Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.29/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

4A_29/2019

Urteil vom 10. Juli 2019

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,

Bundesrichterinnen Klett, Hohl, Niquille, May Canellas,

Gerichtsschreiber Kölz.

Verfahrensbeteiligte

A.________ AG,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. René Hirsiger,

Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas Abegg,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Arbeitsvertrag, Widerklage,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, vom 27. November 2018 (LA180016).

Sachverhalt:

A.

B.________ (Beschwerdegegnerin) verlangt mit ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht
Zürich von der A.________ AG (Beschwerdeführerin) die Bezahlung von Fr.
14'981.25 zuzüglich Zins, "unter Vorbehalt der Nachklage". Sie macht geltend,
es handle sich um eine Teilklage aus der Gesamtforderung für
Überzeitentschädigung der Jahre 2014, 2015 und 2016 im Betrag von insgesamt Fr.
51'850.--, wovon sie einstweilen nur die Überzeitentschädigung aus dem Jahre
2016 geltend mache.

Mittels Widerklage begehrt die A.________ AG die gerichtliche Feststellung,
dass sie B.________ "keine Entschädigung aus Überzeit" schulde. Sie bringt vor,
sie sei "im vollen Umfang des behaupteten (Gesamt-) Anspruchs in ihrer
Privatrechtssphäre beeinträchtigt" und habe deswegen ein Interesse an der
Feststellung des Nichtbestands der Gesamtforderung.

Wie von B.________ beantragt, trat der Einzelrichter am Arbeitsgericht mit
Verfügung vom 17. Mai 2018 auf die Widerklage nicht ein und wies den Antrag der
A.________ AG auf Überweisung in das ordentliche Verfahren ab.

Das Obergericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Berufung der
A.________ AG mit Urteil vom 27. November 2018 ab und bestätigte die Verfügung
des Einzelrichters. Zudem verpflichtete es die A.________ AG, B.________ für
das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'050.-- zu bezahlen.

B.

Die A.________ AG verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und es sei auf die Widerklage einzutreten. Das
Verfahren sei an das Arbeitsgericht Zürich zurückzuweisen mit der Massgabe, den
Prozess im ordentlichen Verfahren durchzuführen. Sie sei von B.________ für das
vorinstanzliche Verfahren mit Fr. 2'050.-- zu entschädigen. Eventualiter sei
das Verfahren zur Neuregelung der Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen
Verfahrens an das Obergericht zurückzuweisen.

B.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen und das Urteil des Obergerichts
zu bestätigen. Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Mit Präsidialverfügung vom 11. März 2019 wurde der Beschwerde aufschiebende
Wirkung erteilt.

Erwägungen:

1.

Das angefochtene Urteil des Obergerichts ist - da darin nur über die Widerklage
entschieden wird - ein Teilentscheid (Art. 91 BGG) einer Vorinstanz im Sinne
von Art. 75 BGG. Weiter übersteigt der Streitwert die nach Art. 74 Abs. 1 lit.
a BGG in arbeitsrechtlichen Fällen geltende Grenze. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.

2.1. Laut Art. 224 Abs. 1 ZPO kann die beklagte Partei in der Klageantwort
Widerklage erheben, wenn der geltend gemachte Anspruch nach der gleichen
Verfahrensart wie die Hauptklage zu beurteilen ist. Mit Blick auf diese
Bestimmung ist es nach BGE 143 III 506 E. 3 grundsätzlich nicht zulässig, im
vereinfachten Verfahren eine Widerklage zu erheben, die aufgrund ihres
Streitwerts von über Fr. 30'000.-- (siehe Art. 243 Abs. 1 ZPO) in den
Geltungsbereich des ordentlichen Verfahrens fällt. In Erwägung 4 desselben
Urteils hat das Bundesgericht aber auch entschieden, dass das Gesagte nicht
gelte, wenn die beklagte Partei "als Reaktion auf eine echte Teilklage" eine
negative Feststellungswiderklage erhebe, auch wenn deren Streitwert die
Anwendbarkeit des ordentlichen Verfahrens zur Folge habe.

2.2. Ausgehend von dieser Rechtsprechung beurteilte die Vorinstanz die negative
Feststellungswiderklage der Beschwerdeführerin als unzulässig. Sie erwog, die
Beschwerdegegnerin mache insgesamt drei Forderungen betreffend
Überzeitentschädigung für drei verschiedene Zeitabschnitte geltend, konkret für
die Jahre 2014-2016, wobei sie jedoch nur diejenige für das Jahr 2016
eingeklagt habe. Die Ansprüche hätten ihre Grundlage zwar alle in demselben
Arbeitsvertrag, beträfen "aber jeweils unterschiedliche Perioden und damit
verschiedene Lebenssachverhalte". Folglich handle es sich bei ihnen um drei
separate, eigenständige Ansprüche. Da die Beschwerdegegnerin mit ihrer Klage
"einen individualisierbaren Anspruch des Gesamtbetrages" geltend mache, liege
eine unechte Teilklage vor, und die negative Feststellungswiderklage der
Beschwerdeführerin sei aufgrund ihres Streitwerts von über Fr. 30'000.--
unzulässig.

Die Beschwerdeführerin hält diese Auffassung für bundesrechtswidrig.

2.3. Im Nachgang zu BGE 143 III 506 wurde in der Literatur kritisch angemerkt,
dass das Bundesgericht die Ausnahme von Art. 224 Abs. 1 ZPO zwar auf echte
Teilklagen beschränke, sich aber nicht dazu äussere, nach welchen Kriterien
solche von unechten Teilklagen zu unterscheiden seien (so etwa BOOG, Echte
Teilklage im vereinfachten Verfahren und negative Feststellungswiderklage
[...], 2018, S. 73 Rz. 123; WAGNER/SCHMID, Die Teilklage [im vereinfachten
Verfahren] kommt nicht zur Ruhe, in: HAVE 2018 S. 177 f.; je mit weiteren
Hinweisen; vgl. auch RHINER/WOHLGEMUTH, AJP 2018 S. 113).

Im Verfahren, das zum genannten Entscheid geführt hat, verlangte der Kläger,
die Beklagte sei zu verurteilen, ihm "vom zwischen dem 1. Juli 2003 und dem 31.
Dezember 2012 entstandenen Direktschaden aus Erwerb, Haushalt, Kosten und
Genugtuung" Fr. 30'000.-- nebst Zins zu bezahlen. Mit anderen Worten forderte
er einen betragsmässig beschränkten Teil seines gesamten aus einer
Körperverletzung resultierenden Schadens. Das Bundesgericht ging ausdrücklich
davon aus, dass es sich dabei um eine sogenannte echte Teilklage handle (E.
4.1). In BGE 143 III 254, auf den es in diesem Zusammenhang verwies, hatte das
Bundesgericht nämlich zur Unterscheidung zwischen echter und unechter Teilklage
ausgeführt, mit der echten Teilklage werde nach der Lehre "ein quantitativer
Teilbetrag aus dem gesamten Anspruch" eingeklagt, wogegen die klagende Partei
bei der unechten Teilklage "einen individualisierbaren Anspruch des
Gesamtbetrages" beanspruche (E. 3.4). Die Abgrenzung zwischen echter und
unechter Teilklage wurde dort allerdings nicht mit Blick auf eine negative
Feststellungswiderklage erwähnt, sondern hinsichtlich der Frage der
Bestimmtheit des klägerischen Rechtsbegehrens. Zu beachten ist, dass das
Bundesgericht seither auf das in BGE 142 III 683 formulierte Erfordernis
verzichtet hat, dass immer, wenn mehrere Ansprüche in einer Klage gehäuft
werden, davon aber bloss ein Teil eingeklagt wird, in der Klage zu präzisieren
ist, in welcher Reihenfolge und/oder in welchem Umfang die einzelnen Ansprüche
geltend gemacht werden. Es wird lediglich noch verlangt, dass die klagende
Partei hinreichend substanziiert behauptet, es bestehe eine den eingeklagten
Betrag übersteigende Forderung (BGE 144 III 452 E. 2.4; siehe seither auch
Urteil 4A_342/2018 vom 21. November 2018 E. 2.3.2).

Auch im hier interessierenden Zusammenhang, das heisst bei der Frage nach der
Zulässigkeit der negativen Feststellungswiderklage, kommt der heiklen
Abgrenzung von Streitgegenständen nicht die Bedeutung zu, die ihr die
Vorinstanz zumisst: Wenn das Bundesgericht in BGE 143 III 506 darauf
hingewiesen hat, dass es sich um eine sogenannte echte Teilklage handle, dann
deshalb, weil in solchen Fällen - etwa bei einer Klage auf Bezahlung eines vom
Kläger einzig betragsmässig beschränkten Teils einer Kaufpreisforderung (siehe
zum Beispiel Urteil 4A_366/2017 vom 17. Mai 2018 E. 5.2) - das Interesse der
beklagten Partei an der negativen Feststellungswiderklage auf der Hand liegt,
zumal sie den Streitgegenstand nicht anderweitig rechtshängig machen kann (Art.
64 Abs. 1 lit. a und Art. 59 Abs. 2 lit. d ZPO). Indessen ist die Ausnahme vom
Erfordernis der gleichen Verfahrensart gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO nicht auf
diesen Fall beschränkt, sondern gilt allgemein dann, wenn die Teilklage eine
Ungewissheit zur Folge hat, die es rechtfertigt, im Sinne von Art. 88 ZPO die
Feststellung des Nichtbestands einer Forderung oder eines Rechtsverhältnisses
zu verlangen.

2.4. Vorliegend ist dies offensichtlich der Fall: Die Beschwerdegegnerin hat in
ihrer Klageschrift vom 14. Dezember 2017 behauptet, es stehe ihr eine
"Gesamtforderung aus Überzeitentschädigungen aus den Jahren 2014, 2015 und 2016
im Umfang von CHF 51'850.-" zu, jedoch unter ausdrücklichen Nachklagevorbehalt
lediglich die Überzeitentschädigung für das Jahr 2016 im Umfang von Fr.
14'981.25 eingeklagt. In dieser Situation muss es der Beschwerdeführerin
möglich sein, mittels negativer Feststellungswiderklage auch die
Überzeitentschädigung aus den Jahren 2014 und 2015 im selben Verfahren zur
Beurteilung zu bringen, gerade weil sich gemäss den Ausführungen der Vorinstanz
die Frage der Kompensation von Überzeit aus den Vorjahren stellt (vgl.
allgemein Urteil C.214/1987 vom 21. Juni 1988 E. 1d, nicht publ. in: BGE 114 II
279, aber in: SJ 1988 609). Ob die Entschädigung für die während eines
bestimmten Kalenderjahrs angeblich geleistete Überzeit einen selbständigen
Streitgegenstand darstellt, ist entgegen der Vorinstanz und der
Beschwerdegegnerin nicht entscheidend.

Demnach steht Art. 224 Abs. 1 ZPO dem Eintreten auf die Widerklage der
Beschwerdeführerin nicht entgegen.

3.

Die Beschwerde ist gutzuheissen. Das angefochtene Urteil des Obergerichts ist
aufzuheben. Die Sache ist zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Ausgangsgemäss wird die Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig
(Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, I. Zivilkammer, vom 27. November 2018 (LA180016), wird aufgehoben. Die
Sache wird zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.

Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juli 2019

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Kölz