sind, lässt
sich ferner nicht ins Gegenteil verkehren mit dem Vorbringen, Entscheidträger
müssten ihre eigene Befangenheit jederzeit von Amtes wegen prüfen. Im Übrigen
fühlte sich der Präsident der KESB nicht befangen, weshalb es für ihn nichts zu
prüfen gab, und während der langen Monate der Verfahrensführung teilte
offensichtlich auch die Beschwerdeführerin diese Meinung.

Nicht einschlägig sind vor dem Hintergrund der festgehaltenen Grundsätze ferner
die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Vorbringen, der Ausstand sei in einem
erstinstanzlichen und nicht in einem Rechtsmittelverfahren verlangt worden.

7. 

Nach dem Gesagten war das Ausstandsgesuch augenfällig verspätet und deshalb
bereits das Verfahren vor Kantonsgericht offensichtlich aussichtslos, weshalb
dieses das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege - ohne Verletzung
verfassungsmässiger Bestimmungen, wobei es auch hier wiederum an Willkürrügen
in Bezug auf die kantonalrechtlichen Grundlagen und/oder anderweitigen
konkreten Verfassungsrügen fehlt - abweisen durfte. Gleiches gilt für das
Verfahren vor der Verwaltungsrekurskommission, welche nebst der Rechtzeitigkeit
des Ausstandsgesuches auch das Vorliegen von Ausstandsgründen verneint hatte.

8. 

Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, konnte der Beschwerde an das
Bundesgericht ebenfalls von Anfang an kein Erfolg beschieden sein, weshalb es
an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art.
64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist.

9. 

Zumal die Vorbringen der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin entweder an
der Sache vorbeizielen oder untauglich sind, ist die Beschwerde offensichtlich
unbegründet und deshalb im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a
BGG abzuweisen, soweit überhaupt auf sie eingetreten werden kann.

10. 

Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und der KESB Toggenburg schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. November 2019

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Herrmann

Der Gerichtsschreiber: Möckli