Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.598/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

5A_598/2019

Urteil vom 23. Dezember 2019

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Herrmann, Präsident,

Bundesrichter Marazzi, von Werdt,

Gerichtsschreiberin Scheiwiller.

Verfahrensbeteiligte

A.A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Bernard,

und Rechtsanwältin Julia Heer,

Beschwerdeführerin,

gegen

B.A.________,

vertreten durch Rechtsanwältin Andrea Hodel,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Eheschutzmassnahmen,

Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Zug, II.
Zivilabteilung, vom 24. Juni 2019 (Z2 2019 19).

Sachverhalt:

A.

A.a. A.A.________ und B.A.________ sind miteinander verheiratet und haben den
gemeinsamen Sohn C.________ (geb. 2013).

A.b. Mit Eheschutzentscheid der Einzelrichterin des Kantonsgerichts Zug vom 3.
Mai 2018 wurden die Parteien u.a. berechtigt, den gemeinsamen Haushalt für
unbestimmte Dauer aufzuheben. Der gemeinsame Sohn wurde unter die Obhut der
Mutter gestellt. Dem Vater wurde ein ausgedehntes Besuchsrecht eingeräumt.

A.c. Auf entsprechendes Abänderungsgesuch von B.A.________ hin stellte der
Einzelrichter am Kantonsgericht Zug mit Entscheid vom 5. Juni 2019 den Sohn
unter die Obhut des Vaters und räumte der Mutter ein Besuchsrecht ein. Überdies
errichtete er für den Sohn eine Beistandschaft im Sinne von Art. 308 Abs. 1 ZGB
und verpflichtete die Eltern, eine Mediation zu machen, um ihre Kommunikation,
ihren Umgang und die Erziehungsfähigkeit in Bezug auf ihren gemeinsamen Sohn zu
verbessern und zu stabilisieren.

B.

Dagegen reichte A.A.________ am 14. Juni 2019, ohne anwaltliche Vertretung,
eine als "Wiederspruch" bezeichnete Eingabe beim Kantonsgericht Zug ein, welche
das Kantonsgericht an das Obergericht des Kantons Zug weiterleitete. Das
Obergericht nahm die Eingabe als Berufung entgegen, wobei es mit Entscheid vom
24. Juni 2019 nicht darauf eintrat.

C.

C.a. Mit Eingabe vom 29. Juli 2019 wendet sich A.A.________
(Beschwerdeführerin), nunmehr durch Rechtsanwalt Stephan Bernard vertreten, an
das Bundesgericht. Sie beantragt, es sei der Entscheid des Obergerichts des
Kantons Zug aufzuheben, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen und auf die
Berufung einzutreten. Eventualiter sei der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor Bundesgericht die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu
gewähren.

C.b. B.A.________ (Beschwerdegegner) verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das
Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, verzichtet aber im Übrigen
ebenfalls auf eine Stellungnahme.

C.c. Am 14. August 2019 liess Rechtsanwältin Julia Heer mitteilen, dass die
Beschwerdeführerin sie (ebenfalls) mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt
habe. Abgesprochen sei, dass Rechtsanwalt Stephan Bernhard die
Beschwerdeführerin (weiterhin) im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht
vertrete und sie selber in allen weiteren Angelegenheiten die Rechtsvertreterin
sei.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden
Entscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG)
betreffend die Abänderung eines Eheschutzentscheides (Art. 179 ZGB) und damit
eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG). Strittig ist die Obhut, womit die
Beschwerde mangels Vermögenswerts keinem Streitwerterfordernis unterliegt. Die
Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und verfügt
über ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des
angefochtenen Entscheides (Art. 76 BGG). Die rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1 BGG)
erhobene Beschwerde in Zivilsachen ist somit grundsätzlich zulässig.

1.2. Die Beschwerdeführerin beantragt, die Angelegenheit an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Da die Vorinstanz auf die Berufung nicht eingetreten ist, kann
das Bundesgericht im Falle der Begründetheit der Beschwerde kein Sachurteil
fällen, womit dieses Rechtsbegehren den formellen Anforderungen genügt (Art. 42
Abs. 1 BGG; BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317; 134 III 379 E. 1.3 S. 383).

2.

Strittig ist die Abänderung des Eheschutzurteils vom 5. Juni 2019.
Eheschutzurteile gelten als vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG
(BGE 133 III 585 E. 4.1 S. 588), so dass nur die Rüge der Verletzung
verfassungsmässiger Rechte möglich ist. Auch die Anwendung von Bundesgesetzen
prüft das Bundesgericht im Rahmen von Art. 98 BGG nur auf die Verletzung des
Willkürverbots (Art. 9 BV) hin (vgl. Urteil 5A_1018/2015 vom 8. Juli 2016 E. 2;
zum Begriff der Willkür: BGE 141 I 49 E. 3.4 S. 53). Es gilt somit das strenge
Rügeprinzip im Sinne von Art. 106 Abs. 2 BGG. Das Bundesgericht prüft in diesem
Fall nur klar und detailliert erhobene Rügen, während es auf appellatorische
Kritik nicht eintritt (BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368). Seinem Urteil legt das
Bundesgericht sodann den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung der
Sachverhaltsfeststellungen kommt ebenfalls nur in Frage, wenn die kantonale
Instanz verfassungsmässige Rechte verletzt hat (BGE 133 III 585 E. 4.1 S. 588).

Die Beschwerdeführerin macht die Verletzung von Art. 311, Art. 314 und Art. 296
ZPO geltend, ohne der Vorinstanz diesbezüglich die Verletzung des
Willkürverbots vorzuwerfen. Darauf ist nicht einzutreten.

3.

Anlass zur Beschwerde gibt die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht nicht auf die
Berufung der Beschwerdeführerin wegen mangelhafter Begründung eingetreten ist.

3.1. Das Berufungsverfahren ist als eigenständiges Verfahren ausgestaltet. Es
dient nicht der Vervollständigung des vorinstanzlichen Verfahrens, sondern der
Überprüfung und Korrektur des erstinstanzlichen Entscheides im Lichte konkret
dagegen vorgebrachter Beanstandungen (BGE 142 III 413 E. 2.2.2 S. 415 mit
Hinweisen). Entsprechend ist die Berufung nach Art. 311 Abs. 1 ZPO begründet
einzureichen. Dies gilt auch dann, wenn das Verfahren wie hier dem
Untersuchungsgrundsatz unterliegt (Art. 277 Abs. 3 ZPO; vgl. Urteil 5A_206/2016
vom 1. Juni 2016 E. 4.2.1 mit Hinweisen). Der Berufungskläger muss aufzeigen,
inwiefern er den angefochtenen Entscheid als fehlerhaft erachtet. Um dieser
Pflicht nachzukommen genügt es nicht, wenn er auf seine Vorbringen vor der
ersten Instanz verweist oder den angefochtenen Entscheid in allgemeiner Art und
Weise kritisiert. Vielmehr muss der Berufungskläger im Einzelnen die
vorinstanzlichen Erwägungen bezeichnen, die er beanstandet, sich mit ihnen
argumentativ auseinandersetzen und die Aktenstücke nennen, auf denen seine
Kritik beruht. Die Begründung muss hinreichend explizit sein, dass sie von der
Berufungsinstanz einfach nachvollzogen werden kann (vgl. zum Ganzen BGE 138 III
374 E. 4.3.1 S. 375; Urteile 4A_142/2017 vom 3. August 2017 E. 3.1; 4A_397/2016
vom 30. November 2016 E. 3.1; 4A_580/2015 vom 11. April 2016 E. 2.2, nicht
veröffentlicht in: BGE 142 III 271).

3.2. Die Vorinstanz erwog, die Berufung der Beschwerdeführerin genüge den
Anforderungen an eine Berufungsschrift offenkundig nicht. Die
Beschwerdeführerin bringe lediglich in allgemeiner Weise vor, dass die
Zuteilung der Obhut an den Vater nicht dem Kindeswohl entspreche und das Kind
bei ihm in Gefahr bzw. der Vater gewalttätig sei, was zahlreiche, dem Gericht
eingereichte Beweismittel belegen würden. Ferner seien die Parteien nicht
kooperationsfähig, weshalb die im angefochtenen Entscheid festgesetzte Regelung
nicht funktionieren würde. Mit diesen pauschalen Rügen beschränke sich die
Beschwerdeführerin darauf, ihre vor der ersten Instanz sinngemäss vertretenen
Standpunkte zu wiederholen und setze sich mit den ausführlichen Erwägungen der
ersten Instanz in keiner Weise auseinander. Sie äussere sich insbesondere nicht
zur von der ersten Instanz festgestellten Entfremdung des Sohnes ihr gegenüber
sowie zur Stabilität der Verhältnisse. Sodann habe der erstinstanzliche
Einzelrichter den Umstand, dass der Vater den Sohn gegenüber der
Beschwerdeführerin negativ beeinflusse, explizit in seine Beurteilung
miteinbezogen. Damit zeige die Beschwerdeführerin nicht hinreichend auf,
inwiefern die erste Instanz den Sachverhalt falsch festgestellt bzw. das Recht
unrichtig angewendet haben solle. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass die
Berufung offensichtlich keine hinreichende Begründung enthalte, weshalb nicht
darauf einzutreten sei.

3.3. Die Beschwerdeführerin wendet ein, im angefochtenen Entscheid würden sich
keinerlei Erwägungen finden, dass bei Laienbeschwerden geringere Anforderungen
an die Formalitäten, insbesondere an die Substantiierungslast und Formulierung
der Anträge, gestellt werden. Es genüge, wenn Laien wenigstens dem Sinn nach
Anträge stellen, wie die Berufungsinstanz zu entscheiden habe. Und ohnehin gehe
die Begründungslast nicht so weit wie das Rügeprinzip. Entgegen der früheren
kantonalen Praxis könne nicht mehr eine unvollständige Berufungsschrift
eingereicht und innert Nachfrist verbessert werden. Dies spreche aber gerade
bei Laienbeschwerden dafür, die Schwelle für ein Nichteintreten nicht allzu
tief anzusetzen, was sich aus dem Verbot des überspitzten Formalismus nach Art.
29 Abs. 1 BV ableiten lasse. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer
Berufungseingabe eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass die Zuteilung der Obhut
nicht dem Kindeswohl entspreche und ihr die Obhut zuzuteilen sei. Damit liege
eine klare Begründung der ohnehin eindeutigen Anträge vor. Die Begründung sei
zwar nicht sehr ausführlich und nehme beispielsweise nicht mit Seitenzahlen
Bezug auf das erstinstanzliche Urteil, was allenfalls ein Mangel sein möge, der
sich bei der materiellen Beurteilung möglicherweise auswirken könne, aber die
Frage des Eintretens unberührt lasse.

3.4.

3.4.1. Die Einwände der Beschwerdeführerin gehen aus folgenden Gründen fehl:

3.4.2. So weist die Vorinstanz vorliegend darauf hin, dass sich die
Beschwerdeführerin mit den erstinstanzlichen Erwägungen in keiner Weise
auseinandergesetzt, sondern lediglich die bereits vor der ersten Instanz
vertretenen Standpunkte sinngemäss wiederholt hat. Mit dem pauschalen Hinweis,
wonach sie sich mit ihren Vorbringen "eindeutig mit den erstinstanzlichen
Erwägungen im Entscheid vom 5. Juni 2019 namentlich auf S. 5 ff. befasst und
diesen ihren eigenen, klar begründeten Standpunkt entgegensetzt" habe, vermag
die Beschwerdeführerin die erhöhten Rügeanforderungen (vgl. E. 2) nicht zu
erfüllen bzw. eine Verletzung von Art. 29 BV aufzuzeigen. Vielmehr hätte sie
mit näheren und konkreten Ausführungen darlegen müssen, inwiefern in ihrer
Berufungseingabe eine Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Entscheid
stattgefunden hat.

3.4.3. Weiter ist überspitzter Formalismus als besondere Form der
Rechtsverweigerung dann gegeben, wenn für ein Verfahren rigorose
Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich
gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener
Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und
damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 135 I 6 E.
2.1 S. 9 mit Hinweisen). Indem die Vorinstanz bei der Begründung der Berufung
die Einhaltung gewisser Minimalanforderungen verlangt, stellt sie keine
überspannten Anforderungen an die Rechtsmittelschrift, ungeachtet dessen, dass
es sich um eine Laieneingabe handelt. Das Verbot des überspitzten Formalismus
hat sie damit nicht verletzt.

4.

Aus den dargelegten Gründen muss die Beschwerde abgewiesen werden, soweit
darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die
Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie
hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch
der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die
Beschwerde nach dem Ausgeführten als von Anfang an aussichtslos beurteilt
werden muss (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegner hat auf eine
Vernehmlassung verzichtet, weshalb ihm keine Entschädigung geschuldet ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 

Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 

Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, II.
Zivilabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Dezember 2019

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Herrmann

Die Gerichtsschreiberin: Scheiwiller