Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.542/2019
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2019
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2019


 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

5A_542/2019

Urteil vom 30. Juli 2019

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Herrmann, Präsident,

Bundesrichter von Werdt, Schöbi,

Gerichtsschreiber Monn.

Verfahrensbeteiligte

1. A.________,

2. B.________,

beide vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Zogg,

Beschwerdeführer,

gegen

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Appenzell Ausserrhoden,

C.________,

Betroffene.

Gegenstand

Entlassungsgesuch,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden,
Einzelrichter, vom 21. Mai 2019 (ERV 19 33).

Sachverhalt:

A.

A.a. C.________ (geb. 1998) leidet seit Jahren an erheblichen gesundheitlichen
Problemen. Vom 28. Februar 2018 bis 27. August 2018 lebte sie im Wohnheim
D.________ in T.________. Dem Austrittsbericht des Wohnheims D.________ zufolge
hatte C.________ Phasen, während derer sie ihre Impulse nicht kontrollieren
konnte. Es sei zu Strangulationen, Schlucken von Gegenständen, Ritzen an den
Unterarmen, stundenlanges Schlagen der Hände, der Füsse und des Kopfes gegen
Fenster, Türen und Fensterbretter gekommen.

A.b. In der Folge wurde C.________ im Psychiatrischen Zentrum E.________ in
U.________ fürsorgerisch untergebracht. Nach einer Anhörung bei der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Appenzell Ausserrhoden kehrte sie nicht wie
abgemacht in ihr Zimmer im Psychiatrischen Zentrum E.________ zurück, sondern
begab sich zum Bahnhof U.________, wo sie sich auf die Gleise setzte und
schliesslich unter Polizeieinsatz in die Klinik zurückgebracht werden konnte,
nachdem es zu Aggressionen gegen Personen und Sachen sowie zu weiteren
suizidnahen Handlungen gekommen war.

A.c. Die fürsorgerische Unterbringung nach dem Konzept "F.________" unter der
Verantwortung des Vereins "G.________" in V.________, welche die KESB Appenzell
Ausserrhoden am 16. November 2018 angeordnet hatte, musste am 21. November 2018
abgebrochen werden. Nachdem sie wiederholt ausrückte, um C.________ vor
Suizidversuchen zu retten, verbrachte die Polizei die Patientin ins
Psychiatrische Zentrum E.________ zurück. Die dortige ärztliche Leitung
verfügte die Zurückbehaltung; am 22. November 2018 sprach der Psychiater Dr.
med. H.________ eine fürsorgerische Unterbringung aus. Eine dagegen erhobene
Beschwerde von C.________s Eltern, A.________ und B.________, wies das
Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden am 5. Dezember 2018 ab.

A.d. Zwischen Dezember 2018 und April 2019 wurde C.________ - teils mit
ärztlicher Verfügung, teils mit Entscheid der KESB Appenzell Ausserrhoden - zur
fürsorgerischen Unterbringung in die Psychiatrische Klinik in W.________, in
die Klinik I.________ der Psychiatrischen Dienste Aargau, in die Psychiatrische
Universitätsklinik X.________, in die Klinik J.________ in Y.________ und in
die Klinik K.________ in Z.________ eingewiesen. In diesen Institutionen
verblieb C.________ jeweils nur für kurze Zeit (einige Tage bis wenige Wochen),
bis sie - infolge von Strangulationsversuchen, Verschlucken gefährlicher
Gegenstände und anderen selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen - wieder
zurück in die Akutabteilung des Psychiatrischen Zentrums E.________ verlegt
wurde.

B.

B.a. Nachdem sie sich bereits gegen frühere Entscheide betreffend die
fürsorgerische Unterbringung ihrer Tochter bis vor Obergericht gewehrt hatten,
stellten C.________s Eltern am 24. April 2019 bei der KESB Appenzell
Ausserrhoden erneut ein Gesuch, ihre Tochter aus dem Psychiatrischen Zentrum
E.________ zu entlassen und die fürsorgerische Unterbringung aufzuheben. Mit
Kollegialentscheid vom 2. Mai 2019 wies die Behörde das Gesuch ab.

B.b. A.________ und B.________ erhoben darauf Beschwerde beim Obergericht des
Kantons Appenzell Ausserrhoden. Dieses wies das Rechtsmittel ab und bestätigte
den Entscheid der KESB Appenzell Ausserrhoden. Die begründete Fassung des
obergerichtlichen Entscheids vom 21. Mai 2019 wurde am 29. Mai 2019 versandt.

C. 

Mit Beschwerde vom 1. Juli 2019 wenden sich A.________ und B.________
(Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Sie stellen das Begehren, den
Entscheid des Obergerichts aufzuheben und C.________ aus der fürsorgerischen
Unterbringung im Psychiatrischen Zentrum E.________ zu entlassen. Das
Bundesgericht hat sich die kantonalen Akten überweisen lassen, jedoch keinen
Schriftenwechsel angeordnet.

Erwägungen:

1. 

Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob die
Eintretensvoraussetzungen gegeben sind (BGE 144 V 97 E. 1 S. 99; 144 II 184 E.
1 S. 186).

2. 

Der angefochtene Entscheid bestätigt die Abweisung des Gesuchs der
Beschwerdeführer, die fürsorgerische Unterbringung für C.________ aufzuheben
und C.________ aus dem Psychiatrischen Zentrum E.________ zu entlassen. Das ist
ein öffentlich-rechtlicher Entscheid in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
Zivilrecht (Art. 72 Abs. 2 Bst. b Ziff. 6 BGG). Das Obergericht ist eine letzte
kantonale Instanz, die als oberes Gericht auf Rechtsmittel hin einen
Endentscheid gefällt hat (Art. 75 und 90 BGG). Die Beschwerdefrist ist
eingehalten (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 45 Abs. 1 BGG). Von daher stünde die
Beschwerde in Zivilsachen an sich offen.

3.

3.1. Nicht die von der fürsorgerischen Unterbringung Betroffene, sondern deren
Eltern kämpfen vor Bundesgericht um die Aufhebung dieser Massnahme und die
Entlassung der Tochter aus der Klinik. Gestützt auf Art. 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB
können Personen, die der von einer Massnahme betroffenen Person nahe stehen, im
kantonalen Verfahren gegen Entscheide der Erwachsenenschutzbehörde Beschwerde
führen. Im Verfahren vor Bundesgericht richtet sich das Beschwerderecht
hingegen ausschliesslich nach Art. 76 Abs. 1 BGG (Urteil 5A_18/2019 vom 6. Juni
2019 E. 3.1; 5A_318/2019 vom 25. April 2019 E. 2; 5A_1012/2017 vom 25. Juni
2018 E. 3.1; 5A_116/2017 vom 12. September 2017 E. 1.3; 5A_729/2015 vom 17.
Juni 2016 E. 2.2.2; 5A_911/2015 vom 21. Januar 2016 E. 3.1; 5A_295/2015 vom 29.
Juni 2015 E. 1.2.1; 5A_310/2015 vom 20. April 2015 E. 2; 5A_683/2013 vom 11.
Dezember 2013 E. 1.2; kritisch zu dieser Rechtsprechung: PHILIPPE MEIER/ESTELLE
DE LUZE, Le recours des proches au Tribunal fédéral en matière de protection de
l'adulte - une Prozessstandschaft? in: Roland Fankhauser et al. [Herausgeber],
Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, Festschrift für Thomas Sutter-Somm,
2016, S. 847 ff., insbes. S. 855 ff.). Danach ist zur Beschwerde berechtigt,
wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat (Bst. a). Zusätzlich ist vorausgesetzt, dass die
Beschwerde führende Person durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt
ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat
(Bst. b). Es ist Sache der Beschwerdeführer darzulegen, dass die gesetzlichen
Legitimationsvoraussetzungen gegeben sind, es sei denn, dies ergebe sich ohne
Weiteres aus dem angefochtenen Entscheid oder aus den Akten (BGE 138 III 537 E.
1.2 S. 539; 133 II 353 E. 1 S. 556; s. jüngst etwa die Urteile 5A_18/2019 vom
6. Juni 2019 E. 1; 5A_956/2016 vom 19. Juni 2017 E. 1.3.3; 5A_310/2016 vom 3.
März 2017 E. 1.2).

Das schutzwürdige Interesse setzt voraus, dass die Beschwerde führende Person
einen praktischen Nutzen an der Gutheissung der Beschwerde hat, wobei dieser
Nutzen materieller oder ideeller Natur sein kann (BGE 138 III 537 E. 1.2.2 S.
539 mit Hinweisen; Urteil 5A_295/2015 vom 29. Juni 2015 E. 1.2.1). Mit der
Beschwerde geht es sodann nicht darum, Interessen Dritter geltend zu machen.
Vorausgesetzt wird vielmehr ein eigenes schutzwürdiges Interesse der Beschwerde
führenden Person (Urteile 5A_911/2015 vom 21. Januar 2016 E. 3.1; 5A_310/2015
vom 20. April 2015 E. 2; 5A_238/2015 vom 16. April 2015 E. 2). In seiner
Rechtsprechung hat das Bundesgericht den Sohn für beschwerdeberechtigt
erachtet, die Einweisung seiner Mutter in ein Alters- und Pflegeheim
anzufechten, weil er die Mutter persönlich betreuen wollte (Urteil 5A_338/2015
vom 1. Juli 2015 E. 1.1). Hingegen hat das Bundesgericht das schutzwürdige
Interesse der Tochter verneint, die sich gegen die fürsorgerische Unterbringung
ihrer Mutter zur Wehr setzte (Urteil 5A_238/2015 vom 16. April 2015 E. 2). In
gleicher Weise verneinte das Bundesgericht das schutzwürdige Interesse der
Mutter, die sich dagegen zur Wehr setzte, dass ihrer Tochter ein Berufsbeistand
bestellt wurde (Urteil 5A_345/2015 vom 3. Juni 2015 E. 1.2.2). Ebenso verneinte
das Bundesgericht das schutzwürdige Interesse der Eltern, die ihr
Beschwerderecht im Streit um die Absetzung des Beistands ihrer Tochter damit
begründeten, dass ihnen der Beistand eine Entschädigung für ihre Dienste
verweigerte, obwohl sie ihre volljährige Tochter, die infolge eines
Verkehrsunfalls hilfsbedürftig war, vollzeitlich betreuten. Das Bundesgericht
stellte klar, dass es sich hierbei um ein rein tatsächliches Interesse
handelte, das sich nur indirekt aus der Situation der Tochter ergab und
obendrein auf der blossen Mutmassung beruhte, ein anderer Beistand würde ihren
Geldforderungen nachkommen (Urteil 5A_295/2015 vom 29. Juni 2015 E. 1.2.3.1).

3.2. Im konkreten Fall begründen die Beschwerdeführer ihr eigenes
schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 76 Abs. 1 Bst. b BGG zusammengefasst
damit, dass die gegenwärtige Betreuung ihrer Tochter im Isolierzimmer des
Psychiatrischen Zentrums E.________ für sie kaum mehr zu ertragen ist und diese
Belastung unter anderem dazu führte, dass sich die Beschwerdeführerin 2 selbst
in ärztliche Behandlung begeben musste. Aufgrund dieser " (Ausnahme-)
Situation" bestehe "ein materieller und vor allem ein ideeller Nutzen an der
Aufhebung". Im Unterschied zu einer nahe stehenden Person, der aufgrund einer
behördlichen Massnahme - direkt - die Möglichkeit abgeschnitten wird, ihren
Angehörigen selbst zu betreuen, gründet das von den Beschwerdeführern geltend
gemachte Interesse einzig im Umstand, dass sie als Eltern in einer besonderen
Beziehung zur direkt betroffenen Tochter stehen und durch deren fürsorgerische
Unterbringung ebenfalls berührt sind. Allein aus solch einem mittelbaren
Interesse ergibt sich - bei allem Verständnis für die Singularität des
vorliegenden Falles - kein eigenes Interesse der Beschwerdeführer, das im Sinne
von Art. 76 Abs. 1 Bst. b BGG schutzwürdig wäre und sie zur Beschwerde an das
Bundesgericht berechtigen würde. Gerade mit Blick auf C.________s lange und
leidvolle Krankengeschichte und die äusserst schwierige Suche nach einem
geeigneten Rahmen für ihre Behandlung und Pflege kann im Übrigen auch nicht als
gesichert gelten, dass mit ihrer Entlassung aus dem Psychiatrischen Zentrum
E.________ auch die schwere Belastung entfiele, mit der die Beschwerdeführer zu
kämpfen haben. Auch unter diesem Gesichtspunkt eignet sich die Argumentation
der Beschwerdeführer nicht dazu, den Nachteil darzulegen, der ihnen aus dem
angefochtenen Entscheid erwächst und den sie mit der Gutheissung ihrer
Beschwerde nicht erleiden würden.

4. 

Nach dem Gesagten tritt das Bundesgericht nicht auf die Beschwerde ein. Im
Übrigen würden die Beschwerdeführer mit ihrem Hauptantrag selbst dann nicht
durchdringen, wenn sie zur Beschwerde berechtigt wären und ihre Beschwerde auch
sonst zulässig wäre. Der angefochtene Entscheid legt ausführlich dar, weshalb
das Psychiatrische Zentrum E.________ in der gegebenen Ausnahmesituation zur
vorübergehenden Unterbringung von C.________ eine im Sinne von Art. 426 Abs. 1
ZGB geeignete Einrichtung ist und weshalb bis zur Etablierung einer anderen
Betreuungssituation auch erhebliche Freiheitsbeschränkungen in Kauf zu nehmen
sind. Ebenso erklärt das Obergericht, weshalb mildere Massnahmen gestützt auf
das ärztliche Gutachten von Dr. med. L.________ vom 26. März 2019 und die
Berichte der übrigen Psychiater im Moment realistischerweise nicht ersichtlich
sind. Die Beschwerdeführer begnügen sich im Wesentlichen damit, dem
angefochtenen Entscheid ihre Sicht der Sach- und Rechtslage gegenüber zu
stellen. Insbesondere setzen sie sich auch nicht mit der vorinstanzlichen
Erklärung auseinander, wonach laut ärztlichem Gutachten ein rein agogisches
Vorgehen ohne ausreichende Sicherungsmassnahmen unzureichend und mit einer
unmittelbaren Gefährdung von C.________ sowie von Drittpersonen verbunden ist.
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz mit dem abweisenden
angefochtenen Entscheid Recht verletzt hätte.

5. 

Bei diesem Ausgang des Verfahrens haben die Beschwerdeführer für die
Gerichtskosten aufzukommen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Dem Gemeinwesen ist
keine Entschädigung geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde Appenzell Ausserrhoden, C.________, dem Obergericht
Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, und M.________ schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Juli 2019

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Herrmann

Der Gerichtsschreiber: Monn