Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.617/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

5A_617/2019

Urteil vom 27. August 2019

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Herrmann, Präsident,

Bundesrichter von Werdt, Bovey,

Gerichtsschreiberin Gutzwiller.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwältin Daniela Fischer,

Beschwerdeführerin,

gegen

Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer,

Bezirksgericht U.________, Einzelgericht im summarischen Verfahren.

Gegenstand

Unentgeltliche Rechtspflege (Kindesunterhalt),

Beschwerde gegen den Beschluss und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, vom 10. Juli 2019 (RU190036-O/U).

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ und B.________ sind die nicht miteinander verheirateten und
getrennt lebenden Eltern des Sohnes C.________ (geb. 2017). Am 8. Mai 2019
wandte sich die Mutter an das Friedensrichteramt V.________ und stellte ein
Schlichtungsgesuch; sie verlangt vom Vater die Leistung von Kindesunterhalt.

A.b. Mit Eingabe vom 15. Mai 2019 ersuchte die Mutter beim Bezirksgericht
U.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für
das Schlichtungsverfahren. Das Bezirksgericht hielt das Schlichtungsgesuch
mangels Aktivlegitimation der Mutter für aussichtslos und wies das Gesuch am 7.
Juni 2019 ab.

B. 

Die von der Mutter beim Obergericht des Kantons Zürich geführte Beschwerde
blieb erfolglos (Entscheid vom 10. Juli 2019). Auch dieses erachtete das im
Schlichtungsverfahren gestellte Begehren als aussichtslos.

C. 

Mit Beschwerde in Zivilsachen, eventuell subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom
5. August 2019 wendet sich A.________ (Beschwerdeführerin) an das
Bundesgericht. Sie beantragt, ihr sei für das Schlichtungsverfahren vor dem
Friedensrichteramt V.________ ebenso wie in allen anderen vorinstanzlichen
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Auch
für das Verfahren vor Bundesgericht verlangt sie die unentgeltliche
Rechtspflege.

Das Bezirksgericht U.________ wie auch das Obergericht des Kantons Zürich haben
auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten
beigezogen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen
Instanz (Art. 75 Abs. 2 BGG), mit dem diese sowohl eine gegen die Abweisung des
Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor der
Schlichtungsbehörde gerichtete Beschwerde als auch das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das oberinstanzliche
Verfahren abgewiesen hat (vgl. zur Ausnahme vom Erfordernis der double instance
 BGE 143 III 140 E. 1.2 mit Hinweisen). Der Entscheid über die Verweigerung der
unentgeltlichen Rechtspflege ist ein Zwischenentscheid, der praxisgemäss einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 Bst. a BGG;
BGE 133 V 402 E. 1.2; 129 I 129 E. 1.1; siehe auch Urteil 5A_734/2015 vom 17.
Dezember 2015 E. 1, nicht publ. in: BGE 142 III 36; je mit Hinweisen).

1.2. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens sind Zwischenentscheide mit
dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten (BGE 137 III 380 E.
1.1; 133 III 645 E. 2.2). Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen
unterliegt das Ergebnis des Schlichtungsverfahrens, die Klagebewilligung,
keinem Rechtsmittel (BGE 140 III 310 E. 1.3.2; 139 III 273 E. 2.1 und 2.3). Bei
dieser Ausgangslage drängt sich auf, für die Zwecke der Anknüpfung jenes
Verfahren als Hauptsache zu betrachten, welches gestützt auf die im
Schlichtungsverfahren angestrebte Klagebewilligung eingeleitet werden soll.
Beim eingeforderten Kindesunterhalt handelt es sich um eine Zivilsache (Art. 72
Abs. 1 BGG), die den für die Beschwerde in Zivilsachen erforderlichen
Streitwert (Art. 75 Abs. 1 Bst. b i.V.m. Art. 51 Abs. 4 BGG) überschreitet.
Damit steht die Beschwerde in Zivilsachen offen.

1.3. Im Übrigen sind die Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt und geben zu keinen
weiteren Bemerkungen Anlass.

2. 

Nach Art. 117 Bst. b ZPO bzw. Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über
die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege,
wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Begehren als aussichtslos anzusehen,
bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten
und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind
als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt,
sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine
Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen
würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie - zumindest vorläufig -
nichts kostet. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt
sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten,
wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind
(BGE 142 III 138 E. 5.1; 139 III 475 E. 2.2; 138 III 217 E. 2.2.4 mit Hinweis).

Im Schlichtungsverfahren ist für die Beurteilung der Nichtaussichtslosigkeit
nicht etwa die Aussicht auf Versöhnung der Parteien im Rahmen eines Vergleichs
massgebend, sondern wie in den ordentlichen Verfahren die Erfolgschance des
Rechtsbegehrens als Aussicht, in der Sache zu obsiegen (Urteil 4D_67/2017 vom
22. November 2017 E. 3.2.2).

3.

3.1. Zunächst erwog das Obergericht, die Beschwerdeführerin habe nicht
ausgeführt, weshalb ihr Schlichtungsbegehren - abgesehen von der
Prozessführungsbefugnis - nicht aussichtslos sei; aus der Beschwerde ergebe
sich nicht, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Vater bereits
Unterhaltsbeiträge leiste. Bereits aus diesen Gründen sei eine Beurteilung der
Erfolgsaussichten nicht möglich.

3.2. Die Beschwerdeführerin verweist auf Ziff. 29 ihrer an das Obergericht
gerichteten Beschwerde. Dort hat sie ausgeführt, der Vater bezahle nach wie vor
keine Unterhaltsbeiträge. Damit erweist sich die oben wiedergegebene
Feststellung des Obergerichts als offensichtlich unrichtig und der Vorhalt,
eine Beurteilung der Erfolgsaussichten sei bereits aus diesem Grund nicht
möglich, als unhaltbar.

4.

4.1. Ausserdem war das Obergericht, wie bereits das Bezirksgericht, der
Auffassung, die Beschwerdeführerin führe den Unterhaltsprozess im eigenen Namen
für das Kind, mithin als Prozessstandschafterin, was aber nicht zulässig sei.
Das Bundesgericht habe die Zulässigkeit der Prozessstandschaft in seiner
Rechtsprechung nicht näher begründet. Diese sei auf berechtigte und
überzeugende Kritik gestossen. Aus den dort genannten Gründen verneine die II.
Zivilkammer des Obergerichts die Zulässigkeit der Prozessstandschaft ausserhalb
familienrechtlicher Verbundsverfahren. Die Beschwerdeführerin könne den
Unterhaltsprozess nicht im eigenen Namen führen und das Schlichtungsgesuch sei
auch aus diesem Grund aussichtslos.

4.2. Die Beschwerdeführerin bezieht sich hauptsächlich auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung und verweist darüber hinaus auf die Praxis
der I. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, welche von der
Zulässigkeit der Prozessstandschaft eines Elternteils im selbständigen
Kindesunterhaltsprozess ausgeht.

4.3. In BGE 136 III 365 E. 2.2 und 142 III 78 E. 3.2 hat das Bundesgericht dem
Inhaber der elterlichen Sorge gestützt auf Art. 318 Abs. 1 ZGB die Befugnis
zuerkannt, die Rechte des minderjährigen Kindes in vermögensrechtlichen
Angelegenheiten (insbesondere betreffend Unterhaltsbeiträge) in eigenem Namen
auszuüben und vor Gericht oder in einer Betreibung selber geltend zu machen,
indem der Sorgerechtsinhaber persönlich als Partei, d.h. als sog.
Prozessstandschafter handelt. Wie in E. 2 dargelegt, ist die Prüfung der
Prozessaussichten vorläufig und summarisch. Das Verfahren um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ist insbesondere nicht dazu
bestimmt, allenfalls umstrittene, die Hauptsache betreffende Rechtsfragen
vorweg und autoritativ zu entscheiden. Wer sich, wie hier die
Beschwerdeführerin, für die Beantwortung einer entscheidrelevanten Rechtsfrage
auf eine amtlich publizierte bundesgerichtliche Rechtsprechung stützen kann,
hat das Recht prima facie auf seiner Seite. Sein Begehren kann nicht mit einer
dieser Rechtsprechung ausdrücklich widersprechenden Begründung für aussichtslos
erklärt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn die Rechtsprechung in der
Doktrin auf Kritik gestossen ist. Die Beschwerde erweist sich auch aus diesem
Grund als begründet.

Bei diesem Ergebnis braucht sich das Bundesgericht nicht mit der Frage zu
befassen, ob die Beschwerde auch deshalb gutzuheissen wäre, weil die beiden
Zivilkammern des Obergerichts ein und dieselbe Rechtsfrage unterschiedlich
beantworten.

5. 

Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde gutzuheissen. Das angefochtene Urteil
ist aufzuheben und die Sache an das Bezirksgericht U.________, das die übrigen
Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausdrücklich
nicht geprüft hat, zu neuem Entscheid zurückzuweisen. Dem Kanton Zürich sind
keine Gerichtskosten aufzuerlegen (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Hingegen hat
der Kanton die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin für das kantonal
oberinstanzliche und das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 106
Abs. 1 ZPO und Art. 68 Abs. 2 BGG; Urteile 5A_389/2014 vom 9. September 2014 E.
4 mit Hinweisen, in: SJ 2015 I S. 17; 5A_754/2013 vom 4. Februar 2014 E. 5).
Aus Gründen der Prozessökonomie legt das Bundesgericht die der
Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin für das oberinstanzliche Verfahren
zustehende Parteientschädigung zulasten des Kantons Zürich gleich selbst fest
(Art. 68 Abs. 5 BGG).

 

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, vom 10. Juli 2019 wird aufgehoben. Die Sache wird zur
neuen Beurteilung des Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung für das vor dem Friedensrichteramt V.________ hängige
Schlichtungsverfahren an das Bezirksgericht U.________ zurückgewiesen.

2. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 

Der Kanton Zürich hat die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin mit Fr.
4'000.-- für das kantonal oberinstanzliche und das bundesgerichtliche Verfahren
zu entschädigen.

4. 

Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bezirksgericht U.________,
Einzelgericht im summarischen Verfahren, B.________, dem Friedensrichteramt
V.________ und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 27. August 2019

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Herrmann

Die Gerichtsschreiberin: Gutzwiller